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»Auf meinen Schreckensruf gab mein Bruder nur schnell die Versicherung, daß er von meiner Weiger» ung überzeugt gewesen, und deshalb jenem Manne sogleich die Unerfüllbarkeit seines Verlangen- vorge halten habe. In demselben Athemzuge fügle er aber auch hinzu, daß jener Retter mich aufrichtig liebe und mir ein glänzendes Loos zu bieten vermöge. Auch habe er ja selbst gesehen, daß ich demselben nickt unfreundlich begegnet sei. „Auch ohne diesen näheren Hinweis hätte ich längst gewußt, daß sich unter dem rettenden Freund nur der Graf RavaiS verbergen konnte. Dieser letzte, berechnende Koup, mich zu erringen, lag ganz in dem Charakter dieses unheimlichen Mannes. Mein ganzes Innere empörte sich bei dem Gedanken, ihm verkauft zu werden, und auch die VerzweiflungSauSbrüche meines Bruders hatten einen Augenblick lang ihre Gewalt über mich verloren. Als ich jedoch den feierlichen Schwur von ihm vernahm, daß er sich tödten würde, wenn man im Laufe des folgenden TageS jene Summe in seiner Kasse vermißte — be schlich mich ein Gefühl, als ob sich ein unabänder liches Geschick an mir erfülle. „Welche Nacht verbrachte ich, als mein Bruder wieder fortgeeilt war! Er hatte mir das feierliche Versprechen gegeben, in der Frühe des nächsten TageS zu mir zu kommen, um meine Antwort auf seine Mittheilung entgegenzunehmen. Wie diese Antwort lautete, war ja vorauszusehen! — Sollte ich mit meines Bruders Tod zugleich auch den meiner Mutter auf meine Seele laden? — Es mußte also so kommen — wie es kam! „Aber auch ich hatte meinen Schwur gethan, den ich innezuhalten nicht minder entschlossen war, wie mein Bruder den seinen. Ich war bereit, jenen Mann, der durch solch' feiges, schimpfliches Beginnen meine Hand zu erringen wußte, zu heirathen, ja — aber ich wollte nicht sein Weib werden — eher mich tödten! „Schon zwei Tage nach der Unterredung mit meinem Bruder mar meine Hochzeit angesetzt. Der Graf, der mein Jawort selbst in Empfang zu nehmen kam, war zwar ob meines eisigen Empfanges sehr erstaunt, doch schien er in seinem Innern den Glauben zu hegen, daß es ihm mit der Zeit durch seine un ermüdlich zur Schau getragenen Liebesbcweise dennoch gelingen müßte, mein Herz für sich zu gewinnen. Selbst mein klar und unumwunden ausgesprochenes Geständniß, daß ich, nur um meinen Bruder zu retten, seinen Namen zu tragen entschlossen sei, ihm aber jedes weitere Recht über mich verweigern würde, nahm er ruhig und dankbar lächelnd auf, indem er versicherte, daß er keinen Zwang auf mich ausüben würde und zufrieden über jedes Lächeln sei, daß ich ihm freiwillig gewähre. X. „Die Hochzeit wurde in einem kleinen Dorfe, einige Werst von Petersburg entfernt, vollzogen. Der Graf, der darauf gedrungen hatte, daß unsere Ver bindung in der kürzesten Zeit bewerkstelligt würde, hatte mit Hilfe seines Dieners einen Pfarrer aus findig gemacht, der unsere Trauung vollzog, ohne sich an die ihm vorgeschriebenen weitläufigen Formalitäten zu halten, die es ihm unmöglich gemacht haben würden, ohne vorherige Aufbietung des Paares die Einsegnung desselben vorzunehmen. Außer meinem Bruder waren nur noch ein Freund des Grafen und der Diener meines Gemahls bei unserer Trauung zugegen. „Nach einer kurzen Rast auf dem Gute jenes Trauzeugen, eines ehemaligen russischen Offiziers, der in Petersburg als notorischer Spieler bekannt war, reisten wir noch an demselben Tage wieder nach Petersburg zurück. Dort fand mein Bruder schon «ine Depesche vor, die ihn veranlaßte, noch in der kommenden Nacht abzureisen, um sich nach Paris zu seinem Regiment zu begeben. Der Krieg zwischen Frankreich und Deutschland stand dicht vor der Thür. „Ich blieb allein in der Gesellschaft jenes Mannes zurück, dessen Anblick schon Abscheu in mir hervorrief. — Ich wußte es zu erreichen, daß ich sogleich wieder meine Zimmer im Palast des Fürsten bezog. Mein Gemahl schien sich nur ungern dieser von mir ge troffenen Anordnung zu fügen. „Indessen wurden die Kriegsnachrichten immer bedrohlicher. Der Graf, um die für ihn unerquick liche Situation, die ihm den Verkehr mit mir nur in Gegenwart dritter Personen gestattete, zu beendigen, beschloß, nach Frankreich zurückzukehren. Sein Diener, der Soldat war — war schon mit meinem Bruder zugleich fortgereist. Ich erhielt die Weisung, mich zur Abreise zu rüste». Keine Nachricht konnte mir erwünschter kommen; ich sollte aus diesem fernen Lande zur Heimath zurückkehren. Sogleich erklärte ich mich mit dem Entschluß des Grafen einverstanden. Hatte sich doch die Hoffnung in mir eingenistet, daß, wenn ich erst auf Frankreichs Boden angelangt, es mir leicht gelingen würde, dem Grasen zu entfliehen und in den Schutz meiner Mutter zurückzukehren. Zudem brauchte ich mir keine Vorwürfe zu machen, den Grasen durch meine Flucht um seinen Kaufprei« zu bringen. Dieser war ihm durch meinen Bruder, dem bei seiner Rückkehr nach Frankreich unvermuthet ein« Erbschaft zufiel, telegraphisch zurückerstattet worden. (Fortsetzung folgt.) Vermischte Nachrichten. — Aken a. d. Elbe. Bor einigen Tagen erschoß sich hier der Arbeiter Käse mit einem — Pfeifen kopfe. Er hatte den Pfeifenkopf mit Pulver gefüllt, in den Mund gesteckt, und dann angezündet. Die Wirkung war so furchtbar, daß dem Unglücklichen der Kopf völlig zerrissen wurde. — Auch eine Sprach reinig ung. Bei den Berliner Vorort-Bahnen ist die Bezeichnung „Coupü" amtlich abgeschafft und dafür da« Wort „Wagenab- theil" vorgeschriebcn worden. Ueber diese geschmack volle Neuerung spotten nun die „Lustigen Blätter" wie folgt. Der Ersatz de« Wortes „Abtheilung" durch „Abtheil", mit anderen Worten der Weglaß der End silbe „ung" auf jenem Bekanntmach hat in Sprach kennerkreisen einen großen Entrüst hervorgerufen. Man sieht nickt recht ein, was mit diesem Abkürz bezweckt werden soll. Außerdem liegt der Muthmaß vor, daß der Ueberfüll der Wagen trotz des amtlichen Verfügs häufig genug stattfindet. Wir selbst haben, als wir zu unserem Erhol einen Ausflug machten, den Ent deck gemacht, daß der amtliche Bekanntmach für die Praxis noch nicht den richtigen Bedeut gefunden hat. In dem Wagenabtheil befanden sich ohne Uebertreilr fünfzehn Personen, welche sich mit Nichtacht der be stehenden Vorschriften hineingedrängt hatten. Im Eisenbahnbetriebe kommt es eben weniger auf den Verfüg, als auf den Durchführ des Verfügs an. Sollte die Bahnbehörde mit nachdrücklichem Beton ihrer Ab sichten dem Reglement vollen Gelt zu verschaffen suchen, so wird eS an dem Mitwirk des Publikums nicht fehlen. Andernfalls könnte sich leicht einmal ein un liebsamer Betriebsstör einstellen. Möge dieser Mahn bei der Behörde den richtigen Beherz finden. — Ein „anständiger" Finder! Vor etwa 8 Tagen verlor ein Fabrikant in Neuendorf bei Pots dam, gelegentlich einer Fahrt nach Berlin, sein Porte monnaie, in welch' letzterem sich eine nicht unbedeutende Summe Geldes, mehrere Schlüssel, Stadtbahnfahr karten und eine Marke der Firma K. und M. befanden. Da der Fabrikant vermuthete, daß ein unehrlicher Finder bei der Firma K. und M. die Färbemarke präsentiren und daraufhin einen Anzug, welchen er zum Maschen nach jener Fabrik gegeben, abholen würde, so eilte er nach einigen Tagen in das Haupt kontor der Färberei, um die Marke für ungiltig er klären zu lassen. Zu seinem Erstaunen wurden ihm aber hier die verlorenen Schlüssel, die Marke, Billet, kurz alles, was in dem Portemonnaie gewesen —* bis auf das baare Geld überreicht mit einem Briefe, der Tags vorher bei K. und M. eingetroffen. DaS merkwürdige Schreiben lautet wörtlick wie folgt: „Herren K. und M. Hier. Als stellenloser Kaufmann hatte ich das Glück, ein Portemonnaie mit Inhalt zu finden; den Inhalt, worunter sich eine Marke von Ihnen befand, sende retour und bitte dem Verlierer des Portemonnaies Einliegendes zu übermitteln, dessen Namen Sie jawohl gewiß gebucht haben. Den Be trag in Baar habe ich behalten, sage hiermit dem Verlierer, welcher ihn gewiß missen kann, meinen Dank. Achtungsvoll! Ein anständiger Finder." — In der Stadt Herne in Westfalen ließ sich ein Bürger ein Haus bauen. Der Bau ging in die Höhe; jedoch während der ganzen Zeit sagten sich Bauherr und Bauunternehmer: „An dem Dinge ist etwas nicht richtig; was mag es nur sein!" Man kam aber nicht dahinter. Endlich wurde der grüne Zweig aufgesetzt, das Dach schließlich gedeckt und so mit war alles in Ordnung. Aber nun auf einmal großes Staunen! Man hatte die Schornsteine ver gessen! Da man nun zum mindesten im Winter Heizen muß — wenn man auch im Sommer das Essen auf einem Petroleumapparat kochen kann, so wird man wohl dazu übergehen müssen, die Kamine von unten an nachzumauern. — So geschehen in Herne im Monat Juli 1892. — Durchgehende Wagen nach London. Man schreibt der „Voss. Ztg." aus London, 27. Juli: „Die Vorarbeiten für die Herstellung einer Eisen bahnbrücke zwischen England und demKon- tinent find beendet. Die „Oimnuei Lriclße »ncl kaiUvr^ Ooinpnn)", welche vor acht Jahren begrün det wurde, um zunächst die technischen Schwierigkeiten zu lösen, sodann den Bau der Brücke und den Be trieb einer Eisenbahn nach dem europäischen Festland zu übernehmen, Hal den ersten Theil ihrer Aufgabe erledigt. Erneut vorgenommene Messungen haben ergeben, daß eine kürzere Linie ausgesührt werden kann, als anfangs angenommen wurde, wodurch die ursprünglich auf 12 l festgesetzte Anzahl der im Meer zu errichtenden Brückenpfeiler auf 72 vermindert wird. Die Spannweiten der Brückenbogen sind auf je ab wechselnd 400 und 500 in berechnet worden; die Kon struktionen verbinden größtmögliche Einfachheit mit aller nach dem heutigen Stande der Technik denkbaren Sicherheit. Al« Bauzeit sind sieben Jahre vorgesehen, von welchen vier Jahre für die Fundamenlirung der Pfeiler beansprucht werden. Der Schifffahrt soll durch die Brücke und deren Bau kein Hinderniß be reitet werden. Da- für die Ausführung de« Projekte erforderliche Kapital einschließlich Verzinsung während der Bauzeit hat man auf 32 Millionen Pfund (640 Millionen Mark) berechnet. Sollte da« demnächst zur Regierung gelangende Kabinet Gladstone die Er- theilung der erforderlichen Konzessionen nickt zu lange hinausschieben, so würde man voraussichtlich noch vor Ablauf diese« Jahrhundert- im durchgehenden Eisenbahnwagen nach London gelangen können." — Eine galante Eisenbahndirektion. Seit einer Reihe von Monaten verabfolgt die Michigan- Zentralbahn Blumenspenden an reisende Damen bei Benutzung gewisser Züge seitens des schönen Geschlecht«. Gleichzeitig mit dem Sträußchen wirv eine hübsch ausgestattete Karte überreicht, die die Michigan-Zen tralbahn und die anschließenden östlichen Verbindungs strecken darstellt. Bisher wurden nur Feldblumen überreicht. Die Bahn baut jedoch zwei Gewächshäuser in NileS, um auch während veS Winters auf diese Weise den Damen eine Aufmerksamkeit in graziöser Form erweisen zu können. — Sein GeschäftSgeheimniß. Dieser Tage hatte sich ein anerkannter Meister des Stehlen» wegen Diebstahls von Taschenuhren vor einem Wiener Ge richte zu verantworten. Der Angeklagte zögerte keinen Augenblick mit dem Geständnisse; umsomehr war der Vorsitzende erstaunt, als der Bösewicht auf eine Frage lediglich mit Stillschweigen antwortete. Der Präsi dent wiederholte seine Frage: „Sagen Sie, wie haben Sie die Uhren, die fast alle mit einem Sicherheits ringe versehen waren, losgebracht?" Der Angeklagte zögert noch immer mit der Antwort. Endlich sagte er, kies erröthend, mit schüchterner Stimme: „Ent schuldigen Sie, Herr Präsident, da« ist mein Geheim- niß!" — Ein wachsendes Schwein soll, wenn von guter Zucht, täglich 1 Pfund an Gewicht zunehmen. Thut es das, so kann man sicher sein, daß es einen Profit über die Kosten des Fütterns und Haltens ab wirft, ohne daß man den Dünger in Betracht zu ziehen braucht. Thut es das nicht, so ist es nicht des Haltens werth. Fast alle Rassenschweine können mit Profit gefüttert werden, Halbblut sowohl, al« Vollblut. — Gewissenhaft. Richter: „Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie jedes Wort beschwören müssen. Sie dürfen also keine Thatsachen behaupten, die Ihnen etwa nur durch Hörensagen bekannt sind. Zuerst wollen wir mal Ihre Personalien feststellen. Wann sind Sie geboren?" — Zeuge: „Ja, Herr- Präsident, das kann ich nicht beschwören, das weiß ich wirklich nur vom Hörensagen!" — Im Vertrauen. Lieutnant (eine Verlob- ungSanzeige lesend): „Donnerwetter, gratulire, gratu- lire, Freisräulein von, zu und auf machen natürlich brillante Partie, Herr Kamerad?" — „Na, wissen Sie, Geschichte sieht auf dem Papier bedeutend besser aus, als in Wirklichkeit!" <Am i^önigssee. In Oberbayern liegt ein See, Den grenzen steile Felsenwände: Vergeblich schweift das Äug' zur Höh', Ob es der Berge Gipfel fände, Doch endlos dünken ihm die Firnen Der schneebedeckten Bergesstirnen! Und friedlich furcht des Aelplers Kahn Die smaragdgrüne stille Fläche, Nur sanft wölbt hier und dort die Bahn Ein Wasserfall der Gletscher Bäche Und tiefe Stille deckt die Fluthen Im milden Schein der Sonnengluthen. Traumhaft krönt ihn der Obersee, — Von Felsenmassen rings umschlossen Jst's, als sei ein unsagbar Weh Hin über seine Muth gegossen, — Als fühlt'st Du — auf geweihtem Boden — Die Nähe heißgeliebter Tobten. — Und wenn der Sonne Scheidestrahl, In Dunkel hüllt der Berge Matten, Wenn in das schöne, stille Thal Der Watzmann wirst die letzten Schatten: Durchdringt des Glöckleins Betzeitläuten Von Bartholmö die stillen Weiten. Da geht durch jedes Menschenherz, Durch die geheimsten Herzens-Falten, Ein leises Mahnen, himmelwärts. Es fühlt des Schöpfers heil'ges Walten Und betet, — schauernd vor der Stärke: — „Wie groß, mein Gott, sind Deine Werke!" Literarisches. Wenn in einer schöne» Form auch eine schöne Seele wohnt, dann hat die gütige Mutter Natur ein Meisterwerk vollbracht, welches allenthalben angestaunt und bewundert wird. Daß es auch unter den zahlreichen illustrirten Zeitschriften unserer Tage solche Meisterwerke giebt, das beweist wiederum auf s Reue in glänzender Weise das soeben erschienene erste Heft des neunten Jahrgangs der Illustrirten cklitav-yöeft« von „Aeller -lau» und Meer" (Stuttgart, Deutsche Verlags-Anstalt). Die geschmackvolle künstlerische Außenseite birgt einen gediegenen Kern. Da sind zunächst die Ansäng« zweier neuen Romane. „Schuld" von Wilhelm Berger und „Schloß Brendissen" von Jenny Dalden, die das Interesse der Leser von der ersten Seite an in Anspruch nehmen. Dann besucht der wißbegierige Leser an der Hand ortskundiger Führer das Müglitzthal m Sachsen, ferner Goslar, die alte Kaiserstadt am Harz, und die Klammen des Pongau. In einem anderen Artikel wird er über die Ursachen der Blitzschläge in die Bäume aufgeklärt, während ihn ein weiterer Aussatz einen hochinteressanten Blick hinter die Coulissen des Panoptikums in Berlin thun läßt. Es wäre zuviel, wollten wir alle die meist reich illustrirten Beiträge einzeln namhast machen. Wir wollen nur noch die sechs prächtigen Kunstbeilagen erwähnen, um zu zeigen, daß in diesen schönen Heften das Mögliche noch Überboten wird.