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Beilage zu Ar. 110 Sks „Mts- und Alyeigeblattes." Eibcnstvlk, den 17. September 1892. Das Räthsel in Marmor. Original-Novelle von Gustav Höcker. (Schluß.) Wolfgang nahm alle seine Geistesgegenwart zu sammen, um sich äußerlich nichts von der Wucht au- merken zu lassen, mit welcher ihn der Inhalt dieser Zeilen traf. Unbeobachtet von Trimborn, der währenddem im Zimmer auf- und abging, drückte er den Brief an sein Herz, dankerfüllt für die Schreiberin. Wie schwer sie auch gefehlt hatte, diese Warnung, durch die sie Wolfgang das Leben rettete und sich selbst der Rache des Meuchelmörders preisgab, in dessen Händen ihr Ruf und ihre Ehre ruhten, machte vieles wieder gut. Während Wolfgang vor Trimborns Augen den Brief gleichgültig in die Tasche steckte, traf dieser An stalt znm Gehen. „Sie wissen jetzt nun Alles, was ich Ihnen zu sagen hatte," äußerte er, nach seinem Hute greifend, „und so will ich Sie denn von meiner Gegenwart befreien." Wolfgang blickte im Zimmer umher. Es war nichts Eßbares, nichts Trinkbares vorhanden, als das Wasser in der Karaffe, die heute schon wiederholt eine für Wolfgang jetzt erst verständlich gewordene Anziehungskraft auf Trimborn ausgcübt hatte. Auf seinem letzten Rundgange durch das Zimmer war Trimborn in unmittelbarster Nähe des Wasch tisches vorübergekommen, auf welchem die Karaffe stand, während Wolfgang, mit der Lektüre des Briefes beschäftigt, seinen Gast ganz unbeobachtet gelassen hatte. „So haben Sie denn bereits Ihren Zweck er reicht?" sagte Wolfgang wie in Erwiderung auf Trimborns letzte Rede, womit sich dieser verabschieden wollte. „Bereits?" fragte Trimborn forschend, „inwiefern bereits? Sollten Sie an meinen Ausführungen noch nicht genug haben? Oder meinen Sie, daß ich mich ans eine Belohnung gefaßt gemacht hätte?" „Eigentlich besäßen Sie Anspruch auf eine Be lohnung, denn ohne Ihre Dazwischenkunft schwämme ich jetzt wieder auf dem Meere, ohne Ahnung von den verborgenen Schätzen, die Sic mir erschlossen haben. Ich zweifle nicht, daß Sie die reinsten Ab sichten dabei verfolgten," fuhr Wolfgang fort, indem er nach dem Waschtische schritt, ein Glas Wasser ein schenkte und dasselbe seinem Gaste präsentirte, „Ab sichten so rein gerade wie dieses Wasser, von dem ich Sie zu trinken bitte." Triniborn lehnte ab, während er die Farbe wechselte. „Trinken Sie!" donnerte Wolfgang, der seinen bisher niedergehaltenen Zorn nicht länger mehr be- meistern konnte. „Bor einem Wahnsinnigen weiß ich mich wohl zu schützen!" rief Trimborn und stürzte dann nach der Thür. Aber Wolfgang erfaßte ihn am Rocke und schleu derte ihn mit Riesenkraft in das Zimmer zurück, drehte den Schlüssel im Schlosse um und steckte ihn zu sich. „Bekennen Sic, daß Gift in diesem Wasser ist," forderte Wolfgang ihn auf, „oder trinken Sie davon!" Er hatte den Zurückweichenden in eine Ecke ge drängt und stand dicht vor ihm, das Glas ihm an die Lippen haltend, die sich krampfhaft aufeinander preßten. Bleich geknickt und zitternd lehnte Trimborn da, während er mit gierigen Tigerblicken vergebens nach einem Ausweg suchte. „Verrath! Feiger Verrath!" knirschte er voll Wuth, als Wolfgang, von der Vergeblichkeit seiner Aufforder ung überzeugt, von ihm zurücktrat. „Aber die Stunde der Rache wird schlagen!" „Ich werde dafür sorgen, daß sie nicht so bald schlägt," ries ihm Wolfgang verachtungsvoll zu und riß hastig am Klingelzuge. Mit seiner imposanten Gestalt die Thür deckend, befahl er dem erscheinenden Kellner, sofort den Wirth des Hotels hcrbeizurufcn. Trimborn schien inzwischen anderen Sinnes ge worden zu sein. Er warf sich vor Wolfgang nieder und flehte um Gnade. Dieser sah auf den Erbärmlichen herab, der sich zu seinen Füßen im Staube wand. Fast fühlte er etwas, wie eine Regung von Mitleid mit dem Men schen, dessen Geschick in seiner Hand ruhte. Wolfgang hatte noch niemals vorsätzlich Unglück über Jemand gebracht. Bon ihm hing cS jetzt ab, ob er seinen schwer gedemüthigten Feind dem Kerker überliefern oder ob er ihn seinem Schicksale überlassen sollte, die Ver geltung einem höherem Richter anheimgebend. Daher war cS ihm willkommen, daß die Stimme seines Herzen« zugleich von dem erwägenden Verstände unterstützt wurde. Er konnte den Mörder nicht den Gerichten zu führen, konnte nicht al« Ankläger in den Richtersaal treten, ohne seine eigene Freiheit auf das Spiel zu setzen und das Schicksal deö Angeklagten zu theilcn. Aber da klopfte es schon an die Thür und draußen stand der von ihm selbst herbeigerufenc Wirth. Wolfgang war rasch mit sich im klaren, wie weit er gehen durfte, gehen mußte. Er schob die Thür auf und ließ den Wirth eintreten. „Dieser Mann hier," redete er den Hotelbesitzer an, während er seinen Gefangenen, der sich inzwischen wieder erhoben hatte, mit eiserner Faust festhielt, „dieser Mann, Trimborn mit Namen und Gehilfe in der Einhornapothcke, kam in der Absicht her, mich zu vergiften. Nehmen Sie jene Karaffe und lassen Sie dieselbe unversehrt mit ihrem Inhalte sofort der Polizei ausliefern, die chemische Untersuchung wird ergeben, daß das Wasser Gift enthält. Für das weitere werde ich Sorge tragen." Mit einem Blicke des Staunens und Abschcues auf Trimborn und unter Worten tiefen Bedauerns, daß ein so bcklagcnSwcrthes Borkonunniß in seinem Hotel sich zugetragcn, ergriff der Wirth die Karaffe und entfernte sich rasch damit. „So," sagte Wolfgang, als die Schritte verhallt waren, „jetzt bist Du gcbrandmarkt, Schurke —die Schranken sind Dir gezogen, über die Dein flüchtiger Fuß sich nicht mehr zurückwagcn darf. Nuu geh' dahiu, wo Du Dich sicher fühlst. Beeile Dich, aus diesem Hause zu entkommen. Ich gebe Dich frei!" Mit diesen Worten ließ er Trimborn los. Einen Augenblick stand dieser wie betäubt. Dann streckte sich seine gebeugte Gestalt. Ein tiefer Athem- zug hob seine Brust und mit zwei Schritten war er an der Thür, durch welche er, wie ein Gespenst, laut los entschwand. X. „Theurer, geliebter Freund! Wie preise ich den Himniel, der Ihnen die Vor sicht eingab, der Dankbarkeit des Elenden, dem Sie die Freiheit schenkten, nicht zu trauen, sondern noch dieselbe Nacht abzurcisen. „Trimborn hatte sich beeilt, die strafwürdigen Ver gehungen seines Prinzipals von Bremerhaven aus der hiesigen Behörde brieflich bloszulegcu, aber damit nicht genug, hat er auch Sie in seine Denunziation mit verflochten und Ihre Großmuth mit der Ge fährdung Ihrer Freiheit erwidert. „Glücklicherweise athmeten Sie bereits die freie Schweizerluft, als die Polizeibehörde ihre Boten nach dem Hotel und der Einhorn-Apotheke entsandte, um sich mit der gleichen unerbittlichen Logik Ihrer wie Rabelings Person zu versichern zu suchen. „Lassen Sie mich nun zunächst zu der Herzensfrage übergehen, die Sie in dem mich so beglückenden Briefe gestellt haben. Die Antwort darauf ist einfach: Ja! ich bin Ihre Friederike, ich will Ihre Gattin werden, ich darf es jetzt werden, nachdem — wenn auch von unwürdigem Munde — der Schwur gelöst ist, der mir das herbe Geschick auferlegte, für fremde Schuld verkannt und verurthcilt zn werden. Ich habe Sie seit der Stunde geliebt, wo ich Ihnen die kranke Mutter brachte. „Aber als eine Fügung es wollte, daß Sie sich mit meiner Schwester verlobten, durfte ich meine Liebe nicht entweihen, indem ich die heilige Schwestcrpflicht verletzte. Ich wußte nichts anderes, als daß Alber- tinens Zärtlichkeit ungetheilt dem Bräutigam gehörte, und zog mich von Ihnen zurück, denn ich ahnte den Zwiespalt Ihres Inneren, noch ehe Sic mir ihn ge standen. „Es kostete mich einen harten Kampf, als es galt, die Ehre meiner Schwester zu retten und die meinige dafür hinzugebcn, aber mein Vater war ein Greis, den der Fehltritt seines stets bevorzugten Kindes, an welchem sein ganzes Herz hing, unter die Erde ge bracht haben würde. „Ich brauche nicht zu fürchten, mit meiner Selbst opferung eine Treulosigkeit zu beschönigen, denn Albertine versicherte mich, daß ihr Verhältnis; zu Trimborn der Vergangenheit angehöre und jene Zu sammenkunft, die er sich durch Drohungen erzwang, nur den Zweck gehabt habe, ihm für immer den Ab schied zu geben. „So nahm ich den Schein der Schuld auf mich, trocknete die Thräncn meiner Schwester, bewahrte meinen Vater vor dem härtesten Schlage, der ihn treffen konnte, und — ja, ich gestehe es offen! — hoffte Ihnen dadurch den Kampf zu erleichtern. Erst als ich vernahm, daß Sie sich in den tobenden Aufruhr gestürzt, sah ich, was ich angcrichtct hatte, und bereute. Aber es war zu spät! „Zu Albertinens Ehre muß ich sagen: sie hat das Glück, Braut zu sein, stets zu würdigen gewußt und den Unterschied zwischen einem ehrbaren Verhältnisse und der unwürdigen Tändelei wohlthuend empfunden. „Ich war oft Zeuge der Thränen, die Sie Ihnen nachweintc, und schreibe den Rückfall in die Fesseln Trimborns mehr dem Zwange zu, den dieser über sie übte. Daß sie schwer darunter litt, weiß ich; aber ich war ohnmächtig, sic von ihrem Verhängnisse zu befreien. „Dieses Verhängniß war es auch, was mich das Haus meiuer Schwester meiden hieß und mich von der ehrwürdigen Dulderin, Ihrer Mutter, ganz fern hielt. „Erst dieser Tage habe ich Sie zum ersten Male wieder gesehen. Albertine hat ihr vorsichtig beige bracht, daß der als todt beweinte Sohn lebt, aber ihre Freude zu beschreiben, ist ebenso unmöglich, als die Ungeduld zu schildern, womit sie die Minuten zählt, bis die noch zu ordnenden Angelegenheiten ihr gestatten werden. Sie an ihr Mutterherz zu drücken. Sie ist wie verjüngt und fühlt sich stark genug, die Reise nach dem Lande der Seen und Gletscher in meiner Begleitung zu wagen. „Noch aber macht ihr die Aufregung das Schrei ben unmöglich; sic hat daher ihre tausend Mutter grüße mir anvertraut und mich zugleich beauftragt. Ihnen zu sagen, daß Ihre Absicht, am Genfer See eine Billa anzukaufen, ihre vollkommene Billigung findet. „Beglückt durch die Liebe eines ihr neugeschenkten Sohnes n»d — lassen Sie mich noch hinzufllgen — gepflegt von der Hand einer dankbaren Tochter, hofft sie, dort einen ungetrübten Lebensabend zu genießen. „In einer Hinsicht dürfen Sie Rabeling dankbar sein. Er hat Ihnen thatsächlich Ihr Erbe gerettet. Als er von Ihrer Theilnahme an der Revolution hörte, faßte er gleich die Möglichkeit ins Ange, daß dieselbe einen schlimmen Ausgang nehmen und der in seine Rechte wieder eingesetzte Staat Ihnen der einst den Antritt Ihres Erbes, das Ihnen, wie er wußte, bereits testamentarisch gesichert war, streitig machen könne. „In dieser praktischen Voraussicht reiste er sogleich zu Ihrer Mutter nach Leipzig und veranlaßte sie, ihr Vermögen sofort im Auslande anzulegen und ihr Haus zu verkaufen, was sich, obwohl mit Verlust, auch rasch realisiren ließ. „Freilich mochte er dabei auch die Möglichkeit er wogen haben, daß Sie im Kampfe fallen könnten. Dann war nach Ihrer Mutter etwaigem Tode das Vermögen für ihn, als den einzigen Verwandten, selbst gerettet. „Diese Sachlage hat ihn denn auch, wie er Al bertine« gestanden, dazu verführt, die scheinbare Kon- statirung Ihres Todes, die Ihnen die Flucht ermög lichte, zu seinen Gunsten auszubeuten. „Das volle Bekenntniß seines Betruges erwiderte Albertine durch das offene Eingeständniß ihres Ver hältnisses zu Trimborn, das ihr immer unerträglicher wurde. Schuld gegen Schuld sagte sie sich, Demüthig- ung gegen Dcmüthigung. „Der Augenblick war einem gegenseitigen Verzeihen sehr günstig — und es stellte sich heraus, daß Trim born Rabelings Eifersucht gegen Sie, den wiederge- kehrtcn Bräutigam, gelenkt und ihn dadurch für jenes entsetzliche Einverständniß gewonnen hatte, welches nun auf Ihre gewaltsame Beseitigung abzieltc. „Der Umschwung, der sich durch Albertinens über raschende Eröffnung in dem verletzten Ehegatten voll zog, wurde Ihre Rettung. Seine ganze Wuth richtete sich gegen Trimborn, und diesen mit zu verderben, war ihm süßer, als seinen unrechtmäßigen Besitz zu zu bergen und mit Jenem zu theilcn. „Albertine will ihrem Gatten nachreisen, der sich nach Amerika eingeschifft hat. Dank der Güte und Freigebigkeit Ihrer Mutter wird es Beiden nicht an Mitteln fehlen, jenseits des Meeres eine neue Existenz zu gründen. „Mein nächster Brief meldet Ihnen den Tag, an welchem ich die Mutter in Ihre Arme führe, um mich nie wieder von Ihnen zu trennen. Auch die Harfe wird uns begleiten, um künftig nur im engen Heiligthum der Familie zu tönen. „Bis dahin leben Sic wohl, inniggelicbter Freund und einziger Gedanke Ihrer Friederike." Gesühnte Schuld. Eine Schilderung aus dem Kausmannsleben von G. Strudel. I. Capitel. Herr Johann Vandcrvelden, ein reicher Kauf mann in Antwerpen, saß in seinem Privatbureau und durchblätterte mit ärgerlicher Miene einen Pack Briese. DaS rauhe Gesicht des etwa 56jährigen, untersetzten Mannes wurde immer finsterer und zuletzt drückte er mit einem Fluche auf den Knopf der silbernen Schelle, die vor ihm stand. „Sagen Sic dem deutschen Commis Paul Lind ner, daß er sofort zu mir zu kommen hat," herrschte