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Siichsische Dolkszeilung Montag, 29. April 1940 Nummer 1V0, Seite S Schöpferische Menschen Vsrauss«tzuiig«ir, Aräft« und B«rveggiründe ihve« Schaffen« / Von Prof. Otto Urbach kennt nnd doch mich seit der frühesten Kindheit um -le Se- gensmacht des von den Vätern und Vorvätern ererbte» tNtan- bens iveiß. Ni« hat die von manchen Glaubenszweiseln ange fochtene Annette das Tischgebet, das Morgen- und Abendgebet versäumt. Sie stellt sich als mitringende und mitsnchende Schwester unter die neuzeitlichen Menschen; sie vermisst alle Ucberheblichkeit und meidet selbst den Scl)«in, als wolle sie 29. Fortsetzung. Annette non Droste-Hülshoff In dem zarten westfälischen Edelsräulcin mit dem feinen, dlondumlockten Antlitz lagen die reichen Möglichkeiten einer gewaltigen Naturkrast: sie glich dem schweren westfälischen Acker- und Weideboden, der üppige Frucht tragen kann, wenn er sorgsam bestellt wird und das Wetter gutes Gedeihen gibt. Der Acker war wohl bestellt: Annette besah eine ausgezeich nete wisscnscl)astltche und künltleriscl)« Bildung. Latein, Fran zösisch, Holländisch meistert« sie gut, mittelschwere italienische und englische Bücher konnte sie ohne Wörterbücher lesen, im Griechischen beherrschte sie die Anfangsgründe, für Zeichnen und Handarbeiten hatte sie Talent, und in der Musik war sie schon mit lü Jahren immerhin so weit, -atz sie im Psarrdorf Roxel den Organisten vertrat und in Höxter in einem össcnt- llchen Konzert Lieder vortrug. Ja, sie schrieb selbst Musikstücke, — wir glauben es gern, -ah sie viele Meisterwerke der deut schen, italienischen und französischen Tonkunst und unzählige Nationalmelodien anderer Völker anmutig auf dem Flügel vortrug und mit ihrer schönen Stimme dazu sang. Der bestellte Acker bedarf des Regens und des Sonnen scheins, sonst kann die Saat nicht aufgehen, — die Seele des Schaffenden bedarf des Leids und er Freude, sonst kann die Fülle aller reichen Lebensmöglichkeiten sich nicht entfalt««; die zum Licht bestimmten Schätze schlummern dann weiter im Unbewußten, bleiben ungehoben in der Tief«. An Leid hat cs Annette nicht gefehlt. Das von äußeren Existcnzsorgen un beschwerte, idyllisch aussehenü^ Leben steckte voll tiejer Tragik. Ganz fehlte in diesem Leben aber auch die Sonne nicht. Un weil Annette Weib war — sa, wie ihr Freund L. Schücking urteilte, „ganz nnd völlig Weib, mit ihrem innersten Emp finden" — so ist es natürlich, daß di« edle Freundschast mit Männern, die keine Alltagsmcnschen waren, für sie die das Schassen anregende Kraft wurde. Nicht die Menge, sondern die vom Schassende» empfundene Wcrtbeschnssenhcit der am Schaffen Anteil nehmenden Menschen ist für das Werk eines Künstlers bedeutungsvoll. Die kaum Siebzehn jährige schwärmt — wie junge Mädchen einmal ihren beson deren „Schwarm" haben — für den bereits 04jährigen Pro fessor und Richter beim Tribunal in Münster A. M Sprick- maiin, einen dem Göttinger Hainbund geistesverwandten Dich ter, der mit I. H. Voß, Bürger, Claudius, Möser und Klopstock in persönlichen und literarischen Beziehungen gestanden hatte bzw. stand. Annette fand in Sprickmanns herzlicher Anteil nahme für ihre Frühwerke das, was sie zum Schaffen brauchte: Mitklang und Widerhall. Eine ganze Reihe zum Teil recht guter Iugendgedichte erblühte» unter dieser milden Aprilsonnc mädchenhafter Schwärmerei. Wie wichtig ist es für den Scl-assenden, daß er weiß, für wen er schreibt! Ohne irgendeinen Mitklang und Widerhall wird kaum ein bedeutendes Werk zustande kommen. Auf Anregung und Wunsch ihrer frommen Großmutter mütterlicherseits, die An nette sehr ins Herz geschlossen hatte, dichtete Annette eine Anzahl religiöser Gedichte. Bedeutenderen Einfluß aus die Ent stehung und Durchfeilung vieler Gedichte des „Geistlichen Jah res" hatte ein stiller, feinbesaiteter Gelehrter Christoph Bcrnh. Schlüter, mit dem Annette in platonischer Freundschaft ver bunden war. Das „Prosessorchen", „Schlüterchen" war kein großer Geist von Format. Er lebte ganz feinem kindlichen Klauben und dem engen Blickfelde seines kleine» Forschungs gebietes. Aber er vermittelte der Freiin manches lesenswerte Buch und mar ihr ein menschlich außerordentlich wertvoller Seelenführcr, zumal er eine Edelseele war. Das Urteil und die Anregung des „besten Herzens-Schlüters" war der Mitklang, dessen sie für das „Geistliche Jahr" bedurfte. Und wenn es der Dichterin schließlich gelungen ist. einen Kranz von Blu men. Blüten und grünen Zweigen um alle Sonn- und Festtage des Jahres vom Ncujahrstage bis Silvester zu winden, so hat der bescheidene, sanftmütige Gelehrte ein entschiedenes Ver dienst daran. „Sie sind doch dieses Mal säst mein ganzes Pu blikum", schrieb die einsame Dichterin 1839 an Schlüter. Der Wertrang der Gedichte des „Geistlichen Jahres" ist umstritten. Manche Literarhistoriker halten sie siir gering wertig. andere siir ,Has Eigentümlichste, Großartigste und Per sönlichste". was die Drost« geschaffen; die einen hallen diese Dichtungen für streng kirchlich, bekenntnisgebunden katholisch, die anderen für freireligiös oder bckcnntnislos, allgemein christlich, wieder andere für den Ausdruck religiöser Zwie spältigkeit, Zweiselanfechtung, Unsicherheit. Das Urteil über diese eigenartig« Sammlung religiöser Hymnen wird stets non dem religiös-weltanschaulichen Standpunkte des jeweiligen Be trachters abhängen. — Zugegeben ist, daß diese Dichtungen nicht alle gleichwertig sind. — Doch aufs ganze gesehen ist das Werk, an dem die Dichterin fast drei Jahrzehnte — wenn auch mit vielen, vielen Unterbrechungen — gearbeitet hat, eine hervorragende Leistung. Fast jedes Gedicht des Zyklus hat seinen eigenen, angemessenen Bau. Wenn Annette von Droste- Hülshosf in einem Brief an Schlüter, datiert vom 24. August 1839, schreibt: „Wollte Gott, ich könnte die Lieder hcrausgcben, es märe gewiß das Nützlichste, was ich mein Lebelang leisten kann, und das damit verbundene Opfer wollte ich nicht scheuen . . .", so dürfen wir dieses Urteil der Dichterin jeden falls keincsivegs übergehen! Die beste Ausgabe des „Geistlichen Jahres" -er Virrtsche Infanterie inr Aanipf gegen norrvegifche Gebirgsfchützen Messe Hollmann, M.) wacht über Norwegen sPK. Ehler», Scherl Bilderdienst, M) Unerwartete Helfer / «« „Keiner fasset allein Gott. Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch." So Hölderlin im „Patmos". Der Vchsksmund wandelt in allen Sprachen das Thema vom Freund in der Not ab. und die Menschen wacheren Lebens missen, daß das Erlebnis der Gefahr dann groß und köstlich ist, wenn cs uns Freunde und Heiser beschert, a» die wir vorher gar nicht dachten. Ich lese: „Vor einigen Tagen erschien eine kleine Nach richt in den Zeitungen. Sic teilte mit, -aß sich in einer großen Stadt einige hundert Blinde dazu angeboten hatten, in den Stunden der Luftschutzfinslernis die Sehenden über die Straßen zu führen." Also, die Blinden, die von uns mit den gesunden Augen bisher Geführte» und (gepflegten, stehen ans und bieten sich uns an, uns zu Helsen. Welch ein« grandiose Umkehr in Bewertung menschlicher Kraft und Unzulänglichkcheit. Aus der lange nicht mehr angegangenen Ecke des Bücher zimmers habe ich ein Bändchen wieder herausgesunden, das mich vor über zehn Jahren stark beeinflußte. Ein Franzose, Ncnö Roy, der 1917 am Damenweg das Augenlicht verlor, schildert darin, wie er sich mit diesem Schicksal auseinander setzte und seiner Herr wurde. Ursprünglich Ingenieur, gelang es ihm. nicht nur dieses Studium zu vollenden, sondern auch noch die Rechte zu studieren und Professor der Volkswirtschaft zu werden. In allen Teilen -cs Buches spiegelt sich die beinahe krank haft übersteigerte Empfindlichkeit des Erblindeten wider, wegen dieses Gebrechens anderen zur Last zu sollen oder bemitleidet zu werden. Er schildert zum Beispiel, welcl>e Qualen ihm das Sitzen in einem Speisehaus verursacht«, weil er neugierige und mitleidige Augen auf sich gerichtet spürte, denen keine kleine Ungeschicklichkeit in seinen Bewegungen entging. Von seinem kleinen Sohne schreibt er, er sei „noch zu jung, um irgend etwas zu merken. Wenn er sich in meinen Arm flüchtet, glaubt er noch, ich sei imstande, ihn gegen einen Feind zu beschützen. Wenn er sich an meine Hand klammert, um neben mir hergchen, meint er, daß ich ihn führen könne. Bald wird er zu mir kommen und mich bitten, ihm Geschichten vorzulescn . . Einer der glücklichen Augenblicke seines Blin denlebens mar es, als sich ein Mann mit ihm längere Zeit unterhielt und um eine Vermittlung bat. Ray machte ihn dar auf aufmerksam, daß sein Gebrechen ihm darin Schwierigkeiten mache. Der Besucher fragte erstaunt: „Aber was ist denn eigentlich Ihr Gebrechen?" Mil stolzem Ausrufezeichen setzt Roy in seinem Bericht hinzu: „Ehe er mir diese Frage stellte, hatten wir uns min destens eine Viertelstunde unterhalten!" Er schilderte dann noch ein ähnliches Erlebnis und sährt dann fort: „Die Mög lichkeit, solche Irrtümer ganz ohne mein Zutun entstehen zu lassen, ist mir eine Quelle kleiner Triumphe, über die du (er meint Sie) vielleicht lächelst." Aber darin täuscht sich Roy — wir lächeln wirklich nicht, sondern die Tränen stehen uns in den Augen, und mir wün schen ihm nichts anderes, als daß ihn alle Besucher sür sehen halten und er seinem kleinen Sohn ganz sicher beim Gehen lernen Heise» kann. Wir lesen, daß sich Blinde dazu angebotcn haben, die Sehenden bei der Verdunkelung zu führen. Die Blinden wer de» zwar damit nicht wieder sehend, aber aus -en Gebrech lichen, die auf unsere Nachsicht und Unterstützung angewiesen waren, werden aus einmal unsere Helfer. Wenn sie unter der Schwäche litten, wie froh und stolz müssen sie nun darüber sein, uns unsere Fürsorge zu entgelten und stärker zu sein, wenigstens in dieser Lage, als mir. Und wie sanft und scho- nungsvoll werden sie ihres Amtes walten; wir werden nun vielleicht von ihnen erst lernen, wie rücksichtsvoll man eiuen führen kann, der im Sehen behindert ist. Da steht an anderer Stelle eine Hamburger Nachricht: „Die Elefanten des berühmten Hamburger Tierparks Hagen- beck wurden zum Teil auf Gütern in Schleswig-Holstein unter gebracht, wo sie zu Arbeitsleistungen herangezogcn werden. Sie sollen vor allem Motortraktoren ersetzen." Wenn mich als kleinen Jungen eine durchreisende Tante fragte: „Was ist denn -ein Lieblingstier?", sagte ick mit strah- lcn-en Angen: Unser Elefant. Ich meinte -en Elefanten im Zoologischen Garten meiner Heimatstadt. Nun aber können die Holsteiner Jungens wortwörtlich sagen: unser Jumbo. Was hätten wir darum gegeben, wenn uns das beschicden gewesen wäre, wenn wir einen Elefanten zum Backsleinichocken oder zum Balkentragen gehabt hätten. Kein wirklicher Elesant zerschmeißt übrigens einen Porzellanladen, außer wenn er gereizt wird. Mit ihren 3—4000 Kilo Gewicht können sie fast lautlos durch den Urwald schleichen, wenn es ihnen daraus ankommt. So sind Kraft, Güte und Geschicklichkeit vereint. Sie sichen im Mittelpunkt endloser Geschichten. Nun also werden mir ihnen als arbeitende Hausgenossen in unseren Marschen begegnen. Nicht nur im Zirkus oder Zoo. Sie werden »eben den Hühnern stehen und mit -em gleichen Staub, in dem diese ihr Bad nehmen, sick die Fliegen von ihrer Dickhaut spritze». Oder werden die Hühner gar die Stelle der afrikanischen Kuhreiher cinnchmcn lernen, die in ihren weißen Flügclsräcken aus dem breiten Rück'» einherspaziere» und die Kerbtiere aus den Wammen picken? Elefanten, geliebte Tiere der Jugend, an, schönste» doch In der kindlichen Illusion, wen» man vor dem belebten Tier berg mit den listig blinzelnden Augen stand und von ihren Urwaldtalen träumte. Das Buch, das mich damals begeisterte, kann ich nun auch in der verstaubtcsten Ecke nicht mehr sinden. „Kreuz und quer" durch Indien" hieß cs. Da war ein großer Elefant einer der Helden, der ein „Geheimnis" hatte, das heißt ei» Wort, das man ihn zurannen mußte, um ihn in unfaßbare Schneliigkeit zu versetzen, daß kein böser Reiter mit Schlangenbeschwörern mehr Nachkommen konnte. Anschaulich erklärt Der ältere Pierpont Morgan, -er amerikanische Milliar där, erzählte gern folgende Geschichte: Ein Farmer, der im ame- rikaniscl)«» Hintcrmald lebte, bekam einst eine Rechnung, bei -er er und seine Frau durch -le häufige Wiederkehr des Wortes „dito" in Aufregung versetzt wurden. Da »rußte sicherlich ein Irrtum vorlicacn. -en» sie hatten niemals ein „dito" gekauft. Um sich über -en sctpvierigen Fall Rat zu holen, fuhren sie rn dem Rechtsanwalt in -er nächsten Stadt. Der Mann ging allein ins Büro, rvährend die Fran draußen bei den Pser-en blieb Als er znrückkam. fragte sie ihn: „Nun rvas l»it er gesagt? Was ist dito?" Lächelnd erwiderte der alte Farmer: „Das will ich dir erklären. Ich bin ein großer Schasskops und du dito!" j.- Annette ist zur Zeit fraglos die in der R e ge n s b e r g s ch e n Verlagsbuchhandlung (Münster/Wests.) erschienen, die P. Dr. Cornelius Schröder OFM — selbst Westfale von Geburt — mit echter deutscher Gründlichkeit und gediegener germa nistischer Sachkenntnis bearbeitet hat. Nicht nur die Textgestal tung. sondern auch die Einführung bringt die Annelte-Forschung zu einem gewissen Abschluß. Dr. Schröder betont stark, daß wir im „Geistlichen Jahr" ein modernes geistliches Erbauungs buch sür gebildet« Christen haben, das den Menschen vor die religiöse Existenzfrage und damit vor die religiöse Entscheidung stellt. Die christkatholischc Gläubigkeit muß naäHrücklich be tont werden, denn sie prägte Annettes von tiefer Weisheit getragenes Welt- nnd Naturgesühl. Wir können unsere» Lesern gar nicht nact)drücklich genug empfehlen, zu Schröders präch tiger Neuausgabe des „Geistlichen Jahres" zu greifen. Dieses Buch gehört in die Bücherei eines jeden, -er an der wahrhaft christlichen Literatur innere» Anteil nimmt! Die Gedichte des „G e i st l I ch e n Jahres" spiegeln das religiöse Ringen eines Menschenkindes wider, das die Be drohtheit des menschlichen Daseins an sich selbst selbst schmerzvoll erfahre» hat. die Fragen, Zweifel und Ein wände des neuzeitlici)cn Menschen gegen den alten Glauben mehr geben, als sic habe. Sie spürt die Ohnmacht, Heiligtümer zu offenbaren, die auch sie nur dem Namen nach kennt. Nicht in erster Linie Lehren, sondern Leben, nicht fertige Antworten, sondern S»cl>e», Streben, Ringen, heißes Bemühen, finden wir in diesem Buche, das die geheimsten Gedanken nicht schont und verbirgt. L. Schücking berichtet einmal, daß Annette in ihren scharssinnigen weltanschaulich-religiösen Erörterungen manchmal bis an die äußersten Grenzen der Verneinung vor gegangen sei. Diese Gottsncherin kannte alle Aengste, Nöte, Qualen, Versuchungen des religiöfen Fragens. Doch sie wußte: Was dein schwachen Glauben mangelt, vollendet die L'ebe. Annette bekennt sich zu der „Sekte jener, bei denen die Liebe größer ist als -er Glaube" — So zittert durch das wunder voll« Werk der Dichterin die Gottessrnge: „Und sieh, ich l»abe Dich gesucht mit Schmerzen, mein Herr und Gott, wo werde ich Dich sinden?" und das Gebet: „O Gott, Du bist so mild und bist so licht! Ich suchte Dich in Schmerzen, birg Dich nicht!" „Herr, gib mir, daß ich sehe!" Nichts hat der Mensch Gott darzubringen als höchstens die Reue über getanes Un recht und unterlassenes Gute und den innigen Glauben, „doch Du. o milder Gott. Du hast ein großes, großes Wort der Liebe!" In dieser Liebe Gottes fand sie den Frieden Gottes wieder, der höher ist als alle Vernunft. sFortsehung folgt.)