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(Nachdruck verboten.) Es klingt ein heilig Singen Herab vom Kirchenchor. Und zaubert uns im Winter Ein grünes Reis hervor. Es läuten Festtagsglockcn, Es winkt das Weihnachslicht, Es rufen Engelsstimmen: „Dein Gott vergißt dich nicht!" Weihnachten Er sandte uns die Liebe, Er gab uns seinen Sohn, In seiner Liebe birgt sich Ter reichste Himmelslohn. Aus einer kleinen Hütte Entströmt der hellste Glanz, Ein dürftig Kindlein bringt uns Im Schnee den Maienkranz. Die Wolken sind vergangen. Die Hoffnung ist entfacht, Von Bethlehem das Leuchten Zerstreut die dunkle Nacht. Das leuchtet in den Schlössern, Es klingt im Wüstenzelt, Die Winde tragen'? weiter: „Das Christkind kam zur Welt!" ES kam für uns zur Erde, Will uns den Frieden schenken Die Liebe trug's uns zu, Und süße Himmelsruh! A. Suren. Olgas Irrtum. Originalnooelle von Al ca Ruth. (12. Fortsetzung.) (Nachdruck verboten ) Aber war es denn eine Wohltat, daß er sie in jene unerquicklichen Verhältnisse einführte, für die sie, die hoch gebildete Weltdame, kein Verständnis hatte? In solcher Gesellschaft konnte sie sich nicht heimisch fühlen. Sie blieb im Hause des Kommerzienrates eine Fremde. Von dem glücklichen „Einst" blieb ihr nur ihr Stolz zurück, das war vielleicht ein Unglück für sie! Dieser Stolz allein hielt sie auch zurück, das Haus Jähneke zu verlassen und au andern Türen anzuklopfen, devot zu sein vor jenen, die einst in verschwundenen glücklichen Tagen das Haus Gastrow für sich verschlossen fanden, — nein, nein, das konnte Olga Gastrow nicht, und darum blieb sie. Aber Gnadenbrot hat sie nicht gegessen, sie gab von dem reichen Schatz ihrer Kenntnisse und suchte in das Wesen der Tochter des Empor kömmlings jene wahre Herzensbildung hinein zu legen, die so schwer anerzogen wird. Aber sie sah keine Erfolge erstehen. Der direkte Einfluß der Mutter knickte die Keime im Ent stehen. Auch an jenem denkwürdigen Abende in Ostende zeigte sich so recht, was kein goldener Firniß verdecken kann: das Vulgäre der ungeläuterten Menschennatur. Olga, zu sehr mit ihrem jungen Glücke beschäftigt, be mühte sich nicht, in den Mienen der Kommerzienrätin das Unheil zu lesen, das über sie kommen sollte mit vernichtender Wucht. Sobald die Türe sich hinter ihnen geschlossen, war das Schweigen der Kommerzienrätin gebrochen, da sprudelte es über die wulstigen Lippen wie der Gießbach über's Gestein, wie sehr ihr unkorrektes Benehmen die Grenze des gesell schaftlich Unerlaubten streife, wie man lange genug ge schwiegen zu diesem geradezu skandalösen Benehmen und man endlich gezwungen sei. sich in die undelikate Angelegen- heit einzumischen. Sie sei eben nicht nur die bezahlte Ge sellschaftsdame ihrer Tochter, sondern nehme gleichsam den Rang eines Familienmitgliedes der durchaus noblen und ehrenhaften Familie Jähneke ein. Wäre sie in den Grenzen des Schicklichen geblieben, sie. die Kommerzienrätin, hätte ihr die kleine Freude gegönnt. Du lieber Himmel, sie habe ja weiter nichts vom Leben, als daS Zuschauen — so aber ensin. sie wolle sich nicht ereifern! Gelassen, als hätten jene bitterbösen Worte nicht einmal ihre Fußspitze erreicht, hob Olga den Kopf und schaute geradeswegs in das zornige Gesicht. „Sie haben mir noch immer nicht gesagt, wessen Sie mich beschuldigen." Die gnädige Mama Jähneke brach!e diese Ruhe und Sicherheit aus aller Fassung. Wie alle kleinlichen, schwach köpfigen Naturen wurde sie durch die Ueberlegenheit und stolze Ruhe bis zur Maßlosigkeit gereizt. „Heuchlerin!" schrie sie im höchsten Affekt, „soll ich Dir die freche Maske abreißen? Ein Wort von mir genügt. Dich zu zerschmettern. O, mir spielt man so leicht nicht die Naive vor!" „Wenn Sie beleidigen", sagte Olga kalt und wandte sich zum Geheu, „dann habe ich nur ein Gefühl — das Mitleid!" Gleich einer gereizten Tigerin sprang da die Kam- merzienrätin auf das Mädchen los, es am Arme zurück haltend, bereit, bis zur Tätlichkeit auszuarten. „Geben Sie meinen Arm frei und inkommodieren Sie mich in keiner Weise, dann bin ich bereit, die Veranlassung zu dieser häßlichen Szene zu hören — andernfalls läute ich." Die ruhige Bestimmtheit ihrer Rede, der unglaublich verachtende Blick ihrer Augen übten eine Wirkung aus, der selbst die wütende Frau vor ihr nicht Widerstand zu leisten vermochte. Sie ließ von ihr ab, warf die Arme beschwörend empor und lief quer durchs Zimmer der gegenüberliegenden Türe zu. Diese öffnete sich in demselben Augenblicke und Hermine trat mit sichtlich zur Schau getragener Gelassenheit ein. „Echauffiert Euch doch nicht", sagte sie überaus weg werfend. „Du lieber Himmel! Wenn Olga die Ahnungs lose spielen will, so ist das eben eine undankbare Rolle. Wir wissen —" „Hermine, um eines bitte ich Dich", Olgas Hand lag schwer auf des Mädchens Hand, „sprich klar und offen, wessen beschuldigt Ihr mich?" „Ehebrecherin!" kreischte die Kommerzienrätin, unfähig, sich länger zu beherrschen, dazwischen. Olga stand wie erstarrt; ihr erster Gedanke war. daß die Frau da vor ihr wahnsinnig geworden sei, dann aber kam ihr die absurde Beschuldigung erst so recht zum Be- wußtsein, und — sie konnte sich nicht helfen — sie mußte laut auflachen. Dieses Gebühren schlug, wie man zu sagen pflegt, dem Faß den Boden ein. Was beide Frauen in ihrer maßlosen Erregung alles gegen sie geschleudert, dessen wußte sie sich nicht mehr zu erinnern; nur das eine stand in schrecklicher Klarheit vor ihr, das eine, an dem sie nun schon zwei volle Jahre gleich einer schweren Bürde