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Sidneys zärtliche Augen sich an ihrer Freude ge weidet und sie konnte glauben, daß er je aufhören konnte, sie zu lieben. Ihr guter Bater hatte ja stets behauptet, daß sie Zwillingsseelen hätten — und dieser Teufel da vor ihr hatte durch Drohungen, listige Worte, durch Lug und Trug ihren klaren Ver stand derartig getrübt, daß sie ihm glauben konnte! Plötzlich fiel ihr etwas ein, ihr alter, fester Muth, mit dem sie O'Neill so siegreich widerstanden, kehrte zurück. „Da es, wie Doktor Martigny versichert, sich um eine NeigungSheirath handelt, ist mein Vermögen für ihn ja ohne Werth, — ich reservire mir also eine Rente für meine Lebensbedürfnisse, das ganze beträcht liche Vermögen verschenke ich hiermit an meinen Vetter und Pflegebrudcr Sidney Percy. Dazu habe ich doch das Recht, Herr Notar?" Und als er bejahte, setzte Adah hinzu: „So wollen wir diesen Akt erst abschlicßen, dann mag die Trauung erfolgen." Martigny war gründlich fahl geworden, doch spielte er seine Rolle meisterhaft weiter. „Dazn ist es ja noch morgen Zeit, meine Adah, während uns kaum eine halbe Stunde bis Mittag bleibt — es genügt ja, daß die Herren ihren Wunsch hörten und formu- liren werden — jetzt aber lassen Sic uns zur Ehe schließung schreiten." lind die graue Nebelwand wollte sich noch immer nicht zertheilen. Der Notar las die übliche Eheschließungsformcl vor, Biartigny als der Mann, hatte sie zuerst nach- zusprcchen — er öffnete den Mund, doch nur ein Schrei entrang sich seiner Kehle, denn die Thür hatte sich langsam geöffnet und mit blutunterlaufenen Angen und geballten Fäusten — stand auf der Schwelle Mortimer. Instinktiv vor dieser Schreckcnserscheinung die Flucht ergreifend, stürzte er sich nach dem Speisesaal — aber init einem zweiten Schrei prallte er zurück, dort trat eben die ganze Gruppe seiner Irren ein — Napoleon hatte einen Cylinderhut quer in den Nacken gesetzt, und die Karikatur des bekannten Hüt chens vollendete das Lächerliche seiner Pose. Die Primadonna, in rosa Atlas und übersäet mit Brillan ten, begann mit ihrer gebrochenen Stimme Rouladen und Triller zu singe«, die anderen drei Kranken riefen nur, freundlich auf Martigny eindringend: „Wir gratuliren zu Ihrer Hochzeit, Herr Doktor!" — Dahinter die erschreckt einstürmendeu Wärter und Wärterinnen, welche ihre Patienten eingeschlossen wissend, bei einem Glas Punsch in der Küche die Vermählung ihres lieben Doktors feierten und von dem Lärmen entsetzt herbeigelockt, die Katastrophe sahen. Es war eine Scene, wie aus einem Hexen- sabbath, wie von einem Höllenbreughel gemalt — und auch der Kontrast des Engels fehlte nicht: — wie eine verschmachtende Blume, weiß wie ihr Kleid, lehnte Amy an der Thür. Zurück zum Schlafzimmer wandte sich der ge ängstigte Irrenarzt — auch dort stand ein Alaun auf der Schwelle, aber jetzt stieß Martigny keinen Schrei aus, denn das zähnefletschende höhnische Ge sicht verrieth ihm den Urheber dieser Scene — Haß, Rache, Spott sprach aus diesen Zügen — und in der Hand hielt der Mensch einen Revolver, Mar- tignys eigenen Revolver, den er dessen Bettschrank entnommen — es war der wuth- und racheschnau bende Jim. XXII. Etty konnte von Glück sagen, daß ein so starker "Nebel ihre verdächtige Gestalt so schnell den Blicken verhüllt^, — als sie an die Brücke gelangte, suchte sie vergebens nach einer Droschke, — bei dem gefähr lichen Dunstlicht stockte jeder Verkehr. So brauchte sie mehr als eine Stunde, um den Holloway zu erreichen und mehrere Male war sie vom Wege ab geirrt. Nun schritt sie eilig von Stummer zu Nummer, bis vor Nr. 20. Die Thür stand offen — eine Gepäckdroschkc hielt vor der Thür — im Flur standen einige Koffer, mehrere Herren und eine alte Dame sprachen miteinander — es war eine Abreise, ein Lebewohl— sie weinten! Plötzlich versperrte Ettys Gestalt den Eingang — im Flur brannte Gas, der die zweideutige Figur seltsam grell beleuchtete. William Dolfus sah sie zuerst und redete sie an: „Was wollen Sie?" „Doktor Tornhill, Sidney Percy?" rief sie mit schwerem Athem, „wo sind sie?" „Ich bin Doktor Tornhill," rief dieser, der die Weibcrstimme erkannte, überrascht, was führt Sie her, wer sind Sie?" „Adah Percys Etty — Etty Crail — heute, jetzt vielleicht schon ist die Trauung Martignys mit ihr — helfen Sie, kommen Sie mit, sofort, die arme Frau stirbt vor Grauen, wenn sie des Schurken Frau werden muß! Und wo ist Sidney Percy?" „Hier," entgegnete er dumpf. „Und Sie, den Adah liebt, Sie können es zugeben, daß dieser Mensch das Weib Ihrer Liebe heirathet?" „Es ist ihr freier Wille," entgegnete Sidney auf TornhillS überraschte Frage, ob cs wahr sei. „Ihr freier Wille?" rief Etty, in strömende Thrä- nen ausbrechend. „Gefangen, gefoltert, gezwungen. — und das nennen Sie freien Willen, Sidney Percy?" Sie konnte vor Schluchzen kaum weiter sprechen. „An jenem Tage, wo er Ihr TodeSurtheil brachte, da hat sie sich geopfert, um Ihre Freiheit zu erlangen. „Sage ihm," gebot sie nur, „falls ich eher sterbe, Adahs Herz ist an jenem Tage gebrochen, wo sie Sidneys TodeSurtheil sah"; da hat sie Alles ge schrieben, ivaS er ihr befahl!" „Die Bitte um die Lizenz," schrie Sidney auf, und dann sahen sich Alle an, „das TodeSurtheil — von welchem TodeSurtheil sprechen Sie den», Mädchen?" „Von Ihrem TodeSurtheil — er brachte ihr ein Extrablatt einer Zeitung, da las sie es selbst, schwarz auf weiß, daß Sie einstimmig zum Tode verurtheilt waren — und weil sic beschwor, sein Weib zu werden, hat er Sie dann gerettet — aber zögern Sie nicht, steigen Sic ein, fahre» wir hinaus, ehe cs zu spät ist, oder er entführt sie — und sie haßt ihn, sie hat ihn auf den Knieen angefleht, sie frei zu geben, — „seine erste Liebkosung wird mich tödteu," sagte sie mir heute Morgen — „und da Sidney mich frei gab, wie mag er ihn belogen haben!" „Tornhill, DolfuS, steigt ein, rief Sidney neu belebt — „Sie auch, Etty, wir müssen eilen, aber gleichviel, selbst wenn die Trauung erfolgt ist — der Akt ist ungültig — schnell Kutscher, ein dreifaches Fahrgeld, wenn Sie uns schnell über die Moore zu Doktor Martignys Heilanstalt fahren." „Schnell — bei dem Nebel?" sagte phlegmatisch der Kutscher, „doch was zu machen ist, wird gemacht — ich dachte übrigens, es ginge nach dem Bahnhof?" „Mama," rief Sidney, die völlig verwirrte kleine Frau Tornhill in die Arme schließend, „ich gehe nicht nach Indien — ich hole Adah — haben Sie ein Plätzchen für sie?" „Im Haus und Herz," rief sie freudig, und sah mit feuchten Augen dem Wagen nach, als er rasselnd auf den, »assen Pflaster ihrem Blick entschwand. „Lassen Sie uns an einem Briefkasten halten," bat Etty, „ich habe einen Brief zu besorgen, unsere Frau Adah ist nicht die einzige Unglückliche da draußen." „Geben Sie her," rief William Dolfus, „ich lasse halten — doch, was ist das, der Brief ist an mich, wie kommen Sie zu der Handschrift?" Er wurde bleich bis in die Lippen. „Amy gab ihn mir," sagte Etty, „sie wird auch von ihm gefangen gehalten." Er riß den Brief auf und las die Liebe, die Treue, die Verzweiflung Derjenigen, welche mau ihm als untreu geschildert. Während er sic ini Arm eines andern Gatten glücklich wähnte, starb sie den Mär tyrertod ihrer Liebe. — Und bald von Adah und dann von der unglück lichen Amy erzählend, wurde ihnen der Weg nicht lang, obgleich die Fahrt langsam genug von statten ging. Endlich dreiviertel zwölf hielten sie vor dem Gitter. — Es war derselbe Moment, wo die Insassen des Irrenhauses ihrem Arzt einen Gratulationsbesuch machten. Carlie saß in seiner Loge, er hatte von dem Auf ruhr im Hause nichts gehört, der schrille Glockentou riß ihn hoch. Eingedenk des Verbots, Leute einzulassen, die sich nicht vorher nannten, trat er an das Gitter. „Wer sind Sie?" „Hochzeitsgäste!" rief Doktor Tornhill in bitterer Ironie. — Carlie öffnete, prallte aber zurück, als der verdächtige Schornsteinfeger znerst heraussprang, doch er wurde beiseite geschoben, die anderen drei Herren folgten Etty auf dem Fuße. — Etty betrat das Zimmer in dem Augenblick, wo Mortimer mit einem Sprung Doktor Martigny erreicht und zu Boden geworfen hatte — nun schlossen seine Hände sich würgend um des Verräthers Hals. Vergebens zerrten die anderen Männer an Mor timers Armen und suchten Martigny zu befreien — der riesige Mann schüttelte sie ab, wie lästige In sekten. Aber plötzlich lösten sich seine Hände und er erhob sich, verwirrt und forschend umherblickend — ein einziges kleines Wort, dasselbe, welches ihn vor Wahnsinn und Selbstmord gerettet, war an sein Ohr, an sein Herz ertönt oder bewahrte ihn vor einem größeren Verbrechen. Es hieß „Gednld" und Etty hatte es rechtzeitig gerufen. — Adah war lautlos in Sidneys Arnie gestürzt, es bedurfte keiner Worte — der künstliche Zorn und Haß, den Bosheit und Falschheit himmelhoch aufgethürmt, schwand vor dem ersten Blick, wie da draußen die Nebelwand vor dem durchdringenden Strahl der Mit tagssonne — nun war es doch wahr geworden, wie dereinst im Märchen ihrer Kindertage — die Wolken schwanden, Alles war Licht und Glück nnd Wonne. — Als Dolfus das sterbende Mädchen an der Thür lehnen sah, glaubte er, sein Herz müsse vor Glück und Schmerz brechen. Sie streckte ihm flehend die Hände entgegen. „Willi", rief sie, „Willi!" Er eilte zu ihr, faßte sic in seine bebenden Arme und hielt sie an seinem Herzen, versunken waren für sie Zeit und Welt — sie waren allein unter den Vielen, sie standen zu sammen an GottcS Altar und der Priester war — der Tod. Beide Arnie hatte sic fest um seinen Nacken geschlossen, ihren Mund an seinen Mund gepreßt — sie röchelte schwer. „Willi ist treu", sagte sie plötzlich lächelnd, „und wir haben nns doch wiedergcsehen" — dann das gurgelnde SchluchzG^Ws bleischwere Athmen — ihre Arme lösten sich von seinem Hals, der schöne Kopf sank zurück, die brechenden Auge» auf den ver zweifelten Geliebten gerichtet — Amy war todt. — . (Fortsetzung folgt.) Dcs Lebens Mai! Des Lebens Mai blüht einmal und nie wieder, singt Schiller in seinen Idealen! Wie manches junge Mädchen, das die erste Enttäuschung erfahren, rccitirt seufzend diese Zeilen, und spricht mit besonderer Be tonung die Worte: „mir hat er abgcblüht." Wer seine Lebensjahre noch nach Frühlingen zählen kann, weiß in den seltensten Fällen, wie glücklich er ist. Eö liegt tief in der Jugend begründet, das Glück und den Zauber, der mit ihren Jahren verknüpft ist, als etwas ganz Selbstverständliches zu genießen, — erst in späteren Jahren ergreift uns oft mit Macht und auch niit Wehmuth der Gedanke, welche Fülle von Glück und Frohsinn damals unser eigen war. Des Lebens Mai! welcher unbeschreibliche Zauber ruht wohl in diesen Worten. Wohl Jedem, dem eS vom Geschick vergönnt war, ihn in reinem Glücke zu ge nießen, die Poesie dieser Erinnerung wird bis in das späteste Alter an Reiz und Weihe nichts verlieren. Aber öde wäre es nm des Menschen Glück bestellt, wenn cs in späteren Jahren nicht noch Freuden gäbe, die unser Herz ebenso hoch schlagen ließen, als in der Jugend Tagen, — ich meine, es hat jeder Lebens abschnitt seinen Mai! — Das junge Ehepaar, dem sich jauchzend die kleinen Aermchen ihres Erstgebore nen entgegenstrecken, fragt sie, ob sie die Freude dieses Augenblickes vertauschen wollen, gegen eine Stunde von Tanz und Spiel und Minuegesang und Werben? Sie »'erden Dir sagen, daß um kein Königreich ihnen die Gegenwart feil. — Die Eltern, die ihres Sohnes nach bestandenem Examen harren, wie stolz und freudig schlägt ihr Herz, wie findet kein anderer Gedanke Raum bei ihnen, als der, einen Sohn zn besitzen, der ihre Wünsche und Hoffnungen erfüllte. — Kann man sich eine reinere Freude denken, als die, welche Groß eltern über ihre Enkel empfinden? Sie werden wieder jung und reich an Glück mit ihnen. Wie bc obachten sie sorgfältig das zeitige Erwachen der Kleinen, wie prüfen sie jedes Anzeichen, was auf ein keimen des Talent schließen ließe. Selig lauschen sie dem ersten Liedchen des Enkeltöchtcrchens, eine begabte Sängerin in ihr ahnend; wie treu im Gcdächtniß bewahren sie alle die kleinen Scherze und Witze, au denen Kinder unbewußt so reich sind. Kann man diese Großeltern-Freuden nicht mit Recht einen er neute», späten Akai des Alters nennen, und wohl dem Alter, dessen Herzen sich an so lieblichen junge» Menschcnknospcn und Blüthen ergötze» kann. Schon manches jimge Mädchen verzagte, dem des Lebens Mai wohl Knospen trieb, aber keine Blüthen brachte; Reif und Frost fielen darauf und vernichteten sie, denn des Lebens Mai ist manchmal so herbe nnd kalt wie in der Natur. Da meint ein jnnges Menschenkind, es müßte zu Grunde gehe» an dem schweren Leid, und es könne ihin nie mehr die Sonne des Glücks scheinen. Schwer ist jede Täuschung zu ertragen, die Jugend hat ihre Welt an Träumen und Idealen, und daraus vertrieben zu werden, in die rauhe Wirklichkeit, das kostet manchen harten Kainpf, zahllose heiße Thränen. Aber auch dcni vereinsamten Mädchen bietet sich in den ferneren Lebensaltern ein Mai, der ihr Herz mit inniger Freude erfüllen kann, nur muß sic nicht meinen, daß ihr Glück unwiederbringlich sei, weil Hymen's Fackel ihr nicht geleuchtet! Wie manches Ehepaar seufzt unter der Last dieser Kette, wie ist es oft so wahr: „mit dem Gürtel, mit dem Schleier reißt der schöne Wahn entzwei!" Es mag mitunter recht schwer für ein Mädchen sein, dem Gedanken ernstlich Raum zu geben, daß sie einsam, ohne die liebende Hand eines Gatten, durch das Leben gehen solle ; aber ich meine, diesem Gedanken fest in'S Auge zu sehen, ist der schwierigste Schritt, denn es gäbe in der Welt nicht so viel herrliche, zufriedene, fröh liche Tanten, wenn ein altes Fräulein zu sein, ein glückloses Daheim wäre. Sie finden ihres späteren Lebens Mai in der Liebe zu Geschwistern, Nichten und Neffen, und sind oft in selbstloser Hingebung so innig mit Allen verknüpft, daß sie gleich den Eltern in heißen Wünschen und Hoffnungen für das Heran wachsende Geschlecht leben und weben. Wenn unsere Herzen die Fähigkeit besitzen, u»S an unserer Lieben Freude und Glück zu erheben, mit ihnen zu denken nnd zu fühle», so wird des Lebens Mai nie aufhören, für uns zu blühen. Nur darf man nicht die Hände in den Schooß legen und warten, bis mit Sing und Sang die Freuden bei uns cinziehen, das ist nur Brauch in der Jugend Tagen, da kann der Mai mit seiner Wonne um uns werben, in den späteren Jahren, da müssen wir rührig unS um seine Freuden mühen, wir genießen sie aber dann auch mit doppelt tief empfundener Dankbarkeit gegen daS Geschick. Druck und B erlag von «. Hannebohn in Eibenstock.