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Beilage m Rr. 26 des „Amts- und Ameigeblattes". Eibcnstvlk, den 28. Februar 1891. Ein verhängnißvoller Schnitt. Criminal-Erzählung aus dcm Postlebcn von Th. Schmidt. (S. Fortsetzung.) Bewegt sprang Baumer auf uuv drückte den alten Herrn an seine Brust; dann sagte er: „Herr Droop, Sie sind ein Ehrenmann, und wenn ich das Glück genießen könnte, aus solchen Händen Ihr Kleinod, Ihre Tochter, zu empfangen, dann gelobe ich hier, mich eines solchen Geschenkes würdig zu zeige»!" Droop lächelte. „Hm, ja . . . aber daö geht nicht so schnell . . . da muß ich auch mciue Frau frage» ... ich habe die Entscheidung schon vorhin in ihre Hände gelegt." Jetzt ging er schnell zur Thür und rief: „Emilie! Wo steckst Du denn? Komm doch herein!" Nachdem die Gerufene eingetreten war und dem jungen Manne freundlich zugelüchelt hatte, redete Droop sie an: „Emilie, auch dies Mal sollst Du recht behalten; Herr Bünmer erweist nns die Ehre, um die Haud unseres Kindes anzuhaltcn. Ich glaube, der Herr hat sie sich thcuer erkaufen müssen, deshalb sage ich: Ja!" „Und ich auch!" fügte die glückliche Mutter hinzu. „Möge» Sie recht glücklich werden!" Bäumer hatte während dieser Scene mit leuchten den, glückstrahlenden Augen oft nach der Thür ge sehen, was von der Dame des Hauses wohl bemerkt worden war. Schnell öffnete sie daher jene, und herein flog roth vor Freude in holder Schani das glückliche Mädchen, sich zuerst au die Brust der ge liebten Eltern, dann an diejenige des Geliebten werfend. „Tina! Gläser her! Vom Besten! Du weißt ja, wo er zu finden ist!" rief der glückliche Vater zur Thür hinaus. Der Wein wurde gebracht und bald klangen die Gläser aneinander. Ganz leise öffnete sich die Thür und der joviale Doktor erschien in derselben. „Da geht es ja hoch her!" rief er. „Sie finden hier allerdings keine Patienten", er widerte Droop, „dafür aber ein Paar recht dankbare Clienten." „Das geht ja mit Extrapost, Herr Bäumer!" lachte der Doktor. „Vor einigen Stunden Pessimist und jetzt in Hymens Fesseln. . . na, solche Medici» hat ein Sohn Acsculap's allerdings nicht zu ver ordnen . . . nicht wahr, Jungfer Braut?" Und dainit zwinkerte er ihr mit den kleinen Augen vergnügt zu. „Gratulire! Gratulirc!" Die glückliche kleine Gesellschaft, zu der sich auch Linde nebst Frau gesellte, blieb noch lange vergnügt bei einander. Ani nächsten Tage stand in dem Jntelligcnzblatte von D. die Verlobung der beiden jungen Leute und beschäftigte das liebe Publikum natürlich auf das Lebhafteste. VI. Das Erste, was Bäumer nach der Verlobung that, war, daß er seiner Mutter und Schwester einen langen Brief schrieb. In diesem theilte er den Lieben ausführlich mit, ans wie seltsame Weise er die Braut kennen gelernt; auch von seinen demnächstigen Schwie gereltern theilte er das uns bereits Bekannte mit. Eine wohl getroffene Photographie der Geliebten legte er dem Schreiben bei. Nach einigen Tagen antwortete die Mutter, daß sie und auch die Schwester mit seiner Wahl sehr zufrieden seien und nichts sehn licher wünschten, als die persönliche Bekanntschaft der jungen hübschen Dame zu machen. Aus allen Richt ungen liefen daun Glückwunschbriefe und Telegramme ein, auch aus der Stadt selbst waren einige Glück wunschadressen an Bäumer sowohl als auch an die Familie Droop aufgegeben, was dieser eine rechte Freude machte. In recht formeller Weise entledigte sich der Vor gesetzte des jungen Beamten seiner gesellschaftlichen Pflicht. Kein scherzendes oder liebenswürdiges Wort begleitete den mündlich im Dienstzimmer ausgespro chenen Glückwunsch desselben. Jndcß vermochte dieser erste Schatten, der auf das Glück des jungen Mannes fiel, Bäumer nicht lange zu verstimmen; er wußte sich frei von der Ursache des Mißtons, der sich zwi schen ihm und dem Postdirektor bemerkbar gemacht hatte. Ja, oft hatte er im Stillen Gott gedankt, daß es so und nicht anders gekommen war. Er hatte das herzlose Wesen der Tochter seines Chefs noch recht zeitig durchschaut. Begegnete man sich einmal, dann grüßte der junge Mann artig, aber zurückhaltend. Gleich darauf mußte er denn lächeln über den ab stoßend kalten Gegengruß .... O, sie verstand es meisterhaft, sich unnahbar zu machen. Wir müssen nun noch eines Verwandten des jungen Mannes gedenken, der in der weiter vor schreitenden Erzählung eine bedeutende Rolle spielen wird: Major a. D. Bäumer. Derselbe stand in den besten Mannesjahren und war unverheirathet. Vom Schicksal mit Glücksgütern reich ausgestattet, liebte er dreierlei, und zwar erstens seinen 'Neffen Hermann, der dies am besten wußte, zweitens seine Pfeifen, von denen er eine ganze Muster-Sammlung besaß, und drittens eine Parthie Skat, das er zum Aerger seiner Freunde meisterhaft spielte. Auf den Brief, in wel chem Hermann ihm seine Werbung mitgetheilt, hatte er dem jungen Manne folgende Antwort gesandt: „Hermann, Junge! Wo schwenkst Du hin? Bist verlobt! Kanin für möglich zu halten! Lrxo Warn ungen Lor Weiber in Wind geschlagen. Oft gesagt: taugen Alle nichts! Verstehst Du wohl? Hab's er fahren. Nützt aber doch nichts, heute verliebten Narren abzurathen, geht morgen doch auf Leim wie ein Gimpel. Müßte eigentlich «tunte psäe reisen und verdrehten Kopf wieder zurecht setzen. Sapper lot, geht verteufelt schlecht! Rheuma läßt nicht fort. Bin halb in Baumwolle eiugepackt. Scheint eine Hexe, Dein Madel. Hat wohl bezaubert, he! Was sagt mu ollürs Schwägerin, Deine Mutter, dazu, he? Kann denke»: in Thränen, großartige Rührung, recht bald Hochzeit machen, damit alte Wiegenlieder wieder cinstudirt, an Mann gebracht werde», kuiulk ä'Iiou- »8ur, ist doch ein Blitzmädel, echte Nasse, könnte alten Junggesellen auch noch den Kopf verdrehen. Kann denken, wie's angefangen hat. Kenne das ans Er fahrung. Schwiegerpapa ckito Mama scheinen nach Bildern respektable Leute. Sehen distinguirt aus. Jetzt Geld nöthig, he? Mußt standesgemäß Dich zeigen gegen vermögende Eltern von Braut. Nichts spare», alter Onkel hält viel auf Dich. Einlage für Geschenk an kleine Hexe. Keine Fisematenten. An genommen, basta! Auf Hochzeit hoffe mit Frau Schwiegermama Polonaise zu tanzen, deshalb warten, bis Rheuma los bin. Wenn Examen bestanden, ver setzen lassen nach hier. Ist nichts dort im kleinen Orte. Man hat Dich bei mir anschwärzen wollen. Brief in Ofen gewandert. Bald wieder von sich hören lassen. Schließe mit Gratulation. Dein Onkel P. Bäumer." Diese Zeilen werden gezeigt haben, daß Onkel Paul's Herz sich gegen die bekannten Pfeile gefeit hatte. Nur mit seinem Reffen und einigen Kameraden, welche mit ihm zusammen gedient hatten, unterhielt der Sonderling einen freundschaftlichen Verkehr, sonst mit Niemandem. Bis zu einem gewissen Grade war er Menschenfeind. Es war daher schwer, mit ihin umzugehen, besonders dann, wenn er von seinen periodisch wiederkehrcnden rheumatischen Anfällen hcimgesucht war. Trotz alledem hatte er zu seinem Neffen eine grenzenlose Zuneigung, welche sich noch steigerte, als dieser aus vcm Feldzug 1870 mit dem „Eisernen Kreuz" als Reserveoffizier heimkehrte. Im Feldzug der sechziger Jahre am Bein schwer verwundet, hatte der Onkel nach Beendigung desselben soiiien Ab schied deswegen nehmen müssen, war jedoch vor Nahrungssorgen durch eine ihm von seinem Landes fürsten gut gewährte Pension, sowie durch eine spätere Dotation desselben geschützt. Mit seinem verstorbenen Bruder, dem Pfarrer, hatte er sich schon seit Jahren überworfen. Nichtsdestoweniger näherte er sich, als der Bruder Plötzlich starb, der Wittwe wieder. Man nahm ihn freundlich auf, die Schwägerin wies jedoch sein Anerbieten, ihr mit Unterstützungen in ihrer fast hülflosen Lage aushelfen zu dürfen, artig, aber ent schieden zurück. Auch sein 'Neffe Hermanu dankte für die ihm zum »'eiteren Studium »ach dem Tode des Vaters angebotenen Geldmittel. Der junge Mann wollte selbst für sich und die Seinen sorgen. Um aber den Onkel nicht ganz wieder seiner Familie zu cutfremden, bat er ihn, der Mutter durch sciue Ver mittelung von Zeit zu Zeit eine kleine Summe zu kommen zu lasser.. Jener willigte ein und sandte denn auch au den Neffen ganz discret das Gewünschte. Aus dieser Quelle stammten mithin die Unterstützungen, welche der jnnge Postbeamte seiner Mutter oft zu kommen ließ. Daß Bäumer, wie wir im Anfänge unserer Ge schichte gehört haben, Schulden haben sollte, war in soweit nicht richtig, als er seiner Braut einen sehr kostbaren Schmuck kurz nach der Verlobung mit ihr schenkte und diesen erst nach sechs Wochen beim Ju welier bezahlte. Daß er den Betrag nicht sofort ent richtete, daran war jedoch nicht er schuld, denn der Verkäufer hatte einen Schmuck nach Angaben des Auftraggebers «»gefertigt, der allerdings nur die Hälfte des Preises des besseren Schmuckes kostete, aber nicht nach Wunsch und Geschmack des Käufers ausgefallen war. Man hatte daher dem jungen Manne, der durch die schlechte Ausführung seines Auf trages in Verlegenheit war, geradezu den besseren, aber theuerern Schmuck aufgedrängt mit der bestimmt ausgesprochenen Absicht, den Betrag ihm ein Jahr lang gern zu creditiren. Es war Bäumer jedoch möglich, die Schuld schon nach sechs Wochen abzu tragen und zwar mit der vom Onkel übersandten „Einlage für Geschenk an kleine Hexe". Weiteren Credit hatte Bäumer a« keiner Stelle beansprucht. Vier Wochen nach der Verlobung im Juni ge leitete der junge Mann seine Braut und deren Mutter zu seinen Angehörigen nach K., wo beide mit großer Freude aufgenommen wurden. Wie inan es nicht anders von dem liebenswür digen Mädchen erwarten konnte, war sie bald der Mutter uuv Schwester ihres Verlobten unentbehrlich geworden. Sie verstand es ja vortrefflich, Licht und Freude um sich her zu verbreiten. Während man sich in K. amüsirte, arbeitete der junge Mann fleißig in B. an seinen Examenarbeiten. Im August traf er wieder mit der Braut in deren Elternhause ein. Eine Reihe schöner Tage verfloß den jungen Leuten in der Gesellschaft von Freunden. Man befand sich jetzt in den ersten Tagen des September. Noch einen kleinen Ausflug wollte die Braut in Gesellschaft des Bräutigams und der Eltern unternehmen, dann aber, da Bäumer noch einmal auf vier Wochen nach B. verreisen mußte, sollten Zurüstungen zu den im De zember verabredeten Bermählungsfeierlichkeiten ge troffen werden. Bäumer hatte den Dezember des halb zur Hochzeit gewünscht, weil er hoffte, bis dahin sein Examen bestanden zu haben, wo er dann auch um Versetzung nach Berlin, wo Onkel Paul wohnte und von wo aus er seine Mutter mit der Bahn in einer Stunde erreichen konnte, nachsuchen wollte. Am Morgen des siebenten Septeniber rollte dann auch ein schmucker Wagen, von zwei prächtigen Rappen gezogen, aus dem Thor des Städtchens D. auf der Landstraße nach dcm Badeorte B. zu. Man traf hier gegen Mittag ein, besuchte dann eine vielbewundcrtc Ruine, besichtigte den schönen Park und dinirte in recht heiterer Stimmung an der Table d'höte, um vier Uhr fuhr die Gesellschaft Weiler, jedoch nicht des Weges nach D., sondern sie wählte den fast entgegen gesetzten Weg, weil inan die Absicht hatte, noch einige Bekannte, welche eine Stunde hinter B. wohnten, aufzusuchen. H^r wurde unsere Gesellschaft sehr lange festgchalten, so daß sie erst um neun ein halb Uhr Abends D. wieder erreichte. Vor dem Hause Droop's stieg man aus. Der junge Mann verab schiedete sich unter Lachen und Scherzen von seiner Braut und versprach dieser, sich am andern Morgen uni neun vor Beginn seines Dienstes nach ihrem Befinden zu erkundigen. Der jetzt noch so frisch und freudig ins Leben schauende junge Mann ahnte noch nicht, daß die nächste Stunde ihn von der Höhe der Glückseligkeit hinunter stoßen würde in Schmach und Schande. Ein Liedchen trällernd erreichte er seine Wohnung. Bor der Thür seines Zimmers bemerkte er den Unter beamten Weise. Dieser, sonst ein mit trockenem Humor ausgestatteter Mann, der überall da, wo er sie nur aubringen konnte, seine Witze machte, stand da als wäre er von Stein. „Jia, Weise, was verschafft mir denn die Ehre Ihres späten Besuches?" redete Bäumer ihn zutrau lich au. „Ist etwas in Ihrer Familie vorgefallen?" bemerkte er weiter mit feinem Lächeln. „Wenn ?s das ist, so treten Sie nur ein und erzählen Sie! Im Voraus will ich Ihnen versprechen, mich, wie da mals, für Sie zu verwenden. Wissen Sie wohl noch, cs war am späten Christabend und Sie überraschten mich mit dem famosen Impromptu ... wie heißt es doch gleich? . . . richtig, das war's: Wir waren Unserer sieben — wer hätte das gedacht — daß es nicht dabei geblieben — Christkindchen hat 'nen achten gebracht." Er sagte dies in scherzendem Ton, ohne Weise, der nach ihm eingetrcten und bescheiden an der Thür stehen geblieben war, anzusehen. Dann legte er den Ueberrock ab, ging zum nahen Schrank, füllte schnell zwei Gläser und reichte eins derselben dem noch immer steif dastehenden Untergebenen. Dieser nahm das Glas, setzte es aber, ohne es mit den Lippen zu berühren, seitwärts auf einen Tisch. „Herr Sekretär", sagte er, „wenn eS nur das wieder wäre, was mich zu Ihnen führt, dann ließe sich wohl noch ein Gläschen leeren . . jetzt bringe ich es nicht hinunter." „Sie machen mich ja recht neugierig! Was ist denn, was Sie mir zu sagen haben?" „O", gab Weise verlegen zur Antwort, „das darf ich Ihnen ja auch nicht einmal sagen, wie ich es möchte... der Herr Vorsteher hat es mir ausdrück lich verboten. Ich soll nur sagen, daß der Herr In spektor Sie noch heute Abend sofort sprechen will..." „Der Inspektor!" fragte Bäumer auf's Höchste erstaunt. „Ist denn der hier? Und was könnte er denn noch von mir wollen?" „Ja, seit heute Nachmittag ist er da und ..." „Nun? Und was denn weiter?"