Volltext Seite (XML)
Beilage zu Rr. 44 des „Amts- und Anzeigeblattes". Eibenslolk, den 14. April 1894. Schloß und Forst. Roman von A. v. Trhstedt. (12. Fortsetzung.) ..Gerhard mußte es zuschwören simd erklärte in jugendlicher Kurzsichtigkeit, die Schuld auf seine Schultern zu nehmen, von der er mit ebenso kind lichem Vertrauen glaubte, daß sie unbekannt bleiben, sich kein Mensch um sie kümmern würde, und über die doch schon nach kürzester Zeit die Spatzen auf den Dächern zwitscherten. Gerhard hatte durch meine Schuld viel zu leiden gehabt und nur einen kleinen Theil von dem verschuldeten Unrecht habe ich in diesem Augenblicke gut gemacht. Gerhard ist groß- müthig genug, auch Ihnen die unziemlichen Be merkungen, die Anlaß zu dieser meiner Erklärnng gaben, zu verzeihen. Ich hoffe, er wird es nicht verschmähen, mit uns auf sein junges Glück anzu stoßen. Der Doktor lebe hoch!" ES war eine nicht zu beschreibende Stimmung, in der rings die erstaunten Gäste dem Erzähler lauschten. Sidonie saß bleich, zerknirscht da. Also hatte ihr Gefühl, das stets zu Gerhards Gunsten sprach, sic doch nicht getäuscht! ES war nur der Trotz und die zügellose Laune gewesen, die nachgerade das rechte Empfinden bei ihr unterdrückt hatte. Nun blieb ihr nichts als Reue, wehevolle Reue, und alle Gelegenheit blieb ihr benommen, das Unrecht gut zu machen. Ihr Gatte liebte sie ja nicht mehr! Bei diesem Ge danken kam ihr plötzlich wieder die ganze Erkenntniß ihrer entsetzlichen Lage; Abspannung und Aufregung machten ihr Recht geltend und mit einem lauten Auf schrei brach sie zusammen. „Den Wagen!" hörte sie nur noch ihren Gatten rufen, dann verlor sie das Bewußtsein. „Aber Sie werden doch Sidonie in diesem Zustande nicht einer halbstündigen Fahrt aussetzen wollen!" rief Eugenik aufwallend. „Sie kann in ihr Zimmer gebracht werden, wo sie sich ungestört ausruhen kann." „Meine Fran fährt mit mir nach Hause," be harrte der Doktor, die süße Last seiner jungen Gattin auf starkem Arm hinuntertragend nach dem bereit stehenden Wagen. Der liebevoll sorgende Blick, den er in ihr blaßes Gesichtchen warf, ließ erkennen, wie theuer ihn, die Bürde war. Die Tischgesellschaft hatte sich sofort aufgelöst, verschiedene der Herren drückten Max die Hände mit den Worten: „Das war brav von Ihnen!" Er aber lehnte alle Anerkennung seiner Hand lungsweise ab. Er mußte ins Freie und sobald er sich losmachcn konnte, schlug er den Weg nach dem Walde ein. Er kannte Katharinas Lieblingsplatz und seine Bermuthung traf ein: er fand sie auf einer Bank sitzend, die von Ahornbäumen traulich überschattet wurde. „Katharina," sagte Max leise. Sie antwortete nicht. Verächtlich sah sie zu ihm auf. „ Ich habe mein Wort eingelöst, Gerhard ist Genug- thuung geworden im vollsten Maße." Ganz verwundert blickte sie ihn an. Dann sprang sie auf und rief: „O Dank, tausend Dank! Schon dieser Thal wegen könnte ich Sie liebgewinnen. —" „Wenn eben nicht ein Anderer schon ihr Herz be säße," ergänzte er. „Ich glaubte schon mein Opfer umsonst gebracht zu haben," sagte sie erregt. „Nun will ich alle trüben Gedanken abschütteln. Gerhard wieder ein freier, makelloser Mann, o welche Wonne!" „Man könnte in Zweifel gerathen, Katharina, ob Sic Ihren Vetter oder Graf Rauenstein lieben." „An Gerhard bindet mich Festeres, als die Liebe. Es waren die Sorgen, die aus engster Freundschaft entsprangen. Was habe ich gelitten unter der Last des Verdachtes, der all die Jahre hindurch auf ihm ruhte und der ihm so grenzenlose Pein bereitete, wie sehr er die Schmerzen auch äußerlich zu verleugnen suchte. Wie schwer ist mir die Trennung von dem Spielgefährten, dem Jugendfreunde geworden, ihn scheiden zu sehen unter dem Drucke eines solchen Verdachtes. Und ich war gezwungen, zu all den höhnischen Bemerkungen zu schweigen, da Gerhard es nicht anders wollte. Er und sein Vater gingen auf in dem Dienste für Ihre Familie, die uns nichts als Leid bereitete. Nun, mag die Zukunft Schlimmes bringen, eines ist wenigstens erreicht, mein Freund hat seinen ehrlichen Namen wieder. Mit welchem Opfer eS gefchehen ist, darf er niemals erfahren, hören Sie, Herr Graf?" „Ich werde ihm nichts verrathen," betheuerte Max mit eigenthümlicher Betonung. „Leben Sie wohl, Katharina — als Ihr Gatte hätte mir noch geholfen sein können, Gott hat es leider anders bestimmt. ES wird wohl so sein sollen." Er wandte sich hastig zum Gehen und sah noch, wie Lydia mit verwundertem Gesicht auf ihn und ihre Freundin blickte. „Guten Tag, Käthchen, wie blaß und krank Du aussiehst! Ach, es ist gar nicht mehr schön auf der Welt — hätte ich nicht Kurt, ich wüßte nicht, wie ich mein Leben ertragen sollte. Auf dem Schloß hat cs eine aufregende Szene gegeben — Du weißt? Hat Max cs Dir selbst mitgetheilt? DaS hätte ich meinem Vetter nie zugetraut, daß er so heldenmüthig sein könne, vor allen Gästen seine Schuld einzugestehen. Aber es hat auch Alle recht von Herzen gefreut, Ger hard von dem schweren Verdachte gereinigt zu sehe», er wird wohl nun viel Arbeit bekommen, Jeder wird ihn kennen lernen nnd sich von ihm behandeln lassen wollen. Doch was fehlt Dir nur Katharina, Dein Aussehen ist besorgnißerregend!" „Lydia —" Katharina hatte die Thränen wieder gefunden, die versiegt waren fchon seit mehreren Tagen. Nun weinte sie sich Erleichterung ins Herz. — VI. Die beiden darauf folgenden Tage vergingen still und einförmig. Die Bewohner des Schlosses mieden sich gegenseitig, das junge Ehepaar war noch nicht wieder zum Besuche erschienen, doch trafen beruhigende Nach richten über Sidöniens Befinden ein. Jeder war miß gestimmt, nur Lydia ging mit gerötheten Wangen und leuchtenden Augen umher. Kurt war seit gestern Abend wieder da und als er sie in Eile begrüßt, hatte er ihr zugeflllstert, daß er ihr etwas sehr Schönes, etwas sie sehr Ueber- raschendes mitgebracht habe, sie möge nur hübfch rathen, was es wohl sein könne. Sie hatte an einen Ring, eine Spange oder gar ein Kollier gedacht, vielleicht auch wollte er sie nur mit einer kleinen Bonbonniere erfreuen, hundert andere Dinge tauchten vor ihr auf, mit denen sich Liebende zu beschenken pflegen, aber immer wieder hatte er den Kopf geschüttelt und ge- heimnißvoll gethan. Die Komtesse schwelgte in einem Meer von Selig keit, sie konnte die Zeit kaum erwarten, wo Kurt kommen würde, offen um sie zu werben. In den nächsten Tagen würde es noch nicht geschehen, denn noch gab ihr zukünftiger Schwiegerpapa nicht seine Einwilligung — er mußte einen besonderen Grund haben, die bestimmte Erklärung seines Sohnes zu verzögern. Heinitz saß in seinem Zimmer und las die ihm soeben überbrachten Briefe durch. Unter denselben befand sich auch ein Schreiben des Barons, in dem derselbe seinen Besuch anzeigte mit der Erklärung, daß er Komtesse Lydia leidenschaftlich liebe und vom Grafen, dem Vormunde der jungen Dame, die Hand derselben zu erhalten gedenke. Heinitz war überrascht. Der Baron war ihm stets unangenehm gewesen, er konnte sich nicht vor stellen, daß Lydia ihm zugethan sei. Doch nein, so war es auch nicht, hier hatte seine Gattin die Hand im Spiele, sie hatte ja immer, zu seinem Verdruß, diesen blasirten Patron ausgezeichnet. Er begab sich sogleich zur Gräfin. „Klewitz hält um Lydias Hand an," sagte er, ihr den Brief reichend. „Ihr Vermögen könnte seinen zerrütteten Verhältnissen schon zu gute kommen! Mir ist der Mensch höchst widerwärtig." „Ich begreife nicht, was Du gegen ihn einzuwendcn hast!" rief sie aus. „Weil ich sehe, daß Du ein Komplott geschmiedet hast. Ich war zu sehr mit meinen eigenen Angelegen heiten beschäftigt, erst heute wird mir Manches klar, was meine Verwunderung erregte." „Du sprichst in einer rücksichtslosen Weise gegen mich, als handele es sich um ein Abenteuer. Er ist aus hochadeliger Familie und wenn Lydia nichts gegen ihn einzuwendcn hat, könntest Du doch unmöglich Ein spruch erheben." „Der Baron steht in schlechtem Rufe, er ist leicht sinnig, hat seines Vaters Vermögen vergeudet und sieht nur in unserer Nichte das Mädchen mit der reichen Mitgift." „Ich glaube nicht, daß er um das Vermögen Lydias weiß. Uebrigens scheint sie ihm durchaus zugethan zu sein." „Davon habe ich noch nichts bemerkt," entgegnete Heinitz spöttisch. „Das glaube ich wohl. Die Frauen haben da ein schärferes Auge. Gerade die scheinbare Zurück haltung des Mädchens giebt mir die Garantie, daß sie sich für den Baron interessirt." Diese Worte leuchteten dem Grafen ein. „Gut. Ich werde ihr gänzlich freie Wahl lassen," sagte er. „Doch darf ich als ihr Vormund nicht ver hehlen, daß dieser Bewerber eine tüchtige Portion Leichtsinn besitzt." „Wozu das Mädchen gegen den Baron cinnehmen? Theile ihr einfach seinen Antrag mit und laß sic dann selbst prüfen und erwägen." „Auch hierin werde ich Dir entgegenkommen und I es soll nichts geschehen, was Lydia für oder wider den Bewerber beeinflussen könnte." „Und willst Du's nicht lieber mir überlassen, mit meiner Nichte zu sprechen?" fragte Eugenie. „Nein, das werde ich besorgen." Damit war die Unterredung beendet und der Graf begab sich zur Komtesse. Der Gräfin war, nachdem ihre einzige Tochter so schnell das elterliche Haus verlassen hatte, gar nicht mehr viel an dem Baron gelegen, im Gegentheil, sie hätte Lydia jetzt gern noch im Hause behalten. Sie hielt es aber vor Allem für ihre Pflicht, das gegebene Versprechen aufrecht zu erhalten, nur ließ sie jetzt den Dingen freien Lauf und vermied jedes Eingreifen. Die Komtesse saß am Klavier und sang eines ihrer Lieblingslieder, als der Graf bei ihr cintrat. Sie sprang sofort auf nnd hängte sich an seinen Arm. „Kommst Du zu einem Plauderstündchen? DaS ist lange nicht gewesen, Onkelchen." „Ich wollte Dir nur miltheilen, daß uns Herr von Klewitz heute besuchen wird," sagte er, sie scharf beobachtend. Der Ausdruck in Lydias Gesicht verrieth nichts von Freude und Theilnahme. Ihr einfaches „So?" klang sehr gleichgültig. „Der Baron hat in letzter Zeit so viel in unserem Hause verkehrt, daß ich ihm eigentlich etwas mehr Beachtung schuldig war, als ich sie ihm bisher bewiesen habe." „Mir ist Herr von Klewitz furchtbar gleichgültig, Onkel. Tante scheint ihn allerdings sehr zu bevor- zugen." „Vielleicht hat er sich der Tante anvertraut, ich glaube, er kommt Deinetwegen." Eine höchst unangenehme Ueberraschung drückte sich in Lydias Gesicht aus. „Das Ware mir äußerst fatal!" sagte sie. „Ich kann mich für diesen Baron so wenig erwärmen, daß ich nur der guten Sitte wegen eine gewisse Freund lichkeit gegen ihn nicht außer Acht gelassen habe, er war immerhin der Gast Deines Hauses." „Ich finde auch, daß er kein passender Verkehr für uns ist," sagte Heinitz nachdenklich. „Er soll schon tolle Streiche verübt haben!" be merkte die Komtesse. „Was?" rief ihr Onkel, der innerlich frohlockte, „woher weißt Du denn das?" „Nun, ich weiß es bestimmt." „So? Merkwürdig, ich habe auch davon gehört, er soll ein sehr arger Schlingel sein." Lydia lachte. Dann drohte sie ihm schalkhaft mit dem Finger. „Onkelchen, wenn Du vielleicht im Auftrage kämst, ein besonderer Fürsprecher bist Du gerade nicht!" „Mädchen, laß das ja nicht Deine Tante hören! Aber ich weiß nun, wie ich mit Dir daran bin. Auf Wiedersehen, mein Kind!" Nach einer Stunde traf Klewitz ein. Er ließ sich bei den Damen melden und da diese nicht zu sprechen waren, begab er sich direkt zu dem Schloßherrn. Alex sah vielleicht noch ein wenig blasirter und hochmüthigcr aus als gewöhnlich, im Uebrigen war seine Haltung ruhig, nichts Besonderes vermuthen lassend. Heinitz empfing seinen Gast mit kühler Höflichkeit. Nachdem Beide Platz genommen, begann der Baron von der Freundschaft zu sprechen, welche die gnädige Gräfin ihm schon seit Wochen bewiesen und wie er sich stets hochgeehrt durch dieselbe gefühlt habe. Dann brachte er weiter hervor, daß Komtesse Lydia einen unauslöschliche» Eindruck auf sein Herz gemacht habe, daß er endlich gegen eine Neigung angekämpft, die ihin Anfangs als geradezu hoffnungslos erschienen sei, da seine Vergangenheit manch losen Jugendstreich zu verzeichnen habe; daß er aber in letzter Zeit durch die Liebenswürdigkeit der Komtesse ermuntert, gute Vor sätze und den Muth gefaßt habe, für seine Liebe ein zustehen. „Eigentlich bin ich gezwungen, eine reiche Heirath einzugehen," schloß er. „Aber die Leidenschaft, welche ich für Lydia empfinde, wird mir die Kraft geben, auch ohne bedeutende Mittel vorwärts zu kommen, und so bitte ich Sie denn, Herr Graf, mir die Hand Ihrer Komtesse Nichte nicht zu verweigern." Heinitz hatte ihm ruhig, scharf beobachtend zugc- hört. Dann entgegnete er: „Ich muß Ihnen offen sagen, daß eine Verbind ung zwischen Ihnen uns der Komtesse nicht nach meinem Wunsche ist. Trotzdem würde ich auf keinen Fall die Wünsche und Neigungen meiner Nichte zu beeinflussen suchen. Auch darf ich Ihnen in keiner Weise Hoff nungen erwecken, denn Lydia scheint Sie durchaus nicht zu bevorzugen, im Gegentheil, ich habe alle Ur sache, daß Ihre Besuche ihr unangenehm sind, und da ist eS wohl das Beste, wir beenden einen gegen seitigen Verkehr, der auf die Dauer nur peinlich werden könnte."