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Beilage zu Rr. 34 des „Amts- und Anzeigeblattes." Eibenstock, den 19. März 1892. Die Goldfee. Original - Roma» von Emmy Rossi. (2. Fortsetzung.) IV. Inzwischen war die .tobsüchtige" Frau sehr ruhig in ihren Zimmern. Sie überlegte, wo und wie sic sich retten könnte. Was geschehen sollte, mußte bald geschehen — schlossen die Mauern eines Irrenhauses sich erst hinter ihr, so war sie verloren. Sic wußte, welchen Menschen ihr Mann auSersehcn hatte, ihr Gesängnißwärter zn sein, und ein Grause» durchflog ihre Glieder, wen» sic au die Möglichkeit dachte, seiner Unbarmherzigkeit anhcimzufallcn. Doktor Martignh war Franzose von Geburt, man mnnkclle von einer seltsamen Bergangeuhcit — sicher war, daß er beschuldigt wurde, mehrere Patienten vergiftet zu haben. Das war vor der Gründung seiner Privat-Heilanstalt. Man konnte ihm nichts beweisen, aber seine Praxis war zu Ende — Nie mand traute ihm mehr. Draußen vor dem sogenannten „Ost-Park" liegt ein Steinklumpen, den man kanm für eine menschliche Wohnung hält. Der Boden ist snmpfig, die Lust trübe, selbst mitten im Sommer, wenn auf der öden Fläche liebliche Vergißmeinnicht wie blaue Engels augen erscheinen, und das weißscidenc Sunipshaar wie Sterne über dein schwarzen Torfboden sich abhebt, ist cs traurig und gottverlassen hier draußen — früher umschloß das elende Staket die Abdeckerei der Stadt — bis Doktor Martignh den Platz kaufte, das kleine Haus ausbauen ließ und dort eine Privat-Jrreu- anstalt errichtete. Seltsam, daß sich an des Arztes Namen immer grausenvolle Gerüchte hängten, wo immer seiner gedacht wurde. Alan sagte, Martignys Anstalt wäre nur ein Irrenhaus für Vernünftige — wenn reiche Leute sich unbequemer Zeugen, Miterben oder Stiefkinder entledigen wollten, ei» Nebenbuhler eines Gegners, ein eifersüchtiger Gatte eines Verführers — die graue Steinmauer des schmutzigen Hauses vor dem Ost-Park nahm sie auf; so lauge die Klienten das riesige Honorar für die Patienten erlegten, waren jene dort sicher aufgehoben. Und ereignete sich wirk lich der Fall, daß ein Schrei nach Erlösung über die Mauern in die Welt, bis in die Gerichtshallen drang, wie dies mehrere Male vorgekommen, so fand man den angeblich Nicht-Irrsinnigen soeben am Herzschlag oder anderer akuter Krankheit verschieden, oder die gerechtesten und gewissenhaftesten Aerzte mußten ein gestehen, der bezweifelte Patient sei in der That wahn sinnig. Daher entstand denn die Version, die Patien ten des Doktor Martignh würden erst in seiner An stalt irrsinnig. Trotzdem verkehrte der französische Arzt in vielen distinguirten Familien, denn seine Erscheinung, sein Wesen standen in striktestem Gegensatz zu seinem Ruf, den er bei Bekannte» lächelnd als „Konkurrenzneid" hinstcllte. — Mittelgroß, elegant gewachsen, mit feinen Manieren, und allerliebstem fremden Anklang der englischen Sprache, die er perfekt handhabte, war außerdem sein Gesicht eines der interessanteste», die es giebt. Das Haar war allerdings auf dem Schädel schon etwas gelichtet, doch um Schläfen und Hinter haupt sehr dicht und lockig, das Gesicht erschien da- durch ovaler als es war. Eine römische Nase mit vibrirenden Flügeln saß fcinangesctzt zwischen den klugen, dunklen Augen mit dem Schwärmerblick — Doktor Martignh sang und spielte init Leidenschaft, er dichtete die elegischsten kleinen Poüme nnd setzte sie selbst in Musik — wahrhaft ergreifend an Einfach heit war ein kleines Poöm: „Kleine Passion", — der Todeskampf einer am Licht versengten Motte, die sieben Tage auf einer geöffneten Bibel stirbt. Dies Gedicht, im Sonntagsblatt der Dubliner Zeitung veröffentlicht, erregte Aufsehen — man nannte den Verfasser einen echten Lyriker von Gottes Gnaden. Der „feine Franzose" hatte mit zu den Bewunde rern der Goldfee gehört, er wäre auch gern in die Reihe der Bewerber getreten, aber es gelang ihm nicht, Zutritt in Doktor Percys HanS zu erhalten. Hingegen befreundete er sich sogleich, und zwar recht intim mit Dargan O'Neill, der in ihm einen Jugend genossen des Gymnasiums wiederfand. Und als dieser die schöne Adah Percy hcirathete, öffnete sich ihm auch das Haus, welches schon immer so viel Anzieh ungskraft für ihn gehabt hatte — aber die Frcnnd- schast der jungen Frau zu erringen, vermochte er nicht, ihr Antipathie, die sich in gleichbletbender Kälte offenbarte, suchte er durch die galanteste Liebeswürdig keit zu besiegen. Hier hinaus, in des Doktors Anstalt, hatte Dargan O'Neill schon bei Tagesgrauen Botschaft durch Jim geschickt. Doktor Martignh öffnete sofort den Brief. Er lag »och im Bett, als sein Portier ihm meldete, der Polizeichef O'Neill habe einen Boten gesandt, doch ließ er den Polizisten sogleich vor. Wenn man behauptete, Doktor Martignh verstehe zn leben, so bewies dies schon die luxnriöse Einrichtung seines Schlafzimmers, welches eher dem Nestchen einer Weltdame glich, als dem Schlafzimmer eines Arztes. — Ueberall Seide und Sannnt, Spitzen und Quasten — die Toilette war mit einer feinen Porzellan-Garnitur bedeckt, Elfenbein, Schildkröt- und Silbermottirungen gab es da in Hülle und Fülle, RefraichenrS in Majolika, in Fayence und Krystall, Büchsen aus Tula-Silber und vergoldetem Ecroc standen auf den Borten der in rothcr Seide und gesticktem Tüll garnirtc» Spiegel-Toilette. Ein dicker Teppich bedeckte den Fnßboden, gleiche Portieren die Fenster und Eingänge der Privat-Zimmcr. In der Ecke, unter dem Schatten blauer Gummibäume — dieser prächlige» Ozonverbreiter, — stand ein elfen beinernes Kruzifix, ein Meisterwerk italienischer Skulptur. Der weiße Körper hing wie eine Anklage gegen Menschengrausamkeit hingestreckt auf dem schwar zen Untergrund des Kreuzes. Ter Bildhauer hatte den Locken eine lichtkastanienfarbige Abtönung ver liehen, den Lippen ein flüchtiges Roth angehaucht, das sich bei den Blutstropfen zum lebenswahren Farbenton verdichtete; ein Bctschemel, mit schwarzem Tuch überzogen, lehnte sich an den Sockel dieses Meisterwerkes. Auf dem Nachttisch vor dem Bett lag ein elegant gebundenes Buch, auf einer silbernen Schale die Reste von Pfirsichen und Weintrauben neben einer halbgeleerten Flasche Ehampagner - eine flache Muschel hielt Cigarretten, nicht stärker wie ein Zünd holz — eine halbwclke Marschall Nielrose — das vollendete Bild eines Sybaritcnlebens! Auf eincin weiten Lehnsessel vor dem Bett lag ein seidener Schlafrock, auf dem Teppich standen Pelzpantoffeln. — Nachdem der Doktor den Brief gelesen, glitt er aus dem tiefreichenden Bett in die Pantoffeln und den Schlafrock hinein. „Kommen Sie mit," sagte er in seiner freund lichen Weise, indem er in das Wohnzimmer voran ging. — Jiin folgte. „Also krank ist unsere herrliche Goldfec geworden", sagte er mit melancholischem Augenaufschlag, „cö war zu erwarten, so viel Unglück kann ei» schwaches Fraucnhirn nicht bewältigen — hat man denn keine Spur von dem Schurken, der sie überfallen hat?" .Jini bemühte sich, melancholisch auszusehen, aber sein schräger Fuchsblick ließ dennoch kein Mitfühlen errathcn. „Nein, Herr, noch nicht, aber hoffentlich kriegen wir ihn noch." „Sie waren wohl auch ans dem Ball, Herr Doktor?" fragte Jim. „Jawohl, ich rettete mich noch rechtzeitig — man hatte uns da hübsch eingeheizt," entgegnete er, indem er Jinis Blick auffing und mit seinen Augen fest hielt, „und ich glaube, ich kenne die Person sehr genau, die Petroleum auf die abgelegten Garderobe stücke der Tanzenden goß und dann in Brand steckte." Jim war über die Nachricht, daß ein Mensch absichtlich das Feuer angelegt, so entsetzt, daß ihm die Kniee wankten und er sich unaufgefordert in einen Sessel fallen ließ. „Ja", fuhr der Irrenarzt mit seiner sanften Stimme fort, „was glauben Sie wohl, was das Publikum init dcni Menschen thnn würde, wenn ich ihn denunzirte? Der braucht nicht auf Aburtheil- ung zu warten, das Volk würde ihn lynchen! Glauben Sic nicht auch, Herr — Herr —" „Ich heiße Jun," stammelte der Fuchs. „Ja —", Doktor Martignh sah wieder in den Brief, — „ich werde Alles zum Empfang Ihrer Herrin Herrichten, inan kann sic heute Abend schon bringe», falls eö nöthig sein sollte; — aber sagen Sie mal, mein lieber Jim, haben Sie nicht in letzter Zeit Uebcrdruß verspürt, das ruhelose Leben eines Polizisten zu führen, sehnen Sic sich nicht nach einem ruhigen Heim, abgeschlossen von der Welt, wo Sie fast das ganze Jahr nicht mit ihr in Berührung kämen?" Jim suchte vergebens nach Worten, der Irrenarzt fuhr fort: „Hier in meinem Hause ist ein solcher Posten für Sie offen, ich suche schou längst einen Menschen, dem ich ganz vertrauen kann. Wenn ich sage: „schlage zu", so muß er Zuschlägen, sage ich: „sieh", so muß er sehen, spreche ich: „sei blind", so ist er blind." Er trat ganz dicht an Jim heran, legte ihm die zarte weiße Hand mit dem blauen Ge äder leicht auf die Schulter und sagte noch leiser: „Und befehle ich: „tödte" — so muß er tödtcn." Jim duckte sich unter der leichten Hand, als drücke ihn eine Zentnerlast, er war betäubt, verwirrt. „Aber wenn der Chef mich nicht entläßt —" brachte er endlich mühsam hervor. Doktor Martigny lächelte. „DaS lassen Sie meine Sorge sein, mein Lieber, Herr O'Neill thut mir schon den Gefallen." Jim sträubte sich noch immer. Dies HanS, welches ihm Grausen erregte, trotz der Eleganz der inneren Einrichtung, soweit er sic bis jetzt gesehen — bewohnen — Tage — Wochen — Monate — Jahre! Eö war nicht anszudenke», es war um wahn sinnig zu werden. — Doktor Martigny sprach noch immer in demselben ruhigen Ton weiter: „Mein Hauö gefällt Ihnen nicht, Jim, ich könnte das sehr übel nehmen und glaube. Mancher möchte cs gern als Zufluchtsstätte aufsuchen. Nehmen Sie z. B. den Brandstifter von gestern Abend an. Ich denunzirc ihn mitten auf den Markt des Lebens. Die Menge stürzt sich ans ihn, sie wollen ihn würgen, todtschlagcn, zerreißen, hängen — vielleicht auch mit Petroleum übergießen und anzünden. Er reißt sich in Todesangst los und flieht — die heulende, wuthcnt- brannte Menge hinter ihm. Zur Stadt, zum Thor, zum Park hinaus — immer weiter — endlich steht er vor meinem Hause, daö wie ein Asyl winkt nun, Jim, was glauben Sie, dieser abgehetzte, halb gelynchte Brandstifter, würde er sich hier nicht sehr wohl fühlen?" Jim raffte all' seinen Muth zusammen. „Aber wenn er gar nicht aus Bosheit, sondern auf höheren Befehl gehandelt hätte?" Doktor Martigny zuckte zweifelnd die Achseln. „Eine leere Ausrede, die ihm Niemand glauben würde, nicht einmal, wenn er ein rechtlicher und unbe scholtener Mann wäre. Der Brandstifter, den ich erkannte, und der sein Erkennungszeichen, hier dies Blechschild, verlor Nummcro hundert, eine hübsche runde Summe," schaltete er lächelnd ein, „ist aber außerdem noch ein alter Verbrecher, ein tielcet-ok- Isuvk-inun." Nun folgt eine lange, lange Pause. Doktor Martigny putzte mit dem feinen gestickten Battisttaschentuch das schwarze Blechschild mit der weißen Nummer; Jim athmete kaum. — „Wenn Sie mich denn beim Chef losmachen wollen" — murmelte er endlich, völlig gebrochen und schweißbcdeckt — „so mag es denn sein." „Gut, das mache ich noch heute ab — aber eins merken Sie sich, Jim, für die Zukunft sei eS Ihnen ein- für allemal gesagt: ich erlaube keiu Fluchen und Lästern — in meinem Hause herrscht Friede und Glaube — hier spricht man nicht vom Teufel, hier betet man zu Gott. — Seine Stimme war zum ersten Mal fest und unwillig geworden — er winkte nach der Thür — Jim ging mit der ihm überreichten brieflichen Antwort für den Chef, mehr todt als lebendig, über die schneebedeckte Ocde zurück. Am Fluß stand er still. Ein Sprung und Alles war zu Ende! Schnell verließ er die düstere Liffcy-Brücke. „Daß ich ein Narr wäre," sagte er ganz laut — „todt kann man nur einmal bleiben! Ich muß zwar hinein in dies vermaledeite Haus, aber ich werde schon Gelegenheit finden, wieder hinaus zu komme» — schließlich ist dieser fromme Teufel auch nicht unsterblich —" Und seine Hände krampften sich in wilder Mordlust. V. Dublin hat eine musterhaft orgauisirte Armen-' pflege. Alles Elend ist dnrch Zuströmung fremder Elemente aus der Provinz und Landschaft Irlands entstanden, die Stadt ist reich, und das vielbeschrie- bcne Elend der niedrigen Stände auf der „grünen Insel" ist hier selten anzutreffcn. Daö städtische Waisenhaus für Mädchen, „die grauen Waisen", wie der Volksmund sie nennt, ist ein gut geleitetes Haus; die Erziehung der Verlassenen geht zwar nicht über die geringen Anforderungen hinaus, die man an Bedienstete zu stellen berechtigt ist, aber alle diese Mädchen können lesen und schrei ben, lernen weibliche Handarbeiten und den Haus halt, und man bemüht sich, ihrem Charakter Frömmig keit cinzuprägen. Daß bei einer Masscnwirkung, in einem Waiscnhausc, wo immer gegen dreihundert Mädchen erzogen werden, individuelle Anlagen nicht beachtet werden können, ist selbstverständlich — man hat deshalb noch nie von irgend einer glänzenden Karriere gehört die im „Grauen Hause" begonnen, aber noch seltener hat irgend ein Mädchen, das hier erzogen war, die Unzufriedenheit ihrer Herrschaft, wo sic als Dicnstmagd fungirte, hcrvorgerufen — jede Veränderung nach der kalten, lieblosen Uniform- Erziehung dünkt diesen armen Kindern eine Wendung zum Besseren, die „Grauen Waisen" sind die besten und treuesten, und deshalb auch die begehrtesten Dienerinnen der Stadt. Einmal im Jahr nahet sich ihnen die Liebe — das ist um die heilige Weihnachts zeit, dann suchen die vornehmen Patroninnen der Anstalt den verwaisten Kindern eine Freude zu be reiten, dann erhalten sie nicht nur das Nothwcndige, sondern auch das Ueberflüssigc, also dasjenige, was Kinderherzen am meisten erfreut. Die Weihnacht- puppe für die Kleinen ist hier eine Quelle höchster Glückseligkeit. Ein Beispiel für lange Erklärungen: