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Beilage m Nr. 51 -es.Amts- un- Anzeiaeblattes." Eibenstolt, den 30. AM 1892. Die Goldfee. Original-Roman von Emmy Rossi. (8. Fortsetzung.) Unwillig zischte sie, Schweigen gebietend, diesmal schon abgezogen ans ihrer Vision. Doktor Martigny berührte sie nun am Arm und rief mit lauter Stimme: „Doktor Tornhill, den Sie hergebcten haben, ist nun hier, Mrs. O'Neill — wollen sie ihn nicht be grüßen ?" Statt der Wonne malte sich mm Zorn und Schmerz aus ihrem Gesicht. „Laßt mich, ich will nicht, daß man mit niir spricht!" rief sie zornig, und als Tornhill noch einmal ver suchte, ihr Bewußtsein zurückzurufcn, schlug sie nach ihm und riß sich in Verzweiflung die schönen Haare aus. — Trostlos ging Tornhill mit dem Arzt, der ihn sanft mit sich führle. Sein Herz wollte brechen über die Bestätigung, daß sein Liebling wirklich im höchsten Grade wahnsinnig sei, daß Sidnch's Schick sal dadurch wieder in tiefere Schatten gehüllt wurde. Nur der freundliche Zuspruch des Arztes, der auf Heilung vertröstete, gab ihm etwas Muth für die Zukunft. „Wollen Sie noch die anderen Kranken besuchen?" fragte Doktor Martigny, der Advokat lehnte traurig ab, er hatte genug des Grauens gesehen! Mit einem warmen Händedruck wollte er sich von dem Arzt verabschieden, hielt doch derselbe seine Hand fest. „Unterstützen Sie mich in der Heilung der thcurcn Fran — ich sagte Ihnen, daß sie lichte Momente hat; schreiben Sie ihr, daß Sie nicht wiederkonnncn würden, bis ich es befehle, weil der Anblick ihrer Leiden für Sie unerträglich wäre. Und enipfchlen Sie ihr, sich mir ganz anzuvertrauen, da Sie sich überzeugt hätten, daß ich ihr Bestes wolle." „Gewiß," erwiderte Tornhill, und schüttelte die feine blasse Hand des Arztes freundschaftlich, „ich danke Ihnen herzlich und werde heute noch an Adah schreiben." Einen Augenblick später fuhr seine Droschke über die trostlose Haide Doktor Martigny lächelte sei» interessantes Lächeln, wobei die kleinen Schlangen um den kleinen rothcn Mund zuckten und sich unter dem schwarzen Schnurrbart verkrochen. „Doktor Tornhill, mein theurer Freund Dargan O'Neill, Jim und Adah — Alle in meinen Händen — das Spiel kann beginnen!" — Er klingelte nach seinem Diner — eine zierliche Magd deckte den Tisch, während er seinem Pnlt Papiere entnahm, und sie — vielleicht zum zehnten Mal seit diesen drei Tagen — las. Sie steckten in einem Kouvert, welches die Aufschrift trug: „Einschreiben! An de» Staatsanwalt Or. Simon Finsch London." Martigny lächelte immer noch — dann schloß er die Papiere fort und übersah das Menu, welches auf feinen Befehl stets dem Gedeck beilag. Oxtail- soup, Schneehühner, Turbot in Mayonnaise, Hammel keule mit Spargel, Kompott, Früchte und Käse. — „Gut," er entfaltete die Serviette, „bringen Sie »och eine halbe Flasche Champagner in Eis, mit dem Rothwein, kleine Maggie —" nun wollte er sich setzen, plötzlich aber legte er die Serviette nieder rind ging ins Schlafzimmer. „Ich Undankbarer!" Und er kniete nieder und sprach ein besonders langes Gebet. XIII. Zwei Stunden später, als Etty zurückkehrte, fand sie Adah in tiefem Schlaf, der bis zum späten Abend währte, und auch dann nur unterbrochen wurde, um schlaftrunken etwas 'Nahrung zu verlangen, und nach Stillung des brennenden Durstes fortgesetzt zu werden. Erst am folgenden Morgen erwachte Adah mit brennenden Kopfschmerzen, Doktor Martigny saß vor ihrem Bett. „Sie waren gestern recht fieberkrank, verehrte Frau, Ihr Freund Doktor Tornhill versuchte umsonst. Sie zur Besinnung zu bringen, er ging ganz trostlos wieder fort. Doch soll ich Sie herzlich von ihm grüßen, und Sie werden heute noch einen Brief von ihm erhalten." Adah sann und sann, dunkel wie aus der Nacht eines Fiebertraums stieg Tornhills Stimme, fein Bild vor ihr auf — was war denn geschehen, war sie wirklich bis zur Besinnungslosigkeit krank gewesen? Wie ein Blitz fiel ihr ein, was sie einst über Mar- tignh gehört. Man hatte gesagt, es wäre unmöglich, ihm irgend ein Unrecht zu beweisen, er besäße Mittel und Wege, Wahnsinn zu erzeugen aber da saß er so ernst, so theilnahmsvoll, ganz Güte und Sorg falt vor ihrem Bett und versuchte mit seiner weichen Stimme und weichen Hand seelische und körperliche Wunden zu heilen. „Nur noch ein paar Tage Geduld, verehrte Frau, und Sie sind wieder ganz hergestcllt, daun wird Ihr Freund, sobald ich ihn selbst darum ersuche, so fort wiederkommeu. Vertrauen Sie mir, und es wird noch Alles gut werden — Alles," wiederholte er mit besonderer Betonung. Dennoch fröstelte es sie bis aus den Grund ihrer Seele, und als ein paar Stunden später der ange kündigte Brief Tornhills eintraf, brach sie in Ver zweiflung zusammen; das Unheimliche sprach aus seinen Zeilen, er unterstellte sie ganz des Arztes Willen, das hieß mit anderen Worten, er gab sie ganz dem Arzte preis! Was war denn geschehen, was eines solchen Mannes klares Urtheil trüben konnte? Und der Urlaub, den Etty erhalte», erschien ihr nur wie eine wohlberechnete Entfernung von Zeugen, die man nicht einzuweihen wünschte! Hier lag planvolles Han deln vor. Es überraschte sie denn auch nicht, daß Doktor Martigny am Spätnachmittag anfragte, ob sie sich soweit erholt hätte, eine längere Besprechung mit ihm abzuhalten. Da ihr Gewißheit tröstender erschien, als dieses absolute Nichtwissen, sagte sie zu und ließ sich von Etty auf das Sofa ihres Wohnzimmers tragen — der Versuch zum Gehen mißlang völlig. „Ich muß Sie bitten, gnädige Frau, daß Ihre Wärterin sich entfernen darf — Sie müssen mir ganz vertrauen, ohne Rückhalt, nur so können wir uns verständigen — was ich Ihnen zu sagen habe, kann mir zwischen Ihnen und mir ausgesprochen werden. Also, ich bitte!" „Weshalb befehlen Sie cs der Wärterin nicht selbst? — Sie sind ja hier der Herr des Gefäng nisses, wir Ihre Sklaven!" rief Adah in ansbrechcn- dcr Bitterkeit. „Nein, gnädige Frau, nicht so, nicht so," bat Martigny in schmelzenden Tönen, „ich kann Ihren Unwillen nicht ertragen. Seien Sie wieder die holde Fee, deren Güte und Schönheit eine Welt be zauberte — also bitte, schicken Sie die Wärterin fort." „Gehen Sie, Etty," winkte Adah, ungern die Nothwcndigkcit eines tßte-ü-tete anerkennend — die Beiden blieben allein. In einer Beziehung war Adahs Furcht unnütz, er blieb der reservirte Mann, obgleich er seine Mittheilung spielend mit der Fort setzung ihres Ballgespräches begann. „Sie erinnern sich, gnädige Goldfee, an den Vergleich, welchen ich mir in Bezug auf Ihren ersten Anblick und die strahlende Sonne erlaubte? Der Gedanke ballte sich mir zu Versen zusammen, und da Dichtereitelkeit mich trieb, Ihnen dieselben als Huld igung zu Füßen zu legen, suchte ich Sie wieder auf, ohne daß es mir gelingen wollte, Sie zu finden. Endlich traf ich auf Ihren Mann. Meine Frage, ob Sie bereits den Ball verlassen hätten, bejahte er, er sah furchtbar erregt und zornig aus, zu gleicher Zeit wollte es mir aber bedünkcn, als suche er ängstlich etwas auf dem Korridor. Ich habe «och nie in einem menschlichen Antlitz so viele verschiedene Leidenschaften u. Gefühle wechseln sehen. Er entschuldigte sich kurz und ging — ich folgte ihm von weitem und beobach tete ihn durch ein Flurfenster, wie er erst mit einem sehr großen, dann mit einem kleinen Polizisten sprach. Beide entfernten sich vom Hotel, dem Rathhaus zu — der wirbelnde Flockcnsturm verbarg sic auch sofort. Ihr Gatte kam wieder in das Hotel zurück." Adah richtete sich auf, sie begann sich zu inter- essiren — die Furcht vor gewöhnlichen Zudringlich keiten schwand ganz, hier bereiteten sich Dinge vor, die von Bedeutung, wenn auch im schlimmsten Sinne wurden. „Diesmal vermied ich es, mich ihm wieder zu zeigen — er ging, immer den Blick aus dem Boden, den Korridor entlang, dann lauschte er einen Moment an einer Zelle, die ich im Auge behielt, seinen Pelz auf den Schultern trat er wieder einen Moment unter die Saalthür und sah dem Gewoge zu, dann gab er seinen Pelz einem Diener und nun griff er in alle Taschen, durchsuchte alle Papiere, die er bei sich trug — er hatte also offenbar Papiere verloren." „Vaters Anklageschrift," unterdrückte Adah zu sagen. „Als er sich gleich darauf wieder unter die Tanzen den mischte, sah ich mir die Nummer des Kabinetts an, es war—" „Nummer 13!" rief Adah fragend. „Ganz recht, Nummer 13, auch ich lauschte einen Moment, konnte aber absolut kein Ge räusch hören." „Weil ich noch von dem Schlage betäubt, todeS- bleich dalag!" „Möglich nun begann ich die Suche nach dem verlorenen Schreiben — ich hatte mehr Glück — nicht als ob ich es gefunden hätte, aber eine im Hause bedienstete Frau fragte mich, als sie mich suchend fand, ob ich etwas verloren habe. „Ja, ein Schrift stück," erwiderte ich dreist auf gutes Glück. „Hier, ich habe es vorhin gefunden," sie zog den Brief aus ihrer Tasche, ich gab ihr ein Trinkgeld, welches ich mit der Bitte, Niemand etwas zu sagen, verdoppelte, — dann las ich die Adresse — sie war von einer zitternden Hand geschrieben und an den Staatsan walt Simon Finsch in London adressirt. Ich steckte den Brief nun sorgfältig ein, daß er mir nicht ver loren gehen könne — in der That, ich besitze ihn noch heute." „Und weshalb sandten Sie ihn nicht sofort ab? Das war Ihre Pflicht!" sagte Adah. „Weshalb? Aber Dargan O'Neill war mein Freund und die Pflicht muß oft schweigen, wenn das Herz spricht!" Es läßt sich nichts Feineres denken, als der leise Hohn, der diese Phrase begleitete. „Außerdem wünschte ich den Inhalt kennen zu lernen — nun, ich kenne ihn." Zitternd mit sehnsüchtigen Blicken sah Martigny sie an, sie fragte nichts, sie erwartete nur, daß er weiter spräche, aber er sprach nicht, er vermied sogar ihren Blick. Endlich, unfähig, dies belastende Schweigen zu ertragen, begann sie: „Und trotzdem Sie wissen, welcher Verbrecher O'Neill ist, sind Sie sein Freund?" „Nein," entgegnete er kurz — nun stand er auf und zog seinen Stuhl zu ihr heran. „Ich will Ihnen noch mehr erzählen, lassen Sie mich zu Ende reden, ganz zu Ende! — Es war ja noch sehr früh. Niemand dachte eigentlich daran, den Ball zu ver lassen — aber nachdem meine Sonne untergegangen war, lockte mich der Ballsaal nicht mehr. Ich ging also in die allgemeine Garderobe, um mir meinen Pelz zu holen — da ich die Nummer nicht finden konnte, bot ich der Garderobiere an, selbst unter den Kleidern das meinige herauszusuchen. Seltsamerweise war es die Person, welche „meinen" Brief gefunden hatte — ich stand also hinter den vielen Kleidungs stücken verborgen, als Jim, der Polizist Nr. 1UO, hereinkam, einen Mantel über der Schulter. Er sah so wild und verstört aus, als habe er eben einen Mord begangen — oder wenigstens einem friedlich Gestorbenen den Hals gewürgt, so daß es aussähe, als wäre ein Mord geschehen gnädige Frau, wenn Sie sich nicht gefaßt und ruhig verhalten, so kann ich nicht fortfahren." „O, mein Gott, welche Unsumme von Verbrechen." seufzte Adah, „doch ich bitte um Verzeihung, wenn ich Sie störte — erzählen Sie weiter." „Er schickte die Garderobiere mit einem Auftrag fort — ein Polizist — das ist ja unverfänglich! Kaum war sie gegangen, so goß er aus einer Flasche, die er unter dem Mantel verborgen gehalten, Petro leum auf die ihm zunächst hängenden Kleider und entzündete sie mit einem Streichholz. Die dumpfen und Halbfeuchten Kleider brannten nur langsam an, mehr Rauch als Flamme erzeugend, er warf nun die Flasche darauf, so daß es hell auflohte, und entwich. Die Thür schlug er hinter sich zu. Ich bahnte mir sofort einen Ausweg, die Thür war von innen zu öffnen, während man von draußen eines Schlüssel bedurfte. „Schon wollte ich mit dem Rufe „Feuer" die Gesellschaft warnen, da rief es schon vom anderen Ende des Korridors: „Feuer". Dort brannte eS in Helle» Flammen. Dank O'NeillS Umsicht und Kalt blütigkeit gelang es ihm, die soeben arrangirte Polo naise zum Saal, zum Hause hinauszuführen. Die Meisten wußten gar nicht, was diese Laufpolonaise bedeutete, doch liefen sie mit, da Alles lief — als die Feuerwehr auffuhr, stand schon der Tanzsaal in Flammen — es scheint, der Polizist Nr. 100 hat an mehreren Stellen Feuer angelegt. — Zwei Fragen sehe ich auf Ihrem Gesicht, welche eine dritte in sich schließen. Wie ich wissen konnte, daß eS Nr. 100 war? Er hatte beim Bücken sein Blechschild verloren, — trotz der zischenden Flammen nahm ich mir die Zeit, es aufzuheben — sehen Sie, hier ist eS — zweitens, weshalb ich den Menschen in meine Dienste nahm, anstatt ihn anzuzeigen? Weil ich weiß, O'Neill würde ihn zur Flucht verholfen haben, sobald die Gelegenheit sich bot, oder vielleicht hätte er ihn auf andere Weise verschwinden lassen — kurz und gut, ich sicherte mir seine Person, damit ich, falls ich ihn gebrauche, den Zeugen bei der Hand habe, den Einzigen, der Dargan O'Neill ins Verderben bringen kann, den Einzigen, der Sidney Percy zu retten vermag." Sie glitt vom Sofa herab zu seinen Füßen nieder, sie umfing seine Kniee, sie drückte seine Hände an ihre Augen, an ihr Herz, unfähig, Worte zu finden, die perlenden Thränen rannen stromweise von ihren schönen Augen — selbst dieser herzlose Wüstling fühlte Erbarmen mit so viel Schönheit in Verzweiflung! Vielleicht zum ersten Mal im Leben wurde er auf-