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Beilage m Rr. 71 des „Amts- und Aiyeigeblattes." Eibenstock, den 18. Juni 1892. Die Goldfee. Original-Roman von Emmy Rossi. (14. Fortsetzung.) „Dewitz, Sir könne» rin Stück Geld verdienen — ich gebrauche bis morgen Mittag eine Leiter nnd Kugeln — Sie verstehen! Hier mein letztes Gold- stück, welches ich durchgcschmuggelt" — Jim zog einen Schuh aus und hob die Sohle vom Hacken, der hohl war, „cS gehört Ihnen für das Leihen des Hand werkszeug«. Verloren geht eS nicht, cS wird früh genug bei der Polizei wieder angcmcldet werden, also wollen Sie?" „Sie haben Glück, Mann, — hier nächtigen zwei fremde Rußfeger — aber die Sache» müssen unbe schädigt bleiben." „Selbstverständlich — und kommt Nachfrage, wer hente bei Ihnen logirt hat, so sagen Sie nur „drei Essenkehrer", das ist unverdächtig." Um acht Uhr Morgens lag bleierner Nebel ans dem Moor, als ein Schornsteinfeger die öde granc Linie betrat, die wie ein von Kinderhand gezeichnetes, willkürliches Zickzack durch die schmutzigweiße Schnee fläche lief, welche zu Doktor Martignhs Anstalt führte. Es klingelte — Earlie, halb verschlafen, einen der zierlichen Stiefel seines Herrn halb geputzt in der Hand haltend, kam heraus. „Was wollen Sie denn heute schon wieder? Sie waren ja erst vor drei Tagen hier," fuhr er den Essenkehrer an. „Eben deshalb, Mann — bin nicht ganz fertig geworden — das Loch im Kamin der Küche muß nachgesehc» werden — der Kalk hält da nicht mehr." Dies war in der That der Fall, Carlie hielt ihn also für berechtigt und ließ ihn ein. Gleich darauf öffnete sich Martiguhs Thür. „Wer war da?" „Schornsteinfeger." — „Ehe Sie öffnen, Carlie, lassen Sie sich hente sagen, wer eS ist, der Einlaß begehrt!" — Adah war auch schon anfgestanden — ein Boukett prachtvoller Rosen hatte sie aus dem Bett gejagt, die herrlichen Blumen dttnkten ihr das Symbol von Tod und Verzweiflung — Martigny hatte ihr die selben vorbereitend angekündigt — als Brautboukett! heute also war der schreckliche Tag gekommen, deni zu entrinnen unmöglich war. „Etty, Etty — nun muß es doch sein," rief sie verzweiflungsvoll, „ ich habe immer noch geglaubt, ein Wunder könne mich retten, würde mich retten — heute aber wird das Entsetzliche wahr, ich muß Mar tigny heirathen — oh, es wird bald zu Ende mit mir sein, — seine erste Liebkosung wird mich tödten!" „Und weshalb, meine theure Herrin, opfern Sie sich? Er hat Sie gezwungen. — Solche Eide zu brechen, verzeiht Gott! Und was wird Ihr Verlobter, der arme Herr Sidney, sagen?" „'Renne ihn nicht, Etty, er trägt die Schuld! Sieh, ich liebe ihn, wie mein eigenes Herz — den» er ist ein Theil desselben, und er hat mich aufgegeben, weil er mich nicht mehr liebt — als Weib wenigstens, nur als Schwester noch —" „Und das glauben Sie? Untreu ein Man», der Sie liebt? Als ob es noch Besseres und Schöneres auf der Welt gäbe, als unsere Frau Adah," rief Etty stürmisch. „Aber er hat es mir selbst geschrieben, meine gute Etty." — „Geschrieben? — was haben Sie nicht Alles auf des Teufels Befehl geschrieben? Wissen Sie, ob er Ihren Sidney nicht ebenso durch Drohungen und Lügen gezwungen hat, wie Sie selbst? Und das haben Sic mir bis auf den heutigen Unglückstag ver schwiegen ? Erst sprechen Sie Ihren Vetter persönlich, Auge in Ange, ehe Sie so Unglaubliches glauben. — Und wenn ich den Portier Niederschlagen sollte — ich eile in die Stadt!" Adah stand herzklopfend nnd zweifelnd, hoffend und fürchtend vor ihr und hielt sich an ihren Händen, als bedürfe sie einer Stütze. Dies einfache Mädchen errieth instinktiv, worauf sie mit all' ihrer gerühmten Klugheit nicht gerathen war. Aber wie entkommen? Ohne des Herrn schrift liche Erlaubniß durfte Carlie keinen von der Diener schaft herauslassen — ein Entkommen war unmöglich. „Versuchen will ich es jedenfalls," sagte Etty, „ich gehe in meine Kammer und kleide mich an, das Weitere findet sich! Der neue Arzt ist soeben einge- troffen, vielleicht daß um seinetwillen Doktor Mar tigny kein Aufhebens machen will und mich gehen läßt!" ES war 9 Uhr! — Im zweiten Stock, unter dem Dach, lagen die Zimmerchen der Dienerschaft des Hause«, der breite Schornstein durchlief in der Mitte den Boden und bildete mit der einen Wand ein Dreieck. Hier saß Jim seit einer Stunde, scheinbar mit Ausbessern be schäftigt. Da kam Etty die Treppe hinauf, sie sah den j Kaminfeger, es siel ihr auf, daß er statt des Wamses einen Rock trug und sie trat näher zu ihm. Wohl oder übel, er mußte ihre Frage beantworte», die sie au ihn richtete — in die Enge getrieben, entschloß er sich zu einer Bitte. „Ich bin es, Miß Etty, ich, Jim! Ihr Vater ließ mich gestern Abend weitergehen, obgleich er mich er kannte; stürzen Sie mich nicht ins Unglück. Ich habe ja nur gethan, was mein Chef befahl, und ich habe eS ungern gethan — nie in meinem Leben will ich wieder etwas Unrechtes thnn, Etty, helfen Sie mir dies eine Mal nur." Ein Blitz fuhr Etty durch den Kopf: „Kommen Sie in meine Kammer, schnell, daß Niemand Sie sieht." Und als sie drinnen waren, sagte sie: „Wenn Sie daö Haus nicht bald verlassen, wird man Sie suchen, erkennen, ausliefcrn. Ich will Ihnen einen Vorschlag mache», wir tauschen die Rollen, ich ver lasse als Schornsteinfeger das Haus. Sie bleiben in meiner Kammer, reinige» sich und ziehen Weiber kleidung an — Martigny feiert heute Hochzeit mit meiner Herrin, es wird später Unruhe geben, da finde» Sic schon ein Mittel zum Entkommen. Meine Kleider freilich sind Ihnen zu groß — die von der Primadonna würden Ihnen passen — aber Geduld, bis 12 Uhr bin ich zurück, ich verschaffe Ihnen dann, was Sie brauchen. Schließen Sie sich so lange ein, und fragt man nach mir, so antworten Sie, als sei ich es: „Ich habe Zahnweh." Man darf meine Ab wesenheit nicht merken — verstanden?" „Gewiß — aber mein Zeug da wird Ihnen zu eng sein, Doktor Martigny ist lange nicht so groß und stark wie Sie." „Gleichviel — ich binde mein schwarzes Shawl- tuch wie einen Plaid um den Leib, der deckt, was offen bleibt. Schnell also, Jim, es ist kein Moment zu verlieren — ich gehe hinter meinen Vorhang des Garderobenhalters — dorthin legen Sie mir Ihr Zeug, ziehen Sie einstweilen dies Hauskleid au — ich bringe Ihnen später, wie gesagt, Passenderes." In fünf Minuten war der Wechsel geschehen, zwar war Etty viel zu massiv für die Kleidung, aber der Shawl deckte Alles, dann lief sie hinaus, schwärzte sich an den Kugeln Gesicht und Hände, hing sie über die Schultern, nahm die Leiter auf den Kopf, wagerccht, so daß sie ihr Gesicht beschattete und stieg ins Parterre, mehrere Mal init tiefer Stimme rufend: „Vorsicht!" Carlie sah den Essenkehrer znrückkommcn und schloß die HauSthür auf, ging dann hinaus, um auch das Gitter aufzuschließen. Als aber Carlie das Gitter öffnen wollte, klopfte Martigny, der am Fenster stand, und machte ihm ein Zeichen, es zu unterlassen — die ganze Erscheinung des Kaminfegers fiel ihm auf. Etty merkte sein Zögern und errieth die Ursache. Blitzschnell hob sic ihre Leiter vom Kopf, legte sie gegen das Gitter, lief schnell die Sprossen in die Höhe und in dem Moment, wo Martigny Hand an die Leiter legte, sprang sie hinunter, mehr als Mannes höhe riskirend. Der Sprung lähmte einen Moment Ettys Kraft, die Füße dröhnten ihr vom Anprall auf den harten Boden, dennoch lief sic vorwärts, so gut sic vermochte, unbekümmert um oaS Schreien hinter ihr — in ein paar Augenblicken war sie in dem wallenden grauen Nebelschleier verschwunden. Ein Verdacht durchzuckte Doktor Martigny, er klopfte bei Adah. „Wollen Sie sich nicht bald an Ihre Toilette machen, meine angebctete Adah? Punkt elf Uhr wird Notar Roberts, der Standesbeamte unseres Reviers, hier sein, um den Trauakt zu vollziehen, ebenso die Zeugen. DaS Haus verlassen wir erst morgen. In meinen Zimmern, die so oft das Seuf zen unerwiderter Liebe vernommen haben, will ich meinen schönsten Tag feiern — morgen Mittag reisen wir dann nach dem Süden. Doch Sie sind allein, wo ist Ihre Dienerin Etty?" „Sie ist auf ihrem Stübchen —" „Ich werde sic Ihnen schicken. — Sara war auf dem Gang, als er hinauStrat. „Bitte, Sara, gehen Sic hinauf, Etty ist auf ihrer Kammer, sie soll zu ihrer Herrin kommen." Sara kam gleich wieder: „Sie sagt, sie käme gleich, sie hat so furchtbares Zahnweh und jammert so sehr." Er war beruhigt. Etty war zu Hause — wer aber war dieser sonderbare Essenkehrer? Inzwischen kehrte er zu seinem Gast, dem neuen Arzt zurück, der schon heute seinen Besitz antrat. Da der Notar im Hause war, vollzog sich somit einfach Abschluß und Uebergabe. Der neue Arzt war ein ernster und ehrenhafter Mann, der seinen Beruf im edelsten Sinne auffaßte — Martigny hatte ein I opulentes Frühstück bei seinem Koch bestellt, Maggie deckte in dein Nebensaal, der links vom Empfangszimmer lag, während das Schlafzimmer zur rechten Hand war, Doktor Martigny trat zu ihr und zählte die CouvertS: „Notar Roberts, Doktor Sander, die beiden Zeugen" — (zwei Herren der Dubliner Ge sellschaft, welche AdahS Identität bekunden sollten) — „Adah und ich — gerade die rechte Zahl: sechs! die Hälfte der zusammenaddirten Grazien und Musen." Er streichelte das hübsche Gesichtchen väterlich und machte ihr ein Complimcnt über das zierliche Arrange ment der Tafel. Bald »ach lO Uhr traf der Notar mit seinem Schreiber ein. De» Zessions-Vertrag hatte er bereits zu Hause «ach gegebenen Punkten entworfen, cs erfolgten die Vorlesung und Uebergabe der Kauf summe. Damit verging fast eine halbe Stunde, dann trafen die beiden Freunde Martignys als Trauzeugen ein, mit ihrer Ankunft schlug eS voll elf. Da in England bis 12 Uhr Mittags alle Ehen geschlossen sein müssen, sah der Notar bedeutsam auf die kleine Pendule auf dein Kami», deren schneller Pulsschlag fieberhaft weiter zu eilen schien, denn schon flog mit dem bekannten klirrenden Ruck der Zeiger von fünf zu fünf Minute». „Ich denke, es ist jetzt Zeit." „So werde ich meine Braut holen!" — Er warf einen schnellen Blick auf die Moore, die geheimniß- voll nut ihrem grauen Nebelflor feindlich jeden Nahen den verbergen. Er lauschte, ob nicht ein Wagen sich nähere — nichts! Wen fürchtete er nnd was? Der Schornsteinfeger wollte ihm nicht aus dem Sinn, weshalb entfloh er? Von dem reichen Blumenschmuck der Tafel, der schon am gestrigen Abend eingetroffcn war sammt Adahs Brautboukett, brach er eine weiße Rose und eine Orangenblüthe. Beide steckte er in das Knopf loch seines eleganten Rockes. Er sah tadellos fein und salonmäßig aus, ganz der Salon-Schmetterling, der zum Ueberfluß der Lerche liederreiche Kehle er halten — und in der That, auf seinen Lippen schwebten Verse, als er an die Thür seiner Braut klopfte. „Was wünschen Sie?" rief Adah, ohne zu öffnen. „Wollen Sie mir nicht öffnen, meine süße Adah? — es ist 11 Uhr, der Notar wartet!" Sie öffnete — er erschrak, sie war im weißen Negligvkleid, das goldene Haar umwogte sie sessellos, ein Gemisch von Angst nnd Hoffnung lag in ihren Ziigen. „Wie, nicht angekleidet?" fragte er sanft vor wurfsvoll. Sie entgegnete: „Ich kann mich nicht allein ankleide», Sic wollten Etty schicken, aber Sie hielten nicht Wort." „Sogleich meine Liebe," rief er übcrzärtlich, „ich hole sie selbst." Er eilte die Treppe hinauf — Ettys Zimmer war offen und leer. Also doch? Es war keine Zeit zu verlieren — gleich darauf kam Sara zu der schönen Goldfee, um ihr bei der Toilette zu helfen — Etty sei anderweitig beschäftigt. Das Herz schlug ihr hoch bei dem hoffnungsreichen Ge danken, daß Etty Mittel und Wege gefunden habe, zu entkommen, es galt also, einen Aufschub zu er möglichen, eine Verzögerung — sie ließ sich ankleiden, und als »ach einer weiteren Viertelstunde Doktor Martigny kam, um sie abzuholen, blieb sie ruhig, als er sie mit bewundernden Blicken und Worten überschüttete; nie war sie ihres Beinamens so würdig gewesen als heute. . Ein weißes Spitzenkleid, am Hals, an den Aermeln und um die Taille mit weißen Plüschbändern ge schmückt, die mit Brillantspangcn gehalten waren, zeigte die vollendete Schönheit ihrer Gestalt. Der pcrl- wcißc Teint wurde durch zwei Fieberroscn förmlich leuchtend, das goldene Haar hatte SaraS ungeübte Hand nicht zu einer künstlichen Frisur zu formen verstanden, doch selbst in dem einfachen Knoten im Nacken lag ein Reiz, den die weiße Orangeblüthe ani Ohr noch hob. Als sic an seinem Arm den Empfangssalon be trat, erhoben sich die anwesenden Herren ehrfurchts voll von ihren Sitzen, alle überrascht von dieser ent zückenden Frauenerscheinung. „Haben Sie noch etwas auf Vermögen Bezüg liches zu verfügen, ehe wir den Zivilakt vollziehen?" fragte der 'Notar die schöne Fran. „Wir haben noch nicht ein einziges Mal an schnöden Mammon gedacht, wo eS sich um eine Ncig- ungsheirath handelt," fiel Martigny ein, „ich vermache Alles, was ich besitze, meiner Frau, falls ich sterben sollte" — er wandte sich an Adah: „Bestimmen Sie frei über Ihr Vermögen, meine Adah." Ihre Augen ruhten durchbohrend auf dem grauen Nebel. Als Kind hatte sie ein Theaterstück gesehen — dort war auch eine so geisterhafte Wand — plötzlich wurde sie aufgezogen, da war lachender Sonnenschein. Alles war Licht und Glück — mußte es jetzt nicht auch so geschehen? Wie hatten damals