Volltext Seite (XML)
Beilage m Rr. Z9 des,Amts- und Anreigeblattes". Cibenstock, den 7. März 1891. Ein verhängnißvoller Schnitt. CriminaUErzählung aus dem Pvstleben von Th. Schmidt. (6. Fortsetzung.) Linde ergriff des alten Mannes Hand, und diese schüttelnd sagte er: „Thun Sie es, Herr Droop, er verdient es! Doch möchte ich bitten, bis morgen zu warten, da heute noch ein Verhör mit Baumer seitens des Untersuchungsrichters stattfinde» muß, zu dem ich den Freund gestern Abend gerathen, reckt klar über alle Einzelheiten des Falles nachzudcnken. Vielleicht wird er nach diesein Verhör schon aus der Haft ent lassen werden können." „Gut!" stimmte Droop bei, „dann werde ich mich bis morgen gedulden ... ich thue dies freilich un gern. ... Es ist mir, lieber Herr Linde", fügte er nach einer Pause hinzu, „soeben ein recht häßlicher Gedanke gekommen. Vielleicht können Sie mir den selben erklären . . . Sie sind ja meines Schwieger sohnes bester Freund." Linde horchte auf. „WaS wünschen Sic über Bäumer zu erfahren? Geheimnisse hat er nicht." „Und doch", begann jener, „ist es für mich und vielleicht auch für viele Andere ei» Geheimniß, woher er die Mittel zu Ausgaben nimmt, die sein Gehalt nach meiner Berechnung namentlich in der letzten Zeit weit übersteigen müssen. Bon seiner Mutter können sie nicht herrühren, da ich weiß, daß dieselbe kein Vermögen besitzt." Er sagte dies doch zögernd und mit verlegenem Aufblick zu Linde. „Herr Droop", entgegnete dieser fast barsch, „jedem Andern würde ich znm mindesten die Antwort hierauf verweigern. Geheimnisse unter Freunden müssen diesen heilig sein, doch da Sie gewissermaßen ein Recht zu der Frage haben und die eingetretenen außerge wöhnlichen Verhältnisse ein Schweigen zu des Ver hafteten Ungunsten auslegen könnten, so will ich Ihnen kurz eröffnen, daß Bäumer sehr oft nicht unbedeutende Geldzuschüsse für seine Mutter sowohl, als in letzter Zeit auch für sich von seinem sehr vermögendem Onkel erhalten hat. Diese Letzteren hat mein Freund, wie ich bestimmt weiß, nicht annehmen wollen, und nur durch den Hinweis des Gebers, der Neffe solle sich seinen vermögenden Schwiegereltern gegenüber nicht knauserig zeigen, ist es jenem gelungen, ihn zur Annahme der Unterstützung zu bewegen. Daß Sie auch nur einen Augenblick an dem durchaus redlichen Charakter des Freundes zweifeln konnten, das schmerzt mich sehr. Ich begreife übrigens nicht, weshalb Bäumer Ihnen dies nicht schon längst mitgetheilt hat. Sie habe» wohl nie den Versuch gemacht, der Ihnen zweifelhaften Vermögenslage Bäumer's an der richtigen Quelle nachzuforschen?" Droop wurde roth. „Verzeihen Sie", entschuldigte er sich, „einem alten Manne seine Einfälle. Das, was ich soeben durch Sie erfahren habe, hätte ich allerdings auch von ihm selbst erfahren können. . . . Und nun ist Alles gut. Geben Sie mir Ihre Hand zu Zeichen, daß Sie mir nicht mehr grollen! Ich danke Ihnen für das Vertrauen, das Sie in mich und in den mir sehr theuren Mann setzen! Ich werde nichts unver sucht lassen, was seine Haft abkürzen könnte." Nachdem Linde ihn noch ersucht, vor der Hand der Mutter des Verhafteten keine Mittheilung zu machen und weiter den Wunsch ausgesprochen, daß den Damen Droop's eine den traurigen Vorfall mög lichst abschwächende Auseinandersetzung gegeben werden möge, verließ er das Haus. Der alte Herr hatte sich eben wieder gesetzt, um, den Kopf auf die Hand gestützt, darüber nachzusinnen, auf welche Weise das Ereigniß den Frauen am passend sten mitgetheilt werden könnte, als die Thür hastig geöffnet wurde" und Bertha mit einem Brief in der Hand auf ihn zueilte. „Bon Hermann, Papa! O, er kommt demnach heute Morgen wohl nicht," sagte sie und übergab dann den Brief ihrem Vater. „WaS mag ihm nur zuge stoßen sein? Die Aufschrift scheint mit zitternder Hand geschrieben zu sein." „Setze Dich, Kind! Der Inhalt des Briefes ist mir schon bekannt," entgegnete der Angeredete mit be kümmerter Miene. „Dir schon bekannt? Papa, Du machst mich ja ängstlich!" „Wenn Du jetzt schon ängstlich wirst, mein Kind, dann darf ich das, was ich Dir und Deiner Mutter zu erzählen habe, wohl nicht zu sagen wagen. Geh', rufe sie!" Bertha eilte hinaus, um gleich darauf mit der Mutter zurückzukehren. Beide sahen fragend zu dem nach Worten ringenden Gatten und Vater hinüber. „Bertha", nahm Droop jetzt das Wort, „schließe die Thür und dann setzt Euch Beide hierher." Er sah sie Beide prüfend an, als wollte er er gründen, ob sie die schreckliche Nachricht ohne Nach theil mir anhören können; dann sagte er in ernstem Tone: „Bäumer ist — er stockte — angeblich wegen Beraubung und Unterschlagung eines Briefes gestern Abend verhaftet." Die Wirkung dieser Worte auf die Zuhörer war eine verschiedene. Beide sprangen betroffen auf. Während die Fran des Hauses niit weitaufgerissenen Augen, keines Wortes mächtig, ihren Gatten anstarrte, flog über die Züge der Tochter eine blitzartige Röthe. Ein Physiognomiker hätte vielleicht diese für ein Zeichen der Freude gedeutet. Wenn diese Annahme richtig ist, dann müssen wir aber auch voraussetzen, daß das junge Mädchen etwas zu hören gefaßt war, was eine schlimmere Wirkung hervorbringen konnte. Junge, verliebte Mädchen denken ja leicht das Aergste. Bertha war die Erste, die Worte fand. „O Papa, das ist, das kann ja nicht wahr sein!" rief sie im Tone innerster Ueberzeugnng aus. „Mein Hermann — ein Verbrecher? — Stein, und tausend Nkal nein! Das ist er nicht! Derjenige frevelt, der das nur einen Augenblick für wahrschein lich hält! O Vater, liebster Vater, hilf nur, daß ich ihn sehen, ihn sprechen kann, um ihm zu sagen: ich glaube an Dich, Du Guter!" „Brav, mein Kind!" erwiderte Droop gerührt. „Sehr brav gesprochen von meiner Bertha! Komm an mein Herz — auch ich glaube nicht an seine Schuld..." „Und wenn er nun doch der That überführt würde, Ferdinand?" fragte Frau Dropp. „Emilie!" Vater und Tochter sahen sich erschrocken nach der Mutter um, die mit niedergeschlagenen Blicken abseits stand und nach Worten rang, Droop sah erzürnt zu ihr hiuüber. „Also so wenig kennst Du den Mann, dem Du das Glück Deines einzigen Kindes auvertrauen woll test?" kam es zornig von seinen Lippen.. „Sei nicht böse, lieber Ferdinand", entgegnete sie, „ich dachte nur an die seltsamen Gerüchte, die Du mir ja mitgetheilt hast." „Ah so! Nun, was diese anlangte, so glaubte ich vorhin auch an sie, aber nur einen Augenblick, denn — daß — Du es weißt, Eniilie, Bäumer hat, um uns Freude zu bereiten und unsere Tochter reichlich beschenken zu können, seinen Stolz bekämpft nnd von seinem Onkel, dem Major in Berlin, eine dringend ihm angebotene Unterstützung angenommen. Rein von aller Schuld ist er gestern Abend von uns gegangen, und rein wird er — so Gott will, recht bald — wieder zu uns zurückkehren! Der ist mein Feind, der sich unterfängt, etwas Unehrenhaftes über ihn zu ver breiten. Und nun seid gefaßt auf Das, was da noch kommen mag. Es werden noch Tage, vielleicht Wochen vergehen, ehe seine Unschuld klar erwiesen wird." Wir lassen jetzt die kleine Gesellschaft für eine kurze Zeit mit ihrem Kummer allein und begeben uns in das Gefängniß, in welchem der Verhaftete in dumpfem Brüten die Stnnden hinschleichen sicht. Das GefangnenhauS, ein großes geräumiges Ge bäude, diente der Justiz-Verwaltung zu verschiedenen Zwecken. Der linke Flügel, welcher nicht mit den übrigen Abtheilungen durch Thüren von innen ver bunden war, wurde von der Gerichtsbehörde des Kreises benutzt; in diesem Theile des düsteren, un freundlichen Hauses befanden sich auch die Zellen für Untersuchungs-Gefangene. Die mittlere Abtheilung, von der man auch von innen zu dem rechten Flügel gelangen konnte, nahm diejenigen Sträflinge auf, welche wegen leichterer Vergehen verurtheill worden waren. In den Abtheilungen des rechten Flügels befanden sich ausschließlich gefährliche, rückfällige Ge fangene. Eine Gefängniß-Zelle bietet an sich sehr wenig, oder besser garnichts, worauf das Auge lange weilen möchte. Wie viele Seufzer von sckuldloS Verhafte ten mögen hier, in der linken Abtheilung, wohl schon durch die vergitterten Fenster zum Sternenhimmel aufgestiegen sein, aber auch wie mancher grinimige Fluch Derjenigen, die in wilder Wuth sich der Ohn macht gegen die Gerechtigkeit bewußt wurden, mag an den kahlen Wänden verhallt sein! In einer Zelle, welche sich von den anderen durch einen gewissen Comfort unterscheidet, finden wir Bäu mer tief brütend an einem Tische sitzen. Vor ihm steht die Mittagskost, doch trotzdem sie schon fast eine halbe Stunde vor ihm gestanden hat und bald er kaltet sein wird, ist sie noch unberührt. Soeben tritt der Gerichtsdiener, der zugleich Wärter und Koch ist, ein. Sein Auge ruht voll Theilnahme auf dem unglücklichen jungen Mann. Wie oft hatte dieser einige freundliche Worte für ihn gehabt, wenn er die Postsachen für die Gerichts behörde abholte, wie oft hatte er ihm, dem alten Mann, Gefälligkeiten aller Art erwiesen! Der alte Gerichtsdiener, der während seiner Dienstzeit schon manchen Verbrecher eingeschlossen hatte, sagte sich gestern Abend, als ihm Bäumer überliefert wurde: Wenn Der ein Verbrecher ist, dann muß cs schon weit bergab mit der ehrlichen Menschheit gegangen sein. Sieht dieser wie ein Verbrecher aus? Nein, gewiß nicht! Bäumer richtet sich auf und starrt den alten Be amten wie geistesabwesend an. Dieser bittet ihn, doch nnn endlich etwas zu genießen, nnd spricht dann weiter ihm zu, Muth zu fassen, er wolle ihm auch jede Erleichterung, die er ihm bieten könne, gern ver schaffen. Dann erlaubt er sich die Frage, was denn der Herr Justizrath vorhin im Verhör über seine An schuldigung wegen der Beraubung des Briefes ge sagt habe und ob er nun bald wieder auf freien Fuß gesetzt werden würde. „Was der Herr Justizrath gesagt hat!" braust der Verhaftete auf. „Nichts! Gar nichts! Er hat mich nur nach dem Verbleib des gestohlenen Geldes gefragt. Meine wahrheitsgetreuen Antworten wurden einfach nicht geglaubt . . . Vernunft gilt einfach -nichts, Beweise, sagte der Justizrath, sind gegen Sie, Beweise sprechen für Ihre That, schrie mir der In spektor in die Ohren ... o, es ist um toll zu werden .... Was stehen Sie da? ... Sie sind auch ein Werkzeug in den Händen jener Menschenklasse, die nur nach dem todten Buchstaben richtet. . . Gehen Sic! Ich will kein Mitleid von Ihnen, ich will von Keinem bemitleidet werde». Mein ehrlicher Name ist verloren, was bleibt mir da noch übrig, als das er bärmliche Leben ohne ihn zu beschließen!" Erschöpft ließ der junge Mann sich auf einen Stuhl nieder. Der alte Schließer trat auf ihn zu und sagte treuherzig: „Herr Sekretär, Sie sind augenblicklich sehr erregt, deshalb gehe ich. Und nun essen Sie etwas. Sehen Sie hin, ob das Gefangnenkost ist, wie Sie eben sagten." Dann entfernte er sich. Dem alten Manne war wirklich unrecht geschehen. Er hatte selbst aus dem Gasthofe, in dem Bäumer sonst speiste, die gut zubereiteten Speisen geholt. Als Bäumer ruhiger geworden war, dachte er über seine augenblickliche Lage noch ein Mal nach. Wie war das Unglück doch so plötzlich über ihn her eingebrochen ? Gestern noch um dieselbe Zeit in Ge sellschaft lieber Menschen und Freunde, und heute als Verbrecher verdächtigt im Gefängniß! Wie er sein Gehirn auch anstrengte, um klar in der Sache zu sehen, gar nichts wollte ihm einfaüen. Wer war der Elende, der ihm das angcthan? War es der Absender des Briefes selbst? War es der Ueber- bringer desselben zur Post? War es ein College, oder war es endlich der Empfänger? . . . O, wenn er nur die Verhandlungen des Vorfalls vor sich liegen hätte, dann sollte es ihm schon gelingen, den Schurken zu ermitteln. Vergebliche Mühe, armer Mann, es nützte Dir auch nichts, die Fäden der Jn- trigue sind viel zu fein gesponnen. , VIH. Die nächsten beiden Tagen nach der Verhaftung Bäumers hatten Droop und Linde noch keinen Schritt ihrem Ziele, der vorläufigen Haftentlassung des Freun des, näher gebracht. Beide waren zur verabredeten Zeit zum Untersuchungs-Richter geeilt, um ihm jede verlangte Summe als Caution für des Freundes Frei lassung e.nzubieten, allein vergebens. Der Richter war ungehalten darüber, daß man die Untersuchungsakten, anstatt sie ihm zu übergeben, an die vorgesetzte Post behörde abgesandt hatte. Er könne, so sagte er, doch unmöglich den Verhafteten, ohne die Akten zu kennen, auf freien Fuß setzen. Im Posthause habe er sogar erst vor dem ersten Verhör mit Bäumer Erkundigungen über den Fall einziehen müssen; diese hätten ihn natür lich nicht genügend über denselben belehren können. Man müßte sich einstweilen gedulden. Am Morgen des dritten Tages nach dem Vorfälle war nun Linde zum Absender des vcrhängnißvollen Briefes, dem Kaufmann Adens, gegangen, um von diesem den Hergang bei der Versendung des Briefes zu erfahre» und auch gleichzeitig die Person, welche denselben der Post übergeben hatte, kennen zu lernen. Der freundliche Handelsherr war ihm bereitwilligst entgcgengekommcn, so daß er hier wenigstens etwas Klarheit in der Sache sich verschafft hatte. Ein Ver- zcichniß der Nummern der gestohlenen Banknoten hatte jener ihm beim Fortgehen noch auSgehändigt. Auf Linde'S Frage, ob außer dem Buchhalter noch Jemand in seinem Geschäfte im Besitze der Nummern der Scheine sei, antwortete Adens verneinend. Da zufällig der Buchhalter eintrat, so bat Linde beide Herren, jenes Nummer-Vcrzeichniß sorgsam zu hüten, namentlich Frank gegenüber. (Fortsetzung folgt.)