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Beilage ;u Ur. 147 des „Amts- und Aiyeigeblattes." Eibenstock, den 12. Dezember 1891. Jrrthümer. Roman von Karl Ed. Klopfer. <17. Fortsetzung.) Der Kommissar Lauter erwartete Golding in seinem Bureau. „Nun, was haben Sie erreicht?" rief er dem hastig Eintretenden entgegen und erhob sich voll Spannung. „Alles, was wir Beide nur hoffen konnten! Ich habe mein Geld und Sie — den ganzen Mann." „Ah, ausgezeichnet, das wäre also besser und rascher abgelaufen, als ich hoffte. Bitte, erzählen Sie doch!" Und nun folgte eine ausführliche Schilderung der Szene, bei welcher Golding eine so bedeutende Rolle gespielt hatte. „Ah, also Bcstechungsvcrsuche, Antrag von Schweige geldern," bemerkte Lauter, als Golding geendet. „Ihre gravirende Aussage, Herr Golding, über das Selbst- bekcnntniß dieses Mannes muß ihm schon vor dem Untersuchungsrichter den Hals brechen. Er hat sich selbst in unsere Hände geliefert." Lauter begab sich sofort zu seinem Vorgesetzten, dem er über den ganzen Fall Bericht erstattete. Der Polizeirath war starr vor Erstaunen über die sensationellen Enthüllungen, die ihm der Kom missar da machte. Anfangs war er fast geneigt, das Ganze für eine wahnsinnige Kombination Lauters zu halten, als ihm aber dieser die ganzen Details seiner Nachforschungen, die jüngsten Aussage» des Agenten Golding vorhielt, die besonders schwer in die Wag schale fielen, konnte er nicht länger zweifeln. „Wahrhaftig," rief er schließlich aufspringend und dem Kommissar die Hand reichend, „dann kann ich nicht umhin, Ihnen meine Bewunderung über Ihren Spürsinn anSzudrücken. Sie dürfen auch mit Be stimmtheit auf Anerkennung rechnen. Ich selbst werde mich dafür verwenden, Ihre außerordentlichen Ver dienste in dieser Angelegenheit höheren OrteS gehörig zu betonen." Lauter verbeugte sich dankbar. „Da ich hiermit die Initiative in dieser Sache aus meinen Händen gegeben habe, erlaube ich mir nunmehr die Frage, was hier zunächst zu thun sei," bemerkte Lauter. „Unter so ausgeprägten Umständen können Sie zur sofortigen Verhaftung des Angeschnldigten schreiten. Rur würde ich Ihnen empfehlen, nach Thunlichkeit jedes Aufsehen zn vermeiden. Es wäre wohl am Besten, die Verhaftung in aller Stille, womöglich ohne jedes Aufgebot von Schutzmannschaft vorzunehmen. Sie selbst können ja ganz unauffällig unter dem Deck mantel eines privaten Besuches unseren Mann ding fest machen." Hiermit war der Polizeikommissar nicht einver standen. „Die Verhaftung muß freilich ohne Zeitverlust ins Werk gesetzt werden," sagte er, „denn nach der Szene, die sich im Kontor von Marfeld n. Komp, heute morgen zwischen dem Chef und dem Agenten Golding abgespielt hat, ist es mit größter Wahrschein lichkeit anzunehmen, daß Marfeld, oder vielmehr Sor- mann, an eine schleunige Flucht denken wird. Was aber das Aufsehen dabei anbelangt, so glaube ich, daß ein solches nicht gut umgangen werden kann. Ich kann von bewaffneter Assistenz nicht abstehen. Ich bin überzeugt, Sormann führt Gift oder Schußwaffen bei sich als letzte Zuflucht für eine Katastrophe, wie die bevorstehende, auf die er ja doch gewissermaßen früher oder später gefaßt sein mußte." „Sie wollen sich also durch List seiner bemächtigen?" „Ich muß einen jähen Handstreich wagen und bitte um ein diesbezügliches Mandat. Wir haben keine Zeit zu verlieren." „Nun denn, wenn Sie es anders nicht für mög lich halten — thun Sie, was Ihnen gut dünkt," er widerte der Polizeirath mit bedauerndem Achselzucken. XVII. Frau Weller war seit Mittag nahe daran, ihr vornehmes Gleichgewicht zu verlieren. Nicht genug, daß Herr Marfeld am Vormittag während der regsten Geschäftsstunden einen Spaziergang unternommen hatte, von welchem er erst so spät heimkehrte, daß er die sonst mit solcher Pünktlichkeit eingehaltene Zeit des Mittagessens versäumte, nein, er verschmähte eS heute sogar, in Gesellschaft der würdevollen Frau Eleonore das Diner einzunehmen, ein Fall, der die zeremoniöse Frau Oberhofmeisterin mit tiefster In dignation erfüllte. Sormann hatte sich auf sein Zimmer zurückge zogen und eingeschlossen. Die Ereignisse des Vor mittags ließen ihn nicht zur Ruhe kommen. Nach langen, qualvollen Reflexionen war in ihm der Ent schluß reif geworden, die Vaterstadt, deren Boden unter ihm zu brennen begann, zu verlassen. Noch durfte er hoffen, daß Golding, den ja nnr das eigene Interesse geleitet zu haben schien, abgereist war, ohne ihn anzuzeigen. Freilich erwartete er von ihm in der Folge keine Schonung. Er war überzeugt, daß der Agent nach seiner Ankunft in Danzig kein Blatt vor den Mund nehmen und bei nächster Gelegenheit an Ertl u. Hesse seine Wahrnehmungen gelangen lassen werde. Den hierauf folgenden Konsequenzen wollte Hein rich ausweichen. Jetzt galt es nur noch, so viel Baarmittel, als nur irgend aufzutreiben waren, zu sammeln und damit das Weite zu suchen. Unglück licherweise war die Tageskasse durch die Summe, die Golding am Vormittage bezogen hatte, geschwächt, nicht so voll, um ihr ohne Aufsehen größere Gelder ent nehmen zu können. Sormann mußte daher den Kredit der Bank in Anspruch nehmen. Unter dem Borwand, der Bukarester Filiale eine zu einer großen geschäftlichen Operation nöthige Summe zuführen zu müssen, hatte er seinem Prokuristen Ordre gegeben, die betreffenden Kapitalien flüssig zu machen. Jetzt ging er voll Unruhe in seinem Zimmeraus und nieder, den nach der Bank abgeschickten Kommis erwartend. Auf dem Fußboden stand sein Koffer, in den er von Zeit zu Zeit einen Thcil der nöthigen Effekten warf, die er mitzunehmen gedachte. Zum so und so vielten Male sah er nach der Uhr, endlich vermochte er es in diesen Räumen, wo das Bild des verstorbenen Hausherrn Vorwurfsvoll auf sein Thun herabzublicken schien, nicht länger auszuhalten. Er schloß die Thür auf und zog die Klingel. „Bitten Sie Madame Weller, sich auf einen Augenblick zu mir herüber zu bemühen!" rief er dem eintretenden Diener entgegen, dann »ahm er wieder seinen nervösen Rundgang auf. Als die Gerufene erschien, stand er am Fenster und drehte ihr den Rücken zu. Es wäre ihm un möglich gewesen, ihr seine ungeheure Aufregung zu verbergen, die ihm auf dem bleiche» Gesicht ge schrieben stehen mußte. Es kostete ihm schon nicht geringe Mühe, seine Stimme soweit zu beherrschen, um in Halbwegs gleichgültigem Tone seine Mit- theilnngen zu machen. „Madame, ich wollte Sie bitte», hier mit thun- lichster Eile meinen Koffer in Ordnung zu bringen. Ich gedenke in den ersten Abendstunden eine Reise nach unserer Filiale in Bukarest anzntreten, wohin mich hochwichtige Geschäfte abberufcn. Die geschäft lichen Vorbereitungen dürfte» bald getroffen sein, und ich will nicht durch meine Privatangelegenheiten auf gehalten sein." Frau Weller erwiderte kein Wort. Einerseits hegte sie vor dem Worte „dringendes Geschäft" eine wohlbegründcte Hochachtung, andererseits fühlte sie sich vor vcr so wenig respektvollen Haltung deö Chefs, der diesen Auftrag in kurzer, rauher Weise erthcilte, verletzt, um nach dieser oder jener Hinsicht eine Einwendung oder auch nur eine Frage ausznsprcchen. Sormann schritt an ihrer Seite vorbei, ohne sie anzusehen, der Thür zu. Er schien in tiefe Gedanken versunken. „Wenn mich ein Kommis hier oben suchen sollte, so weisen Sie ihn hinab. Ich bi» auf dem Kontor." Damit verließ er das Zimmer. Auf der Treppe begegnete er dem Erwarteten, der sich mit seiner großen schwarzen Ledertasche eben zum Chef hinauf begeben wollte. Heinrich trat ihm mit Hast entgegen. „Ah, da sind Sie ja! Nun, haben Sie die Sache nach Wunsch abgewickelt? Ist das Geld da?" „Hier!" Sormann nahm ihm das Portefeuille ab und begab sich in sein Kontor im Erdgeschoß. Hier über zählte er die Banknoten mit zitternden Fingern. Dann schloß er die Privatkasse auf und entnahm daraus Alles, was sich daselbst an baarem Gelde vorfand. Als er wieder an seinem Schreibtische saß und die beträchtlichen Summen in seine Brieftasche steckte, fühlte er seine Unruhe imnicr mehr steigen. Ein kalter Angstschweiß trat ihm auf die Stirn, jeder Nerv bebte in Erregung. Mit erschrecklicher Deut lichkeit stand ihm eine andere Situation vor dem inneren Auge, die er vor Jahren schon durchgekostet und die sehr viel Aehnlichkeit mit seiner heutigen hatte. Damals in BreSlau — und heute in Leipzig. In dieser Beschäftigung wurde er unterbrochen. Draußen ertönte eine Stimme: „Man sagte mir, Herr Marfeld befände sich in seinem Kontor." Jni nächsten Augenblick betrat der Polizeikommissar Lauter die weitläufige Schreibstube, wo die Buchhalter über ihre Pulte gebeugt saßen und standen, ganz ver sunken in eifriger Geschäftigkeit. „Wenn Sie mit dem Chef in geschäftlicher An gelegenheit zu sprechen wünschen," entgegnete der Prokurist, „so muß ich bitten, sich einen Augenblick zu gedulden. Der Bureaudiener wird Sie melden." „O, es braucht nicht solcher Förmlichkeiten," ver setzte Lauter, „Herr Marfeld und ich sind ja gute Bekannte!" Er legte die Hand auf die Klinke der Thür, die in das Zimmer des Chefs führte. Ehe er eintrat, warf er »och einen Blick nach der Korridorthür, die eben jetzt geöffnet wurde. Dann pochte er an und überschritt die Schwelle des Privatkontors des Chefs. Alle Buchhalter und Kommis erhoben mit einein Ruf der Ueberraschung die Köpfe, als sie vom Korri dor aus einen ernst aussehenden, dunkel gekleideten Mann eintreten sahen, dem zwei uniformirte Schutz leute nachfolgtc». Die drei sprachen kein Wort und näherten sich dem Kontor des Prinzipals, unmittel bar davor ihre Aufstellung nehmend. Der Prokurist, der in den ersten Sekunden vor Erstaunen sprachlos gewesen, wollte an den seltsamen Besuch eben eine sehr natürliche Frage richten, als ihm das Wort abgeschnitten wurde durch die starke Stimme des Polizeikommissars im Zimmer des Herrn Marfeld. Lauter hatte absichtlich die Thür nur an gelehnt, so daß dem hoch aufhorchenden Geschäfts personale keine Silbe von dem entging, waS sich im Nebenraume abspielte. „Ich verhafte Sie im Namen des Gesetzes!" hörte man die Stimme des Kommissars rufe». Da fiel drinnen ein Stuhl zu Boden. „Ich irre mich nicht. Heinrich Sormann, Sie sind entlarvt!" Jetzt erfolgte ein unartikulirter Schrei, dann rasche Schritte, als kämen sich die Beiden darinnen näher. In diesem Moment stieß der außen harrende Polizeibeamtc die Thür auf und drang mit den Schutzleuten ins Zimnier. Die Kommis versammelten sich mit Geberden des Schreckens an der Schwelle und übersahen entsetzt die Gruppe, die sich ihnen darbot. Sormann stand mit wachsbleichem Gesicht, aus dem die Augen wie Feuerbrände loderten, vor dem Konnnissar. Jetzt hob er die Faust, als wolle er seine Angreifer in wahnsinniger Verzweiflung zu Boden schlagen. In der That gelang cs ihm, den nächsten der Beamten mit der Kraft der Wuth zurück zuschleudern. Blitzschnell sprang er dann nach dem Schreibtische, aus dessen Schubfach er eine hier lange schon aufbewahrte Waffe hervorholen wollte. Die Schutzleute waren jedoch schon an seiner Seite und rissen ihn zurück. „Die Handschellen!" rief Lauter. Der Geheimpolizist zog die eisernen, durch eine Kette von feinstem Stahl verbundenen Armbänder hervor unv preßte sie dem Arrestanten mit Geschick lichkeit an die Handgelenke. Die geheime Feder sprang mit einem leisen Knacken ein — Heinrich Sormann war gefesselt. Schnell schoben jetzt die Schutzleute den Gefesselten vor sich her und trugen ihn fast hinaus durchs Kontor, wo die Schreiber und Buchhalter entsetzt auseinanderstoben, über den Korridor, der sich äugen blicklich mit der ganzen herbcigeeilten Dienerschaft gefüllt hatte, die den mit Handeisen gefesselten Ge bieter mit Rufen höchsten Erstaunens empfingen. Fran Weller stand auf der ersten Treppenstufe, in ihrer bebenden Hand noch einige Stücke von Sor- manns Leibwäsche haltend, die sic in den Koffer hatte packen wollen. Als sie den Chef erblickte, der jetzt ohne Widerstand, mit gesenktem Blick zwischen seinen uniforinirten Begleitern nach der Straße taumelte, wo ein geschlossener Wagen wartetete, sank die Hausrepräsentanti» laut schluchzend zusammen. Während sich einige der Mägde an die Ohn mächtige herandrängten, bestiegen draußen vor dem Hause die Polizisten mit ihrem Gefangenen den Wagen, der sofort in raschem Trabe davonfuhr, zum Bedauern der Neugierige», die sich bereits auf dem Trottoir vor dein Thorwcg angesammelt hatten. Der Prokurist gab rasch Befehl, das Thor zu schließen und hieß die Dienerschaft sich zerstreuen, worauf er sich ins Kontor des verhafteten Chefs zurückbegab, wo er den Polizeikommissar fand, der die Schriftstücke auf dem in wirrer Unordnung zurück gelassenen Pulte einer genauen Untersuchung unter zog und einige Papiere, vor allem das Portefeuille mit dem Gelde, an sich nahm. „Uni Gotteswiilen, mein Herr, sagen Sie mir. was dieses Alles bedeuten soll!" rief der Prokurist erregt. „Ich denke, es war deutlich genug," erwiderte Lauter gelassen, „man hat Ihren bisherigen Prinzi pal verhaftet." „Aber du gütiger Himmel, mit welchem Recht hat man den Chef verhaftet? Hier kann doch nur ein unseliger Jrrthum zu Grunde liegen," bemerkte der Prokurist. (Schluß folgt.)