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habe. Ich kann mich freilich nicht ganz loSsagen von den Interessen am Reich al« Politiker. (Stürmische Rufe: Niemals! Niemals!) Also nochmals herzlichen Dank für diesen großartigen Empfang." — Während dieser Zeit waren neue Hunderte auf den Bahnhof gekommen, so daß die in großer Stärke erschienene Polizei sich zur Absperrung eines TheilS des Perron« genöthigt sah. Da« war freilich keine leichte Arbeit; ein kleiner Postwagen wurde herbeigeholt, ein Polizei offizier nahm auf demselben Platz und kommandirte von hier au« die Polizeimannschaften. Freilich, so stark die Kette derselben war, alle Augenblicke war sie durchbrochen und in wilder Hast stürzte das Publikum vor den Wagen des Fürsten. Eine Anzahl Damen überreichte ihre Bouquets. Hochs auf den Fürsten, auf die Gräfin Herbert Bismarck wurden von Neuem ausgebracht; die verschiedensten Rufe wur den vernommen; die Einen riefen: »Wir vergessen Dich nie," die Anderen: „Noch lebt im Herzen der Deutschen die Dankbarkeit." Als ein Augenblick der Ruhe eingetreten war, hielt ein Herr eine längere Rede, in der er u. A. sagte: „Die Begeisterung, welche überall aufloderte, als der Fürst Bismarck seine Reise unternahm, wird dauern und bleiben, sie ist ein Unterpfand, daß die Dankbarkeit in de» Herzen der Deutschen nicht sterben wird." — Nachdem cs feststeht, daß demnächst zollpolitische Verhandlungen zwischen Deutschland und Ruß land beginnen werden, macht sich in einzelnen Blättern die Besorgniß geltend, daß damit die Frage der Beleihung russischer Werthe durch die Reichsbank und überhaupt die Förderung russischer Anleihen in Deutschland verknüpft werden könnte. Die „Frkf. Ztg." bemerkt dazu: „Es ist möglich, daß man sich in Rußland mit derartigen Hoffnungen trägt, ünd wir glauben zu wissen, daß vor Jahr und Tag man auch hier daran gedacht hat, von Rußland zollpolitische Zugeständnisse durch die Eröffnung des deutschen Finanzmarktes zu erlangen. Inzwischen hat sich die Lage wesentlich geändert und die russischen Zugeständ nisse müßten schon recht bedeutend sein, wenn dadurch die Förderung der russischen Anleihebedürfnisse in Deutschland eingetauscht werden sollte." — Hamburg. Die „Hamb. Nachr." besprechen die Nachricht, daß die Eisenbahndirektion zu Halle Bi s.marckkundgeb ungen verhindert habe und daß trotzdem einige Hundert Personen auf dem Perron waren. Es heißt da: „Die mehreren hundert Personen, von denen hier die Rede ist, waren aber, wie wir mit eigenen Augen gesehen haben, viele Tau sende. Auch von anderen Stationen der berührten Strecke kommen eigenthümliche Meldungen über falsche Gerüchte betreffs der Durchreise des Fürsten, die, wenn man sie zusammenhält, den Eindruck erwecken, als ob auch mit solchen Mitteln gearbeitet worden sei, alle» in der wunderlichen Tendenz, die Bevölkerung von der Begrüßung zurückzuhalten. Zur Vervoll ständigung dient dabei, daß auch auf die weimarische Regierung ein starker diplomatischer Druck geübt worden ist, um die Betheiligung der Bevölkerung an der Begrüßung des alten Kanzlers abzumindern. ES ist bekannt, daß diese Pression dort nicht denselben Erfolg gehabt hat, wie seiner Zeit in Wien." — Hannover. Der „Hann. Cour." ertheilt den „Times" folgenden Rathschlag in Betreff des Fürsten Bismarck: „Ihrem großmütterlichen Wesen entsprechend, bekümmert sich das sogenannte englische Weltblatt, „Times", häufig um Dinge, die sie gar nichts angehen. So halten sie sich für be rufen, dem Fürsten Bismarck vorzuschreiben, wie er sich zu verhalten habe. Wir empfehlen den „Times", sich um englische Angelegenheiten zu kümmern, mit unfern werden wir schon allein fertig werden. Fürst Bismarck aber bedarf sicher nicht des aufdringlichen RatheS der „Times", um zu wissen, was er zu thun und zu lassen habe". — Jena. Anläßlich der Anwesenheit de» Fürsten Bismarck war u. A. an den Kernberge» eine aus 650 Pechhaufen gebildete Inschrift hergestellt worden, die in riesigen Flammen die Worte: „Hoch Bismarck", darstellte. In den letzten Nächten war von feindlicher Seite versucht worden, die Inschrift zu zerstören, bezw. in die Worte „Hoch Bebel" umzugestalten. Diese- Attentat aus Bismarck wurde aber noch recht zeitig entdeckt und „Bebel" wieder in „Bismarck" verwandelt. Eine Anzahl „betheiligier Attentäter" ist verhaftet worden. — Rußland. ES klingt wie eine bittere Ironie, wenn die russische Regierung den gegenwärtigen Augen blick für geeignet hält, thatkräftig und zielbewußt an die Eintreibung der von den Bauern während des NothständeS bei dem Staatssäckel gemachten Schuld zu schreiten. Ein vom Finanzministerium an die Gouverneure versandte« Rundschreiben fordert diese auf, über Mittel und Wege zu sinnen, wie von den Bauern die ihnen im verflossenen und diesem Jahre zur Verpflegung, sowie zur Aussaat überwiesenen Gelder, inSgesammt 125 Millionen Rubel, „baldigst" einzutreiben wären. L-eale und sächsisch« Rachrichte«. — Schönheide, 7. August. Wegen de« Baues d«r Eisenbahn SauperSdorf-Wilzschhau» muß hier imchträglich noch ein dritte» Wohnhaus abgetragen werden. E» ist die» eine» der ältesten Häuser von Schönheide und hat, im Jahre 1744 erbaut, ein Alter von beinahe 150 Jahren erreicht. — Auerbach. Ein frecher Raubanfall ist Donnerstag Nachmittag in der dritten Stunde aus der Straße zwischen Rodewisch und WerneSgrün verübt worden. Al« nämlich zur genannten Zeit die beiden Milchwagen der Herren Brauereibesitzer Männel und Günnel in WerneSgrün auf der Heimfahrt von Auerbach begriffen waren, sprangen plötzlich au» dem Walde zwei mit Knüppeln bewaffnete Strolche heraus und suchten mit dem Rufe: .Da» Geld oder da« Leben!" die Wagen zu erklettern. Die erschreckten Mädchen hieben jedoch auf ihre Pferde ein, und dem schnellen Laufe der letzteren, wie dem Hinzukommen eine« mit seinen Gehilfen in der Nähe arbeitenden Straßenwärters, welcher den Hilferuf des einen Mäd chens gehört hatte, ist e« zu danken, daß die Strolche von ihrem Vorhaben Abstand nehmen mußten. Frei tag Morgen ist einer der Landstreicher in WerneSgrün sestgenommen und durch Vermittelung der dortigen Behörde an das hiesige König!. Amtsgericht abgeliefert worden. — Unterlauterbach b. Treuen. Am Mon tag Nachmittag zwischen 5 und 6 Nhr wurde der 16jährige Sticker Karl Wunderlich von hier auf der Straße zwischen Neuensalz und Schönau von zwei Strolchen'rücklings überfallen und seiner Baarschast von 20 Mark beraubt. Nach Vollführung dieser That verschwanden die Strolche wieder im Walte. Die letzteren trugen grauen Anzug unv graue Kopf bedeckung. Der Ueberfallene trug eine noch größere Summe Geldes bei sich, die er aber der Sicherheit halber in den Stiefeln aufbewahrt hatte. — Oschatz, 5. August. Jenes junge Mädchen, welches kürzlich hier bei dem Begräbnisse ihrer Mutter in die Gruft sprang, hat jetzt nach hierher gelang ter Nachricht ihre Herrschaft in Dresden ohne Grund und unbemerkt verlassen. Weder die Herrschaft, noch die Geschwister des Mädchens haben Kenntniß von dem gegenwärtigen Aufenthalte desselben. — Kamenz. Vor 50 Jahren wurde unsere Stadt von einem gewaltigen Feuer beimgesucht. Am 4. August 1842, Abends 11 Uhr brach das Feuer in dem Hause des TuchscheererS August Wilhelm Rietsckel in der Leitergasse aus, wahrscheinlich durch Verwahrlosung bei einer Tuchpresse. Durch den Brand, welcher sich auch auf daS benachbarte Dorf Spittel erstreckte, wurden in der Stadt 313 selbst ständige Wohngebäude, 348 zugehörige Neben- und Hintergebäude, 38 Scheunen und 17 öffentliche Ge bäude (darunter das RathhauS, die Stadtschule, die geistlichen Häuser, die Klosterkirche, letztere jedoch nur bis auf die Mauern und das Gewölbe), im Dorfe Spittel das klösterliche Vorwerk, die katholische Kapelle, die Wassermühle und 23 Privathäuser eingeäschert. Obdachlos waren dadurch 2618 Personen geworden. Zur Wiederherstellung der Stadt, namentlich auch zu Gewährung von Darlehnen an die von dem Brande betroffenen Bürger wurde mit Genehmigung der König!. Staatsregierung eine Anleihe von 900,000 Mark durch Ausgabe 3^ proz., auf den Inhaber lautender Stadtschuldschcine ausgenommen. Von den dadurch gewonnenen Geldern erhielten die Betroffenen hypothekarische Darlehne zu 4 Proz. Verzinsung ge währt. Die in dieser Weise gewonnenen Überschüsse werden planmäßig zu der innerhalb 68 Jahren, also bis 1910, zu beendenden Tilgung der Darlehne und zu einem kleineren Theile zur Bildung eines Reserve fonds verwendet. Die Ausgabe der Stadtschuldscheine begann am 12. April 1843; die Stadtschuld und die Schuld der Brandbetroffenen wird 1910 getilgt sein. Das RathhauS ist in den Jahren 1847—1850 neu erbaut worden, als der jetzt in Zittau lebende Geh. Rath Or. Haberkorn Bürgermeister in Kamenz war. — Wie kostbar geschmückt man früher die Angehörigen vornehmer und reicher Familien zur Ruhe bestattet hat, davon legt ein interessanter und werth voller Fund Zeugniß ab, den man bei Eröffnung einer Gruft in der Kirche zu Sayda gemacht hat. Man fand in dieser Gruft, die ohne Zweifel Mit glieder des noch jetzt daselbst ansässigen Adelsgeschlechts v. Schönberg-Purschenstein ausgenommen hat, mehrere goldene Ringe, zum Theil mit Juwelen besetzt, eine große goldene Kette und ein künstlerisch gearbeitetes Kreuz aus Emaille. Ein gleichzeitig vorgefundener seidener Schleier und ein langer blonder Zopf lassen darauf schließen, daß ein junges Mädchen diesen Schmuck getragen hat. Ein Ring trägt die Jahres zahl 1620. Ans vergangener Zeit — Mr unsere Zeit. 9. August. (Nachdruck verboten) Am s. August I8l7, also vor 75 Jahren, starb Herzog Leopold III. von Anhalt-Dessau, ein Enkel des „alten Dessauer." Er gründete das Philantropie zu Dessau, wie er sich überhaupt um das Schulwesen in seinen, Lande, da» er in jeder Weise förderte, große Berdienste erworben hat. Das frühere Fllrstenthum Anhalt wurde durch den Beitritt des Herzogs zum Napoleonischen Rheinbunde zum Herzogthum erhoben und hat al» solches alle Stürme, von denen Deutschland heimgesucht wurde, glücklich überdauert. 10. August. Der 10. August I7SL ist ein roth angestrichener Tag in der Geschichte Frankreichs und ein außerordentlich wichtiger Tag in der Weltgeschichte überhaupt; an diesem Tage vor INO Jahren brach sich ein« neu« Zeit mit neuen Ideen und Anschauungen Bahn, wie so oft in der Geschichte der Mensch heit, mit Gewalt, mit Rohheit und bösen Ausschreitungen, au» denen sich erst nach und nach da» Gute, da» für die neue Ge sellschaft Werthvolle absondert, herausscheiden sollte. Die Er eignisse jenes 10. August finden in der nächsten Nummer eine eingehendere Besprechung. L o u i s o n. - Erzählung von Bruno Köhler. (14. Fortsetzung.» IX. „Zwei Tage darauf — eS war spät in der Nacht, ich war noch auf, da mich daS Ordnen meiner Sachen beschäftigte — hörte ich, baß ein Gegenstand an mein, durch eine Holzjalousie verschlossene», nach dem Park hinauSführendeS Fenster geworfen wurde. Ich erschrak und wollte schon au» dem Zimmer hinauSeilen, um die Dienerschaft herbeizuholen, als ich drunten im Park leise meinen Namen rufen hörte. Ich hatte die Stimme meines Bruders erkannt und schritt des halb schnell zum Fenster, um dasselbe zu öffen. Paul stand unten im Park, er mußte sich von der Straße au» über die niedrige Mauer geschwungen haben und rief mir zu, daß er mich augenblicklich sprechen müsse. Ich glaubte jedoch zunächst nach der Ursache seines späten und unter so seltsamen Umständen erfolgten Besuches fragen zu müssen, doch schnitt er mir mit einer hastigen, flehenden Bewegung das Wort ab, mir dabei mit eindringlichem Ton die Worte zurufend: „Ich werde Dir Alles mittheilcn, laß mich nur erst ins Haus hinein!" „Von der gewaltigen Aufregung, die aus dem ganzen Wesen meines Bruders sprach, auf's heftigste beunruhigt, nahm ich schnell ein Licht zur Hand und eilte ins Vestibül hinab zu einer kleinen Thür, die hinaus in den Park führte. Wenige Augenblicke stand mir Paul in meinem Zimmer gegenüber. Ich erschrak, als ich auf ihn blickte, und bemerkte, daß seine Wangen mit Leichenblässe überzogen waren. Auf meine Frage, was geschehen sei, antwortete er nicht gleich, sondern starrte wie verstört vor sich nieder. Endlich rang sich ein tiefer Seufzer aus seiner Brust, und mit einem Aufschrei, der mir das Herz erbeben machte, berichtete er mir, daß er verloren sei, wenn ich ihm nicht Rett ung brächte. „Ich glaubte, nicht recht zu hören, zum mindesten nicht den Sinn seiner Worte verstanden zu haben, aber ein unbeschreibliches Gefühl, als drohe mir Un heil, beschlich mich, als ich den sonst so lebensfrohen, heiteren Menschen wie gebrochen und vernichtet auf einen Sessel nieversinken sah. In kurzen, abgerissenen Sätzen berichtete er, daß er soeben aus dem Klub hause komme, wo er, vom Wein erhitzt, mit einem tscherkessischen Reiteroffizier, dem jungen Grafen Ne- lidow, eine Wette eingegangen sei, deren Gegenstand der Grandprix des diesjährigen Pariser Rennens ge wesen sei. Während er für Frankreich den Sieg be hauptet, habe sein Gegner Englands Fahne hochge halten. Man habe sich immer mehr erhitzt, und Graf Nelidow hätte dann schließlich eine Anweisung von l00,000 Frank als Einsatz seiner Wette auf den Tisch geworfen. „Paul habe nun nicht mehr zurückstehen können und sei in seiner Erregtheit schnell in sein Zimmer hinaufgerannt, das ihm im Botschaftshotel eingeräumt sei, in dessen unmittelbarer Nähe sich auch das Klub haus befindet, und dort habe er aus seinem Schreib tisch, aus der ihm anvertrauten Handkasse 100,000 Frank entnommen, die er gegen die gleiche Summe des Grafen Nelidow gesetzt. Die Ueberlegung, daß er ein tolles Wagestück begehe, sei ihm völlig fern geblieben — der Glaube, seines Sieges sicher zu sein, hätte sein ganze« Innere erfüllt. Und doch habe die eingelaufene Depesche seinem Gegner die Siegesbot schaft gebracht. „Jetzt erst sei es ihm mit Zentnerschwere auf die Seele gefallen, welch' entsetzliches Verhängniß er über sich heraufbeschworen. Er müsse nun binnen vierund zwanzig Stunden jene Summe beschaffen oder — sich eine Kugel vor den Kopf schießen. „Die letzte Aeußerung schien völlig ernst gemeint zu sein. Ich sah, wie mein Bruder mit der Hand an die Brusttasche seines Rockes fuhr, aus der der blinkende Lauf eines Revolver» hervorblickte. „War seine Mittheilung auch dazu angethan, mir den Athem zu benehmen, so glaubte ich dennoch, das Schlimmste noch nicht befürchten zu müssen. Diese Summe mußte doch bis zu jenem Zeitpunkt zu be schaffen sein. Aber da» kummervolle Antlitz meine» Bruders — sein hoffnungsloses Kopfschütteln belehrte mich darüber, daß er schon jegliche« Mittel zur Auf bringung de« Geldes versucht hatte, daß er keinen Ausweg zur Rettung mehr vor sich sah. „Nicht doch — er hatte ja von Rettung gesprochen — die ich ihm bringen sollte. Wie sollte und konnte ich daS verstehen? Auf meine rasche, dahinzielende Frage schüttelte er nur heftig den Kopf. Die in meinen Zügen ausgeprägte angstvolle Erwartung schien e« ihm schwer zu machen, mir Auskunft zu geben. Erst meinem erneuten Drängen gab er nach und er zählte stockend, daß ein einziger Mensch sich bereit er klärt habe, ihm jene große Summe zur Verfügung zu stellen, daß dieser aber eine Bedingung daran ge knüpft — die Bedingung, daß ich ihm vor dem Al täre meine Hand reiche!