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Leilage m Rr. 105 des „Amts- und Aiyeigeblattes." Eibenstolk, den 6. September 1892. Verordnung, Maßregel« gegen die Cholera betreffend. Im ReichSamte des Innern sind neuerdings Maßnahmen gegen die Einschleppung und Verbreitung der Cholera berathen und festgestellt worden. Dieselben entsprechen zwar im Wesentlichen den Bestimmungen der an die Kreishauptmannschaften erlassenen Verordnung des Ministeriums des Innern vom 16. Juli 1884, sowie den bereits im Jahre 1879 zwischen den Deutschen Regierungen getroffenen Vereinbarungen, enthalten aber doch nach gewissen Richt ungen hin, entsprechend dem gegenwärtigen Standpunkte der Wissenschaft und Erfahrung, mehrfache Abänderungen und Erweiterungen und werden deshalb im Interesse eines einheitlichen Verfahrens hiermit sännntlichen Verwaltungs-Behörden bekannt gegeben: A. Ällgtmcine Maßnahmen seitens der Behörden. 1. Die Polizeibehörden (in Städten mit revidirter Städte- ordnung die Stadträlhe, in mittleren und kleinen Städten die Bürgermeister, sowie in den Ortschaften des platten Landes die Gemeindevorstände und Gulsvorsteher) müssen von jedem Erkrankung«- oder Todesfall an Cholera oder choleraverdächtigen Krankheiten (insbesondere von Brech durchfall) sofort in Kenntniß gesetzt werden, und zwar na» Mahgabe der Bestimmungen der Verordnung des Mini steriums des Innern vom 18. Juli 1884 an fämmtliche Kreishauptmannschaften. Ausgenommen bleiben Brech durchfälle von Kindern unter 2 Jahren. Namentlich sind auch die Führer der Flußsahrzeuge zur Anzeige der auf diesen vorkommenden Fälle bei der Behörde des der Er krankungsstelle zunächst gelegenen Ortes verpflichtet. Aus Grund der eingegangenen Anmeldungen, zu welchen das Formular Anlage I zu verwenden ist, haben die Orts polizeibehörden Listen nach anliegendem Muster (Anlage II) fortlaufend zu sichren. Die Bezirksärzte haben allwöchentlich unter Benutzung des Formulars Anlage III derart an das Ministerium des Innern unmittelbar Bericht zu erstatten, daß derselbe regel mäßig jeden Sonntag Vormittag hier zur Vorlage gelangen kann. Auch ist es nothwendig, daß fortlaufende Nachrichten über den Stand der Epidemie, womöglich täglich, in ge eigneter Weise zur öffentlichen Kenntniß gebracht werden. 2. Die zuständigen Behörden haben ihr besonderes Augenmerk darauf zu richten, ob etwa "Messen, Märkte und andere Veranstaltungen, welche ein ähnliches gefährliches Zu sammenströmen von Menschen zur Folge baden, an oder in der Nähe solcher Orte zu verhindern sind, in welchen die Cholera ausgebrochen ist. 3. Schulkinder, welche außerhalb des Schulortcs wohnen, dürfen, so lange in dem Letzteren die Cholera herrscht, die Schule nicht besuchen; desgleichen müssen Schulkinder, in deren Wohnort die Cholera herrscht, vom Besuch der Schule in einem noch cholerasreien Orte ausgeschlossen werden. An Orten, wo die Cholera heftig austritt, sind die Schulen zu schließen. Gleichartige Bestimmungen müssen auch hinsichtlich des Besuchs des Konfirmandenunterrichls erlassen werden. 4. Hinsichtlich des Eisenbahnverkehrs wird die erforderliche Anweisung durch das Finanzministerium ergehen. An besonders bedrohten Orten (z. B. an der Grenze gegen verseuchtes Ausland) und bei Transporten, welche ihrer Beschaffenheit oder Herkunst nach (Auswanderer- Transporte, Transporte aus verseuchten Orten) besonders verdächtig sind, hat eingehende ärztliche Besichtigung der Reisenden und ihres Gepäcks, eventuell auch Desinfection des letzteren einzutreten. 5. Die Polizeibehörde eines Ortes hat je nach den Uniständen auf solche Personen ein besonderes Augeninerk zu richten, welche dort sich aushalte», nachdem sie kurz zuvor in von der Cholera heimgesuchten Orten gewesen waren. Es em pfiehlt sich, die von solchen Orten mitgedrachten Gebrauchs gegenstände (namentlich gebrauchte Wäsche und Kleidungs stücke) zu desinficiren und die Zugereisten selbst einer, der Jnkubalionsdauer der Cholera entsprechend bemessenen, ärztlichen Beobachtung zu unterstellen; jedoch in schonen der Form und so, daß Belästigungen der Personen thun- lichst vermieden werden. 6. Auf die Bevölkerung solcher Flußfahrzeuge, welche zum Frachttransport dienen, sowie aus die Personen, welche Holzstöße transportiren, ist besonders Acht zu geben. So- sern sie aus einem Choleragebiete kommen oder auf der Reise sich einem solchen Gebiete genähert haben, sind sie Dresden, am 2. September 1892. Anlage I. Zählkarte. Ort der Erkrankung: Wohnung: (Straße, Hausnummer, Stockwerk) .... des Erkrankten Familienname: . . Geschlecht: männlich, weiblich. (Zutreffendes ist zu unter streichen.) Alter: Stand oder Gewerbe: Stelle der Beschäftigung: Tag der Erkrankung: Tag des Tode«: Bemerkungen (insbesondere auch ob, wann und woher zugereist) an den Anlegestellen ärztlicher Besichtigung zu unterwerfen und je nach deren Ergcbniß weiter zu behandeln. (Unter bringung etwaiger Kranken, Desinfektion der Effekten re.) 7 Im klebrigen ist eine Beschränkung des Verkehrs mit Post- (Bries- und Packet-) sendungen sowie des Gepäck- und Güterverkehrs nicht anzurathen. 8. Für Bereitstellung von Krankenräumen (Baracken oder dergl.) in ausreichendem Maße ist bei Zeiten zu sorgen. Im Bedarfsfälle von Krankenzelten ist wegen Beschaffung derselben Anzeige anher zu erstatten. Es ist erwünscht, daß namentlich vermögenslose und schlecht untergebrachte Kranke in tbunlichst umfassender Weise in Krankenhäusern untergebracht u. verpflegt werden. 9. Für den Transport der Kranken sind dem öffentlichen Ver kehr dienende Fuhrwerke (Droschken und dergl.) nicht zu benützen. Hat eine solche Benutzung trotzdem stattgefunden, so ist das Gefährt zu desinficiren. 10. Leichen der an Cholera Gestorbenen sind thunlichst bald aus der Behausung zu entfernen. Im klebrigen ist den Bestimmungen über das stille Begräbniß in 8 8 der Ver ordnung vom 20. Juli 1880, bez. I bis 3 der Verordnung vom 22. Mai 1882 nachzugehen. Die Beerdigung der Cholera-Leichen ist unter Abkürz ung der für gewöhnliche Zeiten vorgeschriebenen Frist thunlichst zu beschleunigen. Die Beförderung von Leichen solcher Personen, welche an der Cholera gestorben sind, nach einem anderen, als dem ordnungsmäßigen Beerdigungsorte ist verboten. 11. In den von Cholera ergriffenen oder bedrohten Ortschaften ist der Verkehr mit Nahrungs- und Genußmitteln sowohl betreffs der Beschaffenheit der Maaren als auch der Ver kaufsstellen aufs Sorgfältigste zu beaufsichtigen. Es kann nöthig werden, Verkaufsräume wegen Gefahr der Verbreitung der Krankheit zu schließen. 12. Für reines Trink- und Gebrauchswasser ist bei Zeiten Sorge zu tragen; als solches ist das Wasser, welches mittels gewöhnlicher Brunnen aus dem Untergrund des Cholera ortes geschöpft wird, in der Regel nicht anzusehen und nicht zu benutzen, wenn vorwurfsfreies Leitungswasser zur Verfügung steht. Zu empfehlen sind eiserne Röhrenbrunnen, welche direkt in den Erdboden und in nicht zu geringe Tiefe getrieben sind (abessinische Brunnen). Brunnen mit gesundheitsgesährlichem Wasser sind zu schließen. Jede Verunreinigung der Entnahmestcllen von Wasser zum Trink- oder Hausgebrauch und ihrer nächsten Umgebung, insbesondere durch Haushaltsabfälle ist zu ver hindern. Das Spülen von Gefäßen und Wäsche, welche mit Cholerakranken in Berührung gekommen sind, an den Wasserentnahmestellen oder in deren Nähe ist strengstens zu untersagen. 13. Für rasche Abführung der Schmutzwässer aus der Nähe der Häuser ist Sorge zu tragen und deren Einleitung in etwa vorhandene Senkgruben am Hause zu vermeiden. In öffentliche Wasserläufe oder sonstige Gewässer dürfen, soweit thunlich, Schmutzwässer nur eingeleitet werden, nach dem Desinfektionsmittel (Anlage IV) in genügender Menge zugesetzt worden sind u. ausreichend lange eingewirkt haben. 14. Vorhandene Abtrittgruben sind, so lange die Epidemie noch nicht am Orte ausgebrochen ist, zu entleeren; während der Herrschaft der Epidemie dagegen ist die Räumung, wenn thunlich, zu unterlassen. Eine Desinfektion von Abtritten und Pissoirs ist der Regel nach nur an den dem öffentlichen Verkehr zugäng lichen, nach Lage oder Art des Verkehrs besonders gesähr- lichen Anlagen dieser Art (Eisenbahn-Stationen, Gasthäusern und dergleichen) erforderlich. Aus peinliche Sauberkeit ist in allen derartigen öffentlichen Anlagen zu halten. 15. Die Desinfektionen sind nach Maßgabe der anliegenden Ministerium des Innern. v. Metzsch. Anlage III. Wöchentlich dem Ministerium des Innern einzusenden. Aachweifung über den Stand der Cholera in am . . ten 1892. N Einwohnerzahl (letzte Boltszähl- ! ung). L ü «L Bestand bei der letzten Anzeige vom ten St Z 4 L 8 8 A In d« bis K L r Z-U - D L ... 2. « gestorben 2, 3 -S- . Bestand geblieben U ' i. 2. 3. 4. 5. 8. 7. 8. 9. 10. 11. Anlage IV. Anweisung zur Ausführung der Lesinftrtisn dn Cholera. I. Als Desinfektionsmittel werden empfohlen: 1. Kalkmilch. Zur Herstellung derselben wird I I zerkleinerter reiner gebrannter Kalk, sogenannter Fettkalk, mit 4 I Wasser gemischt und zwar in folgender Weise: ES wird von dem Wasser etwa '/« I in das zum Mischen bestimmte Gesäß gegossen und dann der Kalk hineingelegt. Nachdem der Kalk das Wasser aufgesogen hat und dabei zu Pulver zerfallen ist, wird er mit dem übrigen Wasser zu Kalk milch verrührt. Dieselbe ist, wenn sie nicht bald Verwendung findet, in einem gut geschlossenen Gesäße aufzudewahren und vor dem Gebrauch umzuschittieln. Anweisung (Anlage IV) zu bewirken. In größeren Städten ist auf die Einrichtung öffentlicher Desinfektions-Anstalten, in welchen die Anwendung heißen Wasserdampfs als Des infektionsmittel erfolgen kann, hinzuwirke». IK. Im Uebrigen wird aus die in Anlage V enthaltene Be lehrung über das Wesen der Cholera und über das wäyrend der Cholerazeit zu beobachtende Verhalten besonders hin gewiesen. L. Maßnahmen, welche an -en einzelnen von Cholera bedrohten oder ergriffenen Arten zu treffen find. Wo nicht bereits dauernd Gesundheits-Kommissionen be stehen oder sür den Fall drohender Choleragefahr vorgesehen sind, sind solche einzurichten. Schon vor Ausbruch der Epidemie sind die Zustände des Ortes in Bezug auf die in Abschnitt L II bis 14 erwähnten Punkte einer genauen Untersuchung zu unterziehen und ist aus Beseitigung der Vorgefundenen Mißstände unter besonderer Be rücksichtigung der früher vorzugsweise von Cholera betroffenen Oertlichkeiten, hinzuwirken, sowie das sonst Erforderliche in die Wege zu leiten. Sobald der Ort von Cholera ergriffen wird, sind: 1. Die Cholerakranken, namentlich solche, welche sich in un günstigen häuslichen Verhältnissen befinden, wenn möglich nach einer Krankenanstalt überzusühren; in den Wohnungen verbleibende Kranke sind zu isoliren. Unter Umständen kann es sich empfehlen, den Kranken in der Wohnung zu belassen und die Gesunden aus derselben sortzuschaffen. Eine derartige Evakuation kann nothwendig werden betreffs derjenigen Häuser, welche früher von der Cholera gelitten und ungünstige sanitäre Umstände (Uebersüllung, Unrein lichkeit und dergleichen) aufzuweisen haben. Zur Unter bringung der Evakuirten eignen sich am besten Gebäude aus frei und höher gelegenen Orten und namentlich an solchen Steilem welche in früheren Epidemien von der Seuche verschont geblieben sind. 2. Besonders wichtig ist es. bei den ersten Fällen in einem Orte eingehende und umsichtige Nachforschungen anzuftellen, wo und wie sich die Kranken insicirt haben, um gegen diesen Punkt die Maßregeln in erster Linie zu richten. 3. Die Gesundheits-Kommissionen haben sich beständig durch fortgesetzte Besuche in allen einzelnen Häusern der Ortschast über den Gesundheitszustand der Bewohner in Kenntniß zu erhalten, den sanitären Zuständen derselben (Reinlich keit des Hauses im Allgemeinen, Beseitigung der Haus haltungs - Abfälle und Schmutzwässer, Abtritte u. s. w.) ihre besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden und aus die Abstellung von Mißständen hinzuwirken, namentlich auch gefährlich erscheinende Brunnen schließen zu lassen. 4. In Häusern, wo Cholerasälle Vorkommen, hat die Kom mission die erforderlichen Anordnungen wegen Desinfektion der Abgänge, sowie der Umgebung des Kranken oder Ge storbenen zu treffen und die Ausführung zu überwachen. Ganz besondere Aufmerksamkeit ist der Desinfektion der Betten und der Leibwäsche des Kranken oder Gestorbenen zu widmen. 5. Alle Personen, welche vermöge ihrer Beschäftigung mit Cholerakranken, deren Effekten oder Entleerungen in Be rührung kommen (Krankenwärter, Desinfektoren, Wäscher innen u. s. w.) sind auf die Befolgung der Desinfektions vorschriften (Anlage IV) besonders hinzuweisen. 6. Sollte sich Mangel an ärztlicher Hülfe, Arznei- oder Des infektionsmitteln fühlbar machen oder zu befürchten sein, so ist bei Zeiten für Abhülfe zu sorgen. Zuwiderhandlungen gegen die voranstehende Verordnung werden, insoweit nicht höhere Strafen nach Maßgabe-des Reichsstrasgesetzbuchs angezeigt erscheinen, mit Geldstrafe bis zu ISO Mark oder mit Haft geahndet. 2. Chlorkalk. Der Chlorkalk hat nur dann eine au-reichende desinfici- rende Wirkung, wenn er frisch bereitet und in wohlverschlossc- nen Gesäßen ausbcwahrt ist. Die gute Beschaffenheit deS Chlorkalks ist an dem starken, dem Chlorkalk eigenthümlichen Geruch zu erkennen. Er wird entweder unvermischt in Pulverform ge braucht oder in Lösung. Letztere wird dadurch erhalten, daß 2 Theile Chlorkalk mit 100 Theilen kalten Wassers gemischt und nach dem Absetzen der gelösten Theile die klare Lösung abgegossen wird. 3. Lösung von Kaliseise (sog. Schmierseife oder grüner oder schwarzer Seife). 3 Theile Seife werden in 100 Theilen heißen Wassers gelöst (z. B. kß Seife in 17 Liter Wasser). 4. Lösung von Karbolsäure. Die roh« Karbolsäure löst sich nur unvollkommen aus und ist deswegen ungeeignet. Zur Verwendung kommt die sog. „lOOProz. Karbolsäure" des Handels, welche sich in Seifenwaffer vollständig löst. Man bereitet sich die unter Nr. 3 beschriebene Lösung von Kalis eise. In 20 Theile dieser noch heißen Lösung wird I Theil Karbolsäure unter fortwährendem Umrühren gegossen. Diese Lösung ist lange Zeit haltbar und wirkt schneller desinficirend als einfache Lösung von Kaliseife. Soll reine Karbolsäure (einnial oder wiederholt destillirte) verwendet werden, welche erheblich theurer, aber nicht wirk, samer ist, als die sog. „lOOProz. Karbolsäure", so ist zur Lösung das Seifenwasser nicht nöthig; es genügt dann einsacheS Wasser. S. Dampfapparat«. Geeignet sind sowohl solche Apparate, welche für strömen den Wafferdampf bei 100° 0 eingerichtet sind, als auch solche, in welchen der Dampf unter Ueberdruck (nicht unter At mosphäre) zur Verwendung kommt. 6. Siedehitze. Die zu deSinfizirenden Gegenstände werden mindestens eine halbe Stunde lang mit Wasser gekocht. Das Wasser muß während dieser Zeit beständig im Sieden gehalten werden und die Gegenstände vollkommen bedecken. Unter den aufgeführten DeSinfectionSmitteln ist die Wahl nach Lage der Umstände zu treffen. Insbesondere wird, wenn es an der unter 4. vorgesehenen lOOproz. Karbolsäure mang, ein sollt«, auf di« unter I bi« 3 angegebenen Mittel zurück,