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Huf die Frage, ob sie seiner Bitte nachkommen wolle, neigte sie stumm ihr Haupt. Walther erhob sich. Mit dem Gruße: .Auf Wiedersehen!" der ihm halb unbewußt über die Lip pen geflohen, wandte er sich zurück und verließ mit dem Grafen da» Zimmer. Da» Mädchen war ihm auf dem Korridor hinaus gefolgt, dort gab er dem selben die nöthigen Weisungen und unterließ auch nicht, zu betonen, daß man ihn bei dem geringsten Zwischenfall sogleich wieder rufen lassen möge. Mit «iner stummen Verbeugung verabschiedete er sich da rauf von dem Grafen. Al« Walther in die frische Nachtluft hinauStrat, holte er tief Atbcm. Der Regen hatte aufgehört und hier und da wagte sogar schon ein Stern am Himmel aufzutauLen. Mit einem kurzen Ruck schob Walther den Hut in den 'Nacken, die feuchte Luft sollte ihm die heiße Stirn kühlen. War ihm doch zu Muthe, als habe er eben im wachen Zustande einen Traum gehabt. Da» holde Gesicht der Gräfin wollte nicht vor seinen Augen verschwinden, und immer wieder glaubte er, ihren klagenden Ausruf: .Lassen Sie mich sterben'" zu hören. Ohne daß er e« eigentlich gewollt, hatte Walther den Weg nach de» Bezirksamtes Hause eingeschlagen. ES traf sich zufällig, daß dieser soeben mit seinem Wagen von seiner ländlichen Exkursion zurückkehrte. Da Walther den alten, pflichteifrigen Herrn seit einer Reihe von Jahren kannte, trat er ihm sogleich ent gegen und berichtete mit rasche» Worten da» soeben Erlebte. Er nahm dabei dem Arzt das Versprechen ab, daß er sich am kommenden Morgen in aller Frühe zur Gräfin begeben möge, um zu konstatiren, daß er sich in seinen Anordnungen kein Versehen zu schulden kommen ließ. Glaubte doch Walther, daß e» unstatt haft sei, wenn er noch ferner die ihm aufgezwungene Rolle dcS Doktor« weiter spielen würde. Jedoch wollte er sich gestatten, im Laufe des morgigen Tages in de» Arztes Begleitung noch einmal zu seiner Patientin zurückzukehren, um sich persönlich über den Zustand derselben zu informiren. Nachdem er dem allen Herrn die Sorge für die schöne Gräfin dringend ans Herz gelegt, eilte Wal ther mit einem schnellen Gruß davon. Der Zurück bleibende, noch ganz verdutzt von dem seltsamen Be- gebniß, das ihm soeben der junge Mann in so eigen- thümlicher Erregung mitgetheilt, schüttelte den Kopf und wiederholte halblaut für sich das eben Gehörte; schien er doch beinahe zu glauben, daß ihm der gute Jahrgang Aßmannshäuser, dem er vor seiner Heim fahrt im letzten Dorf wohl etwas zu reichlich zuge sprochen, allerhand phantastische Abenteuer vorgaukeln wolle. Statt sogleich nach Hause zu eilen, lenkte Wal ther seine Schritte nochmals zu dem Hotel zurück. Es gewährte ihm eine eigene Beruhigung, als er in dem Zimmer, das er vor wenigen Minuten verlassen hatte, kein Licht mehr sah. .Sie wird schlummern und ihr Leid vergessen!" sprach er vor sich hin. Mit dem Ausruf: »Ich muß sie noch einmal Wiedersehen!" trat er den Heimweg an. Dieser Entschluß sollte indessen nicht zur Ausführ ung kommen. Am andern Tage verkündete der Tele graph die Kriegserklärung Frankreich» an Deutschland. Walther, der sich nur besuchsweise bei seinem Oheim aufgehalten, mußte eiligst nach Berlin zurück, wo er domizilirte und wo da« Regiment stand, dessen Offi- zierkorp» er angehörte. Schon im Eisenbahn-Koupee fitzend, hatte er noch die flüchtige Mittheilung des Bezirksarztes entgegengenommen, daß der Zustand der Gräfin, dank der ihr so schnell gebrachten Hilfe, äußerst zufriedenstellend sei und sie einer baldigen Heilung entgegensähe. Diese Botschaft rief auf Wal ther» Antlitz eine freudige Regung hervor, in der der alte Arzt eine Art von Genugthuung erblickte, daß ihm sein wundärztliches Debüt so gut gelungen sei. Weshalb hätte Walther wohl sonst so glück strahlend lächeln können! II. Ein Vierteljahr war vergangen. Die deutschen Truppen standen schon seit einem Monat vor Pari«. Der Sieg hatte sich in einer bis dahin in der Kriegs geschichte beispiellosen Weise an die deutschen Fahnen geheftet. Ganz Frankreich war von deutschen Kriegern überschwemmt. Von allen Seiten waren sie auf jene .Hochburg der Zivilisation" — auf jene» Seine- Babel eingedrungen, e» wie mit eisernem Gürtel um schließend, aus dem kein Entrinnen war. Die herr lichen Villenstädte, die blühenden Dörfer um Pari» waren von ihren Bewohnern verlassen. Alle Häuser standen öde und leer — auf keinem Herde glimmte «in Feuer. General Trochu, der Gouverneur von Pari«, hatte die Aufforderung an die im Umkreis einer Meile wohnende Bevölkerung ergehen lassen, sich mit ihrer beweglichen Habe und sämmtlichenLebenS- miiteln in die Stadt zu begeben. Dieser Weisung war man fast allseitig nachgekommen. Wa« nicht hatte fortgeschafft werden können, war vernichtet worden. An rem Zerstörungswerk in den Häusern hatten sich dann Franckireur», ja selbst Linientruppen betheiligt. Bi« unter die Dächer waren die eleganten Villen durchsucht und geplündert worden. Die Ein friedigungen der Grundstücke lagen zerbrochen umher. die Eingänge zu den Kellern waren vermauert, die Brücken waren in die Luft gesprengt und die Pflaster der Fahrstraßen weite Strecken lang aufgerissen und unfahrbar gemacht. Im Nordosten von Pari» bildete da« preußische Gardekorp« ein Glied in der Kette, die da« Entweichen de« Feindes verhindern sollte. Die großen, breit- chulterigen Grenadiere der preußischen Garderegimen- er theilten sich dort mit den kleinen, beweglichen ächsischen Schützen in den anstrengenden und auf reibenden Vorpostcndienst. Da man mit Recht an nahm, daß da« von den Franzosen für unüberwind lich geltende Pari« nicht allzu schnell bezwungen werden würde, hatten die Soldaten sich bemüht, ihre Biwaks nack> Kräften gemüthlich zu gestalten. Die leerstehenden Schlösser und Villen der nächsten Um gebung boten ja prächtige« Material dazu. Man war darauf bedacht, Winterquartiere zu beziehen. ES war in den letzten Tagen de« Oktober«. Die Tage fingen schon an, merklich kürzer zu werden und die Sonne verlor nach und nach an Wärme. Die bisher rein beobachtende Haltung de« im Norden stehenden Einschließungsheeres schien plötzlich ernsteren Thaten weichen zu sollen. Die vorhergehenden, meist nach Süden gerichteten Ausfälle der Pariser Truppen ollten sich jetzt nach dem Norden hin verschieben. Unter den Gardeoffizicren, die sich in einem ziem lich nahe an die Wälle von Pari« hinanreichenden Dorf auf der Veranda eine« behäbigen Bauernhause« zusammenfanden, bemerkte man einen hochgewachsenen ungen Mann, dessen Gesicht einen noch im Entstehen begriffenen blonden Vollbart zeigte. Die offenen, männlichen Züge, die von einem frischen, gesunden, vielleicht um eine Schaltirung zu dunklem Roth be deckt waren, konnten als Gesichtstypus der germani schen Rasse gelten. Ein Helles, blaues Auge, aus dem Kühnheit und zugleich HerzenSgüte sprach, leuch tete froh unter der breiten, gewölbten, den Denker verrathenden Stirn hervor. Wer hätte eS diesem stolz und fest daherschreiten den Manne angesehen, daß das Waffcnhandwerk nicht sein eigentlicher Beruf sei, daß sich in dieser schmucken Uniform ein Gelehrter und Forscher verbarg? Und dennoch war es so. Doktor Walther v. Reding hatte die Feder mit dem Degen vertauscht, und daß er mit diesem Ehre eingelegt, bewies das eiserne Kreuz, das er sich in dem blutigen Ringen bei Saint Privat geholt. DaS Gespräch der von Kampfeslust erfüllten jungen Männer, denen die letztgehabte lange Waffen ruhe gar nicht zu gefallen schien, drehte sich lediglich um die unmittelbar bevorstehenden Ausfallgefechte der Pariser Besatzung gegen das im Norden stehende Einschließungsheer. Während einige Offiziere schon drohende Anzeichen für die in Rede stehenden Kämpfe bemerkt haben wollten, waren andere der Meinung, daß man noch ferner auf der Bärenhaut liegen bleiben könne. Man war noch im lebhaftesten Meinungs austausch begriffen, al» eine Patrouille von der äußer sten Feldwache her einen Gefangenen einbrachte. ES war ein in gewöhnlichen Zivilkleidern steckender junger Mann, der sich bei den Vorposten gemeldet hatte und vorgab, Gärtner in einem in der Nähe von Garges gelegenen Lustschlosse gewesen zu sein. Er sei ein Belgier von Geburt und habe sich, wie die anderen Bewohner der Gegend, beim Anmarsch der deutschen Truppen nach Paris hinein geflüchtet. Dort habe man ihn unter Mobilgarden stecken wollen, wes halb er vorgezogen, Paris den Rücken zu kehren und weiter in sein eigentliches Vaterland beimzuwandern. Er bäte nun um freie Passage durch die deutschen Einschließungsheere. Die Papiere des jungen Mannes, die auf den 'Namen Claude Meudin lauteten, waren vollständig in Ordnung. Zur Bekräftigung seiner Angaben brachte er auch noch das Dienstzeugniß seines letzten Herrn, eine« Grafen RavaiS, zum Vor schein. (Fortsetzung folgt.) Vermischte Nachrichten. — Berlin. Nun ist auch der letzte Veteran auS den Freiheitskriegen, der hier lebte, der ehemalige Kanzleidiener der Regierung in Potsdam Gottlieb Spilling, der am 2. Oktober 1795 geboren war, zur großen Armee abberufen worden. Am Sonntag Nach mittag hat man ihn auf dem Begräbnißplatz der St. MarkuSgemeinde in der Landsberger Allee zur letzten Ruhe bestattet. Der alte Spilling erblickte in Paretz, dem Gute der Königin Louise al« Sohn eine« Küster« da« Licht der Welt und war 1'/, Jahr älter al« Kaiser Wilhelm l., der mit seiner Mutter häufig nach Paretz kam, dort mit dem aufgeweckten Küster- Jungen in kameradschaftlichen Verkehr trat und ihn zu seinem Spielgenossen erkor. Bi« zu seinem 18. Jahr blieb Spilling im Hause seine« Vater«. Al dan« die Freiheitskriege im Jahre 1813 begannen, litt e« den Jüngling nicht mehr zu Hause; er trat freiwillig in die preußische Armee, wurde schon nach wenigen Wochen Unteroffizier und machte al» solcher die Feldzüge 1813—15 mit. — Im Jahre 1815 kämpfte Spilling unter dem Oberbefehl Blüchers bei Lignh und Waterloo und gehörte mit zu den Truppen, die den fliehenden Napoleon verfolgten und dessen Wagen bei Jemappe« erbeuteten. Später trat Spilling durch Protektion de« Prinzen Wilhelm in den Staats dienst und bekleidete die Stellung eine« Kanzleidiener« bi« zu seinem 70. Lebensjahr, woraus er sich pensto- niren ließ und anfänglich in Potsdam, später in Rummelsburg lebte. Vor zwei Jahren zog der greise Veteran nach Berlin ; hier wohnte er, da er, nachdem eine Frau vor 28 Jahren gestorben war, allein stand, bei dem Schuhmachermeister Menzel, Blumenstraße 67 a, der sich de- Greise» hilfreich annahm und ihn liebevoll pflegte. An ven Geburtstagen Friedrich Wilhelms III. und der Königin Louise versäumte es der Verstorbene nie, nach dem Thiergarten zu gehen und an den Denkmälern seiner Wohlihäter Korn blumen niederzulegen. An den Geburtstagen der drei Kaiser illuminirte der Alte stets da« Fensterchen einer kleinen Stube und veranstaltete für die Familie einer WirthSleute eine bescheidene Festlichkeit. Noch im Februar d. I. vermochte der Greis ein Kränzchen des Krieger- u. LandwehrvercinS „Königgrätz", dessen Mitbegründer und Ehrenmitglied er war, mitzumachen; im April begannen die Kräfte des Veteranen zu chwinden und nach dreimonatlichem Siechthum schlum merte der alte Spilling am Donnerstag Mittag voriger Woche sanft ein. — Von dem vor einigen Jahren in St. Gallen verstorbenen höheren Gerichtsbeamten G. erzählt man sich, wie die „Frkf. Ztg." schreibt, folgen des Stückchen aus der guten alten Zeit der kantonalen Militärhoheit. G., welcher den Grad eines Ober lieutenants bekleidete, wurde als altes HauS zum letzten Male unter die Fahne gerufen. Seine Kameraden wunderten sich nicht wenig, den sonst so rüstigen Mann in etwas gebeugter Haltung und den offenen Kaput über den Waffenrock gezogen, einrücken zu sehen. „Ja", seufzte er, „so ein verflixter Rheumatismus könnte selbst einen Riesen zahm machen!" Der Mann schien wirklich bedenklich zu leiden. Denn trotz bren nender Juli-Sonne trennte sich unser Oberlieutenant selbst bei Laufschritt und Sturmangriff niemals von dem Warmhaltenden Kaputmandel. Nicht einmal Abends bei gemllthlicher Tafelrunde wollte er das schützende Tuch missen. Nach Schluß der Uebung nun ergriff G. beim Banket das Wort, um dem KurSkomman- danten für seine Nachsicht und den Kameraden für ihre Theilnahmc zu danken. Hierfür wolle er nun sich erkenntlich zeigen, indem er ihnen einen Einblick in den Charakter feines Rheumatismus geben werde. Mit diesen Worten entledigt er sich des ominösen Kaputs, macht „Kehrt" und präsentirt der Gesellschaft seinen Rücken. Die Kameraden krümmten sich vor Lachen ob des ihnen gebotenen Anblicks. Was war's? Als G. in den Dienst einberufen wurde, entdeckte er, daß die Uniform nicht mehr über seinem Schmeer bäuchlein schließen wollte, und für ein letztes Manöver lohnte es sich kaum, die Ausgabe für eine Neuan schaffung zu machen. Wozu aber ist man verheirathet? Die kluge Frau muß Rath schaffen! Und sie schafft Rath, sie trennt die Uniform de« wackeren VaterlandS- vertheidigers einfach bei der Rückennath auf, näht eine Anzahl Bänder an, mit denen der Rock hinten zugeschnallt wird — und der mangelnde Raum für das gerichtsherrliche Embonpoint ist geschaffen. — Der schmucke Förster ertappt die bild saubere ZenS beim Holzsammeln. — „Weißt nit, Madel, daß döS verboten iS? I muß Di auf schreiben." — „Ach, Herr Förster—" „Na, aber Straf muß sein! Mußt mir a Bussel geben zur Buß!" — Sie wird roth, aber sie hält ihm den Mund.hin — zur Straf'. Dann nach dem langen Kuß sagt sie leise, halb schelmisch, halb schamhaft: „Herr För ster — vor acht Tagen hab' i schon mal Holz sammelt . . — Ein toller Schuß. Erster Jäger: WaS ist denn bei Ihnen für ein Radau dort drüben? Der Herr Oberlehrer hat wohl endlich was getroffen? — Zweiter Jäger: Ich sage Ihnen, alle sechs Stück aus eine» Schuß! — Erster Jäger: Donnerwetter! — Aber was denn? — Zweiter Jäger: Unsere Wein flaschen im Frühstückskorbe. — Das Beste. Studiosus Bummel zählt seine Baarschast. „Hm", meint er, „dreißig Pfennig und noch drei Tage bi» zum Ersten . . . wa» anfangen?" Nach kurzem Besinnen tritt er in die Apotheke. „Bitte", sagt er und legt die dreißig Pfennig hin, „drei Schlaf pulver!" Stanbrsamtlichr Nachrichten von Eibenstock vom 22. bis mit 28. Juni 1892. Geboren: 150) Dem Restaurateur Ernst Friedrich Roßner hier I Sohn. ISI) Dem Maschinensticker Hermann Oeser hier 1 Tochter. IS2) Dem Kaufmann Gustav Emil Tittel hier 1 Tochter. 133) Dem Böttcher Karl Hermann Gottschling hier 1 Sohn. Aufgeboten: 27) Der Musterzeichner Friedrich August Seidel in Berlin mit der Tambourirerin Anna Cäcilie Müller hier. 28) Der Maschinensticker Hermann Anton Diettrich hier mit der Maschinengehilfin Anna Emilie Liebold hier. 29) Der Maurer Gustav Ernst Stemmler hier mit der Aufpasserin Selma Radecker hier. Eheschließungen: 24) Der Maschinensticker Louis Paul Glaß hier mit der Maschinengehilfin Anna Marie Seidel hier. Gestorben: 122) Des Schuhmachers Friedrich Gustav Schlegel hier Tochter, Johanne Anna, I I. 10 M. 4 T. 123) Die Tambourirerin Gertrud Helene Funk hier, IS I. 8 M. 29 T. 124) Der Maschinensticker Hermann Eduard Oeser hier, ein Ehemann, K8 I. 8 M. 4 T. 123) Des Bürgerschul lehrers Stephan Martin Rausch hier Tochter. Klara Helene, ein Zwillingskind, 3 M. 20 T.