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Im Hintergründe weilt die Dienerschaft, meist alte, treue und bewährte Leute, die eine gute Herrin verloren haben. Sie beten alle, und kein Auge ist thränenleer. Nun öffnet fick die Thür und zwei Männer treten ein. Der Arzt ist's und der Geistliche. Zu spät! Das Ende kam zu schnell, die Tröst ungen der Kirche vermögen nicht mehr der Todten dort den letzten Segen zu bringen, und keine mensch liche Hilfe kann mehr retten, was jene Pforte durch schritten, aus der es keine Rückkehr gicbt. Der Geistliche spricht ein Gebet, darauf nähert er sich den einzelnen Gliedern der Familie, und führt alsdann auf einen Wink des Arztes, welcher inzwischen aufmerksam die Todte gemustert, die beiden Damen aus dem Zimmer. Ebenso verschwand auf Anordnung des Doktors auch die Dienerschaft. Die drei Männer blieben allein: der trauernde Gatte, der älteste Sohn, der Hausarzt. Als alle übrigen Anwesenden sich entfernt hatten, begab der Arzt sich zu dem Tischchen, das vor dem Bette stand, und auf welchem sich alle jene Kleinig keiten befanden, die zur Krankenpflege gehören; die Arzneigläser, die Löffel zum Einnehmen, eine Karaffe Wasser, einige Gläser. Eine« von den Arzneifläsch chen war noch halb gefüllt, und auf dieses besonder« schien der Doktor seine Aufmerksamkeit zu richten. Er hielt cs prüfend an das Licht, schüttelte es, zog den Kork heraus, kostete den Inhalt und stellte c« dann wieder an seinen vorigen Platz zurück. Hierauf näherte er sich dem Bette und betrachtete prüfend die starren Gesichtszüge der Todten, vorzüglich die Augen, welche eine liebende Hand ihr geschlossen, indem er die Lider aufhob. Dann wandte er sich zu dem noch immer regungslos vor dem Bette knienden Gatten der Verstorbenen, während die Blicke des Sohnes mit stummer Frage seinen Bewegungen gefolgt waren. „Herr Dorwall," sprach der Doktor halblaut, in dem er leicht die Schulter des auf nichts, was um ihn herum vorging Achtenden berührte, „Herr Dor- rvall, ich bitte — auf ein Wort!" Der also Angcreoete schrak empor, wie durch eine unsanfte Berührung aus seiner Versunkenheit geweckt. „Verzeihen Sie mir diese anscheinende Unzartheit, ja Rücksichtslosigkeit!" fuhr der Arzt in entschuldigen dem Tone fort. „Ich bedauere cs von ganzem Her zen, Herr Dorwall, Sie Ihrem berechtigten Schmerze, für den es keinen Trost giebt, entreißen zu müssen, denn es gilt hier eine höhere Mission zu erfüllen, al« sich nur dem Schmerze hingeben zu dürfen, so naturgemäß dieser auch ist — eS gilt —" Der junge Mann am Fußende des Bettes hatte mit gespanntester Aufmerksamkeit den Worten des Arztes gelauscht. Der Vater schenkte denselben offen bar nur eine sehr untergeordnete Beachtung. Er wandte gleichgültig den Kopf ab und sprach langsam in müdem Ton: „Lieber Doktor, ich bitte, verschonen Sie mich doch mit dergleichen Formalitäten! Sie sprechen ge wiß von den zu erfüllenden notbwendigen Gesetzlich keiten und Zeremonien. Bitte, besorgen Sie doch das Alles, wie Sie es für gut befinden, oder berathen Sie sich mit Edgar darüber — ich bin mit Allem zufrieden und einverstanden." „Bester Herr Dorwall,sprach zögernd und mit Schonung der Arzt, „wenn es nur das wäre, wenn §s nur um dergleichen sich handelte, so würde ich ge wiß nicht so unbescheiden gewesen sein. Sie in solchem Augenblicke zu belästigen. Nein, ich störte Sie, mußte eö thun, weil es sich hier um ganz andere und weit wichtigere Dinge handelt." „Noch mehr! Ja, ist denn dies noch nicht genug?" murmelte der Fabrikant. „Was giebt es denn, das noch wichtiger wäre?" Der Doktor zögerte. Es schien ihm selbst offen bar zu bangen, das entscheidende Wort auszusprechen. „Weil —" „Nun? — Weil? — Was giebt es denn noch zu thun? — So reden Sie doch, Doktor!" rief un geduldig Herr Dorwall. „Weil eS hier nicht nur gilt zu trauern, sondern auch zu — rächen!" rief laut und ernst, fast feierlich der Arzt. Edgar war leicht zusammengefahren und hatte sich nuf einen Moment entfärbt. Niemand halte es be merkt. Oder doch? Für den Augenblick wenigstens hatte eS nicht so den Anschein. Der Fabrikant war Hochgefahren und blickte erstaunt und wie verständniß- loS den Sprechenden an. „Zu rächen!?" murmelte er mechanisch. „Ja, zu rächen, Herr Dorwall!" fuhr der Doktor fort, indem er etwas näher an das Bett der Todten trat. „Ich werde bitten müssen, keinerlei Aenderung in diesem Zimmer vorzunehmen, sondern c» zu ver schließen und den Schlüssel an sich zu nehmen und ihn nicht aus den Händen zu geben, bis —" „Bis? — Ja, um GotteSwillen, was bedeutet denn dies Alles, Herr Doktor?" fiel ihm Herr Dor wall mit nervöser Hast in« Wort, während Edgar rief ausathmetc. „Bis daS Gericht das Uebrige verfügen wird!" „DaS Gericht?!" Herr Dorwall halte sich mit weitgeöffneten, ent setzten Augen aufgerichtet und klammerte sich nun an die hohe Lebne eines Stuhles, als bedürfe er einer Stütze. Er war ein Mann des Friedens und der Ruhe. Was hatte daS Gericht bei ihm zu suchen, das noch niemals über die Schwelle des Hauses Dorwall gedrungen? Das war sein Ruhm, sein Stolz, und nun — nun sollte? — Nimmermehr! Der Mann dort sprach im Fieber, eS konnte ja nicht anders sein! „Leider ja!" sprach nun dieselbe mitleidlose Stimme. „Ich sprach es ja schon auS: es gilt zu rächen, einen Schuldigen zu strafen." Zum ersten Male nahm jetzt Edgar, der Sohn des Hauses, das Wort. Er schien sich auf der Folter zu befinden und seine Stimme klang sehr gepreßt, als er mit klanglosem, wenn auch ruhigen Ton, durch welchen nur ein sehr aufmerksames Ohr ein leises Vibriren gehört haben würde, die Frage stellte: „Sprechen Sie deutlicher — klar, Herr Doktor, ohne Umschweife! Was ist's mit meiner Mutter?" Da war es ausgesprochen, was der Arzt nur an gedeutet, der Sohn hatte zuerst direkt den Namen der Mutter genannt, hatte es betont, daß cs sie be traf. Dem Arzte schien es lieb zu sein, daß das entscheidende Wort nun halb gefallen; die andere Hälfte mußte nun von seinen Lippen kommen. „Frau Dorwall," sprach er mit gedämpfter Stimme, „Frau Dorwall ist sehr schnell gestorben — schneller als sich erwarten ließ — zu schnell. — Ich fürchte — ich vermuthe Die Augen der beiden Männer hingen mit höchster Spannung an seinen Lippen. — „daß irgend ein höchst beklagenswerther und noch aufzuklärender Jrrthum das plötzliche Ende her vorgerufen haben muß!" „Doktor, Sie rasen! — Sie können doch unmög lich glauben, daß meine Frau —" Der unglückliche Gatte faßte mit beiden Händen den Arm des Arztes und preßte ihn krampfhaft. „Ich glaube es nicht nur, ich bin dessen sogar gewiß, daß Frau Dorwall leider an den Folgen einer — Vergiftung gestorben ist. Durch wessen Schuld, ist mir freilich unerklärlich und ist auch meine Sache nicht zu untersuchen," sprach mit fester Stimme der Arzt. „Sie täuschen sich, Doktor, müssen sich täuschen!" stöhnte der Fabrikant, indem er erschöpft in einen Sessel sank. Edgar starrte mit weit aufgerissenen, glanzlosen Augen den Doktor an. „Wollte Gott, dem wäre so!" sprach dieser bewegt. „Es ist mir selbst eine sehr peinliche Pflicht, die nöthige Anzeige dieses höchst betrübenden Falles sofort an geeigneter Stelle erstatten zu müssen, wie mein Gewissen es verlangt." „Doktor, das werden Sie doch nicht thun!" siel hier Herr Dorwall mit großer Hast ihm in das Wort. „Bedenken Sie doch das Aufsehen — den Ruf meines Hauses! Er ward noch niemals angetastet. Meine Frau sollte — ich wiederhole — es kann ja nicht sein. Sie müssen sich irren! — Sollte aber doch — mein Gott, ich kann es gar nicht glauben, nicht fassen — sollten Sie dennoch recht haben, sich nicht täuschen — so kann eS ja nur ein entsetzlicher Jrrthum, wie Sie selbst soeben bemerkten, ein Versehen sein. Marie ist todt. Sie wird trotz Allem und Allem nicht wieder zum Leben erweckt — lassen wir sic ruhen — häufen wir nicht Unruhe, Aufsehen, Schande auf ihr An denken! Doktor ich bitte, ich beschwöre Sie!" Doktor Weither blickte scharf den Fabrikanten an, welcher in offenbarer, höchster Erregung kaum noch wußte, was er sprach. (Fortsetzung folgt.) Vermischte Nachrichten. — In Berlin cxistiren 25 Mitglieder desWaaren- handels, deren Vermögen auf zwei bis fünf Millionen Mark geschätzt wird. Man zählt deren 18, deren Vermögen die Höhe von fünf bis zehn Millionen Mark erreicht. Es können zehn Mitglieder des Waaren- handels namhaft gemacht werden, die auf zehn bis zwanzig Millionen Mark geschätzt werden. Außerdem bestehen in Berlin mindestens 300 Firmen, welche ein bis zwei Millionen Mark im Vermögen besitzen. Es handelt sich hierbei, so schreibt der „Confectionär", nicht um ererbte Vermögen, sondern um in den letzten zwanzig Jahren selbst geschaffene Reichthümer. Seit dem Berlin Reichshauptstadt geworden, ist eS der Mittelpunkt des Handels des ganzen Reiches gewor den. Berlin ist eine Handelsstadt ersten Ranges, welche jetzt 348 Millionäre aufwcist, die dem Waaren- handel angehören. — Künstliche Seide. Als die erste Nachricht über eine Erfindung zur Herstellung künstlicher Seide auftauchte, da glaubten wohl nnr Wenige an die Wahrheit derselben; aber heute, wo schon zwei Gesell schaften sich dieser Neuerung bemächtigt haben, wo fertige Stoffe aus künstlicher Seide vor uns liegen und uns die Entscheidung, ob wir echte oder nachgc- ahmte Waare vor uns haben, schwer machen, können wir nicht mehr über die Möglichkeit, Seide auf küust- lichcm Wege hcrzustcllcu, im Zweifel sein. In der neuesten Nummer der „Lcipz. Monatsschrift für Textil industrie" findet sich eine eingehende Beschreibung der dem Erfinder Chordonnet patentirten Spinnmaschine. Viele Abbildungen erleichtern das Verständniß des Vorgangs. Wir wollen daraus nur bemerken, daß die künstliche Seide, bevor sie auf der kunstvoll ein gerichteten Spinnmaschine in Fäden verwandelt wird, eine gereinigte Nitrocellulose darstellt, die bestehen kann aus Holzstoff, Strohpapierzeug, Baumwolle, Lum pen, Ramie oder dergleichen. Ehe die Fäden durch webt werden, müssen sie erst verschiedene Reinigungs prozesse durchmachen. Jedenfalls hat die Herstellung der Kunstseide noch eine Zukunft. — „Darf ich wohl um ein wenig Feuer bitten?" so redete dieser Tage ein junger, gutge kleideter Mann einen die Anhaltstraße in Berlin pas- sirenden Unteroffizier an. Bereitwilligst überreichte ihm der Angeredete das Gewünschte und erhielt die Cigarre mit deni Bemerken zurück, daß dieselbe keinen guten Tabak enthalte. Der junge Mann fügte hinzu, er besäße einen Posten guter Cigarren, welche er ge legentlich erhalten. Dabei holte er aus seiner Rock tasche fünfundzwanzig zu einem Päckchen zusammenge bundene Cigarren, welche er als Havanna letzter Ernte dem Unteroffizier zum Preise von einer Mark anbot. Da letzterer indessen nur 75 Pfennige anwenden wollte, so wurden sie erst nach längerer Zeit Handels einig und nahm ihm der Käufer schließlich sogar drei Päckchen ab. Erfreut über einen so guten Kauf, sollte am nächsten Morgen die „echte Havanna" zum Kaffee probirt werden. Wer beschreibt aber das Erstaunen des Unteroffiziers, als er, da die Cigarren nicht brennen wollten, eine genaue Untersuchung vornahm. Der Inhalt der mit werthlosen Tabaksdecken umwickelten Cigarren ergab nämlich eine Mischung von Werg, getrocknetem Seegras und Spähnen. — Die nordamerikanischen Prediger wer den größtentheils nach freier Uebereinkunft besoldet. In Connecticut erbot sich eine Gemeinde freiwillig, das Gehalt ihres Pfarrers von 300 Dollars auf 400 jährlich zu erhöhen. Der gute Mann lehnte jedoch diese angebotene Zulage aus drei Gründen ab. „Erstens", sagte er, „mag ich diese Zulage nicht, weil Ihr mir bei Euren Vermögensvcrhältnisscn nicht gut mehr geben könnt als 300; zweitens, weil meine Predigten nicht mehr als 300 Dollars Werth sind, und drittens, weil ich mein Gehalt unter Euch selbst einkassircn muß, was bis jetzt der anstrengendste Theil meiner Amts verrichtungen gewesen ist. Wenn ich noch 100 Dol lars mehr eintreiben sollte, so wäre das mein Tod!" — Ein Bock zum Gärtner Seit einiger Zeit wurden dem Kaufmann und Materialwaaren- HLndler R. in Dorndorf a. S. allerlei Biktualien an Butter, Käse, Wein, Branntwein, Speise-Oel, im Werthe von etwa 300 M., nach und nach aus dem verschlossenen Keller entwendet, ohne daß man des Diebes habhaft werden konnte. Jetzt hat sich der selbe als der hiesige Gemeindedicner und 'Nachtwäch ter herausgestellt, welcher die verschlossene Kellerthür mittelst Nachschlüssels öffnete und dann wieder ver schloß. — Auf einen neuen Gedanken, um die Menge anzulocken, ist ein Schuhwaarcnhändler in Elberfeld gekommen. Derselbe ertheilt, wie er anklln- digt, den Kunden in seinem Geschäft über jeden Ein kauf eine Quittung mit der Tageszahl. Am Schluffe des Monats wird ein Tag ausgeloost und alle Käufer, welche an diesem Tage Einkäufe gemacht haben, er halten dann gegen Vorzeigung ihrer Quittung das gezahlte Geld zurück. Unter der Ueberschrift „Jagdversicherung" findet sich in verschiedenen Zeitungen eine Notiz, welche durch die gewählte Ueberschrift den Glauben erwecken kann, als handele es sich um eine Versicherung led!glich gegen die Unsälle auf der Jagd, wie sie neuerdings von der „Äranla", Aktiengesellschaft für Kranken-, Unfall- und Lebensversicherung zu Dresden Ange führt worden ist. Dies ist jedoch nicht der Fall, sondern es handelt sich darin nur um die Empfehlung einer Allgemeinen Unfallversicherung, bei der Kölnischen Unfallversicherungs- Aktiengesellschaft, in welche selbstverständlich auch Liebhabereien, wie Jagen, eingeschlossen werden können. Es ist letzteres aber nicht allein bei d-r Kölnischen, sondern auch bei der Urania und allen anderen Unfallversicherungsgesellschasten der Fall, also nichts 'Neues. Um nun auch denjenigen, welche fpeciell gegen sie Anfälle auf der Jag» versichert sein möchten, ohne dafür die Prämie einer Allgemeinen Unfall versicherung zahlen zu niüssen, Gelegenheit zur Versicherung zu geben, hat eben die Urania die Versicherung nur gegen Unsälle auf der Jagd einschließlich der Hin- und Rückfahrt zum resp. vom Revier eingesührt und kann daher nur diese Bersicherungsart mit Recht den Namen „Jagdversicherung" beanspruchen. Gegen eine geringere Prämie, als sie die all gemeine Unfallversicherung bedingt, wird hier Versicherung in der angegebenen Weise geboten und zwar kosten je Mk. 1000 auf 8 Tage Mk. 0,50, auf I Monat Mk. 0,75 und aus 6 Monate Mk. 2,—. Zur Bequemlichkeit der Antragsteller und um letzteren zu ermöglichen, noch kurz vor Antritt der Jagd eine Jagdversichcrung zu beantragen, hat die Urania die Einrichtung getroffen, daß von Seiten der Versicherungsnehmer die Police selbst auszufertigen und der daran befindliche Coupon nebst de:» Prämienbetrage einfach eingeschrieben an die Gesellschaft einzusenden ist, und ist dann die Versicherung vom Moment der Absendung des Betrags in Kraft. Es kann also allen Jagdlicbhabern diese alleinige Jagdversicherung nur bestens empfohlen werden. Der „Kalender de» fairer Linkenden Dolen" stellt sich dieses Mal sehr zeitig ein, doch ist sein Inhalt darum nicht minder reich und vortrefflich. Im vorigen Jahre ist bekanntlich Albert Bürklin, der ausgezeichnete badische Volkz schriststeller, dessen Beiträge den Kalender aus seine jetzige Höh« erhoben, gestorben, seine Nachfolger werden da- Werk