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für ihn ein Tag verhäugnißvoller Erinnerung, von dem eine neue Wendung seines Lebens ausging. Damit er uns aber kein Fremdling bleibe, mit dem ein bloßer Zufall uns zusammengeführt hat, möge jetzt seine Vergangenheit an uns vorüberziehen, bis uns der Gang der Begebenheit an die Stelle zurückführt, an der wir ihn seinem Sinnen und Grübeln überlassen müssen. Wolfgang Ritter war der Sohn und zugleich das einzige Kind eines Leipziger Buchhändlers. Nach dem Tode des Vaters wurde das Geschäft verkauft, da Wolfgang keine Neigung für den buchhändlcrischen Beruf zeigte, sondern sich dem philosophischen Studium gewidmet hatte. Seine hohe, nervige Gestalt, das üppige Locken haar und der mächtige Bart verliehen ihm etwas von einem Helden, der, hoch zu Roß, in Wams und Federhut und das breite Schlachtschwert an der Seite, eines jener Bilder ritterlicher Männlichkeit und Voll kraft gegeben hätte, wie sie uns durch die Kunst des Pinsels und des Meißels aus früheren Jahr hunderten überliefert worden sind. Er war ein tonangebender Führer unter der Studentenschaft, ein begehrter Gesellschafter bei der Damenwelt der höheren Kreise; aber er vernachlässigte darüber seine Mutter nicht, mit der man ihn fast täglich Arm in Arm spazieren gehen sah. Trotzdem ihm ein reiches mütterliches Erbe in Aussicht stand, welches seine Zukunft sicherte und leicht zu behaglichem Müßiggänge verführen konnte, gab er sich doch dem Eifer seiner Wissenschaft hin und hegte den Plan, nach beendetem Studium den Lehrstuhl zu besteigen. Eines Nachmittags saß er in seiner Studirstube. Eine unbehagliche, trübe Stimmung ließ ihn zu keiner rechten Sammlung seiner Gedanken kommen. Es drückte etwas auf Geist und Gemllth, wie eine schwere Ahnung. Die Mutter hatte sich heute unwohl gefühlt; sie war, trotz Wolfgangs Abmahnen ausgegangcn, und blieb immer noch weg, obgleich die Stunde, wo sie wieder hatte zurück sein wollen, bereits schon über schritten war. Das versetzte Wolfgang in eine Unruhe, die immer quälender wurde. Bald zog es ihn nach dem Fenster, bald sah er nach der Uhr. Bei der außerordentlichen Pünktlichkeit Frau Ritters und der vorrückenden Stunde wurde die Be fürchtung, daß ihr ein Unfall zugestoße» sei, in Wolf gang endlich zur Gewißheit. So wenig seine äußere mannhafte Erscheinung auf leichte Erregbarkeit schließen ließ, so besaß er doch noch ein warmes Herz, und das glückliche Familienverhältniß, in welchem er ausgewachsen war, hatte ihm die kindliche Ergebenheit für die Mutter bewahrt. Man kann sich daher seine Bestürzung denken, als athemlos ein ihm wohlbekannter Mann, der ihm Zeitschriften zu bringen pflegte, mit der Meldung ins Zimmer trat: Frau Ritter sei auf der Straße todt umgefallen und werde soeben in einer Droschke nach Hause gebracht. Es giebt Menschen von so mangelhafter Gemllths- bildung, daß sie sich ein sehr großes Verdienst daraus machen, die ersten Boten von einer Schreckenskunde zu sein und allen Anderen den Rang abzulaufen. Zu dieser Klasse gehörte auch der Kolporteur, welcher sich durch den bewiesenen Eifer den reichen Muscnsohn zu ganz besonderem Danke zu verpflichten meinte. Todtenblaß eilte Wolfgang an's Fenster, unter welchem soeben eine vollständig geschlossene Droschke vorfuhr. Eine Dame sprang heraus, nach Gestalt und Kleidung Wolfgang völlig unbekannt; ehe sie das Haus betrat, warf sie einen Blick herauf, gerade wie man ein fremdes Gebäude zu mustern pflegt, in welchem man sich irgend eines Auftrags zu entledigen hat. Wolfgang eilte ihr entgegen und traf sie auf der Treppe. Er wußte in diesem Augenblicke nicht, wie die Dame aussah, ob sie alt oder jung sei; er sah nur ein fremdes Antlitz vor sich, ans dem sich eine ernste Theilnahme ausprägte. „Sie bringen mir meine todte Mutter!" rief Wolfgang nahezu fassungslos. Ueber die Züge der Fremden flog ein Ausdruck des Widerspruchs, dem Wolfgang kaum zu glauben wagte. „Beruhigen Sie sich," fügte sie rasch hinzu, „Ihre Mutter lebt!" Der junge Student athmete tief auf. Das erste Wort, welches diese fremden Lippen gesprochen, war ein erlösendes, und wenn cS auch immerhin eine Un glückspost war, die er noch zu vernehmen hatte, so erschien ihm die Fremde in diesem Augenblicke doch wie ein Engel. Nie wieder vergaß er den Moment, wo sich sein dankerfüllter Blick auf das jugendliche dunkle Antlitz richtete, um welches sich schwarze Locken schlangen; nie mehr den Strahl aus den großen schwarzen Augen, der ihm wie ein in Flammcnschrift geschriebener Trost erschien. Es war nur ein flüchtiger Augenblick, über welchen die Besorgniß um die Mutter rasch wieder die Ober hand gewann. Sie war, wie Wolfgang jetzt erfuhr, auf der Straße umgesunken und obwohl sic sich nicht bewegen konnte, so hatte sie doch so viel zu sprechen vermocht, um der Fremden ihre Wohnung bezeichnen zu können. Wolfgang war mit wenigen Sprüngen die Treppe hinab und eilte auf die Droschke zu, in der sich die erkrankte Mutter. befand. Mit schwacher Stimme suchte ihn die Regungs lose zu beruhigen. Er nahm sic, wic ein Kind, in seine kräftigen Arme und trug sie hinauf in ihr Schlafzimmer. Während die fremde Dame ihr hilfreiche Dienste leistete, wollte Wolfgang zum Arzte springen, da Nie mand von der Dienerschaft anwesend war. „Ich habe bereits unterwegs mehrere Personen nach Acrzten ausgeschickt und diese hierher bestellt"; sagte das Fräulein, und kaum hatte sie den Satz vollendet, als auch ein Wolfgang wohlbekannter Me diziner erschien. Er untersuchte die Kranke und stellte dann einen Schlaganfall fest, welcher allerdings eine Lähmung der Füße im Gefolge habe, aber nicht lebensgefähr lich sei. Als der Arzt, nachdem er die uöthigen Verord nungen getroffen, sich wieder entfernt hatte, sah Wolfgang die gesannnte weibliche Dienerschaft um das mütterliche Krankenbett versammelt, aber nach der jungen Fremden suchte sein Auge vergebens. Sie mochte mit feinem Takte herausgcfühlt haben, daß ihre weitere Hilfe unnöthig sei und die fernere Gegenwart einer fremden Person nnter den obwalten den Umständen lästig werden könne. Unbemerkt war sie verschwunden. Es war Wolfgang peinlich, daß sie geschieden war, ohne anch nur ein Wort des Dankes für den der Mutter so thatkräftig geleisteten Samaritcrdienst von ihm empfangen zn haben. Niemand von der Dienerschaft kannte sic; die Mutter erinnerte sich kaum noch ihres Aussehens. Vergebens blieben Wolfgangs Nachsnchungen. Nach ihrer eleganten Kleidung und ihren feinen Maniren zu schließen, gehörte sie offenbar den höhe ren Standen an. Aber so weit auch Wolfgangs und seiner Mutter Bekanntschaften in diesen Kreisen reichten, so wußte man doch innerhalb derselben von keiner Persönlichkeit, auf welche sich das Aeußere der jungen Dame hätte zurückführen lassen, und da eine Erscheinung von so fremdartig fesselndem Reiz, von so entschieden süd ländischem Gepräge unmöglich hätte im Verborgenen bleiben können, wenn sie den höheren Familienkreisen der Stadt angehörte, so blieb nur die Annahme übrig, daß die Anwesenheit wohl eine vorübergehende gewesen sei. Wolfgang konnte an die Fremde nicht denken ohne ein geheimes Weh im Herzen zn fühlen. Er meinte, cs sei ein beschämendes Gefühl, so tief in ihrer Schuld zu stehen und doch keine Hoffnung zu haben, ihr jemals danken zu können. Die Erinnerung an Jemand, dessen Bekanntschaft sich an ein für uns schmerzliches Ereigniß knüpft, ist gewöhnlich keine freundliche. Für Wolfgang aber war der schwere Augenblick verklärt durch die thatkräftige Hilfe, welche die Fremde der Mutter bei ihrem ernsten Unfälle ge leistet hatte, und durch ihr erstes beruhigendes Wort, womit ein schwerer Alp von seinem Herzen genommen wurde. In seiner Anschauung stellte sie sich ihm nicht als die Ueberbringerin einer Unglücksnachricht dar, sondern als ein tröstender Engel, welcher ihm den bitteren Augenblick versüßte, und als solcher schwebte sie stets vor seinem Ange und beschäftigte seine Ge danken fort und fort, während Wochen und Monate entschwanden. Die Kunst der Aerzte vermochte gegen Frau Ritters Fußlähmung nichts auszurichten. Man rieth ihr endlich den Gebrauch einer Heilquelle an. Daher reiste sie nach einem Kurort und Wolfgang begleitete sie. Als er die Mutter gut untergebracht und in einer ihr zusagenden Gesellschaft sah, reiste er zurück. Wenn er einen kleinen Umweg nicht scheute, so hatte er die Wahl zwischen zwei Routen, von welchen die weitere über die Residenz führte. (Fortsetzung folgt.) Die wandelnde Lampe. Ein junges Ehepaar hatte sich vor Kurzem in einem Hause der Lübeckerstraße in Berlin eine Treppe hoch scm Nestchen gebaut und eitel Glück war der tägliche Gast des trauten HeimS, wenn man eine kleine Begebenheit ausschließt, die eine Differenz zwischen den Ehegatten hervorrief. In demselben Hause wohnt hoch oben unter dem Dache eine junge, hübsche Schneiderin, die mit wenigen Mitteln eine anmuthige Toilette zu machen versteht. Das junge Mädchen findet jedoch vor den Augen der Mitbe wohnerinnen des HanseS wenig Gnade, da man sich zuflüstert, daß die Toilette der Schneiderin ans frem der Tasche bezahlt werde. Der jungelEhemann hörte, daß sich sein Weibchen in demselben Sinne äußerte, und nahm die Schneiderin wacker in Schutzes» daß die Frau Gemahlin etwas befremdet auf ihren Gatten blickte und beschloß, sich auf's Beobachten zu legen. Der junge Ehemann pflegte nie ohne sein Frauchen auszugehen und nur dann eine Ausnahme zu machen, wenn er Vereine, deren Mitglied er ist, oder Ver sammlungen iin Interesse des öffentlichen Wohles be suchte. Letzthin hatte er sich auch in eine Vereins sitzung begeben. Die Debatten schienen sich sehr aus zudehnen; denn die junge Frau, die wie gewöhnlich aufblieb, um den Heimkehrendcn zu empfangen, wartete bis nach Mitternacht — aber vergeblich. Da sie sich endlich sehr müde fühlte, beschloß sie, sich zur Ruhe zu legen, stellte aber erst eine brennende Lampe in das Fenster des Treppenaufganges zum ersten Geschoß, damit das liebe „Männchen" nicht in der Dunkelheit umherzutappen brauchte. Nun wollte es das Schicksal, daß kurz darauf ein zwei Treppen hoch wohnender Student von einem etwas lang ausge dehnten Frühschoppen nach Hause kani. Er freute sich der brennenden Lanipe, ergriff sie mit unsicherer Hand und lallte: „Ein Tropf allein verschmäht des Zufalls Wohlthat." Weiter emporsteigend, gewahrte er, daß die Lampe sein Gleichgewicht nicht beförderte, und setzte sic daher auf die Brüstung des Fensters der zweiten Treppe. Später trippelte der drei Treppen hoch wohnende Herr R., der höchst vergnügt von einem Stiftungsfest heimkehrte, die Treppe hinauf. Als er die Lampe sah, dankte er im Herzen tief gerührt für die Sorglichkeit der Gattin und stieg mit der Leuchte weiter empor. Unterwegs gewahrte er, daß die Lampe eine fremde sei, und mit aller Sorgfalt stellte er sie auf das ihin zunächstliegende Fensterbrett. Noch ein mal wurde die nächtliche Ruhe des Hauses gestört. Hoch oben unter dem Dache neben dem Zimmer der Eingangs erwähnten Schneiderin wohnt der Sergeant, wie er im ganzen Hause genannt wird. Er ist ein alter Herr, der eine bescheidene Pension zu verzehren oder — besser gesagt — zu vertrinken hat. Der Alkohol macht ihn schwerfällig, und wenn er seine „Ladung" hat, haßt er die Welt. Dieser Haß wird regelmäßig jeden Abend lebendig. Er stolpert ziemlich geräuschvoll die Treppe hinauf, und als er zu ver brennenden Lampe gelangt, denkt er, das Licht sei fin den bald heimkehrenden Bauwächtcr, seinen „heimlichen Erzfeind", hingestellt, und um diesem einen Schaber nack zu spielen, entführt er die Lampe und stellt sie auf die Bodentreppe. Es war schon die Zeit, in welcher die Nachtwachtbeamten die Straßen verlassen, als der junge Ehemann, den nicht ein Bereinsabend, sondern eine Äußerst interessante Skatpartie so lange von seinen Penaten fern gehalten, nach Hause kani. Er schlich ganz behutsam in seine Wohnung, so leise, daß er deutlich sein in Bangigkeit klopfendes Herz pochen hören konnte. Der Helle Tag schien in die Fenster, als die junge Frau erwachte. Zu ihrem Entsetzen nahm sic wahr, daß das Bett des Herrn Gemahls noch unberührt war. Sie springt auf und klingelt nach dem Mädchen. Letzteres erscheint, kann aber die „gnädige Frau" auf die Frage nach dem Herrn des Hauses damit beruhigen, daß derselbe völlig angekleidet auf dem Sopha im Empfangszimmer liege. Die junge Frau freute sich, daß ihr theuerer Otto die Rücksicht gehabt hatte, sie nicht zu wecken, und sich lieber mit einem unbequemen Lager begnügt hatte; aber einer Strafpredigt, einer sehr strengen, sollte er nicht entgehen. Während die Herrin Toilette macht, tritt das Mädchen wieder ein, um die ihr unerklär liche Thatsache zu melden, daß sie, als sie auf dem Boden nach der Wäsche gesehen, „unsere Lampe" auf der obersten Treppenstufe gefunden habe. Die junge Frau verfärbte sich; ihr Gatte hatte sie verrathen, um — jene Schneiderin — das lag klar zu Tage! Unter Thränen vollendete die unglückliche Frau ihre Toilette, schrieb dann zwei Zeilen des ewigen Abschieds für Otto und wankte dann schluchzend zum Hause hinaus, um bei ihren Eltern wieder eine Zufluchts stätte zu suchen. Es war fast Mittag geworden, ehe der Eheverlassene aus seinem tiefen Schlafe erwachte, um die Flucht seiner Gattin zu Erfahren. Wie die „Neueste» Nachr." melden, unternahm er sofort die nöthigen Schritte, sein Weibchen wieder hcimzuholen und zu versöhnen, was ihm auch glücklicherweise ge lang, nachdem die Verkettung der Umstände, herbei geführt durch die wandelnde Lampe, die ihn in so schmählichen Verdacht gebracht hatte, aufgelöst war. Teiden-Damaste schwarze, weiße und farbige v. M». 2.S» bis Ml. 12.40 p. Met. (ca. 3S Qual.) — ver sendet roden- und stückweise Porto- u. zollfrei «. dors, <K. u K Hoflitf.) AUrtrk. Muster umgehend. Doppeltes Briefporto nach der Schweiz. Nicht allein jeder Kopfschmerz und Migräne wird durch den Gebrauch von Apotheker Dallmann-S Itol»- beseitigt, sondern dieselben sind gleichzeitig ein anregendes, den Magen und die Nerve» Stellende» Mittel, welches in keiner Familie fehlen sollte. Schachtel l Mk. in der Apotheke zu Eidenstock. Druck und Verlag von E. Hannebohn in Eibenstock.