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Beilage zu Rr. 40 des „Amts- und Aiyeigeblattes." Eiben stokl, den 2. April 1892. Die Goldfee. Original-Roman von Emniy Rossi. (4. Fortsetzung.) VII. Tage, Woche», Monate vergingen so ohne Aender- ung! — Am Tage stand wohl die schwere Eichenthür offen, welche die halben Etagen des ersten Stockwerks verband, so daß die Salonö eine Flucht bildeten, aber jeden Abend, sobald der letzte Gast gegangen, schloß Adah sie eigenhändig ab. Die Ehelcnte wech selten kaum ein Wort miteinander; wenn sic allein waren, übersah Adah ihn, als sei er überhaupt nicht da — doch konnte er sich nicht über sie beklagen — sie machte mit Anniuth die Honneurs des Hauses, nach innen und nach außen. An seinem Arm be suchte sie Gesellschaften und Bälle, obgleich des Vaters zunehmende Kränklichkeit — ein schweres Herzleiden — ihr das viele Gesellschaft-Geben lind -Gehen sehr schwer machte. Doch der Vater selbst bestand darauf — nnr nicht allein sein, nur nicht die Gesellschaft des Verhaßten — das war Alles, was er wünschte. Sidney studirte unterdessen in Oxford weiter. Er Ivar traurig, aber nicht muthlos. Ihm gehörte ja die Vergangenheit mit ihrer lieben Erinnerung, und wenn die Gegenwart auch trostlos war, die Zukunft war es nicht. Ein so reicher Mann wie Advokat Percy findet schon Mittel und Wege, die Zukunft seines Kindes zu sichern; er sah voraus, was nach seinem Tode folgen würde, und beeilte sich bei Lebzeiten, Adah sicher zu stellen. Deshalb verwandelte er Werth papiere, die immerhin gebucht werden müssen, in Banknoten oder Brillanten, beides schenkte er seiner Tochter — ihr Schmuck und Privat-Bcrmögen mußte ihr unter allen Umständen unabhängig zur Ver fügung stehen. - Allmählich, als O'Neill einsah, daß weder Kälte noch Leidenschaft, weder Zorn noch Bitten — er hatte Alles versucht — etwas au der Verachtung und dem Haß seiner Frau ändern konnten, faßte ihn ein wahn sinniges Verlangen, dies stolze Weib zu demüthigcn, sie zu besitzen um jeden Preis! Es war nicht Leiven- schaft allein, die sein Blut zu einem Uebcrfall an feuerte, es war auch dämonisches Rachegelüste, und Liebe streift hart an Haß! Eines Abends, als Adah allein, ohne ihn, eine Damcugesellschast besuchte, führte er seinen Plan aus. Er bestach die Zofe, die den Schmeicheleien des schönen ManueS, sowie seinen! Gold gegenüber nicht gleichgültig blieb, und versteckte sich in dem Schlaf gemach seiner Frau. Die reichen Draperien boten Schutz genug. Gleich darauf kehrte Adah heim, und die Zofe spielte ihre Rolle; sie stellte sich schlafend, war schwer zu ermuntern, und Adah bedauerte die Kleine, welche vor Müdigkeit taumelte. „Gehen Sie zu Bett, Jane, ich werde mich allein auskleidcn." — Das hatte sie gewollt! — „Gute Nacht, Mylady" — sie tappte sich schwer aus dem Zimmer. Adah schloß die Zimmerflucht ab, sah auch nach, ob die Verbindungsthür geschlossen war — dann erst hob sie den Pelz von ihren Schultern. Sie trug ein schlichtes schwarzes Sammtkleid, welches nur durch die selten schönen und großen Brillanten, die zu Knöpfen verwandt waren, vornehm wirkte. Das goldene Herz hing an ihrem Hals — unab änderlich seit der Stunde, wo sie es erhalten. Sie streifte die beengenden Oberklcider ab, zog ein weißes Battist-Nachtgewand an, und löste die fcstaufgedrchten Rollen ihres goldenen Haares. O'Neill athmete schwer in seinem Versteck, ihre Schönheit verwirrte ihn, fast hätte er sich verrathen. — Wie eine Loreley saß sie da, iin Glanz ihrer Prachthaare, sic nahm den Elfenbeinkamm nnd glättete die langen Wellen, aber sie selbst konnte das reiche Gewoge nicht bezwingen — nach mehrmaligen Ver suchen, ein Netz darüber zu ziehen, gab sie eS auf — eS wogte uud wallte um sie, als sie langsam, über müde ihr Lager aufsuchte. Eine rosa Ampel brannte noch einsam mit magi schem Schein, nachdem das Gas verlöscht worden — Minuten vergingen, dann tönte regelmäßiges und tiefes Athmen an O'Ncills lauschendes Ohr. Adah schlief — er schlich hervor. Er hätte sich auf sie stürzen, sie mit seinen Küssen ersticken, sie mit seinen Händen erwürgen mögen, so liebte, so haßte er sie. Doch wie anders erschien sie ihm nun, wo der Schlaf die Maske der Selbstbe herrschung abnahm. Wie ein Kind, so sanft, so un schuldsvoll, das Bild heiliger Jungfräulichkeit, lag sie hingesnnken in den seidenen Polstern. Aber nur einen Moment währte bei ihm die fromme Scheu, dann bog er sich über sie und heftete seinen Mnnd in heißer Begierde auf ihre rothen Lippen. Sie träumte wohl von ihrer Liebe, denn sie hob im Schlaf die Arme, legte sie um seinen Hals und flüsterte: „Sidney". Er prallte zurück — sie erwachte jäh — sah ihn nnd begriff Alles. Rasch erhob sie sich vom Lager und eilte in'S Zimmer. Er glaubte, sie wolle den Kliugelknopf erreichen und vertrat ihr den Weg — aber sie erriech seine Gedanken. „Ich klingle nicht — ich bin es nicht gewohnt, meine Dienerschaft in meine Verhältnisse einzuweihcn — aber", und sie hatte die Außenthür erreicht, die sie schnell öffnete und nun eilte sie zur Treppe, „ich werde Papa aufsuchen und von heute an bei ihm mein Nachtlager aufschlagen." „Adah, das werden Sie nicht thun!" Er war ihr gefolgt und faßte sie mit starkem Griffe, auf dem Flur brannte Helles Licht — sie wehrte sich nicht, aber sie schüttelte seine Hand ab, wie ein ekles Insekt, und sie sah ihn an — ein Blick, der ihn mehr zur Wuth reizte wie die bcschiinpfendstcn Worte. „Mein Bräutigam wird Sie zur Verantwortung ziehen!" rief sic ihm in ihrer maßlosen Gereiztheit zu. „Der Bräutigam meiner Frau!" Er lachte laut und höhnisch auf, der letzte Rest von Mitleid, von Achtung verschwand, dieser Hohn brachte ihn vollends um seine Besinnung. Mit wilder Wuth packte er sic und schleifte sie an den goldenen Haaren in'S Zimmer zurück. „Weib, das ist Dein Tod!" keuchte O'Neill, während Adah sich seiner Uebermacht zu erivehren suchte. Aber ihre Kräfte erlahmten, sie fühlte, wie ihre Sinne schwanden, schon in halber Ohnmacht rief sie, als der Lichtstrahl über die Wand hinzitterte: „Mutter! Mutter! hilf!" — Erschreckt ließ er sie los — was war das? Ihre Mutter, die längst tobt war, rief sie an? Ein aber gläubischer Schauer durchrann ihn, als in diesem Moment die Uhr des Rathhauses zwölf schlug und sein Blick das Bild der Mutter Adahs traf. In seinem schlechten Herzen war ein Punkt, der Gott gehörte, das war die Stelle, wo seine Mutter thronte und das Andenken an ihre Sterbestunde, an ihren Segen, an ihre Liebe. Er war damals noch ein Knabe, rein nnd schuldlos, und jene Stunde vergaß er nie. Das Alles überkam ihn in dieser Minute! Ohne noch einen Blick auf das ohnmächtige Weib zu werfen, verließ er schnell das unheimliche Gemach. — Die göttliche Macht der Mutterliebe hatte ein Verbrechen verhindert! Adah erwachte nach einer langen Ohnmacht am Boden ihres Schlafzimmers, schwer betäubt und ge lähmt an allen Gliedern. Erst nachträglich empfand sie Furcht — wenn solche Schreckcnsszenen sich wiederholen würden! Sie konnte beruhigt sein, O'Neill war von Stunde an verändert, er liebte, er begehrte sie nicht mehr — aber er haßte sie und gönnte sie keinem Anderen. Und schreckliche Rache schwor er dem, der Schuld trug, daß er sein Weib nicht gewinnen konnte, „ihrem Bräutigam", dessen Namen sie traumselig geflüstert, dessen vermeintlichen Kuß sie mit zärtlichem Umfassen lohnte. Dieser stille, blasse Schleicher, der nüchterne Junge trug den Sieg über ihn, den schönen und eleganten Eavalier, davon — aber wie sollte er sich rächen, an ihm, an ihr? „Es gicbt einen Gott, der heißt Zufall — Gott Zufall, gicb mir die Gelegenheit zur Rache", flehte er aus zornigem Herzen. Und der Gott Zufall ist ein sehr gefälliger Gott aller Derer, die an ihn glauben. VIII. „Nein, herzlicber Vater — ich kann unmöglich mit dieser Angst im Herzen einen Ball besuchen", klagte Adah, „ich bleibe bei Dir — O'Neill kann ohne mich gehen, Deine Krankheit entschuldigt mich." „Aber gerade heute Abend will ich Dich gerne aus dem Hause los sein, mein Liebling, denn ich erwarte den Besuch eines lieben, lieben Jungen, und Dein und O'Neill soll hinterher nicht sagen dürfen, Du wärest unter dem Vorwand meiner Kränklichkeit zu Hause geblieben, um eine Zusammen kunft mit Deinem Vetter zu haben." „Sidney kommt?" Freudiges Erglühen zeigte sich auf ihren immer so bleichen Zügen, sie legte ihr seböncs Haupt an des Vaters Brust und kämpfte mit Thränen des Schmerzes und der Freude. „Ja, ich wollte Dir erst Alles mittheilen, sobald ich Thatsachen wußte. Sidney hat sein Examen glänzend bestanden — ob er hier in Dublin als Rechtsanwalt sich etabliren wird, oder ob er eine andere Stadt wählt, wollen wir mündlich überlegen, so wie eS der Besprechung in noch vielen anderen Dingen bedarf. Ich wünsche, daß Sidney hier bleibt, schon um Deinetwillen. Du weißt, daß O'Neill alle Papiere, die auf mich Bezug haben, noch in seinem Besitz hat, daß er mich gewissermaßen als Geißel behält. Vorgehen wird er keinesfalls gegen mich, so lange ich sein Schwiegervater bin, doch die Papiere sind seine Garantie. Das Alles ändert sich mit meinem baldigen Tode " „Vater", unterbrach Adah ihn, in lang verhaltene Thränen ausbrechend. „Ja, mein geliebtes Kind, und so schwer cs mir wird. Dich Engel zu verlassen, der Gedanke, daß Du frei von diesem Nichtswürdigen wirst, giebt mir Trost im Scheiden. Und noch mehr die Hvsfmmg, daß Du bald in der treuen Liebe unseres Sidney Ver gessen finden wirst für Alles, was Du um mich ge duldet. Den Verstorbenen mag O'Neill immerhin anklagen, obgleich er verziehen wird, selbst Erbe zu bleiben; er ahnt nicht, daß die Grube, die er Anderen gegraben, selbst zur Falle für ihn wird — und Sidney soll Dein Rächer sein! Doch deshalb wirst Du, ge liebtes Kind, heute Abend den Ball besuchen, und wenn Du nach Hause kommst, erzähl' ich Dir, was Sidney und ich beschlossen haben." Seit jenem Ueberfalle schlief Adah im Sieben zimmer ihres Vaters — die Zofe hatte sie entlassen, da ihr Verdacht rege geworden, ein bescheidenes junges Mädchen ersetzte Janes Stelle. Adah sah die tiefblasscn Wangen des Vaters, die dunklen Ränder um die lieben Augen, sic hörte auch mit banger Sorge das tiefe, asthmatische Athmen; trotz wiederholter Versicherungen seinerseits, daß er sich so wohl wie seit lange nicht fühle, wurde cs ihr schwer, den Ball zu besuchen. Ihr liebevolles Tochter herz ahnte eine Katastrophe. „Darf ich Dir noch vorher Adieu sagen, Papa?" fragte sie endlich nach gebend. „Mit dem größten Vergnügen, mein Liebling, will ich meine Goldfee zum Ball geschmückt sehen", entgegnete, heiter und galant ihre Hand an seine Lip pen führend, der alte Herr. „Mein guter Vater!" Sie schloß ihn in die Arme, sie küßte sein weißes Haar, seine Augen, seine Wangen, seine zitternden Lippen, es war ein Abschied — und beide weinten bitterlich. „Fasse Dich, sei ruhig, meine Adah", bat er endlich, „eS thut mir so weh hier in der Brust, wenn Du weinst; zieh' Dich an, mein Liebling, mache Dich schön, morgen wird ganz Dublin von der Goldfee sprechen!" Er ahnte nicht, in wie schrecklicher Weife seine Prophezeiung in Erfüllung gehen sollte. Ihre Zofe hatte bereits alle Vorkehrungen zur Staats-Toilette getroffen, der Herr befahl es, er fürch tete, Madame könnte sich verspäten. DaS neue, weiße AtlaSkleid lag duftig wie ein Brautkleid ausgcbrcitet, blaßgelbe, natürliche'Rosen harrten in reicher Aus wahl, zur Vollendung der Garnitur zu dienen. „Fri- siren Sie mich so einfach wie möglich", befahl Adah, „beim Tanzen ist jeder künstliche Aufbau hinderlich." Die Zofe drehte das reiche Haar in einen einfachen Knoten, den sie mit kleinen goldenen Nadeln, die durch ebensolche feine Kettchen miteinander verbunden waren, befestigte. Eine große Rosenknospe durfte sich in dieses goldene Nest schmiegen, dann befahl die junge Frau: „Bringen Sie meine Schatulle." ,O, wie viele köstliche Sachen", rief bewundernd die Zofe, die den reichen Schmuck zum ersten Mal - sah — die naive Freude des jungen Mädchens amü- firte Adah, nnd welches jnnge Weib ist ganz gegen Eitelkeit gefeit? — sie nahm einen Einfatz nach dem andern aus der Schatulle und weidete sich an den AnSrufen des Entzückens und Erstaunens der Zofe." „O, sicherlich, gnädige Frau, die Königin kann nicht schönere Sachen haben; wie glücklich müssen Sie sein", rief sie aus ; „binden Sie doch diese Reihe Brillanten um den Hals — zu dem weiße» Kleid wird das herrlich stehen." Adah wählte eine große Brillant-Spange für den Busen und eine dazu korresponvirende für das Haar, Alles andere schloß sie ein. „Und für den Hals?" rief die Kleine. „Da trage ich den herrlichsten Schmuck, den ich besitze, dies Herz von Gold mit Irlands Wappen." DaS verstand die Zofe nun freilich nicht und wollte sich gar nicht zufrieden geben, dann vollendete sie die Toilette auf der Herrin Befehl, und als der Stich gethan, die letzte Rose befestigt war, rief sie bewundernd: „O, gnädige Frau, wie schön Sie sind, wie schön, cs ist unmöglich, daß eine andere Dame auf dem Ball so schön sein kann, wie die gnädige Frau." Adah lächelte schwermüthig und zog die langen Handschuhe an, dann wickelte sie sich in einen langen Spitzenshawl, und, gefolgt von der Zofe, die den Pelz trug, stieg sie die Treppe zu ihres Vaters Zimmer hinab. Jni Flur stand O'Neill, auch er war in Gala- Uniform, eine brillante Erscheinung, sein Pelz hing ihm über die Schulter und verstärkte den Eindruck des Imposanten. Er verbeugte sich, als Adah ihn anredcte. „In zwei Minuten bin ich bereit — nur Papa „Gute Nacht" sagen will ich." Dabei löste sic den Spitzenschlefer, ihre schöne Büste, ihre perlwrißen