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an, die Beine zittern, die Muskeln zucken, aber e« vermag nicht, die in Sand und Steingeröll eingesunkenen Räder des schwerbeladenen Wagen« herau-zuzie-en. Statt ihm eine Ruhe« pause zu gönnen, statt e« durch sreundlich« Worte, für die da« Pferd so empfänglich ist, zu ermuntern, statt Wegzuräumen, wa« besonder« auf den Bau- und Abladeplätzen die Bewegung der Räder hindert, schlägt der rohe Knecht unaufhörlich mit dem Peitschenstiel da« Thier über di« Beine, auf den Kopf, stößt e« mit dem Stiefelabsatz in die Weichen, und bricht e« endlich zusammen in lautlosem Schmerz, dann wird keine Quälerei unversucht gelassen, um die „Schindmähre" wieder auf die Beine zu bringen. Wer je solch ein arme« Thier in dieser Weise monatelang, selbst jahrelang zu Tode quälen sah, der wird zugeben, daß die« eine Vivisektion ist, fast grausamer und jedenfalls viel, viel massenhafter, al« diejenige mit Messer und Pinzette. Könnte da« Pferd heulen und wehklagen wie andere Thiere, unsere Straßen würden widerhallcn von dem Jammergeschrei diese« unglücklichsten Geschöpse«. Zu all dem Elend eines solch' alten, bis zum letzten Knochen ausgeschun denen Pferdes kommt, daß es sich nicht einmal Nachts hin legen und ausruhen kann. Seine steisen Glieder machen ihm das unmöglich. Es weiß, daß es nicht mehr ausstehen kann, wenn es sich legt, und so schlummert es stehend. Wie elend solch' ein Thier ist, beweist auch der Umstand, daß es, wenn in Ruhe und zur Mast gestellt, nur wenig fressen kann. Es befindet sich vor Aufregung und Schmerzen in einem fieber haften Zustand. Erst nach ein paar Wochen frißt es reichlich und gern. Wie wahr ist doch der Name, den ein französischer Schrift steller dem Pferde gab: „Märtyrer der Arbeit"! Hungernd, frierend, durch Schmerzen gepeinigt, zu maßloser Anstrengung gezwungen, grausam geschlagen, keine Ruhe für den in Pein rind Ermüdung zuckenden Körper, und diese Marler jahrelang erdulden müssen, jahrelang qualvoll sterben müssen — o du armes unglückliches Thier! Welcher Lohn für deine Treue, deine Geduld, deine dem Menschen geleisteten großen Dienste! L o u i s o n. Erzählung von Bruno Köhler. (8. Fortsetzung.) V. Kaum al« der Tag graute, war Walther schon rvieder munter. Er kleidete sich an und begab sich nn den Garten hinab, um dort im Freien den Kaffee zu sich zu nehmen. Wohl hatte er bemerkt, daß die Zenster seiner schönen Nachbarin bereits geöffnet waren, ^iber die Hoffnung, ihr unten im Garten zu begegnen, ward vereitelt, da die Gräfin während des ganzen Vormittags ihr Zimmer nicht verließ. — Hatte sie erfahren, daß sich ein neuer Hausgenosse eingestellt, genirte sie dessen Nähe, und wollte sie ihm im vor aus zu verstehen geben, daß sie einer Berührung gänzlich unzugänglich war? Indessen batte sich die Ungeduld Walthers, ihr gegenüber zu stehen, zu einer Art von Fieber ge steigert. — Endlich, beim Diner sollte sein Herzens wunsch in Erfüllung gehen, eine Begegnung mit ihr ftattfinden. Man hatte ihm die Frage vorgelegt, ob er allein auf seinem Zimmer zu speisen wünsche, oder ob er an der gemeinsamen Tafel im Speisesaal seine» Platz einzunehmen wünsche. Auf seine rasche Antwort, daß er sich der im Hause herrschenden Anordnung fügen würde, hatte man ihm mitgetheilt, daß diese bisher das gemeinsam einge nommene Mittagsmahl befürwortet habe, da dadurch «in freundschaftlicher Verkehr, ein geselliges Zusammen sein unter den jeweiligen Hausgenossen angebahnt worden sei. Da Walther eben dieses Ziel im Auge hatte, entließ er die Fragestellerin mit dem Bescheide, daß diese Einrichtung seinen vollen Beifall habe und «r sich zur bestimmten Stunde an der gemeinschaft lichen Tafel einfinden würde. Er traf beim Betreten des Speisesaales, eine lichten, Hellen, nach dem Garten zu gelegenen Raumes, die Dame des Hauses und deren Mündel in dem selben. Gleich darauf fand sich noch ein älterer, gicht brüchiger Herr ein, der, nach dem intimen Verkehr mit den beiden Damen zu schließen, ein langjähriger Gast in diesem Hause sein mochte. Walther hatte sich soeben mit ihm bekannt gemacht, als sich die nach dem Garten hinführende Glasthür öffnete und die Gräfin mit ihrer Begleiterin in den Speisesaal trat. Mit einem stummen Gruß und einer leichten Ver beugung wollte die erstere ihren Platz an der Tafel einnehmen, indessen wurde sie von der Besitzerin de« HauseS zurückgehalten, und empfing von dieser die leise gesprochene Mittheilung, daß seit gestern ein neuer Gast unter ihrem Dache weile, zugleich bat sie um die Erlaubniß, ihn der gnädigen Frau vor stellen zu dürfen. Mit einer kurzen Zustimmung gab die Gräfin ihre Erlaubniß dazu. Walther, der mit klopfendem Herzen und vor Er regung leicht geröthetem Gesicht den Eintritt der so lange Gesuchten beobachtet hatte, war auch der halb laut geführten Unterhaltung der beiden Damen ge folgt rind trat jetzt mit einer zeremoniellen Verbeug ung zu ihnen heran. Die Wirthin nannte der Gräfin seinen Namen, worauf diese den ihrigen selbst hinzu fügte. Ohne weiter ein Wort zu wechseln, nahm man die Plätze an der Tafel ein. Walther erhielt seinen Sitz der Gräfin gegenüber. Er hätte aufjubeln mögen, daß er ihr so nahe sein durfte. War eS nur Zufall oder glaubte er recht gesehen zu haben, daß er in ihrem Antlitz eine momentane Verwunderung aufleuchten sah, als sie sich auf ihren Stuhl niederließ und ihr Blick dabei flüchtig sein Gesicht streifte. Vielleicht, daß ihr seine Züge bekannt erschienen waren, wenn sie auch nicht wußte, wo sie denselben begegnet war. Auch als sie zum ersten Male den Klang seiner Stimme vernahm, kam eS Walther vor, al- ob sie unwillkürlich aufhorche. Die scheinbare Ruhe und Wortkargheit, die er indessen zur Schau trug, mußte ihre Beunruhigung bald ver scheucht haben. Ohne sich mit einem Wort an der Unterhaltung der Tischgesellschaft zu betheiligen, saß sie da, kaum den Vorgängen in ihrer Nachbarschaft Aufmerksamkeit schenkend, immer nur ihren eigenen Gedanken nachhängenv. So schwer eS Walther wurde, vermied er eS doch, der Gräfin eine besondere Beachtung zu schenken. Lag e« ihm doch zunächst hauptsächlich daran, sie und seine Umgebung sicher zu machen, daß ihn kein ande rer Zweck, als der sich zu erholen, in die- Haus ge führt. Nur widerstrebend ließ er sich von den Damen des Hauses und dem alten Herrn in ein Gespräch ziehen. Der letztere, der ein pensionirter Soldat war und dessen größter Kummer zu sein schien, daß er den letzten glorreichen Feldzug nicht mehr hatte mit machen können, wollte Walther beständig, zu einem Bericht seiner Erlebnisse während des letzten Kriege« animiren, doch wußte dieser stet« den vielen Fragen geschickt auSzuweichen. Nur einmal konnte er sich nicht versagen, die Theilnahmslosigkeit der Gräfin aus die Probe zu stellen. Auf die von seinem Tisch nachbar an ihn gerichtete Frage, wo er seine schon früher zur Sprache gebrachte Verwundung erhalten habe, nannte er das Gefecht bei Le Bourget. Dann sügte er wie unabsichtlich ^hinzu, daß man ihn in ein Lazareth in der Umgegend von GargeS gebracht habe, wo er vierzehn Tage lang bi« zu seiner Wiederher stellung geblieben sei. Die Erwähnung des OrteS Garges hatte der Gräfin das Blut in die Wangen gejagt. Ohne auf ihr Gesicht zu blicken, gewahrte Walther die große Erregung, die seine Worte in ihr hervorgebracht hatten, an dem Zittern ihrer Hände. Er bereute schon, in so leichtsinniger Weise die Gefährdung seines Geheimnisses herbeigeführt zu haben, als er plötzlich vernahm, daß die Gräfin das Wort an ihn richtete. Mit ihrer melodischen, jetzt leise vibrirenden Stimme fragte sie, ihm fest in die Augen blickend: „Haben Sie — vielleicht durch Zufall — das in jener Gegend liegende Schloß RavaiS betreten oder irgend eine Nachricht darüber empfangen?" „Schloß RavaiS?!" wiederholte Walther gedehnt, ihrem Blick voll begegnend. Wußte er doch im Augen blick nicht, welche Antwort er ihr geben sollte. Die Zeit, sein Geheimniß preiszugeben, schien ihm noch ancht gekommen. Endlich sagte er, indem er sich die Stirn rieb, wie um eine Erinnerung heraufzube- schwören: „ES ist mir so, als ob ich den Namen hörte!" „Und haben Sie vielleicht über die Bewohner, über den Besitzer desselben etwaSNähereSvernommen?!" Die Gräfin preßte bei dieser Frage unbewußt ihre Hand aus« Herz. Walther zögerte mit seiner Antwort, dann sagte er langsam: „Ich glaube — ja, eS kann möglich sein — ich kann mich nur augenblicklich nicht genau er innern, welcher Art jene Nachrichten waren. Doch habe ich während des ganzen Feldzuges ein genaues Tagebuch gesührt, in das ich gewissenhaft selbst den geringsten Umstand meiner Erlebnisse verzeichnete. Vielleicht, daß ich darin eine Antwort auf Ihre Fragen fände." „Sie würden mich zu großem Dank verpflichten, wenn Sie mir irgend welche Mittheilungen machen könnten," gab die Gräfin gepreßt zurück. „Noch heute werde ich nach Hause schreiben, um mir jene Aufzeichnungen kommen zu lassen!" erwiderte darauf Walther. „ES würde mich unendlich freuen. Ihnen auf Ihre Fragen befriedigende Antworten geben zu können!" Man hob die Tafel aus. Die Damen zogen sich in ihre Zimmer zurück. Die Gräfin hatte für Wal thers respektvollen Gruß eine höfliche Verbeugung. Sie ging in den Garten hinunter, um den von ihr bevorzugten Platz in der Laube aufzusuchen. Wal ther blieb noch eine Weile in Gesellschaft des alten Herrn im Speisesaal zurück. Als dieser sich zu seinem Mittagsschläfchen zurückzog, trat Walther hinaus auf die Garlenterrasse. Er sah die Gräfin in der Laube sitzend, doch vermied er eS, ihr zu nahen. Konnte er doch über da« Ergebniß seine« ersten Beisammen sein« mit ihr höchlichst zufrieden sein. Sie wußte von dem Tode ihre« Gemahls noch kein Wort, das war ihm klar geworden. Die Anklage über ihre heim liche Entfernung und wiederum die Angst, ihr Loo« mit dem jene« leidenschaftlichen Menschen verknüpft zu wissen, mußten den Druck auf ihre Seele auS- üben, den martervollen Zustand herbeirufen, der sich so deutlich auf ihren blassen Zügen ausprägte. Und doch durfte er ihr nicht so schnell die Frei« heit verkünden, er mußte ihr erst näher getreten sein. Der Gedanke, daß sie ihm jetzt, wo er sie kaum wieder gefunden auf« neue enteilen könnte, hatte etwa» Er schreckende« sür ihn. (Fortsetzung folgt.) Vermischte Nachrichten. — Wismar. Kürzlich wurde in dem nahen Dorfe G. eine Familie und mit ihr die ganze Dors schaft durch ein Bubenstück in große Auflegung versetzt. Ein junge« Brautpaar wollte Hochzeit machen, die Hochzeit-gäste, etwa 80 an der Zahl, waren geladen, die Vorbereitungen getroffen, am fol genden Tage sollte die Hochzeit gefeiert werden. Am Tage vor der Hochzeit begab sich der Schulze nach den Aushang, um das Aufgebot, welche« er ordnungsmäßig 14 Tage auSgehängt hatte, zu holen. Wer beschreibt aber seinen Schrecken, al« der Aus hang leer war, das Aufgebot fehlte; der Aasten war mittel« Nachschlüssel« geöffnet, da« Aufgebot gestohlen. Noch größer war aber der Schrecken de« Brautpaare« und der Brauteltern, denn alle Vorbereitungen zur Hochzeit schienen umsonst zu sein. — DaS Standes amt befindet sich im nahen N. Dorthin eilte« Ort«- vorsteher und Brautvater; aber der Standesbeamte sagte: ohne Aufgebotsbescheinigung keine Eheschließ ung. Man wendet sich an den Ortsgeistlichen, eine Reihe von Zeugen wird herbeigeholt, welche an EideS- statt versichern, daß sie da» Aufgebot im Aushang gesehen und gelesen haben ; da endlich erklärt sich der Standesbeamte zur Eheschließung bereit, worauf die kirchliche Trauung folgte. — Ob der Racheakt eines verschmähten Liebhabers, ob eine reine Bosheit vorliegt, ist nicht bekannt geworden, da der Dieb des Aktenstückes bisher nicht ermittelt worden ist. — Wegen fortgesetzter Soldatenmißhand- lungen ist dieser Tage, wie die „Münchener Post" berichtet, der Unteroffizier Leonhard Lösch im bayer ischen Eisenbahnbataillon vom Münchener Geschwore nengericht zu 2 Monaten 15 Tagen Gefängniß ver- urtheilt worden. Derselbe hatte in der Zeit von Mitte November bis Ende Dezember Mittags ober Abend oder gar früh Morgens sämmtliche Leute seiner Kor poralschaft zu sich in'S Zimmer kommen und dieselben theils auf dem Stuhle, theilS auf dem Boden die Kniebeuge mit und ohne Gewebrstrecken 50 bis 300 Mal machen lassen und dies in einer Weise fortge setzt, daß viele der Soldaten dabei einfach umfielen. Sodann hatte er im November an verschiedenen Tagen während des Exerzierens vier Gemeinen Schläge mit der Säbelscheide über die Hände versetzt, so daß diese anschwollen, mit Blut unterliefen und sie während einiger Tage die Finger nicht mehr biegen konnten. Er trat auch, wie sich noch ergab, während des Exer zierens die Soldaten oftmals absichtlich auf die Zehen. — GoSlar. Der bekannte Harzschriftsteller Professor 0r. Heinrich Proehle, dessen 70. Geburts tag soeben gefeiert worden, durchstreifte schon vor 45 Jahren als junger Forscher sagen- und märchen suchend die grünen Berge und Thäler des schönen Harzes. So traf er auch eines TageS bei Lerbach einen alten Waldarbeiter, bei dem er, wie er meinte, vor die rechte Schmiede gekommen zu sein glaubte. „Da müßt Ihr", versetzte der frische Wanderer im Laufe des Zwiegesprächs, „auch im Besitz vieler Harz sagen sein." Etwas verblüfft, doch aber bald sich sammelnd, antwortete der biedere Alte treuherzig: „Dree Stück hebb eck davon to HuS; de eene daugt nicht, mit der andern geiht et noch, — de dridde sniedet ower wie Gift!" — Napoleon I. ahmte, wie in mancher anderen Hinsicht, so auch bezüglich des Schnupfens dem großen Preußenkönig Friedrich II. nach. Man erzählt, daß er aus jeder Dose, welche er irgendwo erblickte, nicht allein schnupfte, sondern sie auch einsteckte. Allerdings geschah dies nur in der Zerstreutheit, in welcher er sich beinahe stets befand; aber seine Generale, welchen es peinlich sein mußte, von ihrem kaiserlichen Herrn eine auf diese Weise verschwundene Dose zurückzu fordern, hüteten sich darum begreiflicher Weise, ihm eine so verhängnißvolle Gelegenheit zu geben. DaS ganze Verfahren nannten sie boshaft genug: „Schnupfen L la Napoleon." Einst kam ein Mann zum Kaiser, der in dem Rufe stand, jeden Zeitgenossen äußerst geschickt zu kopiren. Der Kaiser, ein Freund von solchen Künsten und gerade gut aufgelegt, ließ eS sich gefallen, daß man ihm vor seinen versammelten Ge neralen eine Vorstellung gab. Der Mann erwie« sich als ein vortrefflicher Nachahmer. Voltaire und Robespierre waren schon kopirt, Franz I. von Oester reich und Friedrich Wilhelm III. von Preußen. . . . „Verstehen Sie eS, auch mich zu kopiren?" fragte Napoleon. — „Wenn Eure Majestät befehlen!" — .Alle Wetter! Da bin ich neugierig!" . . . Der Künstler nahm eine bestimmte Stellung ein, verschob seine GesichtSzüge, und der damalige mächtigste Mann Europas sah sein wohlgetroffenes Ebenbild vor sich. Napoleon klatschte begeistert Beifall, seine Generale folgten diesem Beispiel. Aber eines fehlte noch", sagte der Mimiker, „um die Kopie möglichst der Wirk lichkeit nahe zu bringen." — .Da« wäre?" fragte Napoleon. — „Eure Majestät schnupfen." — Die Laune de» Kaiser« wurde immer besser. . . . „Da haben Sie Recht", erwiderte er, indem er ihm eine kostbare, mit Diamanten besetzte Tabatiöre reichte. Der Künstler nahm eine Prise, wiederum in allen Einzelheiten genau nach dem Vorbild de« Kaiser» — steckte die Dose in die Rocktasche und verschwand.... Napoleon soll aber herzlich gelacht haben, al« man ihm erzählte, daß man diese Art und Weise „Schnupfen ü la Napoleon" nennt. — Grobes Mißverstehen. Dame: „Sie können'- glauben, meine Tochter ersetzt zwei Mädchen!" — Herr: „So alt wäre die schon?"