Volltext Seite (XML)
Beilage zu Rr. 88 -es „Amts- un- Aiyeigeblattes." Eibcnstall, den ä. März 1892. Die Goldfec. Original-Roman von Emmy Rossi. (I. Fortsetzung.) „O, ich danke Ihnen, Sic sind gut. Sie sind sehr gut, Herr Lieutenant, aber hier ums; ich bleiben, hier am Ort, und sollte ich Steine klopfen. Ich babc ein Kind, Herr, ein Mädchen — cd inuß bald sechSzchn Jahre alt sein — ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist, aber ich muß es wiedcrfiudeu." „Haben Sie denn keine Verwandten, die das Kind zu sich genommeu haben werden?" „Meine Mutter starb aus Gram und meine Schwester beantwortete meine Briefe nicht — diel' leicht ist sic auch lodt —", sagte Crail in dumpfem Weh. „Nur Muth," sprach er ihm gütig zu und legte einen Moment seine Hand auf des Riesen Arm, „eS ist wahr, Sie haben ein schweres Vergehen auf sich, aber Sic sind kein gemeiner Mörder, der ein Ver brechen plant — der Jähzorn des Augenblicks riß Sie hin — nnr so wnrden Sic zum Todtschlägcr. Sie haben Ihre Strafe empfangen und in Demuth gebüßt! Gott zürnt nicht ewig, wie viel weniger dürfen Menschen es dann thun. Da stürzte der große Mann vor dem jungen Brown auf die Knie und weinte strömende Thränen. Es waren die ersten seit zwölf Jahren, wo er aus der Gesellschaft der Menschen geschieden war, aber eS waren auch die ersten gütigen Worte, die er seit dieser Zeit hörte. Unterstützt von des wohlwollenden Polizeilieute nants Hilfe, begann Crail nun die Nachforschung nach seinem Kinde. Es war erfolglos. Seine Schwester war längst gestorben, ihre Spur verloren, er wußte nicht einmal, ob seine Tochter überhaupt jemals bei ihr gewesen war. Als ihm nun Dargan O'Ncill anbot, in das Polizeikorps cinzutrcten, ergrifs er init Freuden diese Gelegenheit, die ihn, wie er hoffte, am ehesten auf di? Spur seines Kindes führen konnte. Der kaum Vierzigjährige mied allen Umgang mit Weibern, die eine hatte ihm das ganze Geschlecht verleidet, viel leicht sehnte er sich deshalb um so mehr nach der Bebe seines Kindes. Vor ihm stand noch das kleine Püppchen mit den dunklen Seibenlocken und den schwarzen, echt irländischen Angen — die Verkleinerung des falschen Weibes, das er so heiß geliebt. Aber selbst diese Aehnlichkcit, die nun mit den Jahren der Reife gewiß noch gewachsen war, konnte seiner Zärtlichkeit für sein liebes Kind keinen Abbruch thun — nein, vielleicht war cs unbewußt ein Motiv mehr, sie zu lieben — „meine Ethel ist nicht falsch wie sie, die auch so hieß und aussah, meine kleine Ethel hatte daö treue Herz ihres Vaters" — das treue Herz, das nie anfgchört hatte, das falsche Weib zu lieben, trotz allem und allem! Wenn Crail an einem Laden vorüberging, wo hinter den Scheiben ein dunkcllockigeS und schwarzäugiges Mädchen stand, so trat er sofort ein lind richtete die Frage an sie, wie sie heiße, woher sic stamme, .und andere, auf ihre Fainilic bezügliche Fragen. Dank seiner Uniform erhielt er jedesmal von den auch oft sehr erschrockenen Mädchen Auskunft — einmal traf er eine niedliche kleine Person, die bei der Frage in Helle Thränen ausbrach. Mitleidig tröstete er sie, als sie nicht zu Worte kommen konnte, er sagte ihr sogar seinen Grund und bat gewissermaßen um Entschuldigung. „Sehen Sie, mein liebes Kind, ich bin ein un glücklicher Mann, ich habe, als sic vier Jahre alt war, meine Tochter verloren, nun suche ich sic in jedem dunkeläugigen Mädchen. Entschuldigen Sie, daß ich Sie so erschreckt habe — aber sagen Sie mir, wer ihre Eltern waren, ich bitte Sic sehr." Die Kleine beruhigte sich, doch klangen die Thränen aus ihrer Stimme, als sic erwiderte: „Ich heiße Mary, wer meine Eltern waren, weiß ich nicht, ich habe auch keine Eriunerung, was sich bis zu unge fähr meinem vierten Jahre, mit mir zugetragen hat. Eines Morgens habe ich auf den Hausstufen einer alten Dame schlafend gelegen, sic hat mich nicht an das Waisenhaus ausgeliefcrt, sondern bei sich be halten. Sie war Putzarbeiterin und ernährte sich mühsam — es war mir vergönnt, als ich hcrange- gewachsen war, ihr Dasein durch den Ertrag meiner Hände zn erleichtern, nach ihrem Tode bin ich als Direktrice in dies Putzgeschäst cingetrctcn — da ich schon mit den Kinderjahren auSgelernt hatte, er reichte ich so früh eine so verantwortliche Stellung." Crail umfaßte mit warmem Blick ihre ganze zierliche Erscheinung, dann fragte er: „Und nichts, gar nichts kann Sie an die ersten Kinderjahre erinnern? War da nicht ein großer, bärtiger Mann, der Sie auf den Schultern trug, wenn die kleinen Füßchen ermüdet waren vom Laufen, spielten Sie nicht mit ihren kleinen Fingern in den dunklen Locken der Mutter das Kind weinte so viel als sie starb — —" murmelte er mit brechender Stimme, doch besann er sich, al« Mary sinnend und dann kopfschüttelnd verneinte. „Aber ein Zeichen gab es, daran werde ich meine Tochter wiedererkennen — sie hatte im Nacken ein Muttermal, eine dunkclrothe Rose, habe» Sic solch' ein Abzeichen," fragte Crail. „Ich glaube nicht," entgegnete Mary, „über zeugen Sic sich selbst." Sie bog ihre» schlanken 'Nacken, indem sie die fessellosen Locken hochhob. Um besser zu sehen, schob er einige von ihr nicht mitgefaßte Locken beiseite, nnd als seine Hand ihren Hals da bei berührte, und sein Athem ihr heiß in den 'Nacken schlug, ging ein seltsames Gefühl durch ihr ganzes Sein. „'Nun?" stieß sie erwartungsvoll hervor. „Es ist nichts da zu sehen," entgegnete er traurig — doch sic wurde beredt — „O, solche Zeichen verwachsen oft mit der Zeit, das habe ich oft gehört, trotzdem könnte ich Ihre Tochter sein — ich wollte, ich wäre Ihre Tochter, Sie sind gewiß ein guter Mensch. Sie haben so treue Augen —" und tief erröthend unterbrach sie sich, als er sic mit den „treuen Augen" so freundlich ansah. „Wollen wir gute Freunde werden?" rief er, „wollen wir, wenn ich Sonntags frei habe, zu sammen spazieren gehen?" „Ja," nickte sie freudig, „Sie begleite» mich in die Kirche — seit meine gute Pflegemutter starb, habe ich Niemand, der mit mir geht." „Und ein so hübsches Mädchen ist noch ohne Schatz?" unterbrach er sie. Da wurde sie wieder eifrig. „O, was glauben Sie denn von mir? Ich bin ein ehrbares Mädchen und gar nicht so jung, wie ich aussehe, mein Schicksal hat mich ernst gemacht." „Erst kurz vor meiner gütigen Beschützerin Tod," fuhr das Mädchen fort, „habe ich erfahren, daß ich ein Findelkind sei — seit dieser Zeit bin ich immer traurig, und als Sie mich fragten, wer meine Eltern seien, niußte ich weinen, weil ich immer daran denke, wie traurig es ist, allein auf der Welt zu sein." Bon jetzt ab verbrachten die beiden Einsamen gemeinschaftlich ihre freien Sonntage, und die Zuneig ung wuchs gegenseitig. Er nannte sie seine kleine T echter, sein liebes Kind, und sie war froh, wenn ihr großer Papa neben ihr im Kirchcnstuhl saß und ihr Gebet mit dem seinigen zugleich zu Gottes Thron cmporstieg. Seine Vergangenheit mit ihrer Schuld und Strafe aber hielt er ängstlich vor ihr verborgen. III. Es war kein Wunder, daß ein schwaches Weib den Stürmen dieser Nacht unterlag. Man erfuhr nicht, wer das schreckliche Verbrechen geplant hatte, cs war Faktum, daß man die Frau des Polizcichefs, als sic den Ball verlassen wollte, auf dem Korridor überfiel, sic in ein leeres Kabinct zog und sie mit einem Schlag auf den Kopf betäubte. Da sie ganz allein war, wurde ihr Verschwinden nicht bemerkt. Als sic aus ihrer Betäubung erwachte, befand sie sich gefesselt in tiefster Finsterniß. 'Nach längerer Zeit gelang cs dcr schönen, jungen Frau jedoch, mit fast übermenschlicher Kraft die Fesseln an den Füßen zu lockern und, die Schultern gegen die Wand stemmend, sich endlich aufzurichten. 'Nun tastete sie mit den unlöslich gefesselten Händen an den Wänden des engen Raumes, bis sie eine Thür fand. Aber vergeblich war alles Rufen und Klopfen — sie hörte weitab Lärmen, Schreien und Klirren — cs wurde ihr klar, daß etwas geschehen sei, etwas außer der Berechnung Liegendes. In Todesangst lauschte sic diesem Chaos von Tönen, da fühlte sie, wie die Wand, gegen welche ihre Schulter lehnte, warm und immer wärmer wurde, nun auch dcr Fuß boden — die schreckliche Wahrheit drang auch plötz lich auf sie ein — es war eine Feuersbrunst im Hause. Und sie gefesselt und cingeschlossen! Mit der ganzen Kraft ihres Körpers warf sic sich gegen die Holzthür — sic schien nachzugeben. Nur die Verzweiflung gab Adah verstärkte Macht, so daß die leichte Holzthür endlich dem schweren Anprall nachgab, und die Füllung sich hcrausstoßen ließ. Schwarzer Rauch erstickte sie fast, als sie in den Korridor kroch, doch leuchteten die Flammen Riesenfackcln gleich, und zeigten den Weg in den brennenden Saal. Mehr todt wie lebend, Schritt für Schritt mit den gefesselten Füßen machend, erreichte sie endlich das Fenster, ein letzter Kraftversuch ge lang, die geborstenen Scheiben klirrten — frische Luft drang ein — sic hörte noch den Ruf dcr Menge sich umbrausen, „ein Weib! ein Weib!" — dann sank sie besinnungslos zu Boden. Erst in dcr frischen Winterluft kehrte ihr die Besinnung wieder, damit sie zu Hause das schreck liche Schicksal ihres Vaters und Jugendgeliebten er fahre — und als am andern Morgen Lieutenant Brown frühzeitig kam, um sich nach dem Befinden der verehrten Frau zu erkundigen, traf er nur auf deren Gatten, seinen Chef. „ES war zu viel, zu viel!" rief O'Ncill ihm entgegen. — „Die Angst, im Feuer cingeschlossen zu sein, des Vaters Tod, des Vetters Verbrechen — — meine arme Frau ist wahnsinnig geworden." Brown stand wie entgeistert. Diese holde Frau, so reich von« Schicksal bedacht, nun ärmer wie die letzte Bettlerin! — Er fand lange keine Worte, ebenso blieb O'Ncill, Grausen in den Zügen, ihm gegenüber stehe», endlich sagte der Lieutenant: „Ja, ihr Lächeln gestern Abend schon war beunruhigend — armer Herr O'Ncill, es ist eine schwere Prüfung — aber Ihre Frau ist jung, hoffentlich ist »och Heilung möglich. Wo ist die unglückliche Frau?" „Einstweilen noch im Hause," entgegnete ihr Gatte in dumpfer Verzweiflung, „aber ich werde sie schon heute einer Anstalt übergeben müssen; denn sie ist wie rasend." „Und Ihr Schwiegervater?" „Die ärztliche Untersuchung hat ergeben, daß die blauen Flecke am Halse von Fingern herrührende Strangulationözcichen sind — ohne diese Flecke hätte man an einen Herzschlag denken können, besonders da Papa, wie Sic wissen, in letzter Zeit sehr herz leidend war." „Und ist keine Spur vorhanden, die auf den Thäter führt, der Ihre Frau überfiel? In der Stadt herrscht die Meinung, man habe es mit einer förmlichen Verschwörung dcr „Moonlighters" zu thun. Diese dunkle ökachebande zürnt Ihnen, mehr aber noch dem Advokaten Percy, der der vater ländischen Sache abtrünnig geworden ist — cs ist wahr — Percy war früher die Seele aller po litischen Ligncn, seit seiner Tochter Vcrheirathung, — vielleicht auch, weil er kränklich wurde — zog er sich gänzlich zurück. Die Irländer erachteten das gleichbedeutend mit Verrath. — Ob Rache des Privatmannes oder des Politikers Sidney vorliegt, ist nicht abzuschen, denn das noch gestern Abend vor- genommc Verhör hat kein Resultat ergeben, wie Sie wohl schon wissen. Mr. Sidney hüllt sich in Schweigen und verweigert jede Antwort." „Er ist ja, was den Raub anbetrifst, in t'Iuxrunti ertappt, da würde wohl kein Leugnen helfen — er als Advokat weiß ja überdies, daß Schweigen nichts vcrräth. Es handelt sich nur noch darum, ihm den Mord zu beweisen." Lieutenant Brown, auf dem der junge Doktor einen ungewöhnlich sympathischen Eindruck gemacht hatte, und dcr sein Schweigen eher für die Un fähigkeit zu denken und zu antworten hielt, sah jäh auf, als sein Chef von einem Mord sprach. Und da begegnete er solchem Ausdruck von Haß und be friedigtem Rachcgefühl, daß er unwillkürlich einen Schritt zurücktrat. „Sic glauben doch nicht, daß Ihr Vetter ein Mörder ist?" rief er, fast unwillig. — Dargan O'Ncill sah, daß er zu weit gegangen war, daß er seine inneren Wünsche und Gedanken nicht laut ver- " rächen dürfe, diesem „vermaledeiten ehrlichen Eng länder" gegenüber — so suchte er sich zu motiviren. „Sidney ist init den Papieren und dem Geld seines Oheims auf dcr Flucht abgefangen — der Leichnam meines theurc» Schwiegervaters zeigt deutlich Spuren dcr Erwürgung — also ! Ich glaube übrigens zn seiner, Ehre nicht, daß es sich um einen gemeinen Raubmord handelt — Sidney ist das Werkzeug in den Händen der Rächer, ihn hat man jedenfalls erwählt, des Abtrünnigen Fahnenflucht zu bestrafen, und das geraubte Geld war für die Kasse der Patriotenliga." „Das erklärt auch sein Schweigen," rief der junge Brown aufathmcnd, „wenn cs seine Strafe auch nicht mildert," fügte er bedauernd hinzu und schwieg. Aber dann fiicl ihm wieder etwas ein. — „Aber die Jnwelen Ihrer Frau, wie konnte er sich daran vergreifen, das ist unter allen Umständen unerklärlich!" O'Ncill hörte nur noch halb, was scinAeutcnant sagte, sein scharfes Ohr glaubte Töne zu hören, die Niemand anders hören sollte — und doch drangen sic allmählich näher, so daß auch Brown lauschte. Das Gespräch fand in dem Privatzimmer des Chefs statt, eine große Flügclthür verband die beiden Halb-Etagen des ersten Stockwerks, sie schien fest verschlossen — als eine Hand daran rüttelte, gab sie nicht nach. „Mach' auf, mach' auf, sage ich!" donnerte eine weibliche Stimme, die Brown nicht erkannte, ob gleich sie ihm nicht fremd schien — aber wie ein schönes Gesicht von Straßcnstaub und Schmutz un kenntlich geworden, so klang diese Stimme in ihrer rauhen Härte und Heiserkeit.