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Nr^ 218 DlLNstaZ, den 39. April 1918 Haupkschrifkleiker: Dr. Everth, Leipzig Verlag: Dr. Reinhold L To.. Leipzig Skandal m PrentzW« MMdnetenhanse Der deutsche Heeresbericht Amtlich. GroheS Hauptquartier, 30. April. Westlicher Kriegsschauplatz Auf dem Schlachtfelde in Flandern entwickelten sich dr einzelnen Abschnitten heftige Infaateriekämpfe. Nördlich von Voormezeele und Groote Dierstraat nahmen wir mehrer« englische Gräben. Bei Locre in die feindlichen Linien eindringende Sturmabteilungen stießen mit starken fran zösischen Gegenangriffen zusammen. 2m Verlauf dieser Kämpfe konnte sich der Feind in Locre fefisetzen. Seine Versuche, über den Ort hinaus vorzudringen, scheiterten. Die tagsüber starke Artillerietätigkeit dehnte sich auf das ganze Gebiet des < emmel aus und hielt bis zur Dunkelheit an. An der übrigen Front blieb die Gefechtstätigkeil auf Er kundungen und zeitwellig auflebendes Artilleriefeuer beschränkt. Mazedonische Front Zwischen Wardar und Doiran-See brach ein nach mehrtägiger Artillerievorbereitung erfolgter feindlicher Vorstoß vor unsere» Linien zusammen. Der Erste Generalquartiermeister. Ludeudorff. (W.T.B.) -» Bern, ZL April. (Elg. Drahtbericht.) Die schweizerischen Blätter bringe» eine« HaoaS-Konnaentar, der zum erste« Male iu um- schweifeudeu Worte» davon spricht, daß man mit einer Besetzung Iper»- durch de» Feind rechnen müsse. Eine weilere HooaS- note besagt, daß der Fein- seinen Vorstoß nördlich deS KemmclbergeS in der Richtung der Clykle forlsetzt. Die Schlacht glüht aufs neue an der ganzen Front von Dranoetre bis zum Kanal Ipern—TomineS auf. Wiborg genommen vtb. Berlin, 29. April. (Dralftberichl.) Das finnische Hauptquartier meldet: Wiborg wurde erobert. Neue U-VosLbLute im MLLLelmeer wtb. Berlin, 29. April- Amtlich. Deutsche und öster reichisch-ungarische Ü-Boote versenkten im Sperrgebiet des Mit tel meerS fünf Dampfer und zwei Segler mit zusammen rund dreiundzwanzigkausend Vrutloregistertonnen. Unter den versenkten Schiffen befanden sich der französische be- waffnele Dampfer „Liberia' (1942 Bruktoregistertonnen), ein großer bewaffneter Transporter mit zwei Schornsteinen, sowie ein italienischer Segler mit 700 Tonnen Eisen für Genua. Der Chef des Admiralsiabes der Marine. Sachsen und Litauen Dresden, bü. April. (Drahlbericht.) Die Berliner Reise deS Ministers Grafen Vitzthum von Eckstedt hängt mit den Besprechungen zusammen, die derselbe vorige Woche während seines Aufenthaltes in München gepflogen hat. Iederpfalls flehen Bundesralsverhandlungeu bevor, durch die der Neuordnung der östlichen Randstaaten eine end gültige Form gegeben werden soll. Für Sachsen fleht nach wie vor Litauen im Vordergründe. Wnn Ker WlttchtssiOnuhe Ei« törichter Handstreich (Drahkhertchk unserer Berliner Schrifklettung.) Q Berlin, 30. April. Die zweite Lesung der WahlrechtSoorlage hak mit einem post- tischen Skandal begonnen, den außerhalb der Reihen der Zen trumsfraktion niemand vorausgefehen hat. Zu Beginn der Sitzung stellte Graf Spee, der in Majorsuniform erschienen war, und dem Hause verriet, daß er von der Front käme, den Antrag, die 88 1, 2 und 3 von der Tagesordnung abzusetzen und die Beratung der Angelegenheit bis nach FriedenSschluß zu ver tagen. Ehe wir nicht Frieden hätten, könnten wir unS nicht über Neueinrichtung des brennenden Hauses streiten. Man könnte die Helden der Front von der Entscheidung über diese Frage nicht ausschlicßcn. Dort begriffe niemand die verdammte Fric- denSresolution deS Reichstages. Das alles wurde unter lebhafter Bewegung des Hauses, die sich wiederholt ,zu stürmischen Zwi schenrufen steigerte, vorgetragen. Auf der Regierungsbank sah man bestürzte Gesichter, selbst die Konservativen blickten verlegen drein. Staatsminisker Dr. Friedberg erklärte mit sichtlicher Er regung, die Zurückstellung der Vorlage urüßke den inneren Frie den deS Volkes aufs tiefste gefährden. Die Regierung könnte dis Verantwortung dafür »richt übernehmen und würde die An nahme des Antrages mit den äußersten verfassungs mäßigen Konsequenzen beantworten. Nun folgten die Erklärungen der Parteien. 3m Namen der Zentrumspartei erklärte Herr Dr. Porsch, daß für seine Fräunde der Antrag leider eine Ueberraschung bedeute. Graf Spee hätte in der Frakkionssihung davon Mitteilung gemacht, sei aber dringend und einmütig gebeten worden, seinen Antrag zurückzuziehen. Er hätte ihn auf eigene Faust gestellt: die Mitglieder des Zentrums würden den Antrag einmütig ablehnen. Schärfer noch klangen die Ablehnungen aus dem Munde des fortschrittlichen und sozialdemokratischen Redners. Aber auch Herr Dr. Lohmann erklärte für die Nationalliberalcn, sie wür de» geschlossen gegen den Antrag deS Grafen Spee stimmen. Gras Spee müsse sich bei ruhiger Ilcberlegung sagen, daß die Regierung geradezu verpflichtet wäre, die Annahme des Antrages mit der Auflösung zu beantworten. Dann nahm Herr von Hcyde- brand das Wort, um einen VermittlungSweg vorzu schlagen. Seine Freunde wären, obschon sie die Einbringung der Vorlage mitten im Kriege bedauerten, bereit, in eine Beratung des Gegenstandes einzutreten. Immerhin wären die Gründe deS Grafen Spee nicht ganz unbeachtlich und deshalb beantrage er, die Sitzung auf eine Stunde zu vertagen. Nachdem auer die Freikonservativen sich dem angeschlossen hatten, wurde di« Sitzung um Uhr auf eine Stunde vertagt. Nach Wiederaufnahme der Sitzung gab es dann nochmals eine lebhafte GeschäftSordnungSdebakte. Herr Lüdicke, der Führer der Freikonservativen im Wahlrechtsstreit, erklärte, seine Partei hätte sich entschlossen den Antrag Graf Spee abzulehnen, müsse obe" die Verantwortung für die heutigen Szenen durchaus der Re gierung zuweiscn. ' Das rief dann eine erregte Erwiderung des Skartsministerü Dr. Friedberg hervor, aber auch Herr von Heyde- branb, der gleichfalls den Antrag Spee namens der Mehrzahl seiner Freunde ablehnie. schlug zum Teil in die nämliche Kerbe ein. Wieder replizierte Dr. Friedberg, aber seine Morte erstorben schier im Lärm, der sich nun auf der Rechten erhob. Im Grunde wäre nun die Situation, soweit sie den Antrag Spee yngeht, geklärt gewesen. Die Herren Pachnicke und Hoff- mami zogen denn auch den Antrag auf namentliche Abstimmung, den sie vorher gestellt hakten, zurück. Aber nun nahm die Rechte ihn wieder aus, und so hob gegen Ende der zweiten Stunde die namentliche Abstimmung an, deren Ergebnis ja nun frei lich nicht mehr zweifelhaft sein konnte. Immerhin: 3 Stunden waren in Lärmen und Tosen verloren, ehe man überhaupt an die Beratung des eigentlichen Gegenstandes der Tagesordnung Herangehen konnte. , , Am Mintsierttsch: Dr. von Hettstng, Dr. Friedberg, Drews, Eisen hart. Haus uu'!> Tribünen sind stark besitzt. Der Präsident eröffnet um 11.20 Mr die Sitzung. Zweite Lesung der Wahlrechfsresorm. Abc». Spee (Ztr.): Ich beantrage, die 88 1 bis 3 abzusetzen nnb bis nach Friedensschlich zu vertagen. (Stürmischer Beifall, Händeklatschen der Rechten und einzelner ZentrumsmitgliOder.) Ich stelle d-n Antrag auf eigene Faust. Abg. Graf Spee (Zenkr.) begründet seinen Antrag und fuhrt ans: Wie verhält es sich denn mit dem gegebenen Königswort? Bethmann Hollweg hat hier seinerzeit erklärt, die Wahlreform könne nicht in An griff genommen werden, wo das Land von Feinden begannt, schwere innere Kämpfe nicht vertragen kann. Die Osterbotsihast besagte, daß die Krieger erst heimkehren sollten. Auch in dem Juli-Erlasse steht nicht, daß die Wahlrcform währen- der Kricgszeit gemacht werden solle. Wir sollten alles vermeiden, was den Anschein erweckt, daß die Einigkeit der geschlossenen Front nach außen nicht auch im Innern vorhanden sei. Alle Garantien für die Abänderung der preußischen Verfassung sind gegeben. Niemand kann sich dem entziehen. Es handelt sich jetzt einzig um die Frage des Zeitpunktes. Sollen die Helden an der Front ausgeschlossen sein? Ich komme von der Front. Die Annahme meines Antrages würde an der Front erlösend wirken. Dort begreift man nicht, daß daheim politischer Ehrgeiz und Machtgclüste walten. Auch die' Arbcilcrkreise des Inlandes wurden oufatmen. Zeigen Sie sich würdig der Kämpfer draußen. (Beifall und Lärm.) Vizepräsident des St^atsministeriums Friedberg Der Antrag überrascht Haus und Regierung. Er mag von patrio tischer Gesinnung ausgehen, aber der Erfolg wird nickt sein, wie der Vorredner sich verspricyt. Eins Zurückstellung der feierlich angekündig ten Vorlage auf unabsehbare Zeit würde den inneren Frieden schwcr- stens gefährden. Deswegen kann die Regierung die Verantwortung dafür nicht übernehmen. Sie müßte darauf mit den äußersten verfas sungsmäßigen Konsequenzen antworten. (Beifall. Links Hän-c- klatschcn.) Abg. Porsch (Zentr.): lieber die Zweckrnäß gkeit, die Vorlage wäh rend des Krieges zu entscheiden, kann man verschiedener Meinung sein, oder nachdem die Vorlage einmal eingcdrcicht ist, ist cs nicht mehr mög lich, den Antrag anzunehmen. Lbg. Pachnicke (Vpl.): Der Antrag ist ein Hohn auf die königliche Botschaft, das Staaksministcrium und das Land. (Bravo! links.) Ich verschwende an den Antrag kein Wort und beantrage namentliche Ab stimmung. Ado. Ad. Hoffmann (U. Soz ): Bei einer Annahme des Antrags würde ich die Kämpfer an der Front auf fordern, den Kampf einzu st eilen. Stürmische Rufe .Pfui"! .Hochverräter!', rechts. Ordnungsruf.) (Die Sitzung dauert fort.) G D Berlin, 30. April. (Drahtbericht unserer Ser- liner Schrifkleitung.) Bei der namentlichen Abstimmung über den Antrag des Grafen Spee wurde der Antrag mit 333 gegen 60 Stimmen bei einer Stimmenthaltung ab- gelehnt. Bor der Beratung der sozialpolitischen Gesetze D Als im Dezember bei seinen» Kanzler-Debüt im Reichstag Graf Hcrtling daS Arbeitskammcrgesetz und die Aufhebung des 8 153^ der Gewerbeordnung verhe.ßen halte, ward er darob von allen Fraktionsreünern belobt. Nur die Rechte beider Schattie rungen und, natürlich, die Herren von der unabhängigen Couleur blieben abseits. DaS ist im wesentlichen auch die Aufnahme gewesen, die jetzt die mit einer kleinen Verspätung — aus dem Februar »st mittlerweile April geworden — an den Reichstag gelangten Entwürfe in der Preise gefunden haben. Man hat hier und da Einwände erhoben und Ausstellungen gemacht, die einen größere, die anderen kleinere. Aber im allgemeinen anerkennt man doch gern den Willen zur sozialpolitischen Tat, von der neulich aus der großen Berliner Kundgebung der Sozialresormer Graf Posa- dowsky sehr hübsch angcmerkt hat, daß nur der Dilettantismus fordern .rönne, sie sollte von Zeit zu Zeit stillestchen. lind man bucht willig auch den ganz unleugbaren Fortschritt. In die Oppositionsstcllung sind bislang nur die konservativen und leider auch ein paar nationalliberalc Organe gerückt, die aber auf die Haltung der Reichstagsfraktion ohne Einfluß waren und es auch in Zukunft bleiben werden. Dabei machen sie sich die Be gründung ihrer ablehnenden Haltung nicht weiter schwer. Am leichtesten ein Berliner Blatt, das sich mit Ziel und Inhalt der neuen Entwürfe sogar in der Hauptsache einverstanden erklärt, aber mit wunderlicher Logik auf den bösen Geist Bethmann schilt, der sich zur Unzeit von den demokratischen ReichStagsgelüstcn diese Konzessionen habe abtrohen lassen und so die Sozialpolitik zu einem politischen Geschäft erniedcrt habe. Als ob es die Aus gabe der Regierung wäre, dem Iaveh des allen Testaments ver gleichbar, allwei! den zürnenden Zuchlmcistcr des Volkes zu spie len und sich Reformen, die sie sachlich für begründet und politisch für notwendig hält, zu versagen, nur weil sie auch von den Massen verlangt werden. Was sonst an Einwänden von dieser Seite zusammengetragen wird, wiegt noch weniger schwer. Es sind im Grunde die ehrwürdigen Bedenken, die uns seit 40 Jahren — so lange währt der Kampf um die Arbeiterkommern — begegnen, die nämlichen Einwürfe, mit denen inan immer schon das Aus nahmegesetz des 8 153-», das dein Arbeitnehmer verbietet, was dem Arbeitgeber zu jeder Frist frei gewährt ist, zu stützen ver sucht hat. Mit dem 8 153a wird man wohl am leichtesten fertig werden. Die .Post' meint zwar mit einer Hcrzenshärtigkcit, der man nichts von den Erfahrungen dieser schweren Jahre anspürt, in keiner anderen Bevölkerungsschicht kämen solcl>c grobe Verstöße gegen die bürgerliche Ordnung vor wie gerade bei den gewerb lichen Arbeitern. Wir andern wissen längst, daß der Druck, der von den Unternehmerorganisationen auSgeübt zu werden pflegt, nicht geringer ist, weil er bisweilen, nicht immer, sich salonfühiqcrcr Formen bedient und weil sie mit diesem Druck, dessen vielleicht keine Koalition ganz entarten kann, nicht erst auf die Gasse zu gehen brauchen. .Die Arbeitgeber befinden sich immer in einer Konspiration', hat schon der alte Adam Smith gelehrt. DaS Wir ken der bürgerlichen Sozialreformer, die seit Jahren für die Auf hebung des 8 153a werben, ist nicht erfolglos geblieben. Wir sind allzumal, besonders nach den Erlebnissen des Krieges in diesen Stücken weitherziger geworden. ES ist geschmacklos, mehr noch, eS ist eine politische Torheit und eine Bosheit dazu, nach der Art des .Deutschen Kuriers' in längst verjährten und gottlob vergessenen Kaiserreden zu wühlen, die einer Verengerung deS KoalitionSrechtS daS Wort zu reden schienen. Der 8 153a wird fallen und niemand wird ihm eine Träne nachwcinen. Um so weniger als die Bestimmungen deS Strafgesetzbuches, das ein gleiches Recht ist für alle, noch genug Handhaben bieten, verderb lichem und verwerflichem TerroriSmuS zu begegnen. Nicht ganz so mühelos wird, möchten mir annehmen, die Einigung über die Arbeitskammern zu erreichen sein. Hier gilt es nicht, Ueberlebtes und Morsches fortzublascn. Neues soll ge schossen werden, und die Meinungen gehen, auch unter den grund sätzlich Zustimmenden, in der Beziehung noch immer auseinander. Nach zwei Richtungen, darüber ward hier schon gesprochen, ist die Regierung entgegengekommen und Kat die Steine des An stoßes von 1908 und 1910 sortgcrollt. Auch die GewerkschaftS- sekictärc sollen nun, wennschon in gewißen Prozentsätzen, wähl bar sein und die Arbeiter der Reichs- und SlaatSwcrkstätten er halten, wenngleich ebenfalls mit einer gewißen Beschränkung, künftighin ihre Arbeitskammern oder wenigstens ihr Recht auf solche Kammern. Aber gewiße Differcnzpunkte bleiben. Zu nächst: es sind Arbeitskammern, keine Arbeit e r Kammern. Soll heißen: anders als bei den schon bestehenden gleichartigen Körper schaften, den Kammern des Handels und deS Handwerks, werden beide Teile, Arbeiter und Arbeitgeber, zusammengcschloßen. Die Arbeitskammern werden sich also nie zu reinen Interessenvertre tungen auSwachsen können, ihr Wirken wird vielmehr (oder soll es wenigstens in der Idee) dem Ausgleich der Interessen zwischen beiden am gewerblichen ArbeitSverttage beteiligten Parteien ge widmet sein. (Wobei die Möglichkeit bleibt, daß die Arbeiter mitglieder einer Kammer gegebenenfalls zu getrennter Beratung zttsämmcntreten.) Das Problem ist nicht ganz leicht. In Für und Wider laßen sich beachtliche Argumente austauschen. In dessen ist, nachdem selbst die freien Gewerkschaften unter ge wißen Voraussetzungen den paritätischen Arbcitskammcrn zuge stimmt Koben, die Frage nicht mehr akut, der Streit nicht bren nend. Bürgerliche Sozialreformer,von Rang und Gewicht, wie Professor Hitze, sehen in dem so verordneten Zwang zur Gemein schaftsarbeit sogar den eigentlichen Wert und die erziehliche Be deutung der Arbeitskammern. Nun haben aber, wie ebenfalls an dieser Stelle bereits er wähnt wvrbe, die freien, dt« christlicher», die Hirsch-Dunckerjchen