Volltext Seite (XML)
Leilaqe m Rr.117 des „Amts- und Aiyeigeblattes". Eibcnstvlk, den Oktober 1891. I r r t h ü m e r. Roman von Karl Ed. Klopfer. <8. Fortsetzung.) Bis dahin hoffte er schon außer Schußweite zu sein. Zugleich mit diesem Briefe ging ein Telegramm an Golding ab, das anzeigte, daß Sormann nach seiner Rückkehr nach Danzig alles bestens zu ordne» gedächte. Den Plau seiner Flucht hatte Sormann mit ge nauester Berechnung entworfen. Amerika, das ge wöhnliche Ziel der Kassendiebe, wollte er, wenigstens zunächst noch, vermeiden, da seine Firma faßt in allen amerikanischen Hafenstädten Kommissionäre und Ge schäftsfreunde hatte, die durch Kabcldepcschen noch früher von seiner Flucht verständigt werden konnten, als der Flüchtling hoffen durfte, die neue Welt zu erreichen. Nein, jetzt wollte er mir eine falsche Spur, die nach Hamburg leiten sollte, hinterlassen, während er sich für längere Zeit nach den östlichen Donau ländern, vielleicht nach Rumänien, zurückzog, bis er und sciuc That einigermaßeu in Vergessenheit gerathen war. Ehe aber seine Flucht so entdeckt werden konnte, vergingen mindestens acht Tage — ein Vor sprung, den er gehörig auszunutzcn gedachte. Sormann bezahlte seine Rechnung und miethete das bisher bewohnte Zimmer noch auf weitere zwei Wochen. Er sprach davon, daß sein Chef ihn durch das ihin heute zugestcllte Telegramm mit einem dringen den Geschäfte betraut habe, das ihn für einige Tage nach Hamburg führe. Etwaige Korrespondenzen, die für ihn anlangcn sollten, möge man bis zu seiner Rückkehr aufbewahrcn. Selbst für eventuelle Depeschen stellte er dem Portier eine Vollmacht aus, die diesen zur Annahme derselben berechtigte. So war alles wohlgeordnet. Durch den Haus knecht des Hotels ließ er seinen Koffer nach dem Niederschlesisch-Märkischen Bahnhof bringen, wahrend er ihn einige Stunden später durch einen Packlrägcr nach der Oberschlesischcn Bahn expedirte, Dann ließ er durch denselben Dienstmann ein Eilgutbillet nach Wie» lösen. Am selben Abend verließ er die schlesische Haupt stadt. IX. Es war am 8. Dezember 1881, dem Festtage Mariä Empfänglich, als Sormann in den ersten Rach Mittagsstunden aus dem Wiener Nordbahnhofc anlangte. Nachdem er in der Bahnhofrestauration eine kräftige Stärkung zu sich genommen und seine weitere Route nach den Fahrplänen verfolgt hatte, schickte er seinen Koffer nach der Staatsbahn, denn er wollte schon den Nachtzug zur Fahrt nach Budapest benutzen. Dadurch war er der Nolhwendizkeit enthoben, in einem Wiener Hotel absteigcn und eventuelle Spuren zurück lassen zu müssen. Bon Pest aus wollte er sich sodann direkt nach Bukarest oder Galatz wenden, wo er weiteres beschließen konnte. — Der prächtige Wintcrtag, der als kirchlicher Fest tag unzählichc Spaziergänger auf die Straßen gelockt hatte, bestimmte auch Sormann, die Residenz ein wenig zu durchstreifen Er durchschritt also im behaglichen Tempo eines Unbeschäftigten die lange Praterstraße, die vom 'Nord bahnhofe am Karltheatcr vorüber bis znm Donaukanal führt, welcher dort die innere Stadt begrenzt. Uebcr die Aspcrnbrücke auf den Franz-JosephS-Kai gelangend, schlenderte er diese Häuserzeile, in der die Wiener Großhändler ihre Gcschäftslokale besitzen, entlang. Als er die Straßenbiegung erreichte, die znm Schottenring führt, sandle die Dämmerung bereits ihre Schatten ans die Erde herab. 'Nachgerade fühlte er sich durch die lange Fahrt und den Spaziergang unter dem hier herrschenden Menschengewühl doch etwas ermüdet. Er trat in eines der luxuriös auSgestattetcn Kaffee häuser ani Schottcnring, um sich zu erfrischen. In einer Fenstcrecke fand er ein Plätzchen und versenkte sich in die Lektüre der verschiedenen Zeitungen, die auf dem Tische lagen. Aber seine innere Unruhe und der rings um ihn her herrschende Lärm in dem dicht gefüllten Lokale zog seine Gedanken fortwährend von den gedruckten Spalten ab. Unwillkürlich wandte er seine Aufmerksamkeit der bunten Umgebung zu, die bald sein Interesse fesselte. Einige Tische seitwärts von ihm saß eine größere Gesellschaft. Es waren meist junge Männer, deren Haltung, Gebärden und Gcsprächston mit der etwas schäbigen Eleganz ihrer Toilette übcrcinstimmten. In ihrer lärmenden Konversation war Sormann schon früher eine Stimme ausgefallen, die zcitivcilig das Uebergewicht behauptete. Als er jetzt besonder« auf merksam hinllberlauschte, drang diese Stimme so deut lich an sein Ohr, daß er zusammcnfuhr. Diese Stimme war ihm bekannt. Wo hatte er diesen Ton nur gehört? Instinktiv durchwühlte er alle eine Erinnerungen an längst entschwundene Zeiten, um dieser Stimme und ihrer Herkunft nachzuspüren. Jetzt vernahm er sic wieder — kein Zweifel, er mußte sie früher oft gehört haben — aber wo denn nur? Gleichviel, jetzt mußte ihn der Gedanke an ein mögliches Zusammentreffen mit einem früheren Be kannten peinlich berühren. Er beschloß also, sich mög lichst rasch und unauffällig zu entfernen. Er rief den Zählkellner. Fast gleichzeitig erhob sich an dem Tisch, den er vermeiden wollte, ein junger Mann und rief seinen Genossen zu — mit derselben Stimme, die Heinrich so unheimlich bekannt klang: „Wartet, ich will Euch überzeugen, daß ich recht habe. Wir werden den betreffenden Artikel im Morgen blatt der „Freien Presse" finden." Damit ging er au das Zcitungsregal, das in der nächsten Nähe des Tischchens angebracht war, an welchem Sormann saß. Dieser wagte es nicht, den Mann anzusehcn, ihn erfüllte jetzt nur das ängstliche Bestreben, rasch fortzukommeu. Er rief nochmals un geduldig nach dem Zählkellner. Dieser Ruf machte aber den Fremden am Zeitungs ständer gerade auf ihn anfmerksam. Er sah ans und fixirtc Heinrich, ihm etwas näher tretend. ES war eine schlanke Männergestalt in langem, nicht mehr allzu neuen Kaiscrmantel und mit einer Wäsche von nicht allzu blendender Weiße. Wäre dieser schroffe Unterschied im Aeußcren nicht gewesen, man hätte die Beiden für Brüder halten können, so ähn lich sahen sie sich. Nur wurde der hübsche Schnitt des Gesichtes des Fremden allerdings durch die schlaffen, welken Züge und den gelblichen Teint beein trächtigt, aber unter der hohen Stirn, über die das Haar hineingekämmt war, blitzte ein feuriges Augen paar hervor. Als Sormann den Blicken dieser Augen zufällig begegnete, zuckte er zusammen. Eine Erinnerung wurde klar. „Sieh' da!" rief jetzt der jnnge Mann und stellte sich Heinrich direkt gegenüber „Sic mnß ich doch kennen?" Sormann wollte protestier», aber er konnte nur unartiknlirte Laute stammeln. Bleichen Gesichtes sank er auf seinen Stuhl zurück, während ihn der Andere fortgesetzt sehr scharf betrachtete. „Himmel, da fällt's mir ja wie Schuppen von den Augen! Wahrhaftig Sic sind's — oder vielmehr Du, Heinrich!" Sormann athmete schwer und sah den unwill kommenen Gast fast bittend an. Kein Zweifel, jetzt erkannte anch er dieses Gesicht. Allerdings hatte er es schon lange, lange nicht mehr gesehen, und damals blickte es auch noch ganz anders, wie auch das sonstige Acußere des jungen Mannes ein ganz anderes ge wesen war. Aber er täuschte sich nicht. Es war »och dieselbe Nase, derselbe leicht aufgeworfene Mund und vor allein — diese Augen, in die er früher so oft geschaut. Ebenso Plötzlich, als er den Mann erkannt hatte, gewann er auch seine Fassung wieder. Blitzschnell überlegte er, daß er von diesem, wenigstens vorläufig, nicht daö Mindeste zu befürchten habe. Jetzt galt es also nur, ihn nicht zu weiteren lauten Apostrophen zu veranlassen, die Wicdererkcnnnngsszene so unauf fällig als möglich abzuspiclen uud bei passender Ge legenheit sich davon zu machen. Ueberdies begann ihn der junge Mann zu interessircn. „Sehe ich wirklich recht, Marfeld, Du?" sagte er mit einer Herzlichkeit, die nicht einmal ganz erkünstelt war. „Ja, ja, ich bin'», es freut mich wirklich, daß Du mich endlich erkennst. Ich fürchtete schon. Du wolltest Dich etwa an meiner etwas schoflen Eleganz stoßen, wie das Dir ja am Ende gar nicht zu verdenken wäre!" Er lachte und maß Heinrich von oben bis unten. Man merkte seiner herausfordernden Keckheit indessen an, daß sic nur eine gewisse Verlegenheit bemänteln sollte, die er über sein Acußeres empfand. Sormann fand es deshalb für gut, ihn durch ein freundliches Entgegenkommen zu beruhigen. Er erschöpfte sich in den wärmsten FrcundschaftS- und Freudevcrsichcrungen, lud Marfeld ein, neben ihm Platz zu nehmen, und bestellte bei dem herbcigekommenen Kellner einige Er frischungen. „Ah, nichts da mit Eis und ähnlichem Schnick schnack!" meinte Marfeld, sich ihm gcgcnübersctzcnk, „Kellner, mir bringen Sic ein Glas Absinth!" „Und nun, lieber Robert," sagte Sormann sodann, seine Hand auf den Arm des Anderen legend, „nun erzähle mir doch, was Du bisher getrieben, wie Du hierher kommst lind mir zu einem ebenso unvcrmutheten als höchst willkommenen Wiedersehen verhilfst. Wie oft dachte ich diese ganzen Jahre her an Dich, meinen einzigen Jugendfreund!" Marfeld fuhr sich über die Augen und in seinen Wangen stieg ein leichtes Schamroth auf. Dann lächelte er bitter. „Es ist wahr," sagte er leise, „wir waren ja Jugendfreunde — wie man so zu sagen pflegt. O, es ist eine lange Zeit her, als wir noch zusammen in die Handelsschule gingen! Da nährte man sich noch von kindischen Hoffnungen, knabenhaften Träumen von großen Zielen — haha! Nun, wie eS scheint, hast wenigstens Du die deinen erreicht!" Er nahm einen Schluck Absinth, wie um die plötzlich aufgetauchtc Bitterkeit hinabzuspielen, wodurch ihm die plötzliche Röthe entging, die während seiner letzten Worte Sormanns Gesicht überflog. „Nicht wahr," begann er nach einer Weile mit chnischem Lächeln, „so wie ich jetzt vor Dir stehe, hast Du Dir den Sohn des alten Marfeld, des Chefs der reichen Handelsfirma, nicht gedacht?" Sormann wollte ihn entschuldigen. (Forts, folgt.) Aus dem Lcbrn Throdor Körner's. Festansprache des Hrn. Lehrer Herklotz bei der Körnerseier in Eibenstock am 23. Septbr. 1891. Hochgeehrte Versammlung! Wie so viele deutsche Männer haben auch wir, Sänger und Turner, es für eine Pflicht ehrfurchts voller Dankbarkeit gehalten, in würdiger Weise den Geburtstag eines Mannes zu feiern, dessen Leben und Wirken als leuchtendes Vorbild in der Geschichte unseres Volkes fortleben wird, engvcrknüpft mit jener großen Zeit, in der deutscher Sinn, deutsche Kraft und deutscher Opfcrmuth in nie geahnter Herrlichkeit sich entfalteten, jenes Mannes, den wir mit Stolz einen Sohu unseres Stammes nennen. Karl Theo dor Körner. Die unglückliche Schlacht von Jena und Auerstädt war geschlagen; Preußens Macht gebrochen, das deutsche Reich zerfallen; die deutschen Volksstämme zum Spiel ball erniedrigt in der Hand des fremden Eroberers. Doch zum Glück gab es noch Männer genug, die das VolkSbewußtseiu zu wecken, den Manncsmuth zu för dern suchten. Moritz Arndt trat auf und kämpfte mit Wort und Lied gegen den corsischcn Tyrannen. Fichte hielt seine begeisternden Reden an die deutsche 'Nation. Scharnhorst, Gneisena u u. Stein schürten den Haß gegen den gemeinsamen Feind. F. L. Jahn schaarte um sich die rüstige Jugend, den Arm zu kräftigen, den Muth zu stählen. Endlich schlug die längst ersehnte Stunde der Befreiung. Auf Rußlands schneebedeckten Gefilden brach die Macht des fremden Eroberers zusammen. Hell aus dem Norden brach der Freiheit Licht; und nun erhob sich ganz Deutsch land unter Preußens Führung zur Befreiung des geknechteten Vaterlandes. Das deutsche Volksbewußt sein, wachgerufcn von den Gesängen der Freiheitskriege, trieb zn kühnen, unvergessenen Thaten. Bor Allem war cs aber Theodor Körner, der sich durch sein feuriges Lied, durch seinen freudigen Opfertodt für immer ein Denkmal in dem Herzen seines Volkes ge setzt hat. Theodor Körner, der Sänger und Held, wurde am 23. September 17V l zu Dresden geboren. Sein Vater, Obcrappellations n. Consistorialrath Körner, ein hochgebildeter Mann, begabt mit regem Sinn für Kunst nnd Wissenschaft, hatte sich 178b mit der Toch ter eines geachteten Leipziger Bürgers, Stock, ver mählt. Dieser Ehe entsproß 1781) eine Tochter, welche den 'Namen Emma Sophie erhielt. Das Glück der Fanulie wurde noch erhöht, als am 23. September l73I der Familie ein Stammhalter geboren wurde. Da die überaus zarte, schwächliche Körperbcschaffcnheit die geistige Ausbildung des Knaben durch anhaltenden Unterricht verhinderte, trugen seine Eltern destomehr Sorge für die körperliche Ausbildung. Sehr heil samen Einfluß üblen auf Theodor Körner die fleißig betriebenen Leibesübungen, sodaß er später ein flotter Tänzer, kühner Reiter, tüchtiger Schwimmer, geschickter Fechter wurde. Es würde hier zu weit führen, näher aus das Jugendlebeu unseres Helden cinzugchcn. Nur soviel sei erwähnt, daß er nach und bei dem Unter richte im elterlichen Hause, auch den der Kreuzschulc seiner Vaterstadt Dresden genoß. Als 17 jähriger Jüngling bezog er die Bergakademie in Freiberg. Hier trieb er anfangs das Praktische des Bergbaues. Doch sagte dies seinem strebsamen Geiste nicht ganz zu und so finden wir ihn deshalb gar bald in der schmucken Kleidung eines Bergstudcnten. Während seines Freiberger Aufenthaltes machte Theodor Körner mehrfach dichterische Versuche. Lassen sich diese an fänglich als Nachahmungen bezeichnen, so kommt später doch in ihnen selbstständiges Empfinden und Fühlen znm Ausdruck. Namentlich als junger Bcrgstudent singt er Lieder, in welchen sich eine frische Begeister ung für das Bcrgmannslebcn wicderspiegelt. Die erste Sammlung der Gedichte Theodor Körners er schien 1810 unter dem 'Namen „Knospen". Nach