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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 23.09.1920
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1920-09-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19200923016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1920092301
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1920092301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1920
-
Monat
1920-09
- Tag 1920-09-23
-
Monat
1920-09
-
Jahr
1920
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Morgen-Ausgabe sür Leipzig and D-rori« zweimal »glich Int Hast gebracht, Soaniagt alt Morgenautgabe moaatl. M. 10.—, viertel»dri. M. 30.—: für Abholer moaatl. M. »SO. Moraen-Aotgadr allein M. 7.50 monatlich, Abend-Aatgab« allein M L— monatlich. Barch aaser« antwärtlgen Filialen la» Hau» g«. bracht monatlich M. IO.—, viertelltihrltch M. 30.—; durch die Post Uenerhald Deutlchland« Delamt-Aataab« monatlich M. 7.50, viertellShr. lich M. L2.SÜ faatschllehllch Postdestellgedllhr). Autlandtversandr monatlich M. IL— and Drucksachen-Porto. v-nzelnammern: Morgen. Aatgad« Sb Pf, Adead-Autgad» ilb Pf. Sonntagt-Aotgad« 40 Pf. handeLs-IelLmrg Das Leipziger Tageblatt enthült dir amtlichen Bekanntmachuiigen des Rate» und des PolizrianiicS der Stadt Leip-.ig, des Amtsgerichts Leipzig und der Sächsischen Staatsminisrerie« Dresden sowie verschi.denrr anderer Behörden. 114. Jahrgang Anzeigenpreis: U'.LW. ^M. 2.2i: Anzeigen von Behdrden tm amtlichen Teil dl« Äonparelllezell« 4lr.3.ü0, v.ootn». M.5.-: blelne Anzeigen ble Aonparelllezelle M I.tO, von aulwürtt Mk. 1Li>, Beschtsllanzelge» mlt Plattvorlchrlsten lm Prell« «rbddt. Plag und Datenvorlchrtst »dn« Verbindlichkeit. Bellagenprell« für die Gesamtauflage Mk. 12.— nett», sür Tellauflag« Mk 15.— nett» pro MM», Postauflag« Postgebadr «ztra. Ferniprech.Anschlub Ar. lt oSr, ttü^, ttün«. — P»l>lche<kk°nIo7Ä">. Lchrislleiiun, und GelchLsttsteUe: Leipzig, tlohonnitgajs« dir, 8. Verlag Dr. Aetnhold L Lo., Leipzig Nr. 444 Donnerstag, den 23. September 1920 Das Jugendwohlfahrtsgesetz Don Dr. Marie Baum. Al. d. R. I. Der Reichstag ist in die Ferien gegangen, ohne Saß ihm das Jugendwohlfahrtsgeseh, auf das die beteiligten Kreise so sehnsüchtig warten, zur Bearbeitung zugegangen ist. Dieses Gesetz sollte wahrhaftig von einer Volksbewegung getragen werden: statt dessen stehen die Massen, unpolitisch, wie das deutsche Volk nun einmal ish fast gleichgültig diesem bedeulungs- und lebensvollen Plan gegenüber. Die Weimarer Verfassung verheißt der Jugend ein stärkeres Maß von Erziehung, Fürsorge und Berücksichtigung ihrer Eigenart überhaupt, als es wohl je in einer Verfassung geschehen ist. Und das Jugendwohlfahrtsgeseh, dessen erste Fassung vor einigen Monaten der Oeffentlichkeit bekannt wurde, soll die erste Erfüllung dieses Versprechens sein. Es wäre vielleicht schon längst Gesetz geworden, wenn nicht die finanzielle Regelung so ungeheure Schwierigkeiten bereitete. Länder und Gemeinden, in ihrer Steuerhoheit empfindlich beeinträchtigt, verlangen vom Reich, wenn dieses ihnen neue Ausgaben zur Pflicht macht, weit gehende finanzielle Unterstützung. Das Reich wiederum ist mit Rücksicht auf seine wahrhaft trostlose finanzielle Lage zurück haltend. Während die Länder einen Zuschuß von hundert Millionen erwarten, will das Reichsfinanzmintsterium nicht mehr als fünfzig Millionen bewilligen und den außerordentlich großen Rest der erwachsenden Kosten den Ländern und Gemeinden über lassen. Unseres Erachtens muß bis zum Herbst eine Einigung ge funden werden, da einschneidende organisatorische Fragen der gesamten Wohlfahrtspflege überhaupt mit den bindenden Vor schriften des Iugendwohlfahrtsgesetzes Zusammenhängen. AMjst' H- Jedes deutsche Kind hat ein Recht auf körperliche, geistige Mrd sittliche Erziehung. Das Recht und die Pflicht der Litern zur Erziehung werden durch dieses Gesetz nicht berührt. Insoweit -er Anspruch des Kindes auf Erziehung von. ö.r Familie nicht erfüllt wird, tritt öffentliche Iugendhilfe ein/ Mik diesen Knappen inhalkreichen Sätzen beginnt das Gesetz und bekundet dadurch eine Gesinnung, von der wir in der Praxis bisher sehr weit entfernt waren. Die Armenbehörden, denen die Aufbringung der Mittel für die hilfsbedürftigen Kinder oblag, haben sich lange Zeit auf den Standpunkt gestellt, daß nur die Körperliche Versorgung, nicht die Erziehung, in das von ihnen Zu gewährende Existenzminimum fallen. Und wenn auch dieser Standpunkt mit der Zeit verlassen worden ist, so wurden doch die Besonderheiten des Kindes- und Jugendaltcrs bei der engen Verbindung von Waisen- und Armenpflege auch nicht im ent ferntesten genügend berücksichtigt. Der Zweck des Gesetzes ist zunächst die klare, scharfe Tren nung des Jugendamtes vom Armenamt, was bisher nur in ganz wenigen Staaten, z. B. Hamburg, durchgeführt war. Daß die Jugendbehörden mit eigenem Etat wirtschaften, soll jetzt die Regel bilden, und schon hieraus allein wird und muß eine andere Auffassung der Jugendwohlsahrt quillen. Der zweite große Fortschritt ist, daß die der Jugend dienenden behördlichen Einrichtungen zusammengefaßt und daß sie verpflichtet werden sollen, mit der vielfach überlegenen freien Wohlfahrtspflege Hand in Hand zu arbeiten. Ueber- blickk man die bisherigen Jugendfürsorgceinrichtungen einer Ge meinde, so findet man etwa folgende Zustände: Das gesetzliche Organ des Geme-ndewaisenrats war entweder auf dem Rathaus zusammengefaßt oder arbeitete, in verschiedene Träger aufgelöst, in einzelnen Bezirken, ohne jedoch eine wirklich lebendige Be- zirkäpslege zu bilden. Der Zusammenhang mit dem gleichfalls auf gesetzlicher Grundlage ruhenden Vormundschaftswesen war meist sehr dürftig. Der Schutz der Ziehkinder lag in Händen der Polizei und wurde von dieser nur gelegentlich der Gemeindever waltung oder einem Frauenverein übertragen. Wurde ein Kind oder ein Jugendlicher hilfsbedürftig, so setzte die gemeindliche Armenpflege ein. Jugendgerichte und damit im Zusammenhang stehende Jugendgerichtshilfe wurden vom Gesetz bisher nicht ge fordert und sind daher nur in größeren Städten vertreten. Bei der Fürsorgeerziehung wiederum wirken nicht sowohl die Ge meinden als auch die Provinzen und ihre Hilfsorgane mit. Neben diesem bunten Durcheinander ganz oder halb behörd licher Arbeit steht nun die zum Teil hochentwickelte freie oder gemeindliche Wohlfahrtspflege mit Mutter- und Säug lingsschuh, Kleinkinderfürsorge, Schulkinderpflege, Berufsberatung, Jugendpflege u. a. m. Die Zersplitterung, das Neben- und Gegen einanderarbeiten ist hier ungeheuerlich, und angesichts der Notlage unseres Volkes wäre schon allein die Ileberwindung dieser Ver schwendung von Kräften, Mitteln, Zeit und Mühe ein bedeut sames Ziel. Vor allem aber ist zu erreichen, daß der Gegenstand dieser zahllosen Bestrebungen, der Jugendliche selbst, eben nicht mehr zufälliges Ziel, sondern Kern- und Mittelpunkt der gesamten Arbeit wird. Zu diesem Zweck wir- den Selbstverwaltungskörpern die Bildung von Jugendämtern übertragen, denen pflichtgemäß folgende Aufgaben obliegen: 1. Die Tätigkeit des Gemeinderoaisenrats. 2. Die Mitwirkung tm Donnundschaftswesen. 3. Der Schuh der Pflegekinder. 4. Die Fürsorge für hilfsbedürftige Minderjährige. 5. Die Jugendhilfe bei den Gerichts- und Polizeibehörden. 6. Die Mitwirkung bei der Fürsorgeerziehung. Darüber hinaus soll es ihnen Aufgabe sein, Einrichtungen, Veranstaltungen anzuregen, .zu fördern und gegebenenfalls zu schaffen für: 1. Beratung in An gelegenheiten der Jugendlichen. 2. Mutterschutz vor und nach der Geburt. 3. Wohlfahrt der Säuglinge. 4. Wohlfahrt der Klein kinder. Aus der reichen Fülle der sich aus diesen Anordnungen er gebenden Ausgaben mögen einige wenige herausgegrifsen sein. Die Finanzlage des Reiches Eine Rede Dr. Wirths im Neichskabinett Anwachsen der schwebenden Reichsschuld. Berlin, 22. September. Die mit Spannung erwartete große Sitzung des Reichs kabinetts, an welcher — eine große Sellettheit — außer dem Reichspräsidenten auch sämtliche Minister teilnahmen, nahm einen ziemlich bewegten Verlauf. Den Kernpunkt der Diskussion bil dete die F i n a n z l a g e des Reiches, die nach dem Bilde, welches der Finanzminister entwarf, eine äußerst düstere ist und eigentlich wenig Aussicht zeigt, daß man das Problem lösen könnte. Der Finanz Minister hat heute sein Pro gramm entworfen, über welches aber noch das strengste Stillschweigen bewahrt wird. Das Reichskabinett hat das Pro gramm Dr. Wirths gebilligt und gewisse Forderungen zu gestanden. welche er als unerläßlich zur Durchführung seiner Ideen ausgestellt hatte. Sicherheiten, die er zur Stützung seiner Stellung gegenüber einzelnen Ressorts braucht. Wir gehen wohl nicht fehl in der Annahme, daß es sich hierbei u. a. um Personal veränderungen im Reichsbankdirektorium handelt. Was die per sönlichen Unstimmigkeiten zwischen einigen Mitgliedern des Kabinetts betrifft, so hat die Aussprache in dieser Hinsicht leider wenig befriedigt. Immerhin wurde sestgesteilt, daß diese persön lichen Differenzen ein weiteres sachliches Zusammenarbeiten keineswegs ausschließen. Die Krise ist also als gelöst zu betrachten. Aus der großen Rede des Finanzministers in der Kabinekksfihung werden halbamtlich einige Sähe bekanntgegeben, die die Darlegungen für die gegenwärtige Finanzlage enthalten. Danach hat Dr. Wirth gesagt: Wir stehen offenkundig vor der Notwendigkeit, unS über die finanzielle Loge des Reiches Rechenschaft zu geben. Es genügt ober nicht, sich nur die Tatsachen vor Augen zu halten und die furcht bare Wucht der Zahlen in dos Gedächtnis einzutragen und Probleme zu sehen, sondern wir müssen zu weittragenden Entschlüssen kommen und ein Wirlschafls- und Finanzprogramm sür die nächste Zeit uns vornehmen. Schlechte Finanzen sind wohl auch der Ausdruck einer krankhaften Wirtschaft. Es seien deshalb heute nur wenige Zahlen wiederholt. Die steigende Größe spricht eine lebendige Sprache. Niemand, insbesondere die Beamten, sollten sich der Gewalt dieser Sprache entziehen. Im Jahre 1919 stellte die Neichsfinanz- verwaltung einen Haushalt auf, der ordentliche Einnahmen und Aus gaben enthalten soll in Höhe von 15,8 Milliarden Mar«, ferner äußer ln deutliche Einnahmen und Ausgaben in Höhe von 47,2 Milliarden, somit Gesamteinnahmen und Ausgaben mit 63 Milliarden. Der Vor anschlag für das Jahr 1920 sieht, wie er jetzt dem Reichstag zugcht, Ein nahmen und Ausgaben in der Höhe von 39,8 Milliarden vor, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, daß diejenigen Reichs-Einnahmen aus Eteuergesetzen, von denen ein Teil den Ländern und Gemeinden zufallen, mit dem vollen Aufkommen in Einnahmen und mit dem an die Länder und Gemeinden obzuführenden Betrage von 9,4 Milliarden in Ausgaben nachgewiesen sind, so daß nach Abzug dieser Summe die eigentlichen Ausgaben des Reiches im ordentlichen Etat sich auf 30,4 Milliarden belaufen. Der außerordentliche Etat sieht Ausgaben vor in 'der Höhe von 39,7 Milliarden und Einnahmen von 2 Milliarden, hat also einen Fehlbetrag von 37 Milliarden. In diesen Zahlen sind die reichseigenen Betriebe, Eisenbahn und Post nicht mit enthalten, für sie wird vielmehr ein besonderer Haushalt ausgestellt, bei dem jetzt für die Reichseisenbahnverwaltung ein Fehlbetrag von über 16 Milliarden und bei der Post ein Fehlbetrag von über 2 Milliarden scststeht. Wenn es nun auch gelungen ist, den ordentlichen Haushalt bei höchster Anspannung aller Einnahmequellen auf dem Papier zu balan cieren, so verbleibt immerhin aus den nichtgedeckten Ausgaben des außerordentlichen Haushalts und der Post und Eisenbahn ein Gesamt fehlbetrag von 37,7 und 18 Milliarden -- 55,7 Milliarden Mark. Bet den Ausgaben find im außerordentlichen Haushalt allein an Aufwendungen aus Anlaß der Durchführung des Friedensvertrages und seiner Vor- vertrüge für das Rechnungsjahr 1920 25 Milliarden vorgesehen Dazu kommen noch die finanziellen Anforderungen an das Reich sür Entschädigungen Wn Reichsangehörige aus Anlaß des Friedens vertrages, welche geschätzt werden auf 17 'Milliarden Mark für Abtretung -er deutschen Handelsflotte auf 90 Milliarden, für die Liquidation des deutschen Eigentums im Ausland auf 10^ Milliarden, für Ablieferung von Kriegsgeräten usw. auf 13 Milliarden, nach dem Kriegsschädengesetz vom 3. Juli 1916 sowie nach den in Vorbereitung befindlichen Kviegsschädengesetzen für Sciiäden im Ausland in den ehe maligen deutschen Schutzgebieten usw- Die Ge'amlforderungen für Ent schädigungen an Reichsangehörige infolge des Krieges beiäuft sich dem nach auf 131 Milliarden, wobei das in den letzten Wochen erfolgte Sinken des Markwertes noch nicht berücksichtigt ist. Nicht enthalten sind in diesen Zahlen die Summen, die das Reich für die Lieferungen und Leistungen zu vergüten hat, die als W.eder- gulimachung im Smne des Friedensvertroges an die einzelnen Entente staaten bewirkt worden find und weiterhin bewirkt werden, und deren Gesamthöhe sich überhaupt noch nicht absehen läßt. Mon muß sich nur diese gewaltigen aus dem Friedensverkrag und infolge des Krieges sich ergebenden Ziffern einmal ruhig überlegen, um die ungeheuren Lasten, die allein aus Anlaß deS Friedensvertrages auf uns liegen, ermessen Zu können. Die tatsächlichen Ausgaben für das Rech nungsjahr 1919 sowie für dos erste Drittel 1920 und der voraussichtliche Bedarf für die Zeit vom 1. August 1920 bis einschließlich 31. März 1921 werden sich auf mindestens rund 54 Milliarden belaufen, wöbe betont werden m-uß, daß es sich zum größten Teil noch keineswegs um end gültige Zahlungen, sondern nur um Vorschläge auf Entschädigungen han delt, deren Festsetzung oft Kaum noch begonnen hat. Eine Ziffer ver dient noch besondere Beachtung: daß für den genannten Zeitraum allein für Besahungsheere, den Wiedergmtmachungsausschuß und andere alli'er- ten Kommissionen 14,9 Milliarden erforderlich sein werden. Es ist des- l-alb nicht zu verwundern, daß die schwebende Schuld des Reiches gewaltig in die Höhe geht und daß ihr Anwachsen und die damit verbundene Papierflut als lawinenhaft be zeichnet werden muß. Die schwebende Schuld des Reiches ist im Jahre 1920, und zwar bis zum 18. September, um 47,5 Milliarden gewachsen. Die diskontierten Schahanwcisungen und Schatzwechsel beliefen sich am 18. September auf 132,3 Milliarden Mark, wozu sich weitere Zahlungs verpflichtungen aus Schatzanweisungen und Schahwechfeln sow e Sicher heitsleistungen in Höhe von 90,4 Milliarden gesellen. Die Ge samtschuld mit Einrechnung der fundierten Schulden im Betrage von 91 Milliarden beträgt demnach 242,7 Milliarden, dazu treten die den Ländern noch restlich abzunehmenden schwebenden Schulden und Zinsverpflichtungen an die Länder aus Anlaß der Ileber- nahme der Eisenbahnen im Gesamtkapitalbetrag von 25 Milliarden und die von den Ländern verauslagten Beträge für Familienunterstützungen, Kliegswohlfahrtspflege usw. in Höhe von 16 M äiarden. Diese Zahlen rechtfertigen wohl das Urteil, daß unsere finanzielle Lage ni ehr als ernst bezeichnet werden muh. Man darf sich des halb nicht verwundern, daß der Reichsfinanzminister der Erledigung der Desoldungsordnung, die neue große dauernde Lasten bringt, mit aller größter Besorgnis entaegensieht, vor allem dann, wenn festzustellcn ist, daß allein die Reichseisenhahnverwaltunq einen Zuschuß von über 16 Milliarden in diesem Jahre erfordert. Das Besoldungsgesetz vom 30. April 1920 erfordert an Grundgehältern, Ortszuschlägen und Teu- erungszuschlagen (nach Durchschnittssähen berechnet) jährlich 9,9 Mil liarden. Die Mehrkosten einschließlich dessen, was die Nationalversamm lung noch zugefügt hat, in Höhe von rund 2 Milliarden, betragen 7,8 Milliarden gegenüber der früheren Besoldung. Der jetzt zur Ent scheidung stehende sogenannte Rsferentenvorschlag, der übrigens im Be nehmen mit allen Restarts und den Beamtenorganisationen zustande kam, erfordert eine Mehraufwendung von 824 Millionen gegenüber dem Gesetz vom 20. April. Die jetzt noch geäußerten Wünsche der Beamten würden nach der Berechnung des Reichsfinanzministeriums eine weitere Mehrforderung von wiederum 863 Millionen rund bedeuten, wobei diesen Wünschen gegenüber noch besonders finanz politisch in Betracht kommt, daß sie auch in den Ländern und Gemeinden wiederum zu neuen Forderungen führen müßten und ebenso Rück wirkung auf die Tarifverträge der Angestellten sowie der Reichs- und StaakSarbeiter äußern würden. Clemenceau geht nach Indien. Elemenceau hat gestern Paris ver lassen, um sich nach Indien zu begeben. Zunächst wird die bedeutsame Frage des Vormundschastäwesens auf andere Grundlagen gestellt. Der langjährige Kampf der An hänger der Berufsvormundschaft hat zu einem vollen Sieg ge führt, insofern die künftigen Jugendämter pflichtgemäß die gesetz liche Amtsvormundschaft über jedes uneheliche Kind übernehmen, während sie zugleich in Form der .bestehenden Amtsvormund schaft' auch für andere Mündel zur Verfügung stehen. So sehr diese Bestimmung zu begrüßen ist, so muß doch zugleich im In teresse der Mündel gefordert werden, daß die Starrheit der ge setzlichen Vormundschaft zugunsten williger und geeigneter Ein zelvormünder gelockert wird; an diesem Punkt ist das Gesetz noch verbesserungsfähig. Jedenfalls aber ist der diesen Gegenstand regelnde Abschnitt IV des Gesetzes wohl geeignet, die immer noch keineswegs in geringem Umfang vorhandenen Reste von Bar barei in den Lebensschicksalen der unehelichen Kinder endgültig zu beseitigen, und auch der Mutter, wo sie dessen bedarf, den genügenden Schutz zu gewähren. Der fünfte Abschnitt regelt die öffentliche Unter stützung hilfsbedürftiger Minderjähriger in dem Sinne, daß -der notwendige Lebensbedarf auch die Erziehung, die Erwerbs befähigung und die Versorgung in Krankheitsfällen umfaßt. Ein Nachtrag zum Gesetz (Abschnitt VI) befaßt sich mit Schutzaufsicht und Fürsorgeerziehung und gibt den Jugendämtern neben den gesetzlichen Vertretern des Minder jährigen das Recht, beim Vormundschaftsgericht Schutzaufsicht zu beantragen, während das Ankragsrecht für die Fürsorgeerziehung in erster Linie den Jugendämtern obliegt. In organisatorischer Hinsicht ist noch zu bemerken, daß über den einzelnen Jugendämtern, die der Stadt oder einem Gemeinde verband angehören, noch L a n d e s - (Provinzial-) Jugendämter sowie ein Reichsjugendamt geschaffen werden sollen. Während man mit der Zusammenfassung nach Provinzen oder kleineren Ländern durchaus einverstanden sein kann, erscheint die Errich tung eines Reichäjugendamles minder wichtig, ja bis zu einem gewissen Grade gefährlich. Je mehr dgs Reich in den großen, wichtigen Lebensfragen des Volkes Gesetzgebung und Wirtschafts formen in seine Hand nimmt — militärischen Schutz, Steuer wesen, soziale Gesetzgebung in weitem Umfang, Eisenbahnen usw. —, um so mehr muh, um der großen Gefahr der Einförmig keit zu entgehen, den Ländern und Provinzen Selbständig keit in der Ausgestaltung des kulturellen Lebens gewähr: werden. Reichsgesetze dieser Art dürfen daher im wesentlichen nur Rahmengesetze werden, die von den Ländern und Gemein den mit lebendigem Leben zu erfüllen sind. Bei der Verschieden artigkeit des sozialen Lebens der deutschen Städte muß hier weit gehende Bewegungsfreiheit gelassen werden. Daß das Reich die Initiative ergreift, soll aber nochmals mit Dank begrüßt werden; denn tatsächlich ist die Einheit und Ent schlußkraft her Länder nicht groß genug gewesen, um in allen Städten und aus dem Lande menschenwürdige Zustände für die gefährdete Jugend zu schaffen. Freilich wissen wir, daß nicht Pxsehe und Anordnungen allein genügen. Rund tausend Jugendämter werden binnen kurzem ge schaffen werden müssen. Sie mit tüchtigen Leitern und Leite rinnen und mit der erforderlichen Anzayl sozial geschulter und warmherziger Mitarbeiter zu versehen, wird praktisch das größte Problem der nächsten Zeit bleiben. Jugendämter sind keine Stätte -es Bureoukratismus, sondern müssen, von Liebe und Wärme für die Jugend ersüllt, einen Mittelpunkt lebensvoller Arbeit bilden.
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