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Leben zu gehen, ohne ein geliebte» Wesen neben sich zu wissen, da» mit un» fühlt und mit un» sich freut, mit un» sorgt und mit un» weint. Er dachte daran, wie schön e« sein müsse, ein eigene» Daheim zu haben, da» die Liebe gebaut hat und das Glück be wohnt, in dem die Eine schaltet und waltet, der wir Herz und Sinn zu eigen gegeben haben. Freilich war sich Lederstrumpf noch nicht recht klar, ob er dem Bilde dieser Einen, die darin walten sollte, Hedwigs sanfte Züge oder die herausfordernde Schönheit Julien« verleihen sollle. Nachdenklich bückte er sich, um einige tiefblaue Veilchen, die ihm in« Auge fielen, abzupflücke», und steckte lächelnd eine große Brennnessel, die ihm dabei tüchlig die Finger ver brannte, zu ihnen in« Knopfloch. Jetzt halte er nur noch die letzte steile Höhe zu erklettern, um auf den Berggipfel zu gelangen. Einem plötzlichen Einfall folgend, verließ er den bequem hinaufführenden Weg, um direkt durch Gebüsch und Ranken der Höhe zuzustreben. Mit kräftiger Hand theilte er die Zweige de« Gesträuche- von einander und blieb überrascht stehen. Vor ihm auf schwellen dem Rasen saß ein junge« Paar, Erd' und Welt vergessend in der Wonne eine« ersten langen Kusse«. .Oho!" dachte Lederstrumpf und wollte sich wieder zurückziehen, aber er war schon bemerkt und auch er kannt worden. Der junge Mann sprang von seinem Rasensitze schnell in die Höhe und rief, auf ihn zueilend und seine Hand ergreifend: .Heinrich, lieber Heinrich, wünsche mir Glück! Seil einer Stunde bin ich der seligste Mensch auf Gottes weiter Welt. Käthchcn ist meine Braut!" .Merkwürdig! Wa« mußt Du für Süßholz ge raspelt haben in den drei Tagen, seit ich nicht bei Dir war!" entfuhr es Lederstrumpf in der ersten Ueberraschung. Als er aber jetzt vor dem erröthen- den Käthchen stand und in ihre süßbräutlichen Augen blickte, überkam ihn wieder die HänflingSneststimmung, so daß er seinen Glückwunsch in einer ihm selbst unerklärlichen und höchst ärgerlichen Rührung her vorstammelte. .Aber nun lassen Sie un« zu den Andern da oben gehen," bat Käthchen, „Sie freuen sich alle so sehr auf Ihr Kommen." .Mit dem größten Vergnügen, mein Fräulein," erwiderte Lederstrumpf; innerlich setzte er jedoch hinzu: „Alles soll mir recht sein, wenn nur der Obersteuer einnehmer nicht da ist." Aber der Obersteuereinnehmer war da. Seine breiten rothen Rockaufschläge blitzen recht maliziös von der Bank herüber, auf der er an der Seite der alten Dame saß, die Lederstrumpf vor drei Tagen auf der Stadtmauer überfallen hatte. Nicht weit von ihnen lehnte Julie über die Brüstung deS Geländers, welches das Plateau des Berges um- giebt, und schaute in das Thal hinab. Wie schön sie war! Wie elastisch ihr Wuchs, wie weiß ihr feiner Hals, wie voll und glänzend die dunklen Locken! Aber Lederstrumpf mußte seine Augen von ihr loSreißen; er stand vor der alten Dame. „Ich freue mich außerordentlich," begann er, sich höflich verneigend, .endlich Gelegenheit zu finden, mein neuliches unbescheidenes Eindringen in Ihre Wohnung, geehrte Frau, zu entschuldigen. Ich hoffe indeß, auf Ihre gütige Verzeihung rechnen zu können, da die Folgen meines unerbetenen Besuches so über raschend angenehmer Art sind." Er deutete dabei auf Ehrhardt und Käthchen. Die alte Dame lächelte. „ES freut uns sehr, Sie endlich hier zu sehen. Mein Sohn, der Obersteuereinnehmer —" sie wollte die Herren einander vorstellen, wurde aber von ihrem Sohne unterbrochen. .Habe schon das Vergnüge« gehabt. Nun, Herr Donner, hat sich Ihre Aktiengesellschaft schon ent schieden, ob sie Eisen- oder Kohlenbergwerke in der Simmer'schen Sandgrube anlegen will?" Lederstrumpf verschluckte die Antwort, die ihm auf der Zunge schwebte, denn jetzt nahte Julie. Jede Miene ihres hübschen Antlitze« zuckte vor Uebermuth, als sie die beiden Männer neben einander stehen sah. „Ach, willkommen, Herr Donner, ich sehe, die Herren kennen sich schon; da bleibt mir nichts mehr zu thun übrig, als Ihnen in dem Obersteuereinnehmer meinen — Gatten vorzustellen." Auf Alle« war Lederstrumpf vorbereitet, darauf nicht. Er starrte sprachlos bald den Obersteuereinnehmer an, um dessen Mund cs seltsam zuckte, bald Julien, welche ganz harmlos fortfuhr: Meine Kinder kennen Sie ja schon. Ich bin Ihnen noch vielen Dank dafür schuldig, daß Sie sich neulich so freundlich meiner kleinen Meta annahmen." Lederstrumpf hatte genug gehört. Er trat an den Rand deS Plateaus und blickte so angelegentlich nach den unten auf- und abfahrenden Dampfschiffen, als wäre e» eine Lebensfrage für ihn, zu unterscheiden, ob da» eben vorbeidampfende Fahrzeug die „Germania" oder der „Kaiser Wilhelm" sei. „Eine schöne Aussicht, nicht wahr?" spottete die unerbittliche Julie, an seine Seite tretend. „Was für ein schöne« Exemplar einer Nessel Sie da im Knopflochs tragen, Herr Donner. Darf ich fragen, wo Sie dieselbe gefunden haben?" Aber schon hatte Lederstrumpf seine Schwäche überwunden. „Hier auf dem Schloßberge, Frau Odersteuer einnehmerin. Erlauben Sie, daß ich Ihnen dieselbe al« Zeichen meiner besonderen Hochachtung verehre." „O, bitte, bitte, berauben Sie sich nur nicht Ihrer Lieblingsblume! Doch ich sehe. Sie haben auch Veilchen gepflückt." .Ja, Frau Obersteuereinnehmerin, glücklicherweise bringt die hiesige Gegend nicht nur Nesseln, sondern auch Veilchen hervor." „Eine sehr liebe Blume, nur soll sie zuweilen vor der Nase weggepflückt werden." „Dann sucht man sich ein anderes." .Wenn man eins findet." „Ich werde im Steeger Thale danach suchen," sagte Lederstrumpf. „Doch da fällt mir ein, daß eS mir unmöglich ist, länger in Ihrer angenehmen Gesellschaft zu bleiben, Frau Obersteuereinnehmerin." „Sie wollen schon fort?" rief Julie überrascht. „Aber, Heinrich, Du bist ja eben erst gekommen," sagte Ehrhardt hinzulrelend, während Käthchen freund lich hinzusetzte: .Wir haben uns so sehr auf Ihr Kommen gefreut!" Aber Lederstrumpf blieb fest. Die Stunde der Rache war für ihn'gekommen. .E« thut mir unendlich leid, so liebenswürdigen Bitten widerstehen zu müssen, aber ich habe ver sprochen, heute einen Besuch im Steeger Pfarrhause zu machen, um die in Kaub angeknüpfte Bekannt schaft sorlzusetzken, und die Damen werden einsehen, daß ich Fräulein Hedwig nicht warten lassen darf." Er verbeugte sich tief und ging triumphirend von dannen. — Es war schon spät in der Nacht, als Lederstrumpf in's Hotel Wasum zurllckkehrte. Er fand Ehrhardt noch wach und seiner wartend. „Warum liegst Du nicht längst in den Federn und träumst von deinem holden Bräutchen?" „Ich konnte nicht schlafen gehen, ohne Dich um Verzeihung gebeten zu haben. Du bist mir doch ge wiß recht böse, Heinrich?" „Merkwürdig, weshalb sollte ich Dir böse sein?" fragte Lederstrumpf. „Weil ich mich in den letzten Tagen so wenig um Dich gekümmert und selbstsüchtig nur an mein eigenes Glück gedacht habe." „Und wer sagt Dir denn, daß ich nicht ganz das selbe gethan habe? Wo denkst Du hin, Herzensjunge! Verlobe Dich, heirathc, werde Familienvater! Mir ganz recht; nur bilde Dir dabei nicht ein, daß ein Anderer das nicht auch kann, wie ich Dir durch mein Beispiel zu beweisen gedenke." „Heinrich, verstehe ich Dich recht, so —" „Ist Hedwig das liebenswürdigste Wesen, das die Erde trägt," fiel Lederstrumpf ein, „und ich hege die Hoffnung, durch sie ebenso glücklich zu werden, wie Du durch Dein Käthchen." „Wie steht es aber mit der Nesselnatur bei ihr?" neckte ihn Ehrhardt. „Sei still davon! Ich kann das Wort „Nessel" nicht mehr nennen hören. Ich glaube, solch ein bos haftes Wesen wäre im Stande, sich expreß zu ver- heirathen, um einem nichts ahnenden Verehrer drei Jahre später den Herrn Gemahl vorstellen zu können. Ich halte eS von nun an mit den Veilchen!" Vermischte Nachrichten. — Die größte Sängerfahrt, die ein deut scher Gesangverein je unternommen, gedenkt am 2b. Juni der New-Iorker .Arion" anzutreten. Die Mitglieder de« Gesangvereines setzen sich aus den gebildeten, wohlhabenden und das Deutschthum hochhaltenden Kreisen zusammen. Die Sänger werden in den bedeutendsten Städten Deutschlands auf ihre eigenen Kosten und zum Besten der WohlthätigkeitS- anstalten der betreffende» Städte Konzerte geben, um den Nachweis zu führen, bis zu welcher Höhe selbst im Auslande die Pflege des deutschen Liedes gebracht werden kann. Die erste Begrüßung auf deutschem Boden wird in Hamburg stattfinden, wo ein Auf enthalt von zwei Tagen (7. und 8. Juli) geplant ist. Fürst Bismarck wird die Sänger in Friedrichsruh empfangen. Dann geht eS nach Berlin (vier Tage); von dort, mit einer zweitägigen Unterbrechung in Leipzig oder Dresden, nach Wien, wofür in Anbe tracht der Ausstellung ein fünftägiger Aufenthalt (15. bis 20. Juli) und zwei Konzerte angesetzt sind. Von Wien geht es mit einem je zweitägigen Aufent halt in München und Stuttgart nach Frankfurt a. M. Am 27. Juli werden die Sänger in Mainz eintreffen, wo ihrer ein ganz besonder« großartiger Empfang, auch von Seiten der Behörden, wartet. Für den 28. und 29. Juli ist eine Rheinfahrt angesetzt, während der auch dem Niederwalddenkmal, an dem ein Kranz niedergelegt werden soll, ein Besuch abgc- stattet wird. Dort werden noch einmal die sangeS- frohen Stimmen erschallen, dann geht eS zum lusti gen KehrauS nach Köln, der Residenz des Prinzen Karneval, der zu Ehren der Gäste für den I. Ang. eine außerordentliche Versammlung seines närrischen Volke« einbcrufen hat. Die Rückfahrt findet am 5. oder 7. August von Hamburg au» statt. An der Reise werden sich ungefähr 75 aktive Sänger be theiligen, die mit ihren Familien und den sich an schließenden passiven Mitgliedern eine Gesellschaft von ungefähr 250 Personen auSmachen werden. — Daß die Treue de» Hunde» auch dem eigenen Herrn gefährlich werden kann, geht au« fol gendem Vorkommniß hervor: Am Mittwoch Abend badete ein Herr an einer entlegenen Stelle im Langen See, nachdem er sich am bewaldeten Ufer entkleidet und seine Kleidungsstücke dem Schutz seines Hunde», eine« großen Neufundländers, anverlraut hatte. Da» Thier winselte leise, als eS seinen Herrn in'« Wasser gehen sah und verfolgte dessen Bewegungen mit un ruhigen Blicken. Schließlich sprang e» aus und lief laut heulend am Ufer auf und ab. Um den Hund zu beruhigen, rief der bereit« in einiger Entfernung Schwimmende ihn beim Namen. Kaum war da« ge schehen, so sprang das treue Thier mit einem mäch tigen Satz in's Wasser, und schwamm auf seinen Herrn zu und legte seinen Tatzen auf dessen Schultern, um ihn zu „retten". Der Badende gerieth hierdurch in eine sehr gefährliche Situation! Der Hund drückte ihn nieder und kratzte ihm mit den Hinterfüßen den Rücken blutig. Nur unter Aufbietung aller Kräfte gelang eS dem Herrn, sich aus der Umarmung de« Hundes zu befreien und das Land wieder zu gewinnen. Der Fall möge allen Hundeliebhabern und Badenden zur Warnung dienen. — Schiffsunfälle im Jahre 1891. Nach einer soeben erschienenen Statistik sämmtlicher see fahrenden Staaten sind im Ganzen 983 Schiffe mit 597,459 Tonnen Raumgehalt verunglückt. 55 Pro zent dieser Zahl waren Segler. Trotz dieser großen Zahl kommen auf je 10,000 vorhandene Seeschiffe nur 27,6 verlorene. 54 Prozent gingen durch Strand ung zu Grunde, 10 Prozent durch Zusammenstoß mit anderen Fahrzeugen, 5 Prozent durch Brandunglück an Bord, 10 Prozent der Schiffe mußten verlassen werden und 8 Prozent müssen als vermißt oder ver schollen gelten. Die Hälfte der verunglückten Schiffe mit 264,931 Tonnen Raumgehalt hat England zu beklagen. — Vom alten Fritz und seiner Garde weiß der „Bär" folgende amüsante Anekdote zu er zählen. Friedrich der Große hatte die Gewohnheit, an jeden in seine Garde neu eintretenden Soldaten die Frage zu richten: „Wie alt ist Er? Wie lange hat er gedient? Ist Er mit seiner Löhnung und Behandlung zufrieden?" Einst hatte sich ein Sol dat, der in Frankreich bereits Dienste geleistet, zum Eintritt in die preußische Armee gemeldet und, da er eine imposante Figur und ein intelligentes Aeußere besaß, so trug man kein Bedenken ihn einzureihen. Da der Fremde kein Wort Deutsch verstand, so ließ ihm sein Kompagnie-Chef die Antworten, welche er dem König zu geben hatte, durch einen Unteroffizier gehörig einpauken. Am Tage, an welchem der große König seine Garde inspizirte, wußte der Soldat die zu gebenden Antworten der Reihe nach fließend her zusagen. Der alte Fritz erscheint auch vor unserem Franzmann, beginnt aber unglücklicherweise ganz gegen seine Gewohnheit mit der zweiten Frage: „Wie lange hat Er gedient?" „Fünfundzwanzig Jahre, Ew. Majestät!" antwortete der Soldat. Der König verwundert über diese Antwort, da er ihm bei weitem nicht alt genug erschien, um die Muskete so lange ge tragen zu haben, fragte er weiter: „Wie alt ist Er)" „Vier Jahre, Ew. Majestät!" Friedrich, durch die zweite Antwort noch mehr als über die erste über rascht, rief ärgerlich auS: „Er oder ich muß toll sein!" Der Gardist hielt diese Worte für die dritte Frage und sagte in strammer Haltung: „Beides, Ew. Majestät!" „Dieses ist zum ersten Male in meinem Leben, daß mir Jemand vor der Front, aus dem Glieds heraus sagt, daß ich toll sei!" Der Sol dat, welcher hiermit seinen ganzen deutschen Sprach satz ausgekramt hatte, stand im Bewußtsein seiner Pflichterfüllung noch immer unbeweglich vor dem ge strengen Monarchen. Dieser stellte weitere Fragen an ihn, um der Sache auf den Grund zu gehen, da aber der Grenadier bald in geläufigem Französisch antwortete und erklärte, kein Wort Deutsch zu verstehen, klopfte ihm der alte Fritz lächelnd auf die Schulter und ging weiter. — Heimgegeben. Gattin: „Da sitze ich nun hier und bessere Deine Sachen au». Du kannst von Glück sagen, daß Du eine Frau hast. WaS würdest Du wohl machen, wenn Du mich nicht hättest?" — Gatte: „Nu, wenn ich keine Frau hätte, dann könnte ich mir eben immer neue Sachen kaufen." — Eine Bratwurstsünde. Der Baccalau- reu« Riemschneidcr, Schulmeister zu Oschatz, hatte am Johannistage des Jahres 1521 eine Bratwurst verzehrt und hierdurch gegen das kirchliche Gesetz ge handelt. Da erhielt am Sonntag Jnvocavit 1522, also neun Monate später, der Rath zu Oschatz ein landesherrliche- Schreiben des Inhalts: „Lieben Ge treuen, nachdem der BaccalaureuS intimus auf der Schule bei Euch erschienenen Sanct Johannistag Bratwurst gegessen haben soll, begehren wir ernstlich an Euch, daß Ihr denselben Baccalaureum alsbald gefänglich annehmt, und uns anhero wohlverwahret