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„O, Fritz, was sind wir doch unglücklich!" kam oö schluchzend, klagend über ihre zuckenden Lippen. „Muth, Nora, sei stark, wir müsse» entsagen! Komm', ich geleite Dich zu Deinem Wagen." Sic schüttelte traurig den Kopf. „Bleib' hier, Fritz, ich kann — ich, o, Fritz, Fritz!" Sie lag plötzlich an seiner Brust und ihr Ohr vernahm den Schlag seines stürmisch pochenden Herzens. Die weichen vollen Arme um seinen Racken schlingend, sah sie schmerzlich lächelnd zn ihm ans. „So möchte ich sterben, Fritz." Der Kapitän, überwältigt von so viel Liebe und Hingebung, verschloß ihr den Mund mit glühenden Küssen. „Du sollst leben, Nora! Und wenn cs noch einen Gott im Himmel gicbt, so wird er cS nicht dulden, daß wir Beiden zeitlebens elend bleiben!" „Ich danke Dir, daß Du mich an Gott erinnerst," sagte Nora, ihren Kopf an seine Schulter lehnend. „Zu ihm werde ich beten, ihn auf den Knieen bitten, daß er den Schleier von dem unseligen Gcheimniß lüfte. Und nun sag's mir noch einmal, daß Du mich lieb hast, Fritz, daun will ich gehen und erst wicderkehrcn, wenn Du mich rufst." „Ich liebe Dich, Nora, mehr als Du ahnst. Hättest Du vorhin, als ich kalt und rauh gegeu Dich war, in mein Herz blicken können, so hättest Dn erfahren, welcher Kampf zwischen Liebe und Pflicht darin stattfand. Und nun hast Du mich doch wieder in die unruhigen Wogen einer hoffnungslosen Liebe gelockt. Aber trotzdem kann ich Dir jetzt nicht mehr zürnen. Von heute au soll deine Liebe mich zu allem Guten ansporucn und Dein liebes Bild wieder in meinem Herzen den ersten Platz einnehmen. „Ich danke Dir, Fritz. Jetzt bin ich wieder glücklich! Leb' wohl! Gott wird meine Gebete erhören. Leb' wohl, Herzensfritz!" Noch einmal bot Nora ihm die schwcllend-rothen Lippen zu einem innigen Kuß, dann riß sie sich los und eilte die Treppe hinab zu ihrem Wagen. Oben am Fenster aber stand ein ernster, bleicher Mann und heftete den Blick der feuchten, brennenden Augen auf die anmuthige Erscheinung unten und ein dumpfes Stöhnen stieg aus seiner breiten Brust. Dann, als der Wagen seinen Blicken entschwunden, reckte er die geballten Fäuste zur Decke und stieß die Worte hervor: „Gott im Himmel droben, womit habe ich verschuldet, daß Du mich Unglücklichen so hart strafst? Warum führst Du mir diesen Engel noch einmal auf meinen einsamen Lebenspfad, »>a ich ihn doch niemals an mein jammervolles Dasein ketten darf?" Doch plötzlich ließ er die Hände sinken. „Wohin gerieth ich Unglücklicher, daß ich mit Gott hadere? Nicht er stieß mich hinaus aus dem Batcr- hause, aus der Heimath und dem Lande, das ich geliebt, für das ich mich als Jüngling begeisterte — nein Menschen, irrende Menschen waren es! Wird wohl jemals der Schandfleck von mir gewaschen werden? Werde ich dich, Vater, jemals Wiedersehen? O, könnte ich doch nur eine Sccundc in die Zukunft blicken — zehn Jahre meines Lebens gäbe ich um solchen Blick!" Mit einem tiefen Seufzer warf sich der Kapitäu nach diesen Worten in's Sopha und starrte finster vor sich hin. So saß er wohl eine ganze Stunde, dann erhob er sich und setzte sich wieder an den Schreibtisch, da er noch viel zu erledigen hatte. Als die Hotclglocke nach einigen Stunden die Gäste zur Tafel rief, erhob er sich, stieß das Fenster auf und schaute hinunter auf die Straße, und ließ die kalte Novembcrluft seinen heißen schmerzenden Kopf kühlen. Da fuhr in scharfer Gangart ein Wagen unten vor, dem hastig eine junge Dame mit einem Brief in der Hand entstieg und unten im Portale des Hotels verschwand. „Nora," entfuhr es dem Munde des erstaunten Kapitäns. „Was führt Sie nur so schnell wieder hierher?" Noch ehe er das Fenster schließen und zur Thür gelangen konnte, wurde diese aufgcrissen und Nora stand mit hochrothcn Wangen und wo gendem Busen vor ihm. „Fritz — ein Brief — vom — Va—ter — da lies — ich kann nicht — weiter, so — bin ich hinauf — geeilt. Laß — Dich um—armen — ich bin — namenlos — glück—lich — Du — bist befreit von der Schmach — Dein Na—me ist — wieder — rein. Ihre Arme um seinen Hals schlingend, küßte Nora schnell seine Wange, dann sank sie erschöpft auf das Sopha und blickte auf den Geliebten, der mit bebenden Händen den Brief entfaltete und dessen Inhalt ähnlich wie ein Kranker die Heilung bringende Medizi» gierig einsog. Und als er das lange Schreibe» mit einem aus der Tiefe seiner Brust cmporsteigenden erlösenden Laut sinken ließ, da stand sic wieder vor ihm, die er als den rettenden Engel pries. . „Bist Du nun mit mir zufrieden, Fritz?" fragte Nora mit glückstrahlender Miene. „Nora, Mädchen, diese Stunde werde ich nie vergessen!" jubelte der Kapitän, die Geliebte umfassend und sie vor Freude in die Höhe hebend. Sich auf das Sopha setzend, zog er das über glückliche Mädchen auf seinen Schooß und herzte und küßte eS. Daneben wurden Pläne für die Zukunft entworfen. Der Kapitän wollte sich für den Winter von seinen Posten znrückziehen und zur Stärkung seiner Gesundheit zunächst in die Heimath und dann nach Italien reisen. Nora sollte ihre Stellung aufgebcn und mit ihm zu ihren Eltern zurückkehren. „Das wird nicht «»gehen, Fritz, mein Kontrakt bindet mich bis Ostern," warf 'Nora ein. Der Kapitän schüttelte den Kopf. „Dafür laß mich nur sorgen, Heirath bricht Vertrag." „So schnell schon willst Du mich an Dich fesseln," bemerkte Nora erröthend, ich muß ja erst eine Aus steuer haben." „Närrin, die kaufen wir drüben in einem halben Tage," scherzte der Kapitän. Ich werde sogleich als T Heilhaber des SchiffSunternehmcns den Direktor meine Wünsche betreffs meines Urlaubs für den Winter mittheilen und ihm eröffnen, daß ich später die deutsche Linie unserer Gesellschaft mit dem Domieil in Deutschland zu befahren gedächte. Ich denke, Du bist damit einverstanden, Herz." „O, gewiß, Fritz, wenn Du das nur so ohne Weiteres kannst?" (Fortsetzung folgt.) Eine kurze Militärkarriere. ES war am Abend deü 30. November 1870. Wir lagen mit unserem Feld Artillerie Regiment dir. * vor Orleans und erwarteten endlich ins Feuer geführt zu werden, nm den Herren Franzosen die eine Stadt an der Loire zum zweiten Male zu ent reißen, nachdem sie sich dieselbe von den bayrische:! Truppen zurückerobert hatten. DaS Wetter war in jenen Tagen höchst unbehag lich, ein kalter Regen „fistelte" vom Himmel herab, wie Fritz Reuter sagt, und außerdem sah es auch in unseren Mägen sehr trübe aus. Kein Brot, kein Schnaps, kein Ranchtabak! Für brave Soldaten eine äußerst peinliche Situation. Uni so mehr waren wir erfreut, als sich eben an jenem Abend das Gerücht verbreitete: „Der zweite Ersatz ist eingetroffen! ES wird wohl gleich Appell geblasen werden!" Denn die nenangckommenen Kame raden pflegen in der Regel allerhand Gegenstände bei sich zu führen, die man im Felde gebrauchen kann. Es währte denn auch kaum eine halbe Stunde, als wir bereits im Geschützpark aufrangirt standen, um die „Herren vom Scbwamm" nuferen einzelnen Geschützen zuertheilt zu bekommen. „Sechs junge Rekruten für unsere Batterie zur Stelle!" meldete der Feldwebel unserem Haupt mann, und alsbald begann die Besichtigung der Neulinge. Was läßt sich von frisch gebackenen Soldaten viel Interessantes erwarten? Es waren eben Leute, wie sie durchgängig sind. Schüchtern, unbeholfen und mit ängstlichem Ausdruck im Gesicht, wie dies ihre doppelte Stellung als Novizen im Heere und im Feindeslande mit sich bringt. — Bloß einer machte eine rühmliche Ausnahme. „Was ist denn das für ein Kuriosum von einem preußischen Artilleristen?" Mit diesen Worten zog der brave Hauptmann einen langen, spindeldürren Menschen aus der Zahl der Sechse vor die Front und betrachtete denselben prüfend durch sein Monokel. Kein Man» in der ganzen Batterie, der in diesem Augenblick nicht gelacht hätte. Einen größeren Un glücksraben hätte es den» als Soldaten doch wohl auch nimmermehr geben können. Abgesehen davon nämlich, das ihm die Uniform an allen Ecke» und Enden buchstäblich um den ab schreckend mageren Körper hernmschlotterte, trug der Aerinste auch noch ein doppeltes Pincenez und — große silberne oder bleierne Ringe in beiden Ohren! „Herrrr! ich frage Sie, wie kommen Sie in die preußische Artillerie-Uniform?" begann unser Haupt mann wieder, nachdem sich das Gelächter in der Batterie einigermaßen gelegt hatte. „Ich bin Kriegs-Freiwilliger!" entgegnete der Angercdete mit großer Würde, indem er dabei eine möglichst theatralische Stellung einnahm, die von der sonst üblichen Positur eines geschulten Soldaten him melweit unterschieden war. „So?" meinte der Hauptmann, „also Kriegs- Freiwilliger! Hm! Dann sind Sic auch was Recht'S Und was waren Sie bisher in Ihren zivilen Ver hältnissen?" „Ich gehörte den Brettern an, welche die Welt bcdenten!" war jetzt die stolze Erwiderung des Neu angekommenen, „und beabsichtige, in dem großen Kriegsschauspiel eine, wenn auch nur untergeordnete Rolle mitzuspielen." Der gutmüthige Hauptmann lachte, daß ihm die Thränen in die Augen traten. Dann winkte er mich, der ich damals die hervorragende Stellung eines Obcrgefrcitcn inne hatte, zu sich hcrran und sprach: „Obcrgcfreiter I., ich übergebe Ihnen dieses Brett, welches die Welt bedeuten soll, zur möglichst glatten Abhobelung! Sie werden mir möglichst bald Bericht erstatten, ob dieses grüne Holz sich überhaupt bear beiten läßt oder nicht" „Zu Befehl, Herr Hauptmann!" „Fort, marsch in die Quartiere!" Und ich zog mit meiner neuen Errungenschaft ab. Am anderen Tage, dem ersten Dezember, hatte unsere Batterie die Wache für den Geschützpark der Artillerie - Abtheilung zu stellen, und ich war für den ehrenvollen Posten eines Wachtkommaudantcn designirt. Der Rekrut Blcchmüller — dies war der be zeichnende 'Name des Herrn Kriegs-Freiwillige» — wurde gleichfalls für passend befunden, mit auf die Wache zu ziehen, und so zitterte ich denn mit meinem kleinen Detachement von sechs Mann los, uni inner halb des GeschützparkcS dafür zu sorgen, daß böswillige Menschen uns nicht die gußstählernen Sechspfünder raubten. Der Zufall hatte cs aber so gefügt, daß unser 'Regiments-Adjutant, im übrigen ein sehr jovialer Offizier, an jenem Tage eine dienstliche Revision des GeschützparkcS vorzunehmen hatte und gerade dort erschien, nachdem wir eben das sogenannte Wachlokal, eine alte leerstehende Scheune, bezogen hatten. Natürlicherweise mußte ich meine vier Mann schaften (die beiden Posten waren bereits ausgestellt) sofort „ins Gewehr" treten lassen, was bei der Fuß- Artillerie bekanntlich durch das halblange Faschinen messer beivirkt wird, und — was stellte sich heraus! Sobald das Kommando: „Stillgestanden! Batterie — Gewehr auf!" verklungen war, löste sich aus der ledernen Scheide des VaterlandSvcrtheidigerS Blcchmüller ein Gegenstand los, der einem mittel großen Taschenmesser weit eher vergleichbar war, wie einem Soldatensäbcl. Der Jammermensch hatte bei irgend einer Gelegenheit auf dem Marsche nach dem Kriegsschauplätze sein Faschinenmesser etwa 6 Zoll über dem Griffe abgeschlagen, und init diesem Stümpf- chen bemühte er sich nun vergeblich, die vorgeschrie benen Honneurs zn exekutircn. DaS Gelächter sowohl von feiten des Regiments- Adjutanten als auch das unsrige läßt sich schwer beschreiben. Zum Glück für unseren Kriegs-Freiwilligen und auch für mich war nnn, wie gesagt, der Herr Premier ein sehr jovialer Mann, der recht wohl wußte, wie eS im Kriege zugeht. Er machte also weiter nichts aus der Sache, sondern befahl Herrn Blechmüller einfach, sich mit einer besseren Schußwaffe zu ver sehen, worauf die Geschichte beigelegt wurde. Dennoch hatte unser Hauptmann aber Wind davon bekommen und legte mir am anderen Nach mittag beim Appell zum zweiten Mal ans Herz, den reglementöwidrigen unwahrscheinlichen Kerl, den Kriegs-Freiwillige», recht scharf aufs Korn zu nehmen. Dann kam der 3. Dezember, der erste Tag der Schlacht von Orleans. Unsere Batterie war über die Maßen scharf eugagirt, und die Feuertaufe für die Herren keine schlechte. Blcchmüller hatte die Protze zu bedienen und die schweren Granaten von hinten zu uns ans Geschütz zu tragen, wo dieselben dann fein säuberlich ins Rohr gesteckt und den Herren Franzosen ins Angesicht gespieen wurden. "Eine Zeit lang verrichtete er diese Arbeit theilweisc zur Zufriedenheit, obgleich es manchmal so aussah als werde er die schwere Bürde an die Erde fallen lassen. So hatten wir bereits einige vierzig Schuß abgegeben, als ihm die Sache doch ängstlich zu werden schien und er die Frage an mich richtete: „Werden wir denn aber mit unfern Granate» auch auskommen?" Ich erwiderte natürlicherweise sehr grob, daß ihn dies garnichts angingc; iin Falle die Munition nicht reiche, werde der Feldwebel schon mit der 1000 Schritt hinter der Front haltenden Wagenstafsel her- aukommen und uns aufs Neue versorgen. Dies schien ihm jedoch nicht einzulcuchten. Zweimal ächzte er noch mit seiner schweren Bürde heran und dann — fehlte uns plötzlich die Granate zum Laden. Voller Unruhe blickte» wir uns nach unserem „Granateuhaudlanger" um, und siehe da — Herr Blechmüller läuft höchsteigen im allcrschnellstcn Tempo nach den hinten aufgestellten Munitions-Ersatzwagen zurück, um von dem Feldwebel Hülfe zu requiriren, eine Sache, die selbstverständlich sonst einfach per Trompetensignal abgemacht wird. Er hatte cs mit der Angst gekriegt! Daß unser Feldwebel, sobald er den drolligen Deserteur bemerkte, demselben sofort entgegenritt und ihn mit flachen Säbelhieben in die Batterie zurückjagte, braucht wohl nicht erwähnt zu werden. Seine Angst war auch ganz unmotivirt gewesen, denn unsere Protze war noch lange nicht leer. Unser Hauptmann aber hatte genug. Nachdem die beiden Schlachttage beendet waren und Orleans wieder eingenommen, wurde der brave kriegSfreiwilligc Mime sofort mit einem warmen Empfehlungsbrief in die Heimath zurückcxpedirt. Die übrigen Schlachten haben wir ohne ihn ge wonnen ! v Druck und Verlag von E. Hannebohn.in Eibenstock.