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Beilage ;u Rr. 68 des „Amts- und Alyeigeblattes." Eibenstock, den 11. Juni 1892. Die Goldfee. Original-Roma» von Em mH Rossi. (13. Fortsetzung.) Während inan ihn erwartete, ergriff Tornhill da- Wort und spann den diinnen Faden der Unter haltung zn einem Leichentuch fiir Dargau O'Ncill auS: „Betrachten Sie jede Verbrecherlaufbahn, Sie werden immer dieselben Symptome finden — abgesehen von den Fällen, wo Jähzorn zu einer schnellen That hinriß! — Wie das Körnchen Schnee ans dem Gipfel der Berge, so winzig beginnt die erste That des Un rechts. «Line Lüge, eine Hehlerei — ein einziger kleiner Schritt vom geraden Wege, dann wächst sie im Hcrabrollen zur riesenhaften Lawine, die Alles mit sich fortreißt und verheert, ganze Dörfer unter ihrer Wucht begräbt. An die Lüge heftet sich der Betrug, die Verleumdung, der Mord! — Dargan O'Neill ist ein schöner Mann — er war in dominiren- der Stellung; manches Mädchen, hübsch und wohl habend, hätte ihm gewiß gern die Hand zum Ehe bund gereicht, da kommt die Habsucht, die Wollust, der Neid, er erzwingt sich das schönste und reichste, und was mehr ist, das edelste und beste Mädchen des Landes — und was wird sein Ende nun sein? Er wird als gemeiner Mörder zum Tode vcrurtheilt werden, die Fülle der Beweise wird ihn erdrücken. Das trotzige Haupt wird unter der Schlinge des Henkers sich beugen auf eins aber bin ich neugierig: Wie er sich dieser Anklage seiner Frau und der gravircnden Aussage Browns gegenüber verhalten wird. „Brown, ein Ehrenmann durch und durch, ist auch von O'Neills Schuld überzeugt. — Doch da kommen sie," unterbrach Tornhill sein Rede, — „was glauben Sie, Dolfus, wird er gestehen?" „Nein, niemals!" Die Thür öffnete sich — Lieutenant Brown trat allein ein. Seine 'Nasenflügel waren kreidig weiß, er setzte zweimal an, ehe er sprechen konnte. „Meine Herren — dieser Fall wird mir ewig unaufgeklärt bleiben — ich fand Dargan O'Neill auf dem Boden seines Gefängnisses liegen — er ist todt." Wie ein Echo des Unwillens, der Verachtung, des Bedauerns und der Befriedigung erklang aus dem Munde der Anwesenden das eine Wort: „Todt" — Das war die ganze Leichenrede, die man Dargan O'Neill hielt! XX. Es war einige Tage später, als Doktor Martignh um die Frühstunde bei Adah eintrat. „Sieg, Sieg, theure Frau, auf der ganzen Linie, O'Neill ist todt, Sidney ist frei, definitiv frei und rehabilitirt." — „O'Neill todt? Hat er seinem Leben freiwillig ein Ende gemacht?" rief Adah erschauernd. Darüber sind die Aerzte sich nicht klar geworden — cs kann ein Schlagfluß gewesen sein, jedenfalls sand man keine Spur Gift in den Eingcweiden. Doch begnügen wir uns mit dem Faktum, daß er todt ist — so ist er dem Heukerstrick entgangen, seine Schuld ist als erwiesen angenommen. Es ist wie ein Roman, den ein Braddon oder White erfunden — das Laster erbricht sich und die Tugend setzt sich zur vollbesetzten Tafel des Lebens. — Ich habe Ihren Vetter kennen gelernt, ein prächtiger Junge, aber doch noch immerhin Junge — es kam mir ordent lich sonderbar vor, daß dieser knabenhafte Mann, dem kaum ein Flaum die Wange und Lippe deckt, an Heirathen gedacht hat — ich glaube, Sie Beide verkennen Ihre Gefühle und fühlen in der That nur Geschwisterliebe für einander." Statt einer andern Antwort fragte sie schnell: „Hat er gelitten durch die Hast, sieht er bleich aus, wo ist er jetzt, gewiß bei Tornhills?" Sie vergaß ganz, daß es etwas gab, was sie trennte — Doktor Martignh vergaß es um so weniger. „Und ich erwarte täglich, stündlich die Antwort auf unsere Bitte, — die Lizenz — theure Frau." Da tauchte es wieder vor ihr auf, das unheim liche Gespenst, welches ihre Träume zur Hölle, ihre Tage zu Angst wandelte. ES war unfaßbar, Sidney frei, sie frei, und ein Anderer dazwischen, eine Ver einigung hindernd! Martignh war ein Schurke, das wußte sie längst; gezwungen, ihrer Freiheit beraubt, hatte sie ihr Wort gegeben; was hinderte sie, diesen abgezwungenen Schwur zu brechen, List mit List zu vergelten, zu entfliehen und an Sidney« Herz zu ge nese»? War die Prüfung, die sie bisher bestanden, nicht endlos, grausam, unmenschlich gewesen — aber was wollte sie bedeuten im Vergleich zu dem, was eine Ehe mit Martigny bedeutete? Augstschauer durchflogen ihren Körper, als er mit seiner zärtlichen Stimme weiter sprach, von süßer Liebe Lohn und fernen goldenen Auen, wo sie sich ein Paradies gründen wollten, weitab vom Getriebe der Welt, Eine» im Anderen Genüge findend. — Und hinterher den Rausch der Großstädte an der Seine und der Themse, Babel und Ninive. Entsetzt blickte sie auf, sein begehrlicher Blick vollendete das Schreckensbild dieser Ehe. Und plötzlich sank sie ihm zn Füßen. „Wenn Dich ein Weib geboren, Mann, so ende meine Qualen, sei barmherzig, gieb mich frei, und ich will Dich anbeten wie Gott, der mich geschaffen, ich will Dich verehren mein lebenlang. Ich habe Unmenschliches ertragen — es ist Alles nichts im Vergleich zu der Hölle einer Ehe, wo das Weib den Mann fürchtet. Ja, ich fürchte mich. Ihr Blick ist Gift, Ihr Hauch ist Mord — furchtbare Dinge birgt dieses Haus, seine Schrecken sind durch die Mauern meines Gefängnisses gedrungen. Ich rufe Ihnen nur zwei Namen zu — Mortimer — Amy. — Ich will Alles, Alles vergesse» und vergeben. — Sie sind arm, ich will Sie reich machen, ich gebe Ihnen die Mittel, daß Sie Ihre Wissenschaft zum Segen der Menschheit anwenden können, statt zum Fluch! Sie sind ein genialer Mann — Sie können ein Ster» am Gclehrtenhimmel werden, können tausendfach sühnen, was Sie gesündigt — fühlen Sie nicht, daß Gott selbst durch meinen Mund zu Ihnen spricht? — Seien sie gut, seien Sic groß — trennen Sie nicht was zusammengehört, mich und Sidney." „Aber ich bitte Sie um des Himmelswilleu, ver ehrte Frau, welche Situation!" sagte Martigny. „Zu Ihren Füßen ist mein Platz, ich bin Ihr Sklave, stehen Sie auf, ich bitte Sie darum! — Und es ist wirklich schade für eine solche Liebestreue, wie Sie sie hegen — ein Troubadour des Mittelalters würde ein Lied darauf gedichtet haben — unsere Zeit ist kalt und poesielos, schöne Frau, sie versteigt sich höch stens bei dem Anblick eines so entzückenden Weibes zu einem Märchentitel — deshalb nennt man Sie die „Goldfce" — der Inhalt aber ist realistisch. Nehmen Sie an, Sidney habe die Einsicht gewonnen, daß er Sie wirklich nur wie ein Bruder liebt, ein anderes Weib habe ihn gefangen genommen, und nur un willig, weil er sein Wort an Sic verpfändet, löste er es ein." Sie unterbrach ihn mit demselben Wort, welches in sympathischem Fühlen acht Tage vorher Sidney ihn, entgegeugeschleudert. „Sie lügen!" — „Ich lüge? Und weshalb hat Sidney, obgeich er schon eine ganze Woche frei ist. Sie nicht besucht? Er war bei mir, um mir seinen Dank für meine Intervention zu sagen, drei Schritte von Ihnen ent fernt und freiwillig entsagte er meiner Erlaubniß — ist das Liebe? „Fragen Sie ihn doch brieflich danach, oder zwingen Sie ihn. Sie zu besuchen, richten Sie außer dem die Frage an ihn, ob er etwas dagegen hat, wenn Sie mein Weib werden wollen — er wird nur allzufroh sein, daß Sie ihm sein Wort zurück geben." Adah stürzte an den Schreibtisch und nahm einen der Briefbogen, den ärztlichen Name» riß sie mit den zuckenden Fingern heraus, daun schrieb sie: „Siduey, ist es wahr, daß Du seit acht Tagen frei bist, vor dieser Zeit hier im Hause warst und Mar- tignys Aufforderung, mich zu besuchen, ablehntest? Ist es ferner wahr, daß Du nichts dagegen hast, wenn ich die Frau Martignys werde? Ich bitte um Deine „brüderliche" Antwort. Adah." „Es ist jetzt elf Uhr," Martigny sah nach der Uhr, „in zwei Stunden wird eine Antwort hier sei» — ich verlasse das HauS nicht bis dahin, leben Sie wohl, angebetete Frau." Sie saß starr und stumm imd harrte der Ant wort. Dann kam Etty, die sich im Hause beschäftigte, und auf eigene Hand eine, oder eigentlich zwei kleine Jntriguen angezettclt hatte. Sic schob zuweilen zwi schen die Teller, die Mortimer zum Diner erhielt, einen Zettel, bald stand darauf: „Hoffnung" bald: „Freunde sind nah" oder „Geduld" — die Er zählung von dem unglücklichen Mann hatte sie tief erschüttert, sie fühlte Mitleid mit dem Opfer Mar tignys, denn sie betrachtete ihn wie ein Opfer, ihn und die kleine blasse Amy, die an Willis Treue glaubte. — Und als sie einmal Sara bei dem armen Mädchen vertrat, da setzte sie sich an ihr Bett und sprach ihr Muth ein. „Sie dürfen sich nicht so härmen und grämen. Miß Amy, sonst werden Sie alt und häßlich und Ihr Willi, wenn er kommt, findet Sie gar nicht mehr licbenSwerth. Nein, ich gehöre nicht zu den Wärterinnen, die Ihnen lieb zuredcn, weil Sie glauben, Ihren Wahnsinn dadurch zu beruhigen — denn ich, Miß Amy, ich halte Sie nicht für irr- ^iny rankte sich hoch an Etty empor. „Gott segne Sic für die« Wort, — wissen Sie wohl, daß ich in letzter Zeit oft selbst gezweifelt habe, ob ich vernünftig bin oder nicht? — sie reden e« einem so lange ein, bis man es selbst glaubt, und besonder er, der schwarze Dämon — der Arzt! — Kennen Sie meine Geschichte? Ich bin reich von Mutterseite her, mein Stiefbruder ist arm — ich verlobte mich mit einem Jugendfreund — ich erkrankte an einem leichten Uebel, welches in acht Tagen höchstens vor übergegangen wäre, Martigny, ein Freund meines Bruders, behandelte mich. Eines Abends gab er mir ein Schlafmittel — als ich erwachte, lag ich hier, auf diesem Bett, — ein Jahr ist es fast. Mir sagten sie, mein Willi sei untreu geworden — und das ist unmöglich — Gott weiß, was sie ihn vorge- logcu haben. Sie wollen, daß ich sterbe! Elternlos wie ich bin, kümmert sich 'Niemand um mich — mein Bruder wird mich beerbe» — und ich werde Willi nie, nie Wiedersehen." Ihr krankes Herz zuckte wie ein Bogel, der sich aus dem Neste verirrt hat. „Schreiben Sie Alles auf, ich gebe Ihnen heim lich Papier und Stift, und wenn ich in die Stadt gehe, so besorge ich den Brief, ich liefere ihn nicht an Doktor Martigny ab, mein arme« kleines Fräu lein, ich bin eine treue Botin." „Wie heißen Sie?" fragte Amy nach einer langen Pause, die sie in Glückseligkeit an EttyS Hals ver bracht hatte. „Etty Crail," entgegnete das Riesenkind, „wes halb wollen Sie es wissen?" „Weil Willi Dir danken soll, wenn ich es nicht mehr kann." Aber so leicht wie Etty es sich dachte, war diese Briefbesorgung nicht. Doktor Martignh verweigerte ihr hartnäckig den Urlaub und als ihr Vater kam, nm sie zu besuchen, hieß cS, Etty sei zu ihm in die Stadt gegangen, er möge doch eine Karte schreiben, ehe er wieder käme, damit man sich bei dem weiten Weg nicht immer verfehle. Martigny war zu klug, um irgend eine Mittelsperson zuzulassen, ehe er Adah geheirathet hatte. Die Irrenanstalt suchte er inzwischen unter der Hand zu verkaufen und cs ge lang ihm — der Abschluß stand bevor — an dem selben Tage würden sie Irland verlassen, — die Ver waltung des Percy'schen Vermögens, die Adah vorher Tornhill übertragen sollte, kümmerte ihn im Einzelnen nicht, er wußte, jene waren ehrliche Leute und der Zins genuß erheblich. So bereitete er Alles für die Ehe schließung vor, packte seine eleganten Koffer und harrte der Uebergabe der Anstalt, lieber Mortimer und Amy machte er sich wenig Sorge ; mochte sein Nachfolger sie für vernünftig halten und entlassen, oder sich mit ihren Verwandten verständigen, wie er eS gethan — seiner Pflicht war er ledig, wenn er diese von dem Wechsel der Aerzte unterrichtete. Die Anderen waren wirklich Irrsinnige — was ging ihm das Alles noch an. Zwei Stunden wartete Adah auf Sidneys Ant wort — eS war ja unmöglich, daß Sidney sie aufgab, das war das Härteste von Allem. In dem Märtyrerthum, für einen geliebten Menschen erduldet, liegt immer noch ein süßer Trost, ob man selbst auch unterliegt, der Geliebte ist ja gerettet! Aber Treulosigkeit gegen eine Welt voll Treue! Es ist un möglich, eS ist unmöglich! — „WaS ist unmöglich, liebste Frau Adah? Rollen Sic nicht Ihre Augen so umher, WaS hat dieser schreckliche Mensch wieder ausgesonnen?" „Laß nur, Etty, es ist Alles gleich, wenn das wahr ist! — Und hat Martigny gelogen, so zerreiße ich die Sklavenkettc und setze Himmel und Erde in Bewegung, um zu meinem Sidney zu gelangen." „Erzählen Sie mir doch Alle«," bat Etty, aber Adah war zu erregt, sie rief immer nur: „Unmöglich!" Endlich, nach fast dreistündiger Qual, kam die Antwort: „Liebe Adah, — ja, ich bin seit acht Tagen frei, ich war in Deiner Nähe, wagte cs aber nicht. Dick» aufzusnchen — es ist ja jetzt doch Alles anders geworden. Und deshalb rathe ich Dir, heirathe Doktor Martignh, so bald es Dir beliebt — ich ver zichte auf meine bisherigen Ansprüche und gebe Dir Dein Wort zurück — auch den Ring, den Du mir einst als Pfand der Treue gabst. Werde glücklich. Das wünscht Dir Dein „Bruder" Sidney." Etty stürzte zu Doktor Martignh. „Herr Dok tor, schnell, Adah stirbt — ihr Herz steht still! —" Und entsetzt lief sie wieder zu ihrer geliebten Herrin zurück, die wie ein Stein zu Boden gestürzt war, Doktor Martigny folgte rasch, — doch ehe er sie be rühren konnte, erhob die arme Frau sich, sie war so weiß wie das Kleid, welches sie trug, und selbst der herzlose Mann bebte, als sie ihn mit ihren brechen den Augen ansäh. „Herr Doktor Martignh, — ich nehme mein Wort zurück — Sie haben nicht gelogen! Und zu jeder Stunde, wenn Sic wollen, werde ich Ihre Frau." Er verneigte sich tief, ihr Unglück wob eine Krone um ihr Haupt, die er nicht in dieser Stunde anzu- tasten wagte. — Dann sagte er in tieferem Ernst: „Ich danke Ihnen für ihr Wort, verehrte Fran und hoffe auf die Macht meiner Liebe, damit Sie ein anderes treulose- Herz vergessen lernen!" Er ging. —