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Amts- und Anzeigeblatt für den -MAk Bezirk -es Amtsgerichts Eibenstock sertionSprei«: die kleinsp. Zeile 0 Pf und dessen Umgebung. Abonnement vicrtelj. 1 M. 20 Pf. (incl. Jllustr. Unterhaltbl.) in der Expedition, bei unfern Bo ten, sowie bei allen ReichS- Postanstalten. SS Verantwortlicher Redakteur: E. Hannebohn in Eibenstock. ,S. Aatzr«,«« Dienstag, den 3. Mai 18SS. Bekaimtmachuiig. Der Aufpasserin I'suUnk in Eibenstock ist an Stelle ihres vom unterzeichneten Stadtrath am 17 Ium 1887 unter Nr 1S7 ausgestellten, angeblich in hiesiger Stadt verlorenen Arbeitsbuches ein neues Arbeitsbuch ausgestellt worden, was zur Verhütung von Mißbrauch hierdurch be kannt gegeben wird. Eibenstock, den 29. April 1892. Dkl §1tl-1ril1-. »i-. Körner. HE Mildernde Umstände. Tapfere Leute sind die Franzosen nun einmal und mildherzig noch dazu. Die Pariser Geschworenen — vierzig waren geladen und neun davon haben sich durch ärztlich bescheinigte Krankheit entschuldigt! — haben den neuesten Nationalhelden Ravachol, der seine Schandtaten mit der ungenirtesten Frechheit eingestand, zwar schuldig befunden, aber sie haben zugleich, um das Leben dieses Biedermannes nicht in Gefahr zu bringen und um sich selber durch ihre Milde und Nachsichtigkeit den Herren Anarchisten bestens zu empfehlen, dem Scheusal.... mildernde Umstände zugesprochen. In welcher Gloriole erstrahlt Ravachol! Selbst der Gerichtspräsident konnte sich ja nicht einmal ent halten, die Intelligenz des interessanten Angeklagten zu rühmen und der Verteidiger drehte den Spieß um, erhob schwere Anklagen gegen Staat, Ge sellschaft und Polizei, bezeichnete seinen Klienten als politischen Märtyrer, der den Muth gehabt habe, die Finger in die schwärenden Wunden zu legen, an denen die Menschheit in Frankreich krankt und der sich nur im Ueberschwung seiner Gefühle zu drasti scher Mittel bedient habe, um das öffentliche Ge wissen zu verschärfen. Im Prozeß Ravachol wurde die Anklagebank zur Rednertribüne, von der herab der Angeklagte sein anarchistisches „Programm" mit lauter Stimme ver kündete. Die Haltung Ravachol« war während der Verhandlungen wie schon bemerkt, eine cynische. Zu wiederholten Malen lachte Ravachol den Staatsan walt au« und belegte ihn mit Schimpfworten wie .Esel" und dergleichen. Ravachol erklärte in seiner VertheidigungSrede, er bedauere seine Thaten der Ge rechtigkeit keineswegs und hoffe, daß seine unschul digen Opfer ihn verstehen und ihm vergeben würden. Der Gerichts-Präsident GueS zeigte sich sehr wenig energisch. Einzelne Morgenblätter bezeichnen seine Haltung als geradezu jämmerlich. Er behandelte Ravachol mit beflissener Freundlichkeit und sprach anerkennend von dessen Muth, Energie und Intelli genz. Der Staatsanwalt allein trat sehr entschieden auf; übrigens hat er während seines PlaidoherS eine Depesche empfangen, in welcher angekündigt wurde, seine Wohnung werde während der Nacht in die Luft gesprengt werden. Die Geschworenen machten einen trübseligen Eindruck, ebenso die als Zeugen vernommenen Richter Benoit und Staatsanwalt Bu- loz, gegen deren Häuser die Dhnamitattentate ge richtet waren. Diese beiden Zeugen befanden sich in höchster Aufregung und konnten kaum einige zit ternde Worte au« der von Angst zusammengeschnür ten Kehle herauSbringen; ihre Aussage blieb größten- theils unverstanden. Da ist eS ja in der That kein Wunder, wenn den Anarchisten der Kamm schwillt; sie sehen ja, daß sie theilweise ihren Zweck erreicht haben, daß den „herr schenden Klaffen" der Dhnamilschrecken in da» schlot ternde Gebein gefahren ist. Denn wie ander« ließe sich daß Verdikt auf „mildernde Umstände" erklären. Wenn e« irgend ein Verbrechen giebt, da« schon seiner Natur nach die Annahme mildernder Umstände ausschließt, so ist e« da« Dynamitverbrechen, bei welchem der Urheber keinerlei Rücksicht darauf nimmt, daß er gänzlich unbetheiligtr Personen in den Be reich de« von ihm angerichteten Verderben« zieht. Wenn die Todesstrafe nicht existirte, der Anarchis mus würde zu ihrer Einführung zwingen, denn ihm gegenüber ist die Todesstrafe blo» Nothwehr. Nun haben zwar die Pariser Geschworenen ihr Gewissen beruhigt. Einen Tod kann der interessante Alaun nur sterben, so sagten sie sich, und dieser wird ihm zweifellos von dem Geschworenengericht der Loire zudiktirt werden, vor dem sich Ravachol nun noch wegen der von ihm begangenen feigen Mord- that an dem Einsiedler von Eambles zu verantwor ten haben wird. Endet dieser Prozeß, wie voraus zusehen, mit einem Todesuriheil, dann stirbt Ra vachol doch wenigstens nicht als „politischer Verbrecher," sondern als gemeiner Raubmörder unter dem Fall beil und die Anarchisten haben dann doch wenigstens keinen Grund zur Rache. Fein ausgeklügelt und . . . tapfer. Daß in Paris eine große Erregung herrscht, erstens wegen der trotz vielfacher Anarchistenverhaf- tnngcn fast täglich neu aufkauchenden neuen Dynamit anschläge und anderntheils wegen der ganz und gar nicht erkennbaren „mildernden Umstände" für das Hauptscheusal, läßt sich begreifen. Hoffentlich aber bleibt die Regierung fest und energisch, dann wird auch die Panik wieder schwinden und man wird ein sehen lernen, daß die Kultur unserer Tage zwar vorübergehend durch Dynamitpatronen erschreckt, aber nicht etwa vernichtet werden kann. Hagesgeschichle. — Deutschland. Von offiziöser Seite wird jetzt bestätigt, daß die Gerüchte von dem Rücktritt des preußischen KricgsministerS nicht au« der Luft gegriffen seien, die Gesundheit des Herrn v. Kalten born lasse zu wünschen übrig. Sodann heißt es Weiler: „Wenn dagegen neuerdings das Gerücht von seinem Rücktritt damit begründet worden ist, daß eS zur Vertretung der in Aussicht genommenen Mtli- tärvorlage im Reichstage eines energischeren und mehr redegewandten Kriegsministers bedürfe, so er ledigt sich diese Darstellung schon dadurch, daß eS noch keineswegs feststeht, ob der Reichstag schon in seiner nächsten Session mit der Militärvorlage befaßt werden solle. Wie nun von guter Seite versichert wird, ist eS vielmehr weit wahrscheinlicher, daß die Vorlage erst im Herbst 1893 an den Reichstag ge langen werde." — ES war angestrebt worden, die LandeS-B uß- und Bettage in Deutschland fämmtlich auf den Mittwoch vor dem letzten TrinitatiS-sonntag zu ver legen; ein entsprechender Gesetzentwurf ist auch schon dem preuß. Abgeordnetenhause zugegangen. Von den Landesregierungen der norddeutschen Bundesstaaten sind außer vom Großherzogthum Mecklenburg-Strelitz und den Fürstenthümern Waldeck und Reuß ältere Linie bereit« im wesentlichen zustimmende Erklärungen eingegangen. Die süddeutfchen Staaten Bayern, Württemberg, Baden und Hessen wollen sich der Ein richtung eines gemeinsamen Buß- und BettageS nicht anschließen. — Halle. Unerwartet wurde heute in der Kaserne am Exerzierplatz Durchsuchung der Schränke der Soldaten nach revolutionären Schriften vorge nommen. Zahlreiche, besonder« die Maifeier be treffende Drucksachen, sollen dabei gefunden worden sein. — Thorn. Die letzteAlarmirung unserer Thorner Garnison übte auf unsere russischen Nachbarn eine komische Wirkung au«. Eine Schwadron unserer Ulanen und eine Adtheilung Infanterie hatten nach der Alarmirung Preußisch-Leibitsch besetzt; an der Brücke über die Drewenz, welche die beiden Nachbar länder trennt, war ein Posten aufgestellt. Al« der auf der Brücke pvstirte russische Grenzsoldat die preußische Wache aufziehen sah, nahm er sein Gewehr unter den Arm und machte sich schleunigst au« dem Staube. Binnen Kurzem waren nach der „Thorn. Ztg." sämmtliche in Poln.-Leibitsch liegenden Grenz soldaten alarmirt und kriegsbereit, mit gesattelten Pferden nahmen sie bei der Zollkammer während der ganzen Dauer der Uebung Aufstellung, während der russische Posten auf der Brücke nicht wieder erschien. — lieber die gegenwärtige Stimmung in Rus - fisch-Polen wird aus Warschau geschrieben: Seit rem Ausbruch des letzten Aufstande» im Jahre 1863 war die Stimmung der polnischen Bevölkerung wohl noch niemals so erbittert wie gegenwärtig. Thal sächlich sieht eS in allen Gouvernements trostlos aus. Wer auSwandern kann, verkauft Hau« und Hof in der Hoffnung, jenseits des Meeres ein menschenwür diges Dasein führen zu können. Aber Tausende finden für ihr Hab und Gut keine Käufer, trotzdem sie ihr Besitzlhum zu wahren Schleuderpreisen anbieten. Die fortwährenden Zahlungseinstellungen und Bc- triebSeinschränkungen in den Jndustrieplätzen machen Tausende von Arbeitern brodlos. Obendrein finden Arbeiter polnischer Abkunft an militärischen und staat lichen Bauten gegenwärtig nur vereinzelt Beschäftig ung, da die Regierung bei fast all diesen Anlagen prinzipiell russische Arbeiter, die meist aus den soge nannten Nothstandsdistrikten hcrangcholt werden, an stellt. So ziehen Schaareu von erwerbslosen Menschen durch die ländlichen Ortschaften, wo sie an den meisten Thüren vergebens um ein Stück Brod anklopfen, da viele Bauern selbst kein Brod haben oder sich nur aus Kleie, Spreu, Kartoffeln, Baumrinde u. s. w. ein kaum genießbares Brod-Surrogat backen. Aus den Bettlern auf den Landstraßen werden nicht selten Diebe und Räuber und die Anzahl der schweren Ver brecher ist in allen Gouvernements in erschreckend schneller Zunahme begriffen. — Besondere Russisi- zirungSmaßregeln sind neuerdings für Kongreßpolen nicht mehr erlassen worden. Aber der schranken losen Willkür und dem bekannten Erpressungssystcm der russischen Beamten zum Zweck der Selbstbereicher ung steuert die Regierung auch bei den flagrantesten Fällen nicht mehr. In dieser Hinsicht sind noch nie mals so viel Skandale zu verzeichnen gewesen, als in der Jetztzeit. In Warschau, Plock und Lublin haben neuerdings wieder eine Reihe Polizei- bezw. Verwalt ungsbeamte Gewerbetreibenden, Kaufleuten, Fabrikanten u. s. w. ganz bedeutende Summen entlockt, welche die Gebrandschatzten auch aus Furcht vor fortgesetzten Polizeichikanen zahlten. — Der Haß innerhalb de» Polenthums gegen die Russen bezw. die „russische Wirthschast" wird immer intensiver. Besonder« ist die« im südlichen Polen und namentlich in den Be zirken an der ostgalizischen Grenze der Fall, wo die religiöse Verfolgung der Uniten durch die orthodox russische Kirche, bezw. durch die unwissenden und mo ralisch so anrüchigen Popen noch immer kein Ende nehmen will. Hier fordert da« denkbar brutalste Ver- folgungssystem immer neue Opfer, die meist nach Sibirien oder wenigsten« nach dem äußersten Osten de« europäischen Rußland geschickt werden. In den an Galizien angrenzenden Bezirken halten viele Land- 'leute garnicht mit der Aeußerung zurück, daß sie im Falle eines russisch-österreichischen Kriege« sich ganz offen auf die Seite der Oesterreicher stellen und letz teren bei einem Einmarsch in Polen alle mögliche Unterstützung angedeihen lassen werden. In den ge bildeten und wohlsituirten polnischen Gesellschaftskreisen ist man natürlich, wa« politische Aeußerungen anbc- langt, ungemein reservirt, aber die Stimmung dürfte auch hier kaum eine andere sein, al« die eben geschil derte in den bäuerlichen Kreisen. — E« ist übrigen» interessant, daß in vielen Gegenden Polen» die Bauern gegenwärtig der felsenfesten Ueberzeugung leben, die hundertjährige Bußzeit für da« Polenthum sei nun-