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mehr ihrem Ende nahe. Ueber kurz oder lang würde ein gewaltiger Krieg auSbrcchen und Polen im Jahre 1895 — al» dem Centenarium seiner letzten Theil- ung — wieder in die Reihe der selbstständigen Staaten eintreten. — Italien. Auch in Italien ist man den Anarchisten energisch zu Leibe gegangen; viele sitzen hinter Schloß und Riegel. Die öffentlichen Kassen und Bankhäuser werden militärisch besetzt. In Livorno ist eine Bombe neben der Knabenschule, in Faenza eine Dynamitpatrone unterhalb der Prä fektur geplatzt. Da» Blatt „Cittadino" meldet, da« Rathhau« in Tarent sei von den Anarchisten in die Luft gesprengt worden. Locale u«d sächsische Nachrichten. — Eibenstock, 2. Mai. Recht verdrießliches Wetter hat un» der Anfang diese» Monat» gebracht. Nicht genug, daß weder Baum noch Strauch bisher irgend welchen Frühjahrsschmuck zeigen, hat eS am Sonnabend noch tüchtig angefangen zu schneien, so daß gestern die Fluren mit einer ca. 2b Centim. hohen Schneedecke belegt waren, und wir zur Zeit mit der herrlichsten Winterlandschait bedacht sind. — Dresden. Der Löwe des Tages ist der Rektor Ahlwardt aus Berlin. Von jeher schon war der Andrang groß, wenn es sich um einen Redner für die Judenfrage handelte; am Don nerstag Abend wurden aber alle Erwartungen auf einen massenhaften Besuch der Versammlung im „Tivoli" übertroffen. Mehr als 2500 Personen füllten den Saal und die Galerie bis auf den letzten Stehplatz und Tausende konnten keinen Einlaß mehr finden. Interessant war es, Beamte aller Gattungen bis zu den höchsten Stellen neben zahlreichen Offi zieren im Civil versammelt zu sehen. Nach stürmischen Hochs auf Kaiser und König nahm Ahlwardt, mit schier endlosem Jsibel begrüßt, daß Wort, um zunächst aus's Wärmste dafür zu danken, daß seine Bestrebungen im Herzen des deutschen Volkes Anklang finden. Dann entrollte Redner ein Bild der entsetzlichen Verjudung Deutschlands, insbesondere Berlins mit dem Hinweis, daß in Berlin von 660 Rechtsanwälten 590 Juden und 49 Prozent des Berliner Grundbe sitzes in den Händen der Juden sind. Ahlwardt sprach vollständig frei. Sein Vortrag war schlicht und schmucklos; aber die Thatsachen, durch welche er seine Behauptungen illustrirte, waren so packend und für Viele so überraschend, daß die Zuhörer, die dem Redner mit Andacht lauschten, ihrer Erregung durch kräftige Zwischenrufe des Erstaunes, der Entrüstung oder Erbitterung Luft zu machen suchten. Die allgemeine Stimmung, in welche der Redner, zum Theil durch seine kräftige, unverblümte Aus drucksweise, die Masse zu versetzen verstand, nahm allmählich den Charakter leidenschaftlichen Zornes an. Während einer kurzen Pause, welche der Redner wegen der drückenden Hitze eintreten ließ, entdeckte man mehrere Juden. Bei jener Stimmung war es nicht zu verwundern, daß diese mit der Exaktheit eines Acte« der Lynchjustiz aus dem Saale befördert wurden, obwohl der Vorsitzende dringend bat, die Semiten in Ruhe zu lassen. Im Laufe des Vortrags kam Redner auch auf seine Enthüllungen, Judenflinten betreffend, und theilte unter stürmischem Jubel der Zuhörer mit, daß in den letzten Tagen viele von ihm vorgcschlagene Zeugen vernommen wurden, daß Alle», was sie ausgesagt haben, zu Buche gebracht worden sei, und daß er ein zweites Heft zum Druck geben werde, welches die bei ihm inzwischen einge gangenen Bestätigungen und Versicherungen enthalten solle. Die oft mit andauerndem Beifallssturm unter brochenen Ausführungen des Redners gipfelten in dem Satze, daß, wenn Hülfe eintreten solle, das jüdische Krebsgeschwür am germanischen Körper aus geschnitten werden müsse. Dem Schluffe der mehr stündigen Rede und den brausenden DankeSbezeugungen auf den gefeierten Redner ließ Ahlwardt begeisterte Hochs auf Se. Majestät König Albert folgen. Dann erklang wie aus einem Munde als würdiger Abschluß des Abends das deutsche Lied. — Pillnitz. Der berühmte Kamelienbaum im Schloßgarten zu Pillnitz steht bereits wieder in Blüthe. Er ist jetzt noch mit dem Bretterbau um geben, mit welchem er jeden Winter zum Schutze gegen die Unbilden der Witterung überbaut wird, dieser wird aber in nächster Zeit weggenoinmen. Der Baum trägt jedes Jahr ungefähr 40,000 Blüthen; er hat eine Höhe von 7 Meter und einen Umsang von etwa 13 Meter, stammt direkt au« Japan, von wo er 1789 nach Sachsen gebracht wurde, und soll ein Alter von etwa 200 Jahren haben. — Bei den diesjährigen FrühjahrScontrolver- sammlungen ist eine kriegsministerielle Bestimmung bekannt gegeben worden, welche besondere Beachtung verdient. Darnach steht es im MobilisirungS- salle dem Einberufenen frei, während de-Feldzuge» sich, neben dem zu liefernden, gegen entsprechende Vergütung des eigenen Schuhwerke» zu bedienen, fall» diese» al» dafür geeignet befunden wird, so lange e» eben vorhält. Man erhofft dadurch, daß dem Fuße die gewohnte bequeme Bekleidung belasten bleibt, den Fortfall eine» großen Theilc» durch anhaltende Märsche »verursachter Fußverwundungen und damit einen wesent lichen Faktor für die Tüchtigkeit der Fußtruppen im Allgemeinen. — Da» beste Lob für unseren sächsischen Bauernstand ist jüngst von sozialdemokratischer Seite au»gesprochen worden. Auf der letzten Landes versammlung der Sozialdemokraten Sachsen» kam auch die Landagitation zur Sprache, von der man sich jedoch sehr wenig versprach. Während ein „Ge nosse" meinte, daß eine eigentliche ländliche Arbeiter frage gar nicht existire, meinte ein anderer, daß der mittlere Bauer ein der Sozialdemokratie durchaus feindliches Element sei, das nie zu gewinnen sein werde. Fürwahr, unsere Landbewohner können stolz aus diese« sozialdemokratische Urtheil sein, welches rückhaltslos anerkennt, daß noch ein gesunder Geist und ein guter Sinn unter ihnen wohnen! — Anläßlich des jetzt erfolgenden Lossprechens der Lehrlinge machen wir darauf aufmerksam, daß die Arbeitgeber dann, wenn die jungen Gehilfen auch nach beendeter Lehrzeit von ihnen beschäftigt werden, verpflichtet sind, dieselben unter Angabe des Lohnes zur Jnvaliditäts- und Altersversicherung besonders anzumeldcn. In solchen Fällen ist und zwar auch dann, wenn dieselben bereit« bisher zur Krankenkasse angemeldet waren, der Ortskrankenkasse eine bezüg liche Anzeige zu machen, da nach beendeter Lehrzeit die jungen Leute in eine höhere Krankenkassen-Lohn- klasse zu versetzen sind. Diese Anzeige kann durch einen entsprechenden Vermerk aus dem für die In validität«- und Altersversicherung einzureichenden Anmeldeformulare bewirkt werden. Zugleich erinnern wir daran, daß alle Arbeiter und insbesondere auch Dienstboten, welche baaren Lohn erhalten, vom voll endeten 16. Lebensjahre ab der Jnvaliditäts- und Altersversichernngspflicht unterliegen und die Arbeit geber und Dienstherrschaften verpflichtet sind, ihre Arbeiter und Dienstboten vom Tage des Eintritts derselben in das 16. Lebensjahr zur Jnvaliditäts- und Altersversicherung anzumelden. Für fristgemäße Anmeldung ist der Arbeitgeber verantwortlich und bedroht das Gesetz Zuwiderhandlungen mit Geld strafe bis zu 100 Mark. — R. Fritzsche's Kursbuch kür Sachsen, bas übrige Mitteldeutschland, Böhmen und die hauplsächlichffen Anschluß bahnen in Nord- und Süddcutschland, sowie Schlesien liegt in der diesmal am 1. Mai in Kraft tretenden Sommer- Ausgabe vor. Das Kursbuch, welches zum ersten Male auch äußerlich die unpassende Bedeutung kennzeichnet, die es nach und nach seinem Inhalte nach erlangt hat, enthält siir Sachsen alle Eisenbahn-, Post- und Dampfschiff-Fahrpläne, für Mitteldeutschland (Thüringen, Preußen), Böhmen alle und für Nord- und Süddcutschland die hauptsächlichsten Fahrpläne der Eisenbahnen, überaus zweckmäßige Uebersichten der direkten Eisenbahnverbindungen mit größeren Städten und Badeorten und der Anschlüsse von Berlin aus, Verzeichnisse der in Sachsen, sowie in Berlin zu erlangenden sesten Rundreisekarten, Hilfs tafeln für die Zusammenstellung combinirbarer Rundreisekarten und eine Fülle sonstiger Notizen, welche dem Reisenden von höchstem Werthe sind. Trotz der ganz bedeutenden Inhalts vermehrung ist der Preis des mit 2 Karten versehenen Buches der alte (40 Pf.) geblieben. Seine große stets wachsende Verbreitung ermöglicht allein diese Billigkeit. (Eingesandt.) — Eibenstock. Große Schaaren von Menschen zogen, einem Schwarm aufgestörter Ameisen vergleich bar, in der Nacht vom Mittwoch zum Donnerstag dem Feuerschein entgegen. Man kann nichts dagegen einwenden. Jeder will sehen, wo es brennt, ob Ge fahr für die eigene Wohnung droht, ob Freunde und Verwandte in Gefahr sind, ob es nöthig ist, bei den Lösch- und Rettungsarbeiten Hilfe zu leisten. Bei gemeiner Gefahr ist ja Jeder nicht nur nach seinem Gewissen, sondern auch nach dem Gesetz zur Hilfe leistung verpflichtet. Tadel verdienen nur Diejenigen, die schnöder Neugierde fröhnen und sich der thätigen Theilnahme auf jeden Fall entziehen wollen. Ihre Zahl ist hoffentlich gering. Was aber aufsällt, ras ist die große Zahl von Frauen und Mädchen, die mit zum Feuer eilen. Sie gehören, besonders des Nachts, in's Haus. Sie wollen sich nicht am Löschen be theiligen. Man darf wohl die Mahnung an sie richten, bei nächtlichen Bränden den Männern allein das Feld zu überlassen. Die Brände in hiesiger Stadt sind seit dem vorigen Jahre zahlreich. Vielfach wird Brandstiftung vermuthet. Sollte diese Volksstimme wahr sein, sollten hier Brandstifter ihre verworfene Thätigkeit betreiben, so mögen sie wohl bedenken, daß die Vergeltung für solche Ruchlosigkeit nur in den seltensten Fällen auSbleibt. Amtliche Mitthcilungen aus der Sitzung des Atadtraths zu Eibenstock vom 14. April 1892. Anwesend: 4 Rathsmitglieder. 1) Man nimmt Kenntniß von den Kassenübersichten der Stadt- und Sparkasse auf den Monat Februar, sowie von dem vorläufigen Rechnungsabschluß der Sparkasse auf da« Jahr 1891. 2) Der Rath beschließt, wegen Reuvermessung der inneren Stadt erneut bei dem Kgl. Finanzmi nisterium bez. Kreissteuerrath vorstellig zu werden. 3) Die aftermiethweise Ueberlassung eines Theil» des zum RathhauShotel gehörigen Pserdestalle« seitens de« dermaligen Pächter« an den Kaufmann Paul Heckel hier wird unter Vorbehalt jederzeitigen Widerruf» genehmigt. 4) Der Beschluß der Stadtverordneten, betr. das Abkommen mit Bretschneider und Gen. wegen Her stellung der Feldstraße und der von dieser nach der oberen Crottenseestraße abzweigendcn Quer straße, sowie wegen Verbreiterung der Quergasse, findet die Zustimmung de« Stadtraths. Gleich zeitig wird beschlossen, für den betr. Stadttheil Bebauungsplan aufzustellen, sowie Bauvorschriften zu erlassen. 5) Die Kosten der Verlegung de» Eingang» der Quergasse werden verwilligt. 6) Wegen Verbreiterung de» Eingang« der Südstraße soll nach vorheriger Vernehmung, mit der betbeiligten Grundstücksbesitzerin der Bauausschuß gutachtlich gehört werden. 7) Die Malerarbeiten im RathhauS werden an den Mindestfordernden vergeben. 8) Stadtratb Brandt wird als 2. Rathsmitglied in den Armenausschuß, Haushaltplan- und Rechnungs ausschuß gewählt. 9) Die Stelle einer Nadelarbeitslehrerin an den Bürgerschulen soll mit 500 M. jäbrlichem Gehalt ausgeschrieben werden. Außerdem kommen 1 Feuer- wehrangeiegcnheit, 3 Bausachen, 4 innere Ver waltungsangelegenheiten, l Schul-, 2 Steuersachen, I Pfandentlassungsgesuch, 1 Straferlaßgesuch, so wie 1 Gesuch um Erlaß der Armenkassenbeiträge zum Vortrag und zur Beschlußfassung. Aus vergangener Zeit — für unsere Zeit. 3. Mai. (Nachdruck verboten). Am 3. Mai 1840 starb Map Schneckenburger, der Dichter der „Wacht am Rhein", zu Bürgdorf bei Bern. Das bereits 1840 gedichtete, von Karl Wilhelm coinponirte Lied sand erst viele Jahre nach dem Tode des Dichters seine gerechte Wür digung. Erst in der großen Zeit 1870/71 wurde cs zu dem allgemeinen deutschen Saug, zu der Nationalhymne, die cs geblieben bis heute. Weder Dichter, noch Komponist haben schwerlich den schließlichen großen Erfolg des Liedes vorher gesehen. 4. Mai. Wenn heute ein feindlicher Angriff auf Deutschland ge schieht, dann steht zur Abwehr sofort ein schlagfertiges deutsches .Heer bereit, ein Heer unter einer Führung, unter einheitlicher Leitung, stark und mächtig. Vor 100 Jahren war das anders. Da richtete am 4. Mai 1782 Oesterreich, damals bekanntlich der wichtigste Theil Deutschlands, an das deutsche Reich die Aufforderung, ihm bei einem Kriege nut Frankreich Bcihilsc zu leisten. Das deutsche Reich, — das waren damals die deutschen Fürsten und jeder dieser Ileinstaatlichen Souveräne, der Uber einige Quadratmcilen Landes gebot, konnte dem Ruse Oesterreichs folgen, oder auch nicht. Sv ist es denn auch that- sächlich geschehen; von einem einheitlichen Handeln Frankreich gegenüber war keine Rede. Lucios und bezeichnend für die Ideen jener Zeit war die Begründung des Krieges seitens Oesterreichs: „weil der Krieg hauptsächlich wegen der Beein trächtigung niehrerer Stände ausbreche." Doktor Zernowitz. Ein Lebensbild. Preisgekrönte Arbeit von Frau Sutro-Schücking. (I«. Fortsetzung.) „Ottilie mußte fest entschlossen sein, den entsetz lichen Vorsatz auszuführen, denn es trat eine stille Fassung, eine edle Ruhe jetzt in die zuvor so wild bewegten Züge und Todesmuth leuchtete aus den lichtlosen Augen. „Schon griff ihre Rechte nach der Verhängnis vollen Tasse, — da trat ich zwischen sie und das hcraufbeschworene Geschick! Indem ich mit meiner Hand die Tasse so heftig fortschob, daß sie in tausend Scherben am Boden zerbrach, fragte ich sie tiefernst: „Was wolltest Du thun, Ottilie? „Mit einem lauten Ausschrei sank sie zusammen und streckte abwehrend, — flehend die Hände gegen mich auS: „Georg, mein Georg", bebten die aschfahlen Lippen in unaussprechlichem Schrecken, — „verdamme mich nicht!" „Dann wurde sie ohnmächtig. „Ich fing sie in meinen Armen auf, und meine glühenden Küssen vermochten erst nach längerer Zeit die Schwergeprüfte aus der Bewußtlosigkeit zu reißen, die ein aufs Aeußerste angegriffenes Nervensystem erliegen gemacht. Al« ihr Geist sich wieder zurecht fand au« dem zuvor so unentwirrbaren Labyrinth großherziger Irrungen, flüsterte der blasse Mund noch wie unbewußt um Erlösung. „Warum hinderst Du mich, es war ja für Dich, für Dich allein!" „Ich aber küßte sie auf die frevelnden Lippen, bi» sie wieder lächelten in neu erwachendem LebenS- muth und schwor e» ihr hoch und theuer: „Mein Kind, ohne Dich nicht da« Leben, mit Dir selbst den Tod. „Und sie glaubte e» mir." * -b * Mit jenen Worten beendete Zernowitz seine er schütternde Erzählung von irdischer Noth und irdischer Liebe. Sein Zuhörer aber schaute sinnend über die Keulen schläge, welche ein unversöhnliche- Schicksal diesen zwei ideal angelegten Naturen versetzt hatte, in die Glutben de« Kaminseuer». In den züngelnden Flam men desselben hatte er so oft da« Bild heiß empor lodernder Empfindungen erblick, die sterben müssen, wenn ihnen nicht Nahrung geboten wird, — die sich selbst verzehren, wie unerwiderte Leidenschaft. Tausend mal früher erkannte er sein eigene« Geschick in diesem