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Leilage m Ar. 19 des „Amts- und Aiyeigeblattes." Eibcnstvlk, den 13. Februar 1892. Der letzte Postschirrmeister. Original-Novelle von Th. Schmidt. (4. Fortsetzung.) Zäitlich geängstigt voin Bilde der Qualen, Wallet der liebende Busen, es strahlen Perlend die Äugen von himmlischem Thau. V. (Schiller.) Der Passagierdampfer „California" war ans seiner regelmäßigen Fahrt von den größeren Städten der Antillen-Inseln nach New-Jork zn der von der Hafen-Polizei angegebenen Zeit in den Hafen der letzteren Stadt eingelanfen, doch ohne Kapitän Bor mann an Bord. Der Beamte, welcher es übernommen. Nora das Eintreffen des Schiffes anznzeigen. theilte ihr jene Nachricht mit und fügte derselben die Bemerkung bei, daß er von dem Steuermann des Schiffes erfahren habe, ihr Kapitän sei unterwegs erkrankt nnd würde wohl erst ans der nächsten Tour das Kommando über das Schiff wieder übernehmen können. Nora war bei dieser Mittheilung nahe daran, zu verzweifeln, schien es doch, als wenn ein neidisches Verhängniß ein Wiedersehen auf alle Fälle zu Hinter treiben suchte. Zu der sie verzehrenden Sehnsucht nach deut Geliebten trat gleichzeitig bei der Familie des Petroleum-Fürsten immer deutlicher die Absicht hervor, sie init dem Sohne des Hauses ehelich ver bunden zu sehcu. Charles Carper hatte ihr bereits unter vier Augen seine Liebe erklärt und als sie ihn freundlich aber bestimmt abwics, nach einigen Tagen seine Werbung wiederholt. Aber auch dieses Mal hatte Nora ihm erklärt, daß sic nie die Seine werden könne und als der junge Mann in sie drang, ihm den Grund ihrer Abneigung zu nennen, da hatte sic ihm rund erklärt, daß ihr H<wj und ihre Hand bereits einem andern Manne gehöre. Charles Carper war hierauf gegangen und nach einigen Tagen abgereist, wie Heddh sagte, nach einem Bade, wo er seine Gesundheit zu stärken suche. Durch diesen Zwischenfall hatte sich Nora's Stellung in der Familie doch etwas geändert. Zwar begegnete man ihr nach wie vor mit Hoch achtung nnd frenndlichen Mienen, allein Nora fühlte eS bald heraus, daß namentlich in dem Verkehr mit Mistreß Carper (letztere hatte ja betreffs des Sohnes ihre letzte Hoffnung auf Nora gesetzt) die frühere Herzlichkeit mangelte. Hätte Heddh, welche von Allem unterrichtet war, Nora nicht unter Thräncn gebeten, sic nicht zu verlassen, so würde sic längst ihre Stellung gekündigt haben. Mitten in diesen Noras Schaffensfreudigkeit lähmenden Widerwärtigkeiten erhielt sie eines Morgens von dem mehrfach erwähnten Hafenbeamten die kurze Mittheilung, daß die „California" mit Kapitän F. Bormann soeben eingelanfen sei nnd daß letzterer im Hotel Concordia wohne. Wie da ihr Herz pochte! All' die trüben Stunden der letzte» Monate waren vergessen. Er war da, in derselbe» Stadt, dieselbe Luft umgab ihn — sie hätte aufjnbeln mögen vor Seligkeit. Schnell machte sie Toilette; die zwei Stunden bis Mittag waren für den täglichen Spaziergang angcsetzt, sie war somit frei und brauchte nicht in dein erregten Zustande, in dem sie sich befand und sich sicher vcrrathcn haben dürfte, um Erlanbniß zu bitte». Ei» schlichtes, aber kostbares blaues Kleid umfloß ihre berrliche Figur und eine weiße Rose am Busen, die Heddy ihr früh geschenkt, in Ver bindung mit dem mit rothen 'Nelken garnirtcn Herbst hut deuteten symbolisch an, daß sie ihm, dem Ge liebten, den kostbarsten Schatz des Weibes: Treue, Unschuld und Liebe, nach all' den langen Jahren entgegen bringe. Pochenden Herzens stieg sie die Treppe hinab, besorgt, cS könne Heddy ihr wieder begegne». Aber- sic gelangte glücklich ans die Straße. An der nächsten Ecke derselben bestieg sie eine Droschke, welche sie in zehn Minuten zum Hotel Concordia brachte. Der Portier nannte ihr ans ihre Frage Zimmer Siro. 30 als dasjenige, weiche« der Kapitän seit einer Stnndc bezogen habe. Nnd nun stand sie vor der Thür, welche sie nur noch von dem geliebten Manne trennte und sie mußte ihre Hand einen Moment auf das heftig pochende Herz legen, da sic fürchtete, es müsse vor Glückseligkeit den Busen sprengen. Leise pochte sic an die Thür, und auf das laute „Herein!" öffnete sic dieselbe schnell. Ein großer stattlicher Mann saß, ihr den Rücken zngckehrt, emsig schreibend am Tische; gewiß erwartete er nur den Kellner, denn er wandte sich nicht einmal um. „Fritz, mein Fritz!" erscholl es jetzt jubelnd hinter ihm, und wie von einer Feder Wiporgescbnellt stand der Angerufene im nächsten Augenblick auf den Füßen und starrte erschreckt auf die liebliche Gestalt NoraS. Aber der Ueberraschte trat ihr keinen Schritt entgegen. „Nora — Fräulein Röder, was thun Sie?" rief der Kapitän, in dessen, von der überstandenen Krankheit noch blassen Zügen sich eine tiefe Bewegung kund gab. Das durch diese» kühle» Empfang bis ins Herz getroffene junge Mädchen schlug die Hände vor die Augen und schluchzte laut. „O, Fritz, wie anders habe ich mir das Wieder sehen gedacht! Du kaunst noch fragen, was ich thue, O, Fritz, wenn Du wüßtest, wie ich mich nach Dir gesehnt habe und welche Freude mein Herz erfüllte, als ich durch Zufall Deinen Namen erfuhr. O, blick nicht so finster, Fritz! Ahnst Du denn nicht, daß ich komme, um Dir zn sagen, wie sehr ich mich nach einem lieben Wort und einem zärtlichen Blick von Dir sehne. Zweifelst Du an meiner Liebe, Fritz? — O, sprich doch," flehte Nora auf ihn zn- tretend. Aber der ernste, stolze Mann wich vor ihr zurück, uud mit einem Schrei, aus dem eiu grenzenloser Schmerz hcrausklang, sank Nora auf den nächsten Sessel und vergrub ihr Antlitz in den Händen. O, jetzt war ihr Alles klar, er wollte sie nicht Wiedersehen, er war verheirathet, hatte Kinder und fürchtete, daß bei einem Wiedersehen mit ihr auf seine Ehre als Gatte und Vater ein Makel fallen könnte. Es war ihr unmöglich aufzublicken, oder ein Wort zu sagen; sie kam sich vor, wie eine zum Tode Berurtheilte, der in der nächsten Minute das Nrtheil verkündet werden soll. Jetzt endlich er klärte sie sich sein Schweigen auf ihren Brief. Aber auch in der Brust des Kapitäns hatte das unerwartete Wiedersehen einen Sturm von sich widerstreitenden Empfindungen entfacht und er mußte alle seine iu anderen Lebenslagen so ost erprobte Willenskraft zusammennehmcn, nm nicht dem Zauber, der von Noras Erscheinung ausging, zu erliegen. „Fräulein Röder," sagte der Kapitän mit erregter Stimme, „Ihr Forschen nach meiner Person und Ihr Erscheinen hier ist gegen unsere Verabredung. Ich erinnere Sie daran, daß ich Ihnen vor reichlich acht Jahren, gleich nach meiner Landung hier, schrieb, daß ich Sic freigäbe und Ihres Schwures entbände, daß ich meine Vergangenheit in Deutschland ans meinem Leben mit dem Betreten dieses Welttheils anslöschc und von Niemand drüben etwas wissen wellte, außer von einem Freunde in H., der mir eventuell Nachricht über die früher oder später er folgende Aufdeckung der mich belastendcnden That geben sollte. Sie handeln unüberlegt, wenn Sie sich einem Manne, der Ihnen das schrieb, wieder in Erinnerung bringen, und bedenken nicht, wie furcht bar dieser Mann gekämpft, ehe er sich von allem, was er zurück ließ, für immer los riß. Es ist grausam vou Ihnen, diesen Unglücklichen wieder an die Vergangenheit zu erinnern, da diese nur unver diente Schmach und Schande auf seinen Namen häufte. Mit dem Betreten dieses Welttheils habe ich nach wochenlangem Ringen den Frieden der Seele endlich wiedcrgefnndcn, nnd in rastloser Arbeit den Schmerz betäubt, der in meinem Busen wühlte — nnd jetzt erscheinen Sie und reißen unbarm herzig die alte Wunde wieder auf, ohne zu bedenken, daß ich Ihnen nichts als ein Fremder sei» kann! Oder glauben Sie, daß ich mit dem Schandfleck auf meinem 'Namen leichtsinnig genug wäre, das Schicksal eines Wesens an das meine zu ketteu? Rein, das erwarten Sie nicht von mir! Betrachten Sie diese Erklärung als Antwort auf Ihren Brief, den Sie auf dem Hafen-Polizciamtc für mich ab gaben. Hätte ich ahnen können, daß Sie mein Schwei ge» so schlecht begreifen würden, so würde ich nicht nach New-Jork znrückgekehrt sein." Der Kapitän wandte sich nach diesen Worten zur Seite. Er konnte den Blick, den Nora ans ihren plötzlich thränenlcer gewordenen dingen staunend ans ihn heftete, nicht ohne Gefahr, für seine Selbstbe herrschung ertragen, waren doch mit ihrem Erscheinen alle jenen Empfindungen in seinem Herzen wieder wachgernfcn, die er längst daraus verbannt glaubte. Er hatte absichtlich einen schroffen Ton angeschlagen und durch seine Kälte und sein Zurückweichen die Grenze bestimmt, die sic zu respektiren hätte. Aber er war auch nur ein Mensch, und wenn auch sein Verstand einen Moment die Herrschaft über ihn behalten hatte, seine Augen hatten Zeit genug gehabt, die süße Erscheinung Noras mit allen ihren Reizen zu umfasse« und das liebliche Bild vor den Richter stuhl des Herzens zu stellen. Und dieser unbestech liche Richter sagte Fritz Bormann, in diesem Augen blicke, daß er soeben ein treues, liebendes Herz er barmungslos mit Füßen trat. Nora starrte noch immer sprachlos den Kapitän an. Während sie sich seine Worte wiederholte, kam ihr zum Bewußtsein, daß der Kapitän, indem er sie durch einen Brief von der Aussichtslosigkeit einer Verbindung mit ihm in Kcnntniß setzte, sie frei gab und damit alle Bande gelöst glaubte. Er setzte also voraus, daß auch sie ihn nach einiger Zeit würde vergessen haben und erwartete, daß sie sich ihm nie wieder nähern werde. Da sie aber jenen Brief nie mals erhalten hatte, so konnte sie auch nicht wissen, daß ihm eine Begegnung mit ihr nicht angenehm sein würde. Aber hiervon ganz abgesehen, empörte es 'Nora, daß der Mann, dem sie durch all' die laugen Jahre die innigste Liebe bewahrt, sic so schnell vergessen konnte. Preßte diese Entdeckung auch ihr Herz zusammen, sodaß sie vor namenlosem Weh laut hätte aufschreien mögen, so gebot ihr andererseits ihr weiblicher Stolz, sich zu beherrschen und ihm das nicht merken zu lassen. Sich erhebend, zog sie ihren blauen Schleier tief über das marmorblasse Gesicht. „Herr Kapitän, nach Ihren Worten zu urtheilen, hätte ich Sie um Ver zeihung zu bitten, daß ich es wagte. Sie aufzu suchen. Ich thue das hiermit, obschon die Voraus setzung, unter der Sie mein Verhalten tadeln, nicht zutrifft, denn ich habe keinen Brief von Ihnen je mals erhalten. Wäre mir ein Schreiben mit einem Inhalt, wie Sie mir soeben andenteten, zugegangen, so sähen Sie mich nicht hier." Das Gesicht des Kapitäns wurde purpurroth. „Sic erhielten meinen Brief nicht, Fräulein Röder?" fragte er erregt. „Nein, leider nicht, Herr Kapitän, und diesem Umstande habe ich es zu verdanken, daß ich das Bild eines Mannes lange Jahre im Herzen ge tragen, der es nicht verdiente, von einem schlichten deutschen Mädchen treu geliebt zu werden. Mögen Sie immerhin stolz das Haupt erheben, weil Sie ihren Prinzipien soeben treu blieben, ich beneide Sie nicht um solche Charakterfestigkeit, Herr Kapitän. Man rühmt dem Deutschen nach, daß er sich unend lich freue, wenn er in fremden Landern die Laute seiner Muttersprache vernehme und daß er mit rührender Herzlichkeit dem Landsmanne die Hand drücke. Sie Herr Kapitän haben, wie Sie das ja auch soeben sagten, in der That schnell deutsche Art und Sitte abgelegt." Nora mußte sich über sich selbst wundern, daß sic so kühl nnd gleichgültig zu dem Manne sprechen konnte, der ihr bis zu dieser Stunde höher stand als Vater und Mutter. Allein das Herz hatte keinen Antheil an den verletzenden Worten, die ihr Mund sprach, sah sie doch deutlich, Ivie jedes Wort ihn wie ein Dolchstich traf, welchen furchtbaren inneren Kampf sein ernstes schönes Antlitz widerspiegelte und wie er es vermied, ihr in die Augen zu sehen. Sein Antlitz bedeckte tiefe Blässe, als er cs endlich zn ihr wandte. „Sic haben unter solchen Umständen alle Ur sache, mein Verhalten Ihnen gegenüber zu tadeln. Aber bedenken Sie, was mir in meinem Baterlande widerfahren ist! Sie sehen in mir einen Geächteten, aus der Gesellschaft AuSgestoßenen; ich habe kein Recht, auf Erfüllung eines Versprechens zu dringen, das Sie mir einst in jugendlicher Unerfahrenheit gaben. Zwischen mir und Ihnen und Ihren Eltern besteht eine Kluft, die niemals überbrückt werden kann, selbst nicht durch die hingcbendste Liebe, denn über kurz oder lang würde die Reue Sie foltern. Ihre Eltern würden sich von Ihnen wenden und Ihre Geschwister sich Ihrer schämen. Ich bin also dazu verdammt, einsam meinen Weg durchs Leben zu gehen! Begreifen Sic nun, Fräulein Röder, daß ich als ehrlicher Mensch Ihre 'Nähe meiden muß. Sie mögen mich mit dem Herzen verdammen — ich beuge mich vor dicsein Richtcrstuhl des Weibes, wenn Sie aber die Vernunft zuletzt zu Rathe ziehen, so werden Sic zu der Erkenntniß kommen, daß cs recht von mir war, Sie zu meiden. Ich wünsche Ihnen alles Gute und danke Ihnen aus tiefstem Herzensgründe für die Liebe, welche Sic mir Un glücklichen unverdientermaßen bewahrten." DaS ver trauliche „Du" wählend, fuhr der Kapitän ernst fort: „Ich werde Deiner stets gedenken, Nora, und nie — das schwöre ich — soll ein anderes Dein Bild ans meinem Herzen verdrängen. Und nun reiche mir die Hand, Nora, ich kann es jetzt wagen, die selbe zu berühren, denn ich sehe Dich gefaßt. Von der Heiinath brauchst Du nichts zu erzählen, ich erfahre alles von meinem Freunde in H. Der Gute schreibt mehr als für meine Ruhe vou Bor- thcil ist — nur das Eine, auf das ich so lange schon warte, trägt kein Brief inir zu," schloß der Kapitän seufzend. Nora hatte bei den letzten Worten ihm ihre Hand überlassen und preßte mit der anderen ihr Taschentuch vor das Gesicht. Ihre Gestalt erbebte im herben Schmerz, sah sie doch jetzt selbst ein, daß der in der Heimath gebrandmarkte Mann an ihrer Seite niemals glücklich werden würde und daß, selbst wenn er mit der an seinem Leben nagenden Schande sie zu seinem Weibe machen wollte, ihre Eltern sie unfehlbar verstoßen würden.