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jetzt mit ihrem Begleiter betrat. Sie zündete die Wachskerzen in dem Armleuchter an nnd entfernte sich endlich unter den wiederholten Versicherungen ihrer Frende über seine Ankunft. Als Tormann allein war, warf er den Ueberrock ab und ging ans Fenster. Er schob die schwere Sammtgardine zurück und blickte hinaus auf die Straße, auf die der Herbstregen unermüdlich nieder rieselte. Hier also war er in seinem Hause, in dem Hause, in welchem er seine Kindheit verlebt hatte und über welches er nun als nnumschränkter Herr herrschen konnte. Ein erhebendes Gefühl! Er ging an den Tisch zurück und hob den Kan delaber empor, die ganze behagliche Einrichtung des Salons überschauend. Der Luxus, der hier herrschte, war wohl Marfelds zweiter Gattin zu verdanken, denn Sormann, der den Verstorbenen als einen ziem lich anspruchslosen Eharakter gekannt, erinnerte sich nicht dieser prunkvollen Ausstattung, die jedenfalls aus neuerer Zeit datirte. Er schritt die Wand entlang, an welcher auf rother, golddurchwirkter Seidentapete mehrere werthvolle Ge mälde hingen. Die gegenüber liegende Wand zierten zwei Porträts in kolossalen Ovalrahmen. Die Jahres zahl, die unter den Bildern angebracht war, bezeich nete sie als ziemlich neu. Es waren die Porträts des Ehepaares Marfeld. Heinrich blickte erst auf das faltenreiche Gesicht des verstorbenen Kaufherrn, das bekümmert auf ihn herabsah. Das war nicht mehr das weiche, runde Doppelkinn, dessen er sich noch so deutlich erinnerte. Und die Furchen aus der Stirn und um den Mund paßten auch nicht mehr zu dem Bilde, das er in seinem Gcdächtniß aufbewahrte. Nur die Hellen, sprechenden Augen waren noch dieselben. O diese Augen! Heinrich erkannte in ihnen ein anderes Augenpaar wieder, in das er in Wien, da mals vor dem schrecklichen Brande zum letzen Male geschaut. Er glaubte, sie richteten sich von dem leb lose» Oclbilde nach ihm, als wollten sie ihn durch dringen. Er konnte nicht mehr Hinsehen. Jetzt wendete er sich zum Porträt der Frau Mar- seld, der strengen, blassen Dame, die mit stahlgrauen Augen, aus denen nichts von Liebe und Freundlichkeit sprach, gerade hinaus in das Zimmer blickte, gleichsam als sähe sie mit vornehmer Verachtung über den Mann hinweg, der jetzt vor ihr stand — der einzige Erbe der großen Firma, der alleinige Herr über das HauS, das sie so lange mit eisernem Zepter regiert hatte. Sormann lächelte boshaft. Er mochte wohl daran denken, daß diese kalte, gefühllose Frau einst mit Zorn und Verachtung auf den kleinen Heinrich herabgesehen hatte, ans den „Eindringling", den „Schmarotzer", der ihr von jeher ein Greuel gewesen war. Ja, das hätte sich diese Dame wohl niemals träumen lasse», daß der kleine Schmarotzer einst noch in diesem Hause als der verehrte Chef bewillkommnet werden sollte! Heinrich ging mit weit größerer Sicherheit von dem letzten Bilde hinweg, als er vorhin das Porträt des alten Herrn Marfeld verlassen hatte. Er beschloß, sich zur Ruhe zu begeben. Den Arm leuchter in der Hand, öffnete er die weiße Flügclthür, die in das Speisezimmer führte. Auch hier zeigte die reiche Einrichtung, daß da zuletzt ein üppiger prunk süchtiger Geschmack gewaltet habe. Als er aber jetzt in das anstoßende Schlasgeniach trat, blieb er einen Augenblick wie angewurzelt stehen, sich mehrmals über Stirn nnd Augen fahrend. Tausend Erinnerungen stürmten mit einem Male auf ihn ein und drängten sich in sein Gedächtniß. Das war fast alles noch so wie zu der Zeit, als noch Heinrich mit dem Milchbruder Robert oft und oft hier eingetreten war, den Vater zu einem ver- wrochenen Spaziergang, einer Morgenparthic „ach Gohlis oder Plagwitz zu wecken. Der neue Chef trat an das hohe Himmelbett mit den ungeheueren, gestickten Gardinen, von denen er eine aufhob. Er sah nur die leeren Bretter. In diesem Bette war er gestorben, der Mann, der seinen Sohn nicht Wiedersehen sollte, den Sohn, dem er noch auf dem Sterbelager mit zitternder Hand das reiche Erbe verschrieb» hatte. Heinrich ließ de» Vorhang fallen und machte einen Rundgang durch das schmale Zimmer. Vor einem hohen, eingelegten Schrank blieb er stehen. O, er kannte es sehr gut, dieses Möbel. Aus ihm holte ja Herr Marfeld früher jeden Sonntag den grünen silbergestickken Beutel, aus dem er den Knaben den Thaler schenkte, den sic als Taschengeld erhielten, wenn sie ihre wöchentlichen Schulaufgaben zur Zu friedenheit erledigt hatten. Hier mußte ja auch noch die Mappe liegen, in der er die Schulzeugnisse der beiden Jungen aufbewahrte. O, es waren durchweg ausgezeichnete Zensuren, besonders die Heinrichs, der als Kind immer mit Stolz aus diesen alten Kasten blickte, das Archiv, das die Dokumente seines Fleißes enthielt. Sormann fühlte das sehnsüchtigste Verlangen, die Fächer dieses Schrankes zu durchstöbern. Er drückte auf den wohlbekannten Knopf an der Thür. Sic sprang aus. Aber hier war nichts Anderes zu sehen, als eine ganze Batterie von Medizinalflaschen in allen Größen. Herr Marfeld mußte vor seinem Tode lange krank gewesen sein. Die Papiere, die Heinrich hier suchen wollte, waren schon inzwischen entfernt worden. Er wollte die Thür schon wieder zuschlagen, als er in der Füllung des unteren Gefaches die geheime Schublade bemerkte, die er noch sehr wohl kannte. Darin hatte früher der alte Herr mehrere ererbte antike Schmuckstücke ausbewahrt: Busennadeln mit Drachenköpfen, große Siegelringe und ähnliche Spie lereien vergangener Jahrhunderte. Heinrich drehte an dem kleine» verborgenen Wirbel in der Ecke, der den geheimen Mechanismus der Lade in Bewegung setzte. DaS Schubfach ließ sich öffnen. Obenauf lag wirklich noch die kleine Kassette von rothem Saffian, welche die zierlichen Schmucksächelchen enthielt. Er wollte sie einzeln betrachten und nahm die Kassette heraus. Da bemerkte er ein Päckchen Papiere mit grünem Seidenfaden umwickelt. Begierig griff er danach nnd löste den Faden. Es waren sorgfältig nach dem Datum geordnete Briese, alle auf der Außenseite- mit dem Rubrum versehen, mit welchem der gewissenhafte Kaufmann das Datum der Beantwortung notirt hatte. Er schlug die einzelnen Blätter auseinander. Es waren Briese von der Hand Roberts, die meisten aus London, einige aus Bremen und anderen Städten datirt. Heinrich überflog nur einige dieser Briese, die ihm das bestätigten, was ihm Robert in Wien von de» wiederholten VcrsöhnungSversuchen mit seinem Vater erzählt hatte. Er ballte die Briefe zusammen und schritt nach dem Kamin, wo er sie in die lustig flackernden Flammen warf. Als das letzte Restchen Papier verzehrt war, schloß er das Schubfach, ohne die Raritäten der Saffian kassette zu besehen, und drückte die Thür des Schrankes wieder ins Schloß. Dann entkleidete er sich rasch und warf sich auf das Bett, aber es währte »och geraume Zeit, bis er den ersehnten Schlummer finden konnte. * Mit Tagesanbruch bereits begab er sich am nächsten Morgen in die Räinne im Erdgeschoß hinab, wo die Contors lagen. Er ließ sich von dein erstaunten Portier die Schreibstuben aufschließen, die der fest lichen Bedeutung des heutigen Tages wegen nicht geöffnet werden sollten. Er trat zu dem Schranke im Bureau des Chefs, wo die Geschäftsbücher lageu. Er durchblätterte die schwere» Folianten und informirtc sich über die Ver hältnisse der Firma. Es waren die denkbar besten. Als er so an den« Pulte saß, das früher Herr Marfeld eingenonuneu hatte, und die Rubriken des Soll und Habens durchlas, war er vom Scheitel bis zur Sohle der rechtmäßige Erbe, der hier den Umfang seines Besitzes mit kaufmännischer Berechnung Über sicht. Er betrachtete sich in diesem Augenblick ent schieden selbst als solchen. Die Stunden des gestrigen Abends in den Zimmern des Todte», die halb weh- müthigen, halb beschämenden Erinnerungen, die ihn dort überfallen hatte», schienen heute spurlos auö seinem Gcdächtniß verwischt. Beim Frühstück empfing ihn Frau Weller und zeigte nicht übel Lust, heule in ihrer Begrüßungsrede dort fortzufahren, wo sie gestern von ihm unterbrochen worden war, aber er schnitt ihr auch jetzt, als er ihre Absicht erkannte, das Wort ab. „Lassen wir das jetzt, verehrte Frau," sagte er scherzend, „ich fürchte ohnedies, ick werde heute noch etliche Reden anhöre» müsse». Ich möchte Sie lieber um eine Tasse Chocolade als Stärkung für die zu erwartenden offiziellen Momente bitten. Die Herren werden ein bißchen erstaunte Angen machen, wenn sie erfahren, daß ich schon gestern und noch dazu so ohne Sang nnd Klang angekommen bin. Aber ich hätte alle diese feierlichen Zeremonien in meiner gest rigen Ermüdnng nicht ertragen. Wir können nn« ja überdies auch mit einem Jrrthum in der Zeitrechnung entschuldigen." „Ich würde Ihnen den Vorschlag machen," er widerte Frau Weller sehr würdevoll, „die Gäste so gleich von dem Röthigen verständigen zu lassen. Die Herren werden sich also, statt auf dem Bahnhof, gleich hier versammeln. DaS Frühstück wird bereits vorbereitet." „Gut denn, sende» Sie ein paar Diener an die alten Hausfreunde. Ich überlasse das ganz Ihrem Ermessen, in der Gewißheit, daß Ihr anerkanntes Taktgefühl stets daö Richtige treffen wird." (Fortsetzung folgt.) Die Weltausstellung in Chicago. Nachdem der Deutsche BnndeSrath die von der Regierung der Vereinigten Staaten ergangene Ein ladung zu der l8l)3 in Chicago stattsindendcu „Colum- buS-Wclt-AuSstcllung" angenommen, auch der Reichs tag die zu den Vorarbeiten erforderlichen Mittel be willigt hatte, übersandte der mit der Vertretung des Deutschen Reiches bei dieser Ausstellung beauftragte Reichskommissar, Herr Geheimer Rcgierungsrath Wcr- mnth, der Handels- und Gewcrbekammcr Plauen eine Anzahl von Rundschreiben betreffs der Betheiligung Deutschlands an der Ausstellung nebst Programmen, Anmeldebogen nnd Klasscnverzeichnissen der Ausstell ungsgegenstände mit der Bitte, für eine wirksame Be theiligung im Kammcrbczirke einzutreten, ihm die Kreise bcz. Industriellen, bei welchen die Absicht der Beschickung bereits hcrvorgetrcten oder voranszusetzen ist, mitzuthcilen und ihn bei Organisation der Be theiligung, insbesondere bei der Bildung von Komi- tüs, zu unterstützen. Die Kammer, welche in dieser Angelegenheit bereits im Februar d. I. auf Anregung des Sächsischen Ministeriums des Innern eine ver trauliche Anfrage an die Fabrikanten- nnd kauf männischen Vereine, sowie durch Vermittelung ihrer Mitglieder an eine Anzahl Großindustrieller ihres Bezirks gerichtet hatte, konnte als deren Ergebniß dem Herrn RcichSkommissar leider nur von 6 Firmen des Bezirks in Zwickau, Treuen, Eibenstock, Johann georgenstadt und Brunndöbra deren ausgesprochene Bereitwilligkeit zn einer Beteiligung an der Aus stellung berichten. Die Kammer nahm jedoch aus der Zuschrift des Herrn Reichskommissars Veran lassung, Anfang Juni in den Lokalblättern ihres Be zirks auf die hauptsächlichsten AuSstellungSvorschriftcn nnd insbesondere darauf aufmerksam zu machen, daß die allgemeine Gestaltung und Ausschmückung sowie die Bewachung nnd Beaufsichtigung der Deutschen Abtheilung durch den RcichSkommissar erfolgt, Platz- miethe nicht erhoben, Dampf- und Wasserkraft in einer bestimmten Menge zur Verfügung gestellt und entsprechend an die einzelnen Aussteller unentgeltlich vcrtheilt wird, daß eine Ermäßigung der Eisenbahn frachten in Aussicht gestellt ist und die Ausstellungs gegenstände sowohl bei der Einfuhr in die Vereinig ten Staaten als bei der Zurllckführung in das Deutsche Zollgebiet keinem Eingangszoll unterliegen, und stellte ihren Bezirksangehörigen Anmeldnngsforiuulare nebst den sonstigen ans die Ausstellung bezüglichen Druck sachen zur Verfügung. Auch diese Kundgebung blieb ohne jeden erkennbaren Erfolg. Als daher der Herr Reichskommissar gegen Ende August bei der Handels kammer anfragtc, ob eS vielleicht angezeigt sei, daß von seiner Seite mit den hauptsächlich bctheiligten Industriellen des Kammerbezirks demnächst in eine mündliche Besprechung eingetreten werde, nnd bejahen denfalls für den Herbst eine solche in Aussicht stellte und die Vermittelung der Handelskammer behufs Zu ziehung der vornehmlich in Betracht kommenden Ver treter des Sächsischen Gewerbes und Handels zu der Besprechung erbat, konnte das Präsidium zwar nicht umhin, die von ihm gewünschte Vermittelung zuzu sagen, mußte aber wiederholt betonen, daß bei der in zwischen noch nicht stärker gewordenen Bereitwilligkeit zur Bctheiligung ei» großer Erfolg hiervon wohl nicht zu erwarten sei. Inzwischen scheint doch in verschiedenen Interessen tenkreisen die Ansicht durchgedrungcn zu sein, daß, nachdem das Deutsche Reich die Angelegenheit nach drücklich in die Hände genommen hat, auch die Ver treter der Deutschen Industrie von der Ausstellung sich nicht lä»gcr zurückhalten können nnd den Wett betverb mit den übrigen großen Industriestaaten ener gisch anfnehmcn müssen; dabei hat man sich auch vielfach überzeugt, daß dieser Zweck am besten durch Kollektivausstellungen ganzer Industriezweige zu er reichen sein würde, da nur durch solche die bei den Weltausstellungen vorzugsweise mit entschei dende Massenwirknng ausgcübt werden kann und zu der für den Erfolg ebenfalls ausschlaggebenden, nothwendigerweisc nicht blos würdigen, sondern auch glänzenden, äußeren Ausstattungen zu gelangen ist. Leider fehlt eS aber, namentlich auch von Seiten der bestehenden Vereine, an der erforderlichen Ini tiative und liegt die Gefahr nahe, daß die Entscheidung vielfach zu spät erfolgen wird, um mit der Bctheilig ung an der Ausstellung den damit anznstrebenden, bei rechtzeitiger geeigneter Veranstaltung auch sicher zu erhoffenden Erfolg wirklich zu erreichen. Die Han dels- und Gewerbckammer erachtet sich deshalb für verpflichtet, alle Angehörigen und namentlich die Groß industriellen ihres Kammcrbezirks und deren bereits, wenn auch zunächst für andere Zwecke, bestehende Ver einigungen nnd Verbände aller Art auf die Nothwen- digkeit hinznweiscn, nunmehr die Anmeldung zur Aus stellung zu bewirken und auch andere Vertreter ihres Industriezweigs hierzu aufzufordern, zu diesem Zwecke aber unverzüglich gemeinsame Besprechungen zu ver anstalten nnd alles soweit vorzubereiten, daß die von ihnen zu bestimmenden, der Handels- und Gewerbe kammer mitzuthcilendcn Vertreter an der von dem Herrn Reichskommissar für die nächste Zeit in Aus sicht gestellten Besprechung thcilnehmcn können. Druck und Verlag von E. Hannebohn in Eibenstock.