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Sächsische Volkszeitung : 11.09.1940
- Erscheinungsdatum
- 1940-09-11
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-194009119
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19400911
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19400911
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1940
-
Monat
1940-09
- Tag 1940-09-11
-
Monat
1940-09
-
Jahr
1940
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 11.09.1940
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Sächsische Volkszeitung Nummer 218. Sette 8 Mittwoch, 1t. Septemder IMS Ihre Schriftstelleret Religion und praktisches Christentum an meiner Stelle zu fördern; dazu berufe und besolde ich Sie " Die Scnne der kurfürstlichen Gunst brachte dem mit so hohen Ansprüchen berufenen Mann die reichsten bürgerlichen Ehren «ich einen Zulauf von Adepten aus den höchsten Krei sen. In den Wirren der sranzösischen Revolution und der Na poleonischen Gewaltherrschaft, in der Reaktion gegen Aufklä rung, und Rationalismus hatte sich iveiter Kreise eine religiös schwärmerische Sehnsucht bemächtigt, die jeden, der dieser Sehn sucht Nahrung bot, bereitwillig zum Propheten erhob Dem Schneiderssohn und naiv-srommen Bauernrnkel bekam indes sen der ihm gestreute Weihrauch nicht gut. Sein ganz und gar unkritischer Kopf konnte den Schwärmereien seiner hochgestell ten Verehrer und Jünger keinen Damm entgegensetzen. Immer mehr fühlte er sich wirklich als der Prcnhct, der im Verkehr mit Geistern und durch die inspirierte Auslegung der Apokalypse In den Besitz göttlicher Gel»eiinnissc gelaugt war und cs »vagen durste, Prophezeiungen für die nächste und fernste Zukunft auszusprechen. Als er mit 77 Jahren als badischer Geheimrat starb, mar er das gefeierte Oberhauvt der pietistischen Adels kreise des ganzen südwestlichen Deutschlands. Doch gerade diese letzte und glänzendste Periode seines Lebens ist uns völlig ver sunken. Unsterblich aber lebt der arme Dorsschneiderssohn und fröhlich gotlvertrauende Medizinstudent mit der altw--dilcken Haarbeutelperücke, der sür ein paar Jahre in den Strahlen kreis Goethes trat und, von dieser Sonne angeivgrmt, sein Bestes hergegeben hat. Graf Kaspar Zdenko und der Bürgermeister Johannes Andreas von Liebenberg; ferner der Bischof von Wien, Leopold Graf Kollonitsch. 11 000 Mann hatte der Herzog von Lothringen in die Stadt gelegt; sie genügten zur Verteidigung nicht Bürger, Handwerker, Studenten, Hofbcdienstcte, alles mutzte mithclfen, Wachdienst und Schanzarbeiten übernehmen. Trotz der tapfer sten Abivchr konnten sich die Türken am 12. August im Stadt graben vor dem Ravclin festsctzen. Die Ruhr brach ans. Graf Starhcmberg, am 15. Juli verwundct, verlor den Mut nicht. Es gelang ihm, dem Herzog von Lothringen am 18. August zu melden: „Bis jetzt haben wir dem Feind den Boden Schritt für Schritt streitig gemacht, und er hat auch nicht einen Zoll Erde gewonnen, wo er nicht seine Haut hat lassen müssen." Aber am 27. August mutzte er durch eine»» anderen kühnen Boten melden: „Es ist Zeit, uns zu Hilse zu kommen: wir verlieren viel Mann schaft und Offiziere, mehr noch durch die Ruhr als durch das Feuer des Feindes; täglich sterben 60 Personen. Wir haben keine Granaten mehr..." In den Nächten wurden voin Ste- fansturm Raketensignale als Zeichen der höchsten Not gegeben. Ain 4. September sprengte eine gewaltige Mine eine zehn Meter breite Bresche an der Flanke der Burgbastci. Die Hälfte der Besatzung war gefallen. Endlich stiegen in der Nacht vom 10. auf den 11. September vom Givfcl des Kahlenberges fünf: Raketen auf zum Zeichen, datz das Eulsatzhccr in nächster Nähe sei. Mitte August waren 11 000 Bagern in Krems eingetrosfen. Die Polen hatten am 22. August mit 20 000 Mann die schlesische Grenze überschritten. Am 9. September konnte das 70 000 Mann starke Entsatzheer unter dem nominell-m Oberbefehl des Johann Sobieski den Vormarsch aus Wien beginnen. Wenige Wochen nach der Wahl Innozenz XI. (80. Oktober 1670) starb der damalige türkiscl-e Grotz Wesir Ahmed Köprülii. An seine Stelle trat ein Mann, der für die Welt des Islam schon seit vielen Jahren die Seele der wiedcrerwachten Angriffslust auf das christlick-e Abendland mar: Der 50jährige Sultan Kara Mustafa. Im Abendlands erzählte mai» sich schreckenerregende Dinge von den Absichten des Allgewaltigen: Er wolle Pretzburg, Wie»» und Prag erobern, dann quer durch Deutschland ziehen, um von dort aus nach Rom zu eilen und aus St. Peter Pferde ställe für seine Moslemin zu machen. Nach einem glücklichen Krieg mit Polen (1076) »vor schm» sür das Jahr 1677 der Einfall in die österreichischen und deut schen Lande geplant. Papst Innozenz Xl. war sich als Oberhaupt der Kirche seiner schweren Verantwortung voll be müht und setzte sich von den ersten Tage»» seines hohen Amtes an zum Ziele, eine Offcnsiv-Liga der christlichen Fürsten zu- standezubringen, die ins Herz des Osmanenreiches vordringen, Konstantinopel erobern und die Türken aus Europa verdrängen sollte. Aber es war eine fast unerreichbare Ausgabe. Ludwig XIV. von Frankreich arbeitete in dieser Zeit höchster religiöser Not auf die Abrundung der französischen Grenzen nach Norden und Osten bis an den Rhein und auf das Kaisertum hin, wofür er den Türken diesseits des Rheins freie Hand versprach. Es war von Frankreich nicht nur keine Hilfe zu erwarten, sondern man mutzte befürchten, datz Ludwig XIV. nicht einmal neutral bleiben werde. Der Papst mutzte zufrieden sein, als die (tfcfahr bereits aufs Höchste gestiegen war, wenigstens eine Defensiv-Liga zwischen dem Kaiser und Polen zu erreichen. Eine zweite schwierig« Aufgabe war die Finanzierung des Krieges. Ucbcrall führte der Papst die grötzte Sparsamkeit durch. Selbst die Vatikanischen Gärten und die des Quirinals lieh er verpachten. Alle Kirchengiiter wurden besteuert. Nach dem endlich auch noch wertvolle Kirchenschätze veräutzert waren, konnte Innozenz dem Kaiser die aeforderten 5 Millionen Gulden auszahlen lassen, für die damalige Zeit eine geradezu phan- tastisckre Summe. Innozenz aber blieb die Seele im grossen Rettungskampfc. Niemand dachte wie er Tag und Nacht an die drohende Gefahr. An dem Tage, da das langerstrebte Bündnis des Kaisers mit Polen zustande kam, setzte sich das türkis«!)« Heer von Adrianopel gegen Belgrad In Bewegung. Es war höchste Zeit gewesen. Die Gesamtstärke der Türken wurde auf 160 000 Mann geschätzt, ohne den ungeheure»» Trotz. Der Kaiser hatte zunächst nur 80 000 Mann entgegenzustellcn. die sein Schwager. Herzog Karl von Lothringen, befehligte. An» 12. Juli 168.8 erschien die türkische Vorhut sengend und brennend in der Ilinaebung Wiens. Die Vorstädte gingen am 18. in Flammen auf. Am folgenden Tag vollendeten die Türken die Einschlietzung der alte»» Kaiser stadt. Ein Wald von 25 000 Zelten bezeichnete die Stätte des Lagers, aus dem täglich bei Sonnenuntergang das furchtbare Allah- und Hu-Geschrci der Moslemin ertönte. Die Belagerung begann. Oberbefehlshaber der kaiserlichen Armee war Graf Ernst Rüdiger von Starhemberg. Ihm zur Seite stände»» Mas wäre aus Euro»m, was aus der abendländischen Kul tur geworden, wenn die Angriffe der Türken nicht zurückge schlagen worden wären? Kleinasien, Palästina. Nordafrika, det Balkan, das Los seiner Völker gibt darauf Antwort. Leopold Schwarz. Vrrschlepptes Kulturgut wird zurückgebracht Straßburg, 11. September. Schon lange vor Kriegsausbruch hatten die Franzose»» damit begonnen, die Stratzburgcr Archiv« ausznräumcn ' die beim Einzug der Deutschen nahezu völlig leer vovgcsunden wurden. Ii» den letzten Tagen sind nun aus Inneysrankreich mehrere Güterwagen eingctrossen, die vcr allein einen Teil der unsäMbaren Werte an alten Pergamen ten. Urkunden und Akten bargen. Damit ist allerdings nur ein kleiner Anfang der Heimbesörderung der umsangreiclnn Ar- chivschätzc gemacht. Ganze Güterzüge werden notwendig sein, um die Urkunden- und Büchcrschätze der ösfentttclien Biblio theken und der verschiedenen Anstalten der Universität wieder an Ort und Stelle zu bringen. Am 12. September 1688, einem Sonntag, las Marco d'Aviauo vor Couneuaul-'ang in dem Kamaldulenserkloster auf dem Iosefsbera eine bl Messe, bei der Sobieski ministrierte. Daun begab sich der berühmte Prediger, das Kreuz in der Hand, auf einen weithin sichtbaren Punkt, um im Angesicht aller den Sieg über den Halbmond zu erflehen. Die Kaiserlichen unter dem Herzog van Loihrinaea und die Sachsen (als linker Flügel) sticken zuerst mit dem Feinde zu sammen, der hartnäckigen Widerstand leistete, so datz der Nutz berg erst gegen Mittag erstürmt werden konnte. Um diese Zett war das Zentrum der Entsatzheere, das aus den Reickstruppen und den Bagern bestand, gleichfalls siegreich vorgedluuien. Um 2 Uhr griffen die Polen lnn Dornbach ein, ohne aber durch brechen zu können. Die Entscheidung brachte Karl von Lothringen, indem er den rechten Ftüael der Türken ge gen die Mitte aufrollte. Um 4 Rhr trat der Feind den Rückzug an, der bald In eine allgemeine wilde Flucht nach der unga rischen Grenze ausartete. 11 000 gefallene Türken bedeckten das Schlachtfeld, der Verlust des christlichen Heeres betrua geacn 6000 Mann. Die Beute der Sieger, die sich grotzenteils die Polen aneigncten, war ungeheuer: 117 Kanonen. 15000 ZeUe. darunter das pracht volle des Gratzivesirs. 10 000 Ochsen. Büffel und Kamele, cben- sovicle Dclmfc. 600 Beutel voll Piaster, zahlreiche Fahnen und überaus reiches Kriegsmaterial. Die schönste Beute waren 500 im Türkenlagcr zurückge bliebene Christenkiiidcr, durch deren Versorgung sich Vischof Kollonitsch den Ehrenamen „Obcrvormund der Waisen" ver diente. Die Befreiung war in letzter Stunde gekommen. ..Die Stadt", schrieb Sobieski. ..hätte sich nicht mein- fünf Tage halten . können. Alle schreiben Gott und mir den Sieg zu." Innozenz XI. hatte auch nicht versäumt, die grotze Ange legenheit dem Lenker aller Geschicke anzurnwsehlcn. Er ordnete öffentliche Andachten an und lieh in allen Klöstern beten. Nach den» Eintreffen des Kuriers, der die Sieaesnachricht brachte, dankte der Papst Gott auf den Knien und lieh ii» allen Kirche»» Rains Dankgottesdienste abhalten. Am 26. September wurden für die Gefallenen In allen Kirchen Seelenmessen gelesen. Und zum Dank für die Hilfe der Gottesmutter schrieb er die Feier ihres Namensfestes am Sonntag nach Mariä Geburt für die ganze Kirche vor. Dieser Siea über die Türken wurde in den solaendcn Jah ren noch vervollständigt. Im Oktober 1688 wurde der erste Schritt zur Befreiung Ungarns acmacht durch die Erolrerung der heiligen Stadt Gran. 1688 siel die Festung Belgrad, die allerdings 1690 nochmals verlorengina. Prinz Enge»' vollendet« 1697 durch den Sieg bei Zenta das 1688 begonnene Werk. Untersuchungen erforderlich gemacht, für deren Durchführung modernste Forschungsmittel notwendig »varen. Wenn so durch Forschung und Versuchsbetriebe die Zeit der „Kinderkrankl)«Iten" technischer Einrichtungen derart rapide verkürzt »verdcn konnte, datz z. B. beim Rundfunkapparat kaum ein Dutzend Jahre ausreichten, um von den ersten primi tiven Ausführungen bis zum komfortablen Stahlröhrensuper zu führen — lm Gegensatz etwa zur Entwicklung des Fernsprechers, die Jahrzehnte für sich in Anspruch nahm —. so ist die For schung außerdem damit beschäftigt, technisches Neuland zu erschlichen. Man steht Im Begriffe, eine ganz« Reihe von neuen elektrischen Erscheinungen, die bisher rein wissenschaft lich bearbeitet wurden, der Technik nutzbar zu machen. Dazu gehört gegenwärtig z. B die Lichtelektrizität, die Elektronen optik und die Kristalltechnik. Die lichtelektrischn» Vorgänge, die wir von der sog. Fotozelle her kennen, werden mehr als bisher sür zahlreiche Metz- und Steucrungsverfahren nutzbar gemacht werden können. Beispielsweise kann man heute schon sehr feine Messungen, etwa solcl»« von Tausendstel Millimetern, auf lichtelektrischem Wege durchführen, wcntgstens soweit cs sich um vergleichende Messungen handelt. Die Elektronenoptik ist der Oefsentlichkeit vor allein Im sog. „Ue be r m i k r o s k o p" bekannt geworden, mit dem man noch Einzelheiten erkennen kann, die nur zweihunderttausendstel Millimeter voneinander entfernt sind. Das Lichtmikroskop ist damit um das Vierzlgfache geschlagen, und wir bekommen Ein blicke in Gebiete, die bisher dem menschlichen Ange verschlossen »varen. Was daraus der Bakteriologe, der Werkstosf-Fachmann, der Botaniker, der Chemiker usw. kennen lernen und erforschen können, ist heute noch nicht im entferntesten abznschen. Die Kristalltechnik endlich bedient sich der Ouarzkrlstalle, um mit Ihrer Hilfe sehr präzise und unveränderliche Schwingungen zu erzeugen und Töne hervorzurufen, die das menschliche Ohr nicht mehr hören kann. Auch hier steht man erst in den Anfängen, aber für die Nachrichtentechnik und manche anderen Gebiete ergeben sich viele interessante Perspektiven. Es braucht kaum betont zu werden, datz diese Forschungs und Fortschrittsarbeit, die die Tor« in die Zukunft öffnet, sür den deutsche»» Export von entscheidender Wichtigkeit Ist; denn der Export steht und stillt mit dem technischen Fortschritt, und dieser wiederum Ist ohne großzügig angelegte Forschungsarbeit unmöglich. Tove in die Ankunft W<w bringt die Technik nach dem Krieg«? — Forschungen bahnen d«n «eg. — Fortschritt als Grundlage des Exports. Es kann kein Zweifel sein, datz in einem dauerhaft be friedeten Europa eine Fülle von fortschrittliche»» Kräften zur Wirkung kommen wird, die unserem Erdteil ein ganz neues Gepräge verleihen. Diese Kräfte sind, soweit sie auf die zivili satorische Leistung, auf die Verbesserung der Lebenshaltung, der Wohnung, Kleidung und sonstigen materiellen Bedürfnisse der Menschen abzielen, technischer Art. Sie werden in der deutschen Technik ein höchst aktives Zentrum finden, das seit Jahren auf Fortschritt eingestellt ist und diese Bestrebungen auf das solideste durch eine umfangreiche Forschungstättgkeit untermauert hat. Die deutsche Elektrotechnik ist in gewissem Sinne charakteristisch für das, was sich in Deutschland auch auf an deren technischen Gebieten abspielt. Werner von Siemens hat ihr erstmalig die Methodik der sog. technischen Zweckforschung geschenkt und mit dieser planmätzigen forscherischen Bearbeitung von praktischen Fragen die Grundlage für den raschen Aufstieg der deutschen Elektrotechnik und Ihre heut« führende Stellung in der Welt gelegt. Heute verfügen die Grotzunternehmen der Elektrotechnik über umfangreicl)« und gut ausgestattete For schungsstätten und Entwicklungslaboratorien, zahlreiche staat liche Institute, Hochschulen usw. arbeiten ebenfalls auf diesem Gebiet, und mancherlei Organisationen sorgen für den Aus tausch der gemachten Erfahrungen und gefundenen Erkennt nisse. Di« Oefsentlichkeit vernimmt nur selten von den fach lichen Ergebnissen solchen Wirkens. Aber wenn man hör«, datz heute z. B. in der Fernmeldetechnik Motordrehwähler benutzt werden, deren Kontaktarme 150 bis 200 Kontaktlamellen In der Sekunde passieren und dabei völlig einwandfrei Kontaktwirkun gen Hervorrufen, wenn man vernimmt, datz die Relais von Strom richtern, wie sie zum Umsormen von Gleich- in Wechselstrom be nutzt werden, im Dauerbetrieb oft mehrer« 100 000 Schaltungen in der Stund« ausführen, und zwar einwandfrei und ohne die geringste Störung, so kann man sich vorstellen, datz derartige Leistungen nicht auf dem Wege normaler Jormentwicklung zu stande gekommen sind. Sie haben vielmehr eingehende Spezial- Irmg-Stilling, Goethes Jugendgenosse Ar» feinem 20V. Geburtstag, f2. September d«rt. Bon da an aber trennten sich die Wege der Jugendfreunde. Für Iung^Stillings spätere Entwicklung hatte Goethe kein Verständnis mehr. Jung hatte sich schon In Elberfeld viel mit volkswirtschaft lichen Studien bescl-äftigt und folgte 1778 einem Ruf ai» die neue Kameral-Akademie nach Kaiserslautern, von »vc er 1784 mit der Akademie nach Heidelberg übersiedelt«. 1787 wurde er Professor und Protektor in Marburg u»»d gewann einen unge wöhnlich grotzen Einfluh auf einen Teil der studentischen Iu- I«nd, wobei er selbst immer tiefer in die Mystik hineintrieb, ein kindlicher Gottesglaube mit unklarer Schwärmerei durch- etzt wurde und er sich der Geisterseher«! hingab. Auf Grund einer religiösen Schiliften ries ihn 1808 der Kurfürst Karl Friedrich von Baden nach Karlsruhe. In dem in seiner Art einzigartigen Bcrufungsschreiben hietz es: „Ich habe von Ju gend auf den Wunsch gehakt, der Religion und dem Christen tum alle »neine Kräfte zu widmen: allein Gott hat mir das Regentenamt anvertraut, dem Ich alle meine Kräfte schuldig bin. Sie sind nun der Mann, den Gott zu diesen» Zweck zube reitet hat. Ich entbinde Sie daher von allen irditcken Verpsiicl)- tungen und trage Ihnen auf, durch Ihren Briefwechsel und Das, was die Nachwelt als bleibendes Bild eines Mannes bewahrt, »st von dem Bild, das die Zeitgenosten empfangen, ast sehr verschieden. So ist uns der ver 200 Jahren aus altem hessischem Bauerngeschlecht entsprossene Heinrich Jung, später Iung-Stilling genannt, gegenwärtig als Genosse des jungen Goethe von dem er zur Niederschrift seines ersten Werkes .Heinrich Stillings Jugend" angeregt und von dem er ans Licht der Oesfentlichkeit gebracht wurde. Die weiteren Schicksale des Mannes verlieren sich sür uns im Dunkel. Es war aber gerade sein späteres Leben, durch das er unter den Zeltgenosten an» weitesten berühmt wurde, und das erfolgreichste seiner Bücher war nicht seine Selbstbiographie, sondern es war sein 1794 er schienenes mystisch-spiritualistisches «Merk „Das Heimweh", )o- wie seine anderen religiösen Schriften, die ihm Ruf und Stel lung eines Propheten und geistlichen Führers eintruqen. Das Leben dieses Mannes war eines der merkwürdigsten und charakteristischsten seiner Zeit. Er war als Sohn eines armen Bauern und Dorsschnrldcrg geboren, hatte die Mutter, von der er wohl das zarte empfindliche Gemüt geerbt hatte, mit zwei Jahren verloren und war vom Vater »n pietistischer Frömmigkeit, aber auch Weltfremdheit erzogen. Nach mancher lei autodidaktischen Bestrebungen und vorübergehenden Stcl« lrmgen als Schulmeister und Hauslehrer entschlotz er sich, ob wohl ganz mittellos, dreitzigjährig, zum Stridium der Medizin. In Stratzburg. an der aus etwa 20 Strldenten bestehenden Mlt-^ tagstgfel der Jungfern Lauth, traf er mit Goethe zusammen,' der uns in Dichtung und Wahrheit ein ansäxiuliches Bild von Jung gezeichnet hat: „Unter den neuen Ankömmlingen befand sich «in Mann, der mich besonders interessierte; er hietz Jung und Ist derselbe, der nachher unter dem Namen Stilling zuerst bekannt geworden. Seine Gestalt, ungeachtet einer veraltete»» Kleldunqsart, hatte, bei einer gewissen Derbheit, etwas Zartes. Eine Haarbeutel-Perücke entstellte nicht sein bedeutendes und gefälliges Gesicht. Seine Stimme war sanft, ohne weich und schwach zu sein, ja sie wurde wohttönend und stark, sobald er in Eifer geriet, welches sehr leicht geschah. Wenn man ihn näher kennen lernte, sc sand man an ihm einen gesunden Menschenverstand, der auf dem Gemüt ruhte und sich deswegen von Neigungen und Leidenschasten bestimmen lietz, und aus eben diesem Gemüt entsprang ein Enthusiasmus für das Gute, Wahre, Rechte in möglichster Reinheit . . . Das Element feiner Energie war ein unverwüstlicher Glaube an Gott und an eine unmittelbar daher fliehende Hilfe, die sich In einer un unterbrochenen Vorsorge und in einer unfehlbaren Rettung aus aller Not, von jedem Uebel auqenscl-einlich bestätigte." Goethe nahm sich des schüchternen Pietisten an. schützte ihn vor dem allzu derben Spott der Genosten und flöhte ihm zugleich eine reichere und freiere Denkungsart ein. Was Goethe an Jung besonders fesselte, war die Art. wie dieser seine Le bensgeschichte „auf das anmutigste" erzählte und „dem Zuhörer alle Zustände deutlich und lebendig zu vergegenwärtigen" mutzte. Jung befolgte Goethes Anregung, -lese Iugenderinne- rungen auszuschreiben und übergab 1774 dem Freunde das Manuskript. Nach eingehender Durchsicht und stilistischer Ueber- arbeitung lietz Goethe das Werk ohne Misten des Versasscrs bet dem Verlag G. I. Decker in Berlin drucken. Das Honorar von 150 Reichstalern erhielt der inzwischen als Arzt in Elber feld wirkende Jung völlig überraschend in einem Augenblick ^chster Not. Im Herbst 1776 kam das Büchlein unter dem Titel .Heinrich Stillings Jugend. Ein« wahre Geschichte" her aus. Der unerwartet grotze Erfolg vcranlatzte den Vevfasser. «ine Reihe von Fortsetzungen erscheinen zu lassen, „Heinrich Stillings Jünglings-Jahre", die „Wandersclmft", das „Häusl-cke Leben", die „Lehrjahre", endlich „Rückblick" und „Alter". Alle diese Teile zusammen bilden unter dein Titel „Heinrich Stil- lings Leben" eii» zweibändiges Buch, das auf anschaulichste Welse Zeugnis vom Leben der damaligen „Stillen im Lande" gibt. Die lebendige Darstellung des ersten — noch voi» Goethes Geist durchtränkten — Bandes freilich wird allmählich immer matter, die naive Unmittelbarkeit macht immer mehr mystischen Spekulationen Platz, hiermit die Entwicklung des Verfassers spiegelnd. Denn Iung-Stillina. wie er sich nun nannte, der in zwischen einen bedeutenden Ruf als Augenarzt gewonnen und wieder verlcren hatte, wandte sich allmählich iminer mehr der religiösen Seite des Lebens zu. Noch einmal hatte er an einem für ihn entscheidenden Punkt seines Lebens Goethes Weg aekreuzt. Sein Rus als Augenarzt gründete sich vor allem auf seine glücklichen Star operationen, von denen er viele Hunderte erfolgreich ausao- tfiihrt. Als er nun -lese Overation auch an einem reichen Frank furter Patrizier vornehmen sollte und dazu auf Goethes Ein- iadung im Hause seiner Eltern in Frankfurt wohnte, schlug die Operation fehl. Auch dieses Ereignis, die Verzweiflung und — sicherlich nicht ganz unberechtigten — Selbstvonvürse Innas Hal Goethe uns in Dichtung und Wahrheit anschaulich geschii- MWMMWW!!MI!WMWjIjIIIjjWIIMIMWMWWM»W!WW!IIM!II!!!!I!I!»W!!III!!II!I!!N > - — ' " Dee September §683
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