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letzteren; Sie werden natürlich zunächst Ihr Augen merk darauf richten, wie Sic recht bald zu einer anderen Stelle gelangen können, um Ihre Zeit nicht so müßig zubringen zu müssen?" „So ist es in der That, Herr Rehberg. Ich wollte morgen bereits eine diesbezügliche Annonce in den hiesigen Zeitungen erlassen." „Ich bezweifle, ob Sie dieser Schritt rasch zum Ziele führen wird," versetzte Rehbcrg, wobei er seinen jungen Gefährten scharf fixirte. „Denn an jungen, stellenlosen Commis herrscht Hierselbst ein ungeheuerer Ucberfluß, und in der Regel haben dieselben es nur einer besonderen Protection zu verdanken, wenn sie irgendwo Anstellung finden. Wenn Sie mir, der ich viele persönliche Beziehungen mit den Inhabern großer Handelsfirmen habe, eS überlassen wollen, daß ich mich nach einem geeigneten Posten für Sie um sehe, so will ich dies mit Vergnügen besorgen, und ich hoffe bestimmt, Ihnen bereits morgen Abend ein befriedigendes Resultat mittheilcn zu können." „Sie sind außerordentlich zuvorkommend gegen mich, Herr Rehbcrg, und ich weiß beinahe nicht, ob es nicht eine Unbescheidenheit meinerseits wäre, wenn ich Ihnen eine solche Mühe in meinem Interesse zu- mnthen wollte." „In dieser Beziehung brauchen Sie sich nicht die geringste Sorge zu machen," entgegnete Rehberg lächelnd, wobei er sich von seinem Stuhle erhob. „Denn was ich für Sie thun kann, thue ich gern, und wenn ich bei einigen Bekannten gesprächsweise Ihretwegen anfrage, so ist dies auch nicht eine be sondere Mühe zu nennen. Jetzt indessen muß ich mich von Ihnen trennen, da ich noch wichtige Ge schäfte zu besorgen habe, und eS erübrigt mir nur noch, Sie um die Angabe Ihrer Wohnung zu ersuchen, damit ich Ihnen morgen zwischen fünf und sechs Uhr persönlich Nachricht darüber geben kann, welchen Er folg meine Schritte hatten." „Ich wohne in der Sandstraße dir. 27," versetzte Paul, der gleichfalls aufgestandcn war. „Ehe wir uns trennen, möchte ich Sie jedoch um eine kleine Gefälligkeit bitten: Ich habe mich nämlich verlaufen und weiß in der That nicht, welchen Weg ich ein schlagen soll, um nach meiner Wohnung zu gelangen. Würden Sie nun wohl die Güte haben, mir draußen anzugeben, wie ich mich wieder zurechtfinde?" „Sehr gern, mein junger Freund," erwiderte der Andere herzlich, worauf sie zusammen das Estaminet verließen. 2. Capitel. Die Ereignisse des vorhergehenden Tages, die Begegnung mit dem schönen Mädchen, dessen Bild nicht von seiner Seite weichen wollte, und noch viel mehr das seltsame Zusammentreffen mit Herrn Reh berg hatten Paul's Phantasie mächtig erregt. Rach einer sehr schlecht verbrachten Nacht, in welcher die wunderlichsten und schrecklichsten Traumbilder ihn quälten, saß er am andern Morgen müde und ab gespannt auf seinem Sopha, um über das gestern Erlebte nachzudenken. Gewaltsam suchte er die Erinnerung an die wunder baren Züge Eugeniens von sich zu scheuchen, um sich im Geiste desto eifriger mit Herrn Rehberg und dessen Verhalten ihm gegenüber zu beschäftigen, und je länger er hierüber Bettachtungen anstellte, desto stärker kehrte das Mißtrauen, welches die Zudring lichkeit des Mannes ihm anfangs eingeflößt, in ihm zurück. Als Kaufmann wußte Paul den Werth des Geldes zu schätzen, und daher erschien es ihm geradezu verdächtig, daß Rehberg ihin, der jenen noch niemals zuvor in seinem Leben gesehen hatte, sofort die ganz erkleckliche Summe von fünfhundert Francs als Dar lehn offerirte. Ein solches Anerbieten konnte nur einen ganz bestimmten Zweck haben, einen Zweck, den Paul sich allerdings nicht im entferntesten zu er klären vermochte, der ihm aber schon aus dem Grunde, weil ihm derselbe verheimlicht wurde, jedenfalls als ein solcher erschien, welcher das Licht zu scheuen hätte. Dünkte es ihm auch bei vielem Nachdenken so, als wären die offenen energischen Züge Rchberg's und die beinahe väterlich wohlwollende Art, mit der sich derselbe ihm gegenüber benommen hatte, mit un ehrenhaften Plänen, bei deren Ausführung er selbst vielleicht unbewußt eine Rolle spielen sollte, nicht vereinbar, so beschloß er doch, für alle Falle auf seiner Hut zu sein und nicht so ohne weiteres dem jenigen zu folgen, was Rehberg über ihn zu ver fügen als für gut befinden würde. Ein leises Klopfen an die Thür unterbrach seinen Gedankengang. Auf sein Herein! wurde dieselbe ge öffnet und in das Zimmer trat sein neuer Bekann ter von gestern Abend, an den er die ganze Zeit über gedacht hatte. Rehberg drückte Paul herzlich die Hand und sagte: „Eher als ich gestern vermuthct hätte, komme ich zu Ihnen, und zwar mit der für Sie gewiß sehr er freulichen Nachricht, daß ich bereits eine Stelle für Sie gefunden habe. „Ich machte nämlich noch gestern Abend die Be kanntschaft eines hiesigen Geschäftsmannes, der, als ich ihm von Ihnen erzählte, sich sofort bereit erklärte, Sic bei sich aufzunchmen, allerdings nur gegen Er legung einer Cantion. Da ich nun überzeugt bin, daß diese Stelle Ihnen in jeder Hinsicht conreniren würde, so habe ich die Caution sofort für Sie depo- nirt, damit nicht ein Anderer Ihnen zuvorkäme, und somit können Sie denn heute noch auf dem betreffen den Bureau einttctcn oder sich wenigstens Ihrem zu künftigen Principal verstellen." „Sie haben für mich eine Caution hinterlegt?^ stieß Paul iu tiefer Erregung hervor, wobei er den Besucher erstaunt und mißtrauisch anstarrte. „Ich muß Ihnen offen gestehen, Herr Rehberg, daß Ihre ungewöhnliche Gefälligkeit gegen mich mir immer auf fallender erscheint, und daß ich von Ihrer letzten Gunstbczeugnng keinen Gebranch machen werde, ehe ich ganz bestimmt weiß, was eigentlich die Ursache Ihrer merkwürdigen Thcilnahme mit meiner unbe- deutenden Persönlichkeit ist." Rehberg schaute ihm so ernst und durchdringend in die Augen, daß es Paul große Mühe kostete, vor diesem Blicke die scinigen nicht zu Boden schlagen zu müssen; daun aber legte er ihm seine Hand fest ans die Schulter und erwiderte: „Was die Ursache meines Wohlwollens für Sie ist, wollen Sie wissen? Ich will eS Ihnen sagen, junger Mann: der Wunsch, aus Ihnen einen recht tüchtigen Menschen zn machen, Ihnen im Leben vor wärts zu helfen und Ihnen mit der Zeit eine geach tete Stellung zu verschaffen, — das ist es, was mich zu meiner Handlungsweise Ihnen gegenüber bestimmt. Ist mir dies gelungen, so werde ich das Bewußtsein in mir tragen, noch am Abend meines Daseins eine verdienstvolle That begangen zu haben, die — manches auszugleichen iin Stande ist, und ich werde dereinst ruhiger die Auge» schließen dürfen. Und nun bitte ich Sie, fragen Sie mich nicht weiter, denn eine nähere Erklärung vermöchte ich Ihnen vorläufig nicht zn geben. Aber die Zeit wird komme», wo Sie Alles erfahren werden, und dann werden Sie sich überzeugen, wie grundlos das Mißtrauen war, welches Sie mir heute entgegenbrachten. Wenn ich einen, Menschen auf dieser Welt aufrichtig zugcthan biu, so sind Sie es, mein lieber Herr Lindner." Rehberg, der Mann mit dem energischen, ent" schlossen«» Gesichte und dem wie aus Stahl gebauten Körper, schien so bewegt, daß ihm das Sprechen zu letzt schwer wurde. Seine Stimme bebte, und flehend, als bäte er mit de» Augen um das Vertrauen des jungen Mannes, schaute er Paul an. Einen kurzen Moment schwankte dieser noch, dann aber reichte er mit einer plötzlichen entschiedenen Be wegung dem ersteren die Hand dar. „Ich will Ihnen vertrauen, Herr Rehbcrg, wenn mir auch, je länger ich mit Ihnen verkehre, mein Verhältniß zu Ihnen immer unklarer und räthsel- haftcr wird. Zu holen ist bei mir ja ohnehin nichts, sollten aber die Dinge einen Verlauf nehmen, der mir nicht gefällt, nun, so werde ich noch immer früh genug wissen, was mir zu thun obliegt. Sagen Sie mir also, wie der Kaufmann heißt, bei dem Sie die Caution für mich deponirten, und wo derselbe wohnt. Ich werde mich alsdann sofort zu ihm begeben." „Er heißt Alexander Morrels und sein Bureau befindet sich in der Brüsselersttaße Nummer 103. Ich kann Ihnen nur nochmals anrathen, jetzt direct, ohne weiteren Verzug zu ihm zu gehen; in einigen Tagen werde ich alsdann zurückkehren, um mich bei Ihnen zu erkundigen, wie eS Ihnen bei demselben gefallen hat." ,Mcnn eS Ihnen nicht unangenehm ist, werde ich Sie ein Stückchen begleiten," sagte Paul rasch, aber Rehbcrg, der bereits die Thür geöffnet hatte, erwiderte lächelnd: „Fast sollte ich meinen, Sie wollten nur deshalb auf der Stelle mit mir gehen, damit Sie nicht in die Lage kommen können, Ihren Entschluß nach meiner Entfernung am Ende wieder zu bereuen. Um Ihnen daher die Gelegenheit nicht zu rauben, sich als einen Mann von festem Character zu beweisen, werde ich mich von Ihnen entfernen. Machen Sie also Ihre Sache gut, und im übrigen auf baldiges Wiedersehen." Paul hörte noch, wie Rehberg schnell, beinahe hastig die Treppe hinabstieg, und dann kleidete auch er sich zum Ausgehen an. In tiefes Nachdenken über diese zweite Begegnung mit dem unerklärlichen Manne und seine seltsamen Worte versunken, schlug er den Weg nach dem Bureau des Herrn Aexander Morrels ein. Bis nach der Brüsseler Straße hatte er nicht weit zu gehen, und auch das Bureau des Herrn Morrels war rasch ge funden. Ein großes messingenes Schild mit der Auf schrift: „Alexander Morrels, Import und Export von und nach allen Welttheilen" machte, daß das Bureau den Vorübergehenden sofort in die Augen fiel. (Fortsetzung folgt.) Die Frau vom Hanse und die Hausfrau. In unserer Zeit des Fortschrittes und der hohen Bildungsansprüche pflegen wir die Frau hauptsächlich in ihren Beziehungen zur Gesellschaft und zur Welt ins Auge zu fassen. Die Bezeichnung derselben als die reizende, die fesselnde, die geistreiche, die herzge winnende, übt eine besondere Anziehungskraft auf die Männerwelt aus, allein die „häusliche" oder die Haus frau gilt jetzt mehr als Verkörperung des Gewöhn lichen, des Alltäglichen, des Uninteressanten. Man hat den ehrenvollen Namen „Hausfrau", welcher ehe dem den ganzen Schatz von Würde, Thätigkeit und hohem Werth in sich barg, in die Bezeichnung „Frau vom Hause" umgewandelt, als wolle man dem Weibe daS Recht streitig machen, etwas Anderes als die repräsentirende Figur des Hauses zu sein. Wenn man von der „Hausfrau" spricht, so pflegt man sie sich als eine Frau zu denken, deren Interessen sich auf die Küche und Kinderstube beschränken, deren Herz ein Kochbuch ist und dessen Zu- und Abneigungen kaum über der Bedeutung des Instinkts stehen. Die kleinen Leiden und Bedürfnisse ihrer Kinder beschäftigen sie niehr, als der Gedanke an deren geistige und intellek- tnellc Entwickelung. Die Eigenthümlichkeiten der kindlichen Naturen geben ihrem Nachdenken keine Nahrung und sie ignorirt ihre Aufgabe, diese wohl- thätig zu beeinflussen. Schlimm genug, daß der Name der „Hausfrau" so falsch aufgefaßt uud gedeutet werden kann! Kann eS möglich sein, daß die Bedeutung „HauS" für uns seinen Reiz verliert? Daß ivir es von den Attributen, welche unser Heim besitzen sollte, völlig entkleidet haben? Dies Königreich der Frau mit seinem milden Szepter und seinen wohlthäkigen Gesetzen, welches der Engländer in berechtigtet» Stolze „kis eustls", sein Schloß nennt? — Ja, wir müssen es mit einem Seufzer gestehen: Die Romantik des Hauses scheint nicht mehr ihren alten Zauber auszuübcn uud wird in Folge dessen weniger gepflegt. Wir wollen damit nicht gesagt haben, daß die gesteigerten gesellschaftlichen Anforder ungen, die vom Weibe gebieterisch verlangte höhere Bildung daran Schuld ist, — vielmehr ist cs die Thatsache, daß mau der Frau das höchste Ziel ihres Strebens aus dem altgewohnten Kreise entrückt und in eine andere Sphäre versetzt hat. Die Hausfrau sollte und müßte immer als der ideale Typus der Frau gelten uud Alles geschehen, um ihre Natur harmonisch zu entwickeln und ihre Würde zu vermehren. Es muß iu der zartesten Kindheit schon dem Mädchen als höchstes Glück, ihre spätere Lebensstellung nicht als „Frau vom Hause", die gesellschaftlicb verpflichtete und repräsentirende, sondern als „Hausfrau" geschil dert werden, und durch das lebendige Beispiel muß in dem Kinde die Sympathie geweckt werden, für eine Umgebung, in welcher die wahre Geistes- und Herzensbildung durch den innigen Umgang der Fa milie, gute Lektüre und herzliches EinvcrstLndniß ge nährt wird. Allerdings werden an die Erziehung der Mädchen von heutzutage ganz außerordentliche Anforderungen gestellt und zwar mit Recht. Als die Gefährtin des Mannes muß sie verstehen, dem ehe lichen Zusammenleben den höhere» intellektuellen Reiz zu verleihen, aber sie sollte auch eine Kcuntniß der Ordnung und Oekonomie des Haushalts besitzen; ihre Urtheilsfähigkeit muß ausgebildet, ihr Berständniß zur Reife gebracht, ihr Borstellungsvermögen geläutert werden, durch die Ideale, welche nur eine höhere Bildung schaffen kann — aber es darf dadurch das Weibliche der Seele nicht geraubt und unter einer Ueberbildung das charakteristische Element der Frau erstickt werden. Wenn sie für die Welt und die Ge sellschaft ,ckourfähig" gemacht wird, darf ihrem Horizont das Näherliegende, das Heim, nicht entrückt, und über der „Frau vom Hause" darf die „Hausfrau" in gleich hoch entwickelter, idealer Gestaltung nicht vergessen werden. Ehe die Frau in ihrem Wirken Poet und Künstler sein kann, muß sie darnach streben, es in ihrem Leben zu sein; Enthusiasmus und Pflichtgefühl müssen Hand in Hand gehen, und die alltäglichsten Lebensaufgaben müssen durch den Geist, in welchem sie erfüllt, poetisch verklärt werden. Deshalb verstehen wir also unter einer höheren Bildung für die Frau die Bildung von Geist, Herz und Verstand in einem ihrer hohen Aufgabe entsprechenden Ebenmaße, welches sie befähigt, ebensowohl ihrer Stellung als „Frau vom Hause" zu genügen, als auch die Pflichten der „Hausfrau" in der ganzen Bedeutung dieses Wortes zu erfüllen. „Der Kalender de« wahrer Hinkenden Boten" ist soeben im 93. Jahrgange erschienen. Eine im alten Hamburg spielende WeihnachtSgeschichte, ein« vortreffliche Erzählung au» den Alpen, bilden mit einer Humoreske von Maximilian Schmidt, einer klassischen Novelle Hermann HeibergS, einer kultur historisch interessanten Geschichte von L. GereS aui den na poleonischen Kriegen den Stamm des vorliegenden Jahrgang», der überhaupt nur wahrhaft gesunde und herzerfreuende Lese kost für die weitesten Kreise enthält. Die Weltbegeben- heiten sind auch diesmal mit echt volksthllmlicher Schlagkraft geschrieben, und ihre Illustrationen gehören zum Theil zu den vesten satirischen Darstellungen von Zeitereignissen, di« inan sehen kann. Die erweiterte Ausgabe, sowie der Groß« VoltSkalender, der vornehmeren literarischen Ansprüchen genügt, bringen eine ganz« Anzabl besserer ernster und humor istischer Erzählungen. Wir zweifeln nicht, daß alte und neue Leser de» Hinkenden auch an dem vorliegenden Jahrgang ihre Freude haben werden. Druck und Verlag von E. hannebohn in Sibenstpck.