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Beilage zu Nr. 37 des „Amts- und Anzeigeblattes." Eibenstock, den 26. März 1892. Die Goldfee. Original-Roman von Emmy Rossi. (3. Fortsetzung.) „Dann dürfen Sic nicht erlauben, daß sic die Schwelle des Schlafzimmers überschreitet, das heißt, nach der Zimmerseite, dem Hanse zu. Das daran stoßende Badezimmer unv das Tvilettezimmer ge hören mit zu den ihr erlaubten Räumen. Darin müssen Sic unerbittlich streng sein, will sie nicht ge horchen, so drohen Sic ihr mit Gewalt, und halt nicht Ihr Wort sie zurück, so wenden Sie thätlich Gewalt an, cs bleibt uns dann nichts übrig, als sic zu fesseln. — Sie haben also vollständig verstanden, und geloben niir unbedingten Gehorsam?" „Gewiß, Herr." „Gut — ich werde Ihre Dienste gut belohnen, jetzt und in Zukunft." Er klingelte. Ein Polizist erschien. „Ist Jim im Hause?" „Ja, Sir." „Er soll kommen." — Etty nahm langsam Stück für Stück das Geld auf, sie halte noch niemals so viel beisammen gesehen und konnte kaum glauben, daß es ihr gehöre. — „Soll ich das alles haben?" fragte sie scheu. „Gewiß, mein ", er wollte „Kind" sagen, besann sich aber und sagte: „Gewiß, und es ist nur ein kleiner Theil dessen, was Sie viertel jährlich von mir erhalten werden. Sie sehen, es verlohnt sich schon, mir treu zu dienen." Etth war nun vollends gewonnen, sie nahm glück selig das Geld an sich und murmelte in sich hinein: „O, wie viele schöne Puppen man davon kaufen kann!" — Jim trat ein. Sein Fnchskopf hing gesenkt auf seiner Brust, aus seinem ganzen Wesen sprach Ver zweiflung. O'Reill schien es nicht zu sehen. „Hier, Jim, ist Ihre erbetene Entlassung — wenn die Verhältnisse sich später anders gestalten, werde ich Sie wieder bei mir anstellcn - " Jims Gesicht er hellte sich, das war doch ein Hoffnungsstcrn — „dies Mädchen, sie heißt Etty, wird meine Frau zu Doktor Martigny begleiten, Sie werden also Hausgenossen werden, Jim." Jim sah mit Verwunderung diese EnakStochtcr an, gegen die er ein Zwerg war, und ein Ausruf des Staunens kam ihn, von den Lippen. „Wie sind Sie da oben 'raufgckommen?" fragte er in seiner listig-satyrischen Weise, die ja ein Erb- theil aller irischen Volkskindcr ist, — „o, ist das ein nettes kleines Mädchen!" Etty sah ihn an. Es lag etwas in ihrem Blick, daß er langsam sein spöttisches Lächeln einzog und höflich hinznfügtc: „Was an mir liegt, wird Fräulein Etty immer einen friedfertigen Hausgenossen haben." „ES ist gut, hier ist Ihr Salär für den laufen den Monat, ich lege noch ein Trinkgeld bei", — er fügte einige Goldstücke hinzu, Jim klappte demüthig zusammen — „gehen Sie jetzt in Ihre neue Stellung; daß meine Frau Morgen eintrifft, können Sie Doktor Martigny mündlich bestellen." Jini ging. Ein paar Minuten später ging auch O'Reill mit Etty. Auf dem Flur traf er den Poli- zeilicntenant ciu zour. „Hat Rr. lOO sich abgemcldct? Er ist auf eigenen Wunsch entlassen." „Jawohl, Sir — Sie meinen doch den tiekkt- ok-Iknve-mrrn Jim?" „Gewiß, er bleibt unter Controlle. Doktor Mar tigny nimmt ihn als Diener." — Er ging weiter. — Etty bemerkte, daß es Niemand gab, der sie nicht verwundert anschaute, sie begann ihre Ausnahmc- stcllung zu begreifen und die Blicke der Menschen zu fürchten. — Zum ersten Male im Leben sah sie ein so elegantes Entree, wie in des verstorbenen Doktor Percy'S Hause. Eine graue Marmormosaik bildete den Fußboden, schwarze, gebogene Möbel mit gestickten Polstern standen um einen Tisch mit weißer Marmorplatte — in den Ecken blühten trotz des rauhen Winters himmelblaue Grokcinien und rothe Fuchsien. Eine graue Marmortreppe mit roth- sammtencm Geländer, teppichbclegt, führte in die Etagen. Oben, auf dem ersten Flur schritt ein Mann in Polizeiunisorm auf und nieder. Seinen Helm hatte er der hier postirten Büste der Klytia aufgestülpt, die ihr liebliches Köpfchen melancholisch unter diesem profanen Mincrvahelm neuester Mode senkte. Er blieb ehrerbietig am Fenster stehen und salutirte schweigend. Als Etty, ebenfalls Halt machend, ihm gegenüber stand, war sic fast so groß, als dieser riesige Schutz mann — eS war Crail. „Nun?" fragte O'Reill erwartungsvoll. „Alles in Ordnung, Herr — eS ist, nichts passirt, die kranke Dame hat keinen Versuch gemacht, auSzu- brechcn, sie hat, wie ihr Mädchen mir vorhin mit kheilte, den ganzen Tag still gelegen, oder geschrieben." O'Reill nickte befriedigt. — „Sie sind für heute entlassen, hier —" er gab auch diesem ein Trinkgeld für den Privat Wächter-Dienst, den er heute geleistet, und Crail ging. — Wahrend der ganzen Zeit hatte Etty ihn und er Etty mit seltsamer Neugierde an geblickt — sie mußten sich kennen — es war aber nicht der Fall. „Hören Sie, Etty", — O'NcillS Stimme war gedrückt und sein Blick haftete am Boden — „noch eins: ich muß das, was meine Frau heute geschrieben hat, noch heute in Händen bekommen. Sic werden erfahren, wo sie es verbirgt und eö ihr — sei cs im Guten oder im Bösen — abnehmen. Nicht wahr, Sic werden mir treu dienen?" „Sicherlich!" — Dies einfache Wort, so fest und trcn gesprochen, wog einen Eid ans. O'Reill klopfte, gleich daraus öffnete die Dienerin und sie ginge» alle drei in da« Schlafziinmer-Gefängniß. Die schöne Goldfee hatte ihren Namen nie mehr verdient, als an diesem Abend. Ein weißes gesticktes Nachtkleid, welches bis auf den Boden schleifte, deckte ihre schlanke Gestalt und hob sich ätherisch von der üppigen Büste mit ticfschwarzen Schleifen ab. Ihr goldenes Haar, welches die Dienerin soeben für die Nacht ordnen wollte, wallte in seidenem Glanz um sie; für eine trauernde Tochter und verzweifelte Gattin sah sie merkwürdig ruhig und resignirt aus. Nur als Herr O'Reill dicht an sie herantrat, wich sie zornigen Blickes zurück, er flüsterte ihr zu: „Ich habe Ihnen eine Wärterin besorgt, ein Weib wie zwei Männer stark und mir ergeben wie eine Sklavin; was Sie ihr auch erzählen mögen, um sie zu bestechen, eS ist vergebene Liebesmühe — die Riesin kennt nur mein Gebot und ist bereit, Sic bcim ge- ringstcn Fluchtversuch zu Boden zu schlagen — das merken Sic sich!" Sic würdigte ihn auch jetzt keiner Antwort, doch streifte ihr Blick ängstlich die ungeschlachten Konturen der Wärterin. Da sie unter den Hellen Gasflammen stand und das Mädchen im tiefen Schatten der Portieren, so unterschied sic keine Züge. O'Reill zog sich mit der Dienerin zurück und ließ Etty mit ihrer Patientin allein. — „Anfgepaßt!" flüsterte er ihr im HinauSgehen zu, „auf dem Posten — die Papiere!" Nun waren die Beiden allein, die Thüre schloß diesmal O'Reill von draußen ab. Mit einer gewissen Angst gewahrte die schöne Frau, wie die Riesin all mählich näher kam, die dunklen Augen fest auf sie gerichtet. Schritt für Schritt kam Etty so an sie heran, Adah zitterte an allen Gliedern und schloß die Augen in instinktiver Furcht — sie wankte und wäre gefallen, wenn das starke Mädchen sie nicht aufgefangen hätte. Und dann trug Etty sie mit sanften Händen auf das Ruhebett, legte sie dort nieder, wie ein Kind die geliebte Puppe, und indem sie die goldenen Haarwellen an ihre weinenden Augen und frischen Lippen führte, kniete sie nieder und rief in Schmerz und Freude: „Adah, Adah!" VI. Doktor Sidney war in einer tiefverzweifelten Stimmung — der Schein war gegen ihn! In Allein — den Mann, den er angebctct hatte, sollte er ge ¬ mordet haben! Er preßte seinen schmerzenden Kopf in die Hände cs war um wahnsinnig zu werden. Eine konnte ihn retten und er zweifelte nicht, daß sie ihn retten würde, selbst auf die Gefahr ihrer Frauenwürdc und Gattenchre hin. Aber wenn sic nicht sprach, er müßte schweigen, nur freiwillig durste sie das Opfer bringen, welches sie dann von der Gemeinschaft mit der Welt auSsticß. Aber was würden sie Beide nach der Welt fragen, wenn sie sich besaßen und des geliebten Verstorbenen Segen dazu. ES wurde Licht in der Finsterniß seines Kerkers, denn AdahS geliebte Gestalt war bei ihm — alle Szenen von Anbeginn durchlebte er noch einmal in dieser Einsamkeit nnd sic retteten ihn vor Verzweiflung. Da spielten sie zusammen im Phönix-Park, diesem Prachtbcsitz der Stadt. In seinem Schutz machte die junge Cousine ihre Promenaden, und die Leute sahen ihnen nach und machten laute Bemerkungen über die reizenden Kinder. Sie hatten ein Ponysuhrwerk, welches Avah selbst kntschirte — sie hatten ein Doppel dreirad für größere Ausflüge an den lieblichen Ufern de« Liffey — all' ihr Thun und Denken war doppel seitig. Eins bezog Alles auf das andere. — Papa Percy, der gute, gute Papa nannte sic die geistigen siamesischen Zwillinge. Trotz der überwältigenden Arbeit als Rechts anwalt und Grubenbesitzer behielt Papa Percy so viel Zeit, um sich eingehend mit seinen beiden Kindern zu beschäftigen. — Sivney zählte fünf Jahre mehr als Adah, da Mädchen aber schneller reisen, waren sie immer aus gleicher Stufe des Denkens und Em pfinden«. Allmählich aber schlich sich ein Gespenst in diesen auf Trümmern des Familienglücks ncu- crstandenen Z nibcrkreiS, und dies vampyrartigc Ge spenst sog das warme Blut aus den Adern und weckte die schlummernde Furcht — es hieß: Politik. Erst war es ein Abend in der Woche, wo cs hieß: „Erwartet mich nicht, Kinder, ich muß in den Club", — dann wurden eS zwei, dann drei Abende, envlich blieb der Familie nur der Sonntag, sonst verschlang der Club die schönen Abendstunden, die jeven Tag des Fleißes und des Strebens krönten. Mit einem halben Dutzend Mitglieder hatte dieser Club begonnen, allmählich waren eS fünfzig geworden, die unter dem Mantel harmloser gesellschaftlicher Ver gnügungen schwere staatSgefährliche Pläne brüteten. Staatsgefährlich insofern, als sie vor der Zeit ent hüllt, leicht in minder gebildeten Köpfen revolutionäre Thaten erzeugen konnten. Der Traum aller irischen Patrioten, ein unabhängiges Parlament, eine Heim- Regierung in Irland, wurde hier geträumt, und mehr als das, fünfzig bedeutende Männer waren bereit, ihn zu verwirklichen, „wenn eS an der Zeit war", noch aber war es nicht an der Zeit, so erklärte Herr Percy seinem Neffen, als er ihn in sein Geheimnis; cinweihte. Inzwischen reiften die Kinder heran. Adah wurde eine berühmte Schönheit, seitdem sie ihr Debüt ans einem der eleganten Landgrafschafts - Bälle machte. Im Hause selbst herrschte reger Verkehr seit dieser Zeit. „Ihr sollt Euer junges Leben genießen, meine Kinder", befahl der gütige Vater, dem zn gehorchen eine Lust war. Doch diesmal war die Vakergüte nur ein Motiv zu dem Zufluß gesellschaftlicher Ele mente, ein gravircnderes veranlaßte der Umstand, daß inan bereits von oben herab auf de» Club aufmerk sam geworden war, infolgedessen halbirte man die Versammlungen, die sich nun, ohne aufzufallen, in dein gesellschaftlichen Trubel de« reichen Advokaten hauses verloren — der Club schien so gut wie auf gelöst. Man wußte, daß spionirt wurde — die Diener waren nicht mehr sicher 7— so kam man denn noch einmal in der Woche ostensibel zusammen, doch war eS streng verboten, eine Silbe politischen Inhalts zn erwähnen — eine harmlose Kneipgesellschaft, die sich die Zeit niit Wein, Karten- und Billardspiel vertrieb: das war der verdächtige Percy-Club. Eines Tages machte der neu installirtc Chef der Polizei seinem Nachbarn und berühmten Advokaten Percy einen Besuch. Er hatte zu den Tänzern der jungen Schönheit an ihrem Debüt-Abend gehört und sich sterblich in sie verliebt. Ob dies auch der Fall gewesen, wenn sic ein arineS Mädchen gewesen wäre, iit fraglich: O'Reill, der Sohn eines verarmten Evelmannes, war ehrgeizig und genußsüchtig, zwei Eigenschaften, die einen großen Kassenbestand fordern. Aber wenn er auch arm war, so gehörte er doch zu Denen, die eS nicht ewig bleiben. Schon, daß er als Irländer gut englisch gesinnt war, war eine rcntircnde Klugheit — man protegirtc ihn und setzte ihn mit jungen Jahren in eine hohe Stellung ein, die andere erst mit grauen Haaren erringen. Zufälligerweise war es derselbe Morgen, wo Sidney die Universität Dublin mit Oxford ver tauschte, (ein berühmter Lehrmeister zog ihn dort hin) — cs war eine abgemachte Sache, daß er nach einem Jahre bei seiner Rückkcbr als Partner in des Onkels Bureau eintretcn nnd der Gatte AdahS werden würde. Sidney war nicht hübsch, aber eine jener ange nehmen Erscheinungen, die immer, schon durch ihre stille Gegenwart liebsam wirken. Von mittelgroßer, schlanker Gestalt und mit sinnigen Augen, machte er noch einen jünglinghaften Eindruck, den seine mädchen haft weichen Haare verstärkten. Er gehörte zu den Menschen, wenn man fragt, wie die Farbe ihres Haares, ihrer Augen ist, so lautet die Antwort: „Das weiß ich nicht, aber er hat schöne Augen, er hat hübsches Haar", man sicht sic sich nie in Details an, doch das Ganze nimmt man als angenehmes Gesannntbild in sich auf. DaS that auch O'Reill an jenem Morgen, wo er im Hause Percy seinen ersten Besuch machte. „Verzeihen Sie", bat artig Herr Percy, „ich ließ Sie ein wenig antichambriren. Aber dieser, mein lieber Sohn, hat mir eben für ein ganzes Jahr Lebewohl gesagt — das ist nicht so schnell abgegangen." Er drückte dem Neffen noch einmal warm die Hand, dann verbeugte Sidney sich vor den; Besucher, und die Thür schloß sich hinter ihm. „Ich wußte gar nicht, daß Sie außer Ihrer Tochter noch einen Sohn haben", sagte mit gemischten Gefühlen O'Reill hinter Sidney her. „Der Verwandtschaft nach ist er auch nur mein Neffe, aber da ich ihn einerseits erzogen habe und er außerdem auch der Verlobte meiner Tochter ist, habe ich wohl das Recht, ihn meinen lieben Sohn zu nennen, nicht wahr?" fragte Herr Percy, seiner Freude Ausdruck verleihend. Dieses Lächeln und dieser Ton war ein Schlag, der O'NeillS Hoffnungen