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Sächsische Volkszeitung : 06.05.1940
- Erscheinungsdatum
- 1940-05-06
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-194005062
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19400506
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19400506
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1940
-
Monat
1940-05
- Tag 1940-05-06
-
Monat
1940-05
-
Jahr
1940
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 06.05.1940
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Montag. S. Mat 1940 Süchftfche Volkszeitung Nummer 104. Seite S Schöpferische Menschen Vsrairsfetzuiis««, Aräfl« «n- Beweggründe ihre» Schaffens / Von Prof. Otto Urbach Zwei grotze deutsche Handwerker 82. Fortsetzung. Halske ivor als Privatmann nicht untätig. Als Stadtver ordneter und Stadlrat von Berlin widmete er sich, wo er nur konnte, der caritativen und gemeinnützigen Arbeit. Er hals durch seine hochherzigen Stiftungen z. B. das Berliner Kunstgewerbe- Museum errichten, das dann von dem Berliner Architekten Max Gropius 1871—81 erbaut wurde. Im stillen aber linderle dieser grundgütige Mensch mit stets ossenen Händen Not und Unglück. Sein Sohn wirkte an führender Stelle in dem Wern Siemens u. Halske. Als Ioh. G. Halske am 18. März 1899 76jährig starb, schrieb Werner von Siemens erschüttert an sei nen Bruder Karl in St. Petersburg: „Der arme Halske hat heute endlich die Augen für immer geschlossen! Er war schon in den letzten Wochen nur noch physisch lebendig ... Es ist doch schrecklich, so allmählich hinzuwclken. Im Sommer war er noch ganz frisch. Es ist ein richtiges memento mori sür mich . . ." Der Physiologe Professor Emil du Bois-Reymond hielt in der „Physikalischen Gesellsci-ast" eine lxerrliäie Gedächtnisrede auf Ioh. G. Halske. Aus dieser Gedächtnisrede heben wir nur wenige Sätze heraus: „Er besah in seltsamem Mähe das kon struktive Talent und wuhte mit sicherem Spürsinn auch ohne ge lehrte Schulung wissensä)aftliä)e Ausgaben zu erfassen und zu ihrer Bewältigung die einfachsten und besten Mittel zu finden. Es Ivar ein hoher Genuh, dessen ich mich ost l>albe Nächte lang erfreute, ihn den Bleistift in der Hand, eine experimentelle Anordnung oder eine neue Borrichtnng Schritt tim Schritt der Vollendung in der Idee entgegenzusühren zu sehen." Der grohe Gelehrte kommte sodann darauf zu sprechen, wieviel die che misch. elektrotechnische, ovlisch und vhysiologische wissensü-ast- liche Forschung z. B. eines Mitschrlich. Johannes Müller Hals kes Instrumenten verdankte. — Das schönste Denkmal ist das Fortleben seines Namens in der Firmenbezeichnung des Welt unternehmens „Siemens u. Halske". Gänzlich anders verlief der Lebensweg Heinrich Da niel Rühmkorsfs. Zwar zeigt auch das Leben Riihm- korfss genau so ivie das Halskes, dah schöpferisches Menschen tum rastloses W e i t c r st r e b e n, unermüdliches Schaffen und Treue im Kleinen und Kleinsten ist. denn „wer seine Schuldigkeit nicht tut. ist unnütz, er mag übrigens so brauchbar sein als er will" (Goethe), — aber Rühmkorss ist kein Mitbegründer einer Mellfirma geworden, und obwohl er, der im höchsten Mähe die Achtung und Bewun derung aller Männer der Wissenschaft und Technik besah, unermeßliche Reichtümer Hütte erwerben können, wenn er nur gewollt hätte, starb er arm an irdischen Gütern. Am 15. Januar 1803 kam Heinrich Daniel Rühmkorss in Hannover im Hause Rothe Reihe Nr. 3 als Sohn eines Post schirrmeisters zur Welt. Dlc zahlreiche Familie mit vier Söh nen und sechs Töchtern muhte sich tapfer durchkämpsen. Die Armut ist auch sür einen begabten Menschen ost ein Hindernis sür das Vorwärtskommcn im Leben, schon der altrömische Dichter Iuvenal sagt: „Nicht leicht kommen die hoch, deren Vorzügen und Fähigkeiten die häusliche Enge entgcgcnsteht." Andererseits spornt gerade die Armut zum entschlossenen Kraft einsatz an. „Ich sürchtc nichts, denn ich habe nichts", konnte Luther fröhlich und kühn ausrusen. Ein Dichter schrieb r>» Merkchen, dem er den Titel „Lob der Armut" gab. — In der Lehrzeit beim Drcchslermeistcr Weilhausen in Hannover arbeitete Rühmkorss sleihig; jedoch zu diesem Handwerk hatte er nicht die rechte Neigung, daher machte er sich bald nach Nbschluh der Lehrzeit auf die Wanderschaft, um sich als Mecha niker nuszubilden. In Stuttgart fand er dazu einen geeigneten Platz. Einige Jahre später begab er sich nach Paris. In Paris nutzte er die Gelegenheit zur theoretischen Fort bildung aus. Ein günstiger „Zufall" wies ihm neue Wege. Ein Physikproscssor, dem er oft beim Apparatebau kleine Dienste leisten durste, teilte Rühmkorss mit, ein besonders wertvoller komplizierter Apparat sei entzmeiqcgangen, und es wäre wohl notwendig, ihn zu seinem Hersteller nach London zurückzuschicken. Der junge Hannoveraner erklärte sich bereit, den Schaden zu reparieren: doch der Professor hielt das sür zu gewagt und zog es vor, den Apparat nach London zu sen den. Wie überrascht mar aber der Gelehrte, als ihm Rühmkorss wenige Tage später eine selbstverfertigte Nachbildung -es Appa rats überreichte, — ein kleines Kunstwerk, das an Güte und Leistung sein Urbild weit übertraf! Der Professor spendete Ihm hohes Lob und nahm seine Zweifel mit Entschuldigungen zu rück. Für Rühmkorss wurde die Begebenheit Anlatz, sich in London weitcrzubilden. In den Werkstätten von Joseph Bramah, des Erfinders der hydraulischen Presse und des Bramahfchlosses sfür Gcldschränkes, arbeitete er anderthalb Jahre. Von England wollte er später nach Rußland fahren. In Swinemünde verpatzte Rühmkorss den Schlffsanschlutz nach Rutzland. Er fatzte aber die selbstverschuldete Bummelei als Wink des Schicksals auf, kehrte in seine Heimatstadt Han nover zurück und arbeitete einige Zeit bei dem befähigten Prä- zlstonsmechaniker Frerk in Celle. Es hielt den unruhigen Geist dort nicht lange. Bald ivanderte er wieder nach Paris, um sich in der praktischen Physik noch gründlicher zu vervollkommnen. Nach einiger.Zeit fand er bei Chevalier, einem Fabrikanten von Mikroskopen und anderen wissenschaftlichen Instrumenten, eine Vertrauensstelle als Werkmeister. 1830 begann Rühmkorss als selbständiger Meister auf eigene Rechnung zu arbeiten. Das war für den Ausländer trotz seiner grotzen geistigen Fähigkeiten und der Geschicklichkeit seiner Hände, trotz seiner wissenschaftlichen Kenntnisse und seiner außerordentlichen Erfahrung nicht leicht, denn Paris besaß viel« Präzisionsmechaniker, die ähnliche Werkstätten un terhielten. Er mutzte sich äutzerst bescheiden einrichten. Indes, die Entbehrung und Entsagung lätzt mächtige Kräste sich auf stauen. Rühmkorss setzte alles Streben und Können drein, um aus der Misere herauszukommen. Er suchte mit den besten Physikern, so z. B. Blot, Becquerel und Dumas in persönliche Fühlung zu kommen. Es dauerte auch nicht lange, big sein Name bekannt wurde; bereits drei Jahre später wurde ein von ihm erfundenes physikalisches Instrument In den wöchent lichen Berichten der Akademie der Wissenschaften lobend er wähnt. Zwei Jahre später fand eine grotze Industrie Ausstel lung statt. Mehrere Rilhmkorffsche Erfindungen erregten all gemeine Aufmerksamkeit. — Bald gab es. wie Rühmkorsfs Biograph Emil Kosak bemerkt, „keinen Zweig der Phnsik mehr, welcher ihm nicht verbesserte und durch ihre Genauigkeit ausgezeichnete Apparate verdankte". Rühmkorss wandte sich nun mit allem Eifer den bahn brechenden Forschungsergebnissen des grotzen englischen ifchy- sikers Faraday zu. Bereits sein preisgekrönter Apparat, -er den Einslutz de» Magnetismus auf das Licht und die sog. dia- magnetischen Erscheinungen vorführte, ging von Faradays For schungen aus. Jetzt waren es die von Faraday gefundenen „Induktionsgesetze'' — grundlegende Gesetze der neuzeitlichen Elektrizitätslehre — die den unermüdlich strebende» Erfinder anzogen. Er setzte sich das Ziel, Faradays Theorie in die Pra- xis zu übersetzen und einen Induktionsapparat (Jun- keniiiduktor), also einen Apparat zur Erzeugung von hoch gespannten Wechselströmen, zu bauen. Im Rohmen unserer Arbeit Ist es nicht möglich, den Inneren Bau eines solchen Apparates zu beschreiben, zumal sich sein Wesen ohne physi kalische und elektrotechnische Fachkenntnisse des Lesers nicht so leicht verständlich machen Hetze. sWir verweisen auf E. Kasacks Schrift: Heinrich Daniel Rühmkorss, Hannover 1903). Der Fun- keninduktor beruht auf der Tatsache, datz in einem Elektrizi- tätsleiter sz. B. Eisen, das mit Kupferdraht umwickelt ist) eine elektromotorische Kraft hervorgerufen (eigentlich: „indu ziert") wird, wenn der Leiter in einem magnetischen Kraft- sclde bewegt wird. Von dieser Tatsache bis zu einem brauch baren Apparate, -er mittels einer Primärspannung von bei spielsweise 15 Volt eine Wechselspannung von 100 000 Volt un weit mehr erzeugt, ist aber noch ein weiter Weg; — es dauerte Jahre unermüdlichen Strebens, ehe Rühmkorss 1851 einen Apparat fertigstellen konnte, der sich von den heute gebräuch lichen kaum wesentlich unterscheidet. Der Induktionsapparat, in seiner größeren Ausführung als F u n k e n i nd u k t o r bezeichnet, leitete eine neue Epoche -er Elektrophysik und Elektrotechnik ein. Zur Erzeugung von Kathodenstrahlen, zur Speisung von Tesla-Transsormatorcn, zur Demonstration der Hertzscipm Versuche, als Stromquelle für Geitzlerröhrcn, als Hochfrequenzapparate z. B. auch für Heil zwecke — fand die bahnbrechende Erfindung bald ihr aus gedehntes Anwendungsgebiet. Wir weisen nur aus einige wenige Anwendungsarten hin. — Es lag nahe, die Erschei nungen zu untersuchen, ivelche austraten, wenn der erzeugte Funke in verdünnter Luft oder in verdünnten Gasen überspringt. Der 18t5 in Igelsheim (Tübingen) gebo- rene Glasbläser und Mechaniker Heinrich Geitzler (gest. 1879 in Bonn), ein Freund Riihmkorffs. der seit 1851 eine physikalisch-chemische Werkstatt unterhielt, stellte zu diesem Zwecke geeignete Glasröhren, die sog. Geitzlersche Röhre, her. — Seit 1880 gelang es mittels des Funkeninduktors, die log. Hertz schen Wellen zu erzeugen, jene elektrischen Schwin gungen die sür die gesamte drahtlose Telegraphie, Tclephanie und Rundfunktechnik grundlegend wurden. — Marcont erfand 1895 die geerdete Senderantcnne, durch welche möglich wurde, hochfrequente Schwingungen aus größere Entfernungen zu übertragen. Auch seine Erfindung setzt den Rühmkarisschen Funkeninduktor voraus. — Ebenso die Röntgenstrahlen, von ihrem Entdecker Wilhelm K o n r. Röntgen X-Strah len genannt, die für die Wissenschaft, Medizin, Technik eine unerhörte Bedeutung gewannen, gehören zu dem durch Rühm- korsfs Erfindung erschlossenen Neuland. — Ueberdies ist der Induktionsapparat als die Grundform des Trans'orinators anzusehen, mittels dessen Wechselstrom niederer Spannung in Wechselstrom höherer Spannung oder umgekehrt, umgeformt wird. — Ganz neue Gebiete der Elektrophysik entdeckte 1893 der aus Kroatien stammende Nicola Tesla, der Entdecker der Teslaströme und Erfinder des nach ihm benannten Tesla- Transformators zur Erzeugung hochfrequenter Spannungen von mehreren Millionen Volt Auch seine Neuerung setzt Rühm- korsss Erfindung voraus. — Das sind nur einige Hinweise. „Mit seinem Funkeninduktor hatte Rühmkorss somit der Menschheit ein Geschenk gelieü>ri, welches der vielseitigsten und nützlichsten Verwendung sähig war." (E. Kasack.) (Fortsetzung folgt.) Tanz in der Airche Im Mittelalter drängte die Innere Anteilnahme des Men schen an den Geschehnissen des Kirchenjahres so stark zur Aeutzerung, datz Klerus und Volk an den hohen kirchlichen Freudenfesten unbedenklich in den Gotteshäusern und aus den Kirchcnplähen nach dem Takte der Orgel oder anderer Instru mente ein langsames, feierliches, freudig beschwingtes Schreit tanzen begann. Frankreich gab sür die Kirchentanzbewegung den An stoß. So findet sich Ende des 12. Jahrhunderts bei einem PoGnemoral in einer auf Vigilien bezüglichen Strophe eine urkundliche Nachricht: „Auch heute gibt es Leute, die zu Mou- stier dazu tanzen." In dem Tagebuch eines Erzbischoss, der im 13. Jahrhundert eine Visilalionsreise durch Nordfrankrcich un ternimmt, heißt es: „Die Kleriker, Pfarrer, wie auch Kapläne, haben an verschiedenen Festen, vornehmlich am Feste St. Niko laus, viel Freude, indem sie Chorrcigen aufsührcn und ,Virc!ais' (eine Tanzform) tanzen." In Vesancon tanzte der Klerus, wie eine Handschrift um 1400 meldet, einen Tanz mit dem Namen Bcrgcrette. In Auxerre tanzten sogar auf Ostern aus eine Melo die der Sequenz „Victimae paschali" die Kanoniker. Während man in zwei Chören zur Orgel sang, schritten die Kleriker feier lich nach einem bestimmten Matze im Chorraum umher und warfen sich einen Ball zu. Ein Jesuit des 17. Jahrhunderts teilt mit. daß er diesen Osterreigen noch mit eigenen Augen gesehen habe. In Chalons-sur Gaone tanzten ebenfalls die Kano niker an den Pfingsttagen auf der Wiese zu verschiedenen geist lichen Lieder», u. a. »ach einer Melodie des „Neni saiictc Spi ritus". In Limoges wurde bis ins 17. Jahrhundert am Festtage des Schutzpatrons Martial zu Psalmen in der Kirche getanzt. In Barjols (Dep. du Var) tanzte man noch im Jahre 1913 sür ein paar Augenblicke im Hochamt. Alle diese kirchlichen Reigen. Umzüge »nd Tänze der Kleriker und später immer nichr auch des Volkes, waren an die Kirchenseste und ganz bestimmte Formen gebunden. Der Liturgist Jean Beleih er wähnt die weihnachtlichen Klerikerfeste: Die niederen Kleriker tanzten am Tage des hl. Nikolaus, des „Protector clericorum", die Dinkone am Stephanstnge, die Priester am Feste Ioh. des Evangel.. die Clericuli auf Innocentes, die Subdiakonc auf Drei könig. Bei den buntbewcgten fröhlichen Klerikerfesten im Chor der Kirche, z. B. in Tours, gab am Stephanstage der richtige Kantor unter der Vesper seinen Stab an einen Diakon. AchnNch lieh am Iohannessest der Bischof seinen Vaculus und die Ge walt auf einen Tag an den Kantor der Priester und am Feste der Unschuldigen Kinder an den Kantor der Chorknaben weiter. Auch Spanien kennt den Kirchentanz. Auf Montserrat dichten die Mönche für das Wallsahrtsvolk. das zuerst bei den Festtagsvigilien vor den Kirckcntüren weltliche Tänze aufsührtc, eigene Lieder und Reigen für die Kirche, „a bal redon" (ad tripudium rotundum; einen Rundtanz). In Spanien hat sich der religiöse kirchliä)« Tanz junger Männer noch lange erhal'en. In Katalonien tanzten die Jünglinge zur Eröffnung einer Volksmission bis in das.19. Jahrhundert herein. Ein Rcdemv- toristenlmtcr beschreibt seine Ankunft in einer Ortschaft: .Die übrigen Pfarrkinder gehen mit ihrem Seelsorger an der Spitze -en Missionare» in Prozession unter heiligen Gebeten und Gesängen entgegen, während die Jünglinge sich zum Zeichen ihrer Freude über die Ankunft des priesterlichen Hettsbotcn einem einfachen, aber rhythmischen Tanze hingeben." In Onna fand noch Ende des 19. Jahrhunderts bei der Fronleichnams prozession ein sehr schöner Tanz statt. Sobald die Prozession sich in Bewegung setzte, knieten zwölf Jünglinge, zwei und zwei HInterei"ander ausgestellt, mit einem Knie vor dem Hocy- wiirdlgsten Gute nieder, wendeten sich dann gleichzeitig um und tanzten — wie David einst vor der Bundeslade — inner halb der zwei Reihen von andächtigen Betern dem Baldachin voraus. Immer sich etwas schneller fortbeweqend alg die lang sam cinherschreitcnden Beter. Nach einiger Zeit, wenn sie weit genug voraus waren, kehrten sic zurück, um sich mit einer abermaligen Kniebeuge von dem Allerheiligsten zu dem näch sten Vartanz zu verabschieden. Die Tänze der Chorknaben in Sevilla, der „Seiles", führen die spanische Tradition In die Gegenwart fort. Als einmal am Ende des 18. Jahrhunderts diese Tänze auf die Bedenken der spanischen Aufklärung hin eingestellt werden sollten, tanzten die zehn Pagen ihren ebenso schönen als ernsten, zwanzig Minuten dauernden Reigen in Rom vor dem Papste und einigen Kardinälen, welche ihnen die Fortführung dieser Gattcsverehrunq gütigst erlaubten. Am Fronleichnamsfeste. am Feste der Unbefleckten Empfängnis und an den Vktavtagen beider Feste, sowie an den drei Fast- nachtstagen, tanzten die Chorknaben Im Dom zu Sevilla nach oltspantscher Tracht gekleidet zum Klange der Orgel und zum Schlage der Kastagnetten, immer aus Ehrfurcht gegen das aus gesetzt« Allerheiligste das Gesicht unverwandt zum Altäre gerichtet. Auch In Italien ist Wiege der Kirchentanzbewegung wie In Simnien und Frankreich das Kloster. Eine Antiphonale des 13. Jahrhunderts aus dem altehrwürdigen Kloster Bobbio weist eine Reihe von Umzugs- und Reigenmelodien auf. Man entlehnte dort, wie Hans Spanke überzeugend nachmies, be liebte Stücke aus dem Französischen und formte nach ihrem Muster Neues. Der Wert der Neuschöpsungen von Bobbio bleibt aber weit hinter dem der deutschen Kirchenreigen zurück. Vie „Sprlnaorszessisn" in Echternach «in Ueberrest mittelalterlicher Feierkultuv Aus der deutschen Kirchentanzbewegung sind uns eine kleine Reihe Tanzstücke erhallen, die sich durch ihre fromme und fröhliche Schlichtheit als unverkennbar deutsch ausweisen, wenn auch ihre Grundformen, das Rondeanx »der Virelais. aus dem Französischen stammen. Durch die süddeut schen Klöster hindurch kam der Kirchentanz bis nach Böhmen, wo er als „Runtclli" oder „Rotundelli" austaucht. Der musika lische Bau der böhmischen Reigen ist mit zwei gleichen Stollen und einem aus zwei gleichen Teilen bestehenden Abgesang der gleiche wie bei den deutschen Tänzen. Ein norddeutsches Nan- nengebetbuch von 152 t enthält süns Textslücke, hauptsächlich Osterreigen, die eine Anzahl frommer Tänzer, sich im Kreis bei den Händen hallend, zu Ostern aussührtc: „Anastasis per. agitur. / In hoc paschali gaudio. / Alle Alleluia. / Benedica mus Domini. / Alle Alleluia." Die Melodien fehlen. Die cigcnt- liehe Fundgrube deutschen Kirchenlanzgutes ist die Sammlung des Klosterschulmeisters Johannes decanus von Perchhauscn, Bauern, das Mosburgcr Graduale von 1380 (Cod. Univ. Mana- cens. 157). Der Verfasser, der hier seinen Klerikern und Cleri culi eine Reihe von Neigen sammelte und auch selbst erdich tete, bemerkt ausdrücklich, datz diese Melodien meist viel älte res Gut sind. Bei der Tanzsorm handelte es sich etwa ähnlich dem höfischen Reigen und dem Volkstanz spaterer .Jahrhun derte, um ein feierliches in zwei gcgeniibcrstchcnden Reihen Auf einander zu- nnd Von-cinander-weg-Schreitcn in einfachen oder Nachstcllschrittcn. Bei Beginn des Abgesanges folgte etwa die Auflösung beider Reihen in kleine Rnnütanzkreise. Manch mal wurde zur Weihnachtszeit jedoch gemeinsam die Wiege mit dem Kinde, an Fronleichnam der Altar mit ausgesetztem Allcrheiligstcn, zum Feste der Unschuldigen Kinder, der neu erwählte Kinüerbischos umtanzt. Zn dem Reigen wurde die Orgel gespielt und Hymnen und Antiphonen gesungen. In der Passiv Leodegarii hcitzt cs: „Clcrici Iripudcaant cum anti- phonis. („Die Kleriker tanzen im Dreischritt unter Wechsel gesängen.) Der Liturgiker Durandus sagt iiir die Diakone: „In Tripudia convenientcs cantant antiphonam "de Sanclo Stephans." Die Marschbcwegungen bei feierlichen Umzügen waren durch eine Konduktusschrittmusik begleitet. Zuerst kamen die Kleriker, dann das Volk: „Preccdant clcrici / succe- dant laici / Tripudio." So verschieden die 'Motive, so verschieden die Stim mungen der Tänze. Mit den Geitzlerzügcn um 1350, den sancti Johannis chorcae (Iohannisrcigen) — einer Tanz tollheit um 1370 im Rheinland (die sich auch z. B. in Aachen Ins Münster drängte) — oder gar dem häufig im Mittelalter auftretcnden Veitstanz, hat der religiöse strenggebundene Tanz der abendländischen Kirchenkultur keine Berührungspunkte. Der letzte Rest mittelalterlicher, leibhaftiger christlicher Kirchentanzfreudc in der Gegenwart ist die S p r i n g p r o z c s - fion des westdeutschen Volkes, ein Sinkstoff jener hohen religiösen Feicrkultur. 1777 hat zwar die Anordnung des Weih bischofs von Hontheim, -es Begründers -es aufgeklärten Staatskirchentums, der Springprozession des Klosters Prün in der Eifel das Springen und Musizieren wcggcnommcn Doch ist dies für die Springprozcssion des -eutsäzen Grcnzland- klostcrs Echternach Hontheim und später -em Kaiser Franz Joseph II. von Oesterreich nur aus die Zeit von 1777 bis 1790 gelungen. Ein Vergleich der heute noch gespielten Springmelo- dlc mit den süddeutschen Melodien zeigt klar, datz der Ursprung der Prozession in der früheren klösterlichen Reigenkultur zu suchen ist, wenngleich die Tausende die Echtcrnacher Prozession zum Grabe des hl. Willibrord nun schon lange als Butz- oder Biltprozession machen. Als Text mar dieser Melodie früher der 67. Psalm, ein Triumphgesang, unterlegt Der Tanz ist seiner Natur nach ein fröhlicher, der Dreisprung (tripudium), und sollte zum Feste des hl. Willibrord, am Psingstdienstag, ein Ausdruck besonderer Freude sein. Bon den sich an den Händen zu dreien oder vieren haltenden „springenden Hei ligen". den „Chorisantes". werden je drei Schritte vor und wieder je zwei Schritte zurückgcsprungen. Eine Beschreibung der Prümer Springprozesfion am Christi Himmelfahrtstag er halten wir von dem Trierer Jesuit Masen 1651: „An der Ka pelle vor der Stadt setzt sich der springende Zug in Bcivegung. zieht über den Markt zuerst zu der Stiftskirche, tanzt dreimal Im Kreise vor der Kirche herum, umkreist dann, in die Kirchs eingetreten, auch dreimal den Hochaltar, worauf der Zug seine Richtung zu der Abteikirche nimmt. Vor dieser Kirche zieht derselbe dann ebenfalls dreimal im Kreise herum, ebenso um den Hochaltar, und dann — naclxdem hierauf in der Mitte der Kirche letztlich wieder eine dreimalige Umkreisung stattgefun den hat — knien die Leute nieder, schlagen die Hände zusam men und rufen „Jesus und Maria" und stimmen das Lied: „O Himmelskönigin" an, mit dessen Absingen der Zug geendigt wird." Aehnlich vollzieht sich die Springprozession In Echternach bis auf den heutigen Tag. Der Klerus selbst geht der Pro zession. die 1800 bis zu 9000 Tänzern zählte, mit gemessenem Schritt im Ornate voraus und singt eine MiNIbrordlitanel. Abwechselnd folgen Tänzer und Musikgruppcn. Der Zug be wegt sich von der St. WiNibrordslinde Uber den Fluß durch die Ortschaft In die Grabkirchc. wo die einzelnen Pilgergrup- pen Ihre Jahnen etnlöfen, um in ihre Dörfer zurückzukchren Martin Kuhn.
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