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Beilage m Ar. 23 des „Amts- und Aiyeigeblattes". Eibenstock, den 21. Februar 1891. Ein verhängnißvoller Schnitt. Kriminal-Erzählung aus dem Postleben von Th. Schmidt. (4. Fortsetzung.) V. Am Abend dieses ereignißvollen Tages begab sich der junge Mann in das Haus des Rentiers Droop. Er traf ihn auf dem Hausflur. Mit freundlichem Händedruck bat ihn Droop, sich mit ihm in das nächste Zimmer zu begeben. Hier trat er auf Bäumer zu mit den Worten: „Ich weiß bereits von Bertha, daß Sie uns des Glückes würdig halten. Sie Sohn nennen zu dürfen. Hierfür sind wir Ihnen im Interesse Bertha's, die schon lange eine stille Neigung für ihren Retter zeigte, ganz besonderen Dank schuldig, den ich hiermit in unser aller Namen aussprechen möchte." Bäumer wollte antworten, aber der alte Mann ließ ihn nicht zu Worte kommen, sondern redete weiter: „Ich war vorhin schon in Ihrer Wohnung, um mit Ihnen über hier im Orte gegen Sie sowohl als gegen mich und meine Familie verbreitete Gerüchte zu sprechen, die seit dem Tage, an welchem Sie unser Kind rettete», der ganzen Stadt Stoff zur Unterhal tung gegeben zu haben scheinen." „Ich weiß, ich weiß, Herr Droop", entgegnete Bäumer, „und da man es nicht vermocht hat, mein Interesse für Ihre werthe Familie erkalten zu machen, so würden Sie mir eine Freude bereiten, wenn Sie dieses Thema fallen ließen." Der alte Alaun schüttelte wehmüthig lächelnd das Haupt. „Nein, nein", sprach er, „ich kann leider nicht auf Ihren Wunsch eingehen, Herr Bäumer, weil mein ehrlicher Name durch jene Gerüchte befleckt ist. Ich halte es vielmehr für durchaus erforderlich, bevor Sie den ernsten Schritt thun, Ihnen Erklärungen über mich und die Meinigen zu geben, damit Sie später nicht in die Lage kommen, eine Verbindung mit meinem Hause zu bereuen .... Wenden Sie nicht ein, daß dies unnöthig sei", fuhr er fort, als er sah, daß Bäumer ihn ungeduldig unterbrechen wollte. „Ich werde mich möglichst kurz fassen." Droop begann dann zu erzählen: „Ich bin hier in D. als der Sohn eines Schlossers geboren. Meine Eltern waren schlichte ehrliche Leute, welche mich dasselbe Handwerk erlernen ließen. Nach dem ich meine vier Lehrjahre beendet, trat ich mit nach damaligen Begriffen guter Schulbildung in eine Maschinenwerkstatt ein. In dieser verblieb ich weitere vier Jahre bis zum Tode meiner Mutter. 'Nachdem ich einige Jahre in anderen technischen Anstalten, vor zugsweise zur Aneignung der in das Maschinenwesen einschlagende» Kenntnisse mich beschäftigt — es wurde mir dies leicht, da mein in Amerika lebender, gut situirter Bruder mir Geldunterstützungen zukomnien ließ — bot mir der Besitzer jener Maschinenwerkstatt die Oberaufsicht über den gesammten Betrieb der selben an. Die Annahme dieser Stelle sollte später mein Glück werden. Ich war kaum ein Jahr in der Fabrik thätig, als ich eines Tages an das Sterbebett meines Vaters gerufen wurde. Von demselben er fuhr ich nun den Grund seiner plötzlichen Erkrank ung. Was ich Ihnen jetzt erzähle, Herr Bäumer, sind die Worte eines ManncS, der schlecht und recht sich durch'« Leben gekämpft hat; sie dürften daher wohl aus Wahrheit und Glauben Anspruch machen. Mein sterbender Vater erzählte mir: Von der Re gierung in B. war derzeit der Bau eines Gefangenen hauses hier angeordnet.- Mit der Ausführung des selben war der noch jetzt hier ansässige, Ihnen ja auch bekannte Bauunternehmer Ring, ein damals noch junger, aber vermögender Mann, beauftragt. Da der hiesige Landrath die Arbeiten meines Vaters als die besten dieser Gegend kennen gelernt hatte, so wurde in dem mit Ring abgeschlossenen Vertrag aus drücklich bestimmt, daß sämmtliche in das Schlosser gewerbe einschjagenden Arbeiten von meinem Vater ausgeführt werden sollten. Nach einem Separatver- trage des Letzteren mit Ring sollte dieser meinem Vater die Summe von dreitausend Thalern zahlen, sobald der Bau beendet sei. Als dies geschehen war und die verschiedenen Handwerker ihre Bezahlung er hielten, glaubte Ring meinem Vater Abzüge machen zu müssen, angeblich wegen Nichtinnehaltung der be dingten Ablieferungsfristen, sowie wegen schlecht aus geführter Arbeit. Meinen Vater, dessen pünktliches und gewissenhaftes Arbeiten stets von Jedermann ge lobt worden, verdroß diese Handlungsweise; er pro- testirte daher gegen die Abzüge. Statt aller Ant wort zeigte Ring meinem verblüfften Vater den von diesem unterzeichneten Vertrag, nach welchem jener allerdings berechtigt war, falls gegen die Arbeiten Einwendungen zu machen seien, die Hälfte der Summe, also eintausend fünfhundert Thaler, zurückbehalten. Mein Vater wird den betreffenden Paragraphen gar nicht gelesen oder, wenn es doch der Fall gewesen, demselben bei seinem redlichen Charakter keine beson dere Bedeutung beigelegt haben. Genug, cs kam zwischen den beiden Männern zu einem heftigen Wortwechsel, der damit endete, daß Ring meinem Vater eröffnete, daß er seine auf dem Hause meiner Eltern lastende Hypothek im Betrage von fünftausend Thalern wegen des von meinem Vater provocirten Streites kündige. Mein Vater, der sich durch die Uebernahme der genannten Arbeiten in Geldverlegen heit befand, lenkte ein und bemerkte dem Biedermann, daß er sich wohl einen Abzug von einigen Hundert Thalern gefallen lassen wolle, es läge ihm auch daran, die Angelegenheit in Frieden auszugleichen,- allein jener wollte sich auf nichts einlassen, worauf dann mein Vater mit der Drohung die Sache vom Ge richt entscheiden zu lassen, das Haus des Betrügers verließ. Der zu Rathe gezogene Rechtsconsulent meinte, es ließe sich da wenig thun. Ein Prozeß würde wahrscheinlich zn Gunsten Ring's ansfallen. denn diesem wäre es jedenfalls möglich, durch Sach verständige eine kleine Unregelmäßigkeit in der Liefer ungszeit, sowie unbedeutende Mängel in der Arbeit meines Vaters nachzuweisen. Am besten wäre cs, wenn man noch einmal den Versuch machte, Ring zu etwas günstigere» Bedingungen zu vermögen. Schein bar wäre letzterer ja auch im Recht, da nach einer weitern Clausel des Contractes mein Vater auf alle Gegenreden gegen etwaige von Ring für angemessen gehaltene Kürzungen der Summe von vornherein ver zichtet habe. Hiermit war die Angelegenheit für den Angenblick erledigt. Ain Tage nach dem Auftritt er krankte mein Vater an einem heftigen Nervenfiebcr. Als ich an sein Bett trat, vermochte er mir diesen Vorfall nur noch mit schwacher Stimme zu erzählen, dann umnachtetc sich sein Geist und ich drückte nach einigen Tagen dem besten der Väter die Angen zu. Jener Auftritt hatte ihm den Todesstoß gegeben." „Unerhört" sagte Bäumer. „Und was thaten Sie gegen diesen Vampyr?" „Ich begab mich", fuhr Droop fort, „in die Wohnung des Mannes, der Schuld au dem Tode meines Vaters war und nannte ihn einen ehrlosen Menschen, einen Betrüger, der sich durch den Schweiß Anderer bereichere. Er antwortete mir höhnisch, ich solle mich doch an das Gericht wenden, an das auch er sich wegen der ihm zugefügten Beleidigungen wen den würde. Aufgeregt wie ich war, versetzte ich dem Elenden einen Schlag in's Gesicht und verließ dann sein Haus . . . 'Nachdem mein Blut ruhiger ge worden war, übertrug ich einem Rechtsanwalt die Realisirung der Hinterlassenschaft des Verstorbenen, und reiste wieder nach B. ab. Kurze Zeit nach diesen Vorfällen erhielt ich von dem Rechtsanwalt die Mittheilung, daß seine Anstrengungen, Ring zur Herausgabe der ganzen Summe zu vermögen, frucht los gewesen seien, er riethe mir daher, die eintausend fünfhundert Thaler anzunehmen. Ich nahm sie denn schließlich an. Meines Vaters Haus wurde dann verkauft und aus dem Erlöse desselben zunächst die Gläubiger befriedigt. Den Ueberschnß, nebst jener Summe von Ring, zusammen etwa fünftausend Thaler, übersandte mir das Gericht mit der Bemerkung, daß mein in Amerika weilender Bruder auf seinen An- theil an der Hinterlassenschaft, laut Cessionsurkunde desselben, zu meinen Gunsten verzichtete. Von einem Freunde erfuhr ich, daß der Käufer meines Eltern hauses Ring sei. Eine Privatklagc wegen Beleidig ung hatte der Feigling gegen mich nicht erhoben. Da ich mich von den Vorgängen in meiner Vater stadt von Zeit zu Zeit unterrichten ließ, so erfuhr ich denn auch nach einigen Jahren, daß Ring's Ver- mögensvcrhältnisse trotz seines rücksichtslosen Schachers ihn zwangen, seine Grundstücke nach einander zu ver äußern. Durch meinen früheren Anwalt hier ließ ich das Besitzthum meiner Eltern, ohne daß Ring den Namen des eigentlichen Käufers erfuhr, zurück kaufen. DaS auf unehrliche Weise erworbene Geld hat demnach dem Manne keinen Segen gebracht. Für seine betrügerischen Thaten ist er hart vom Schicksal bestraft. Sein eigener Sohn ist ein mißrathener Sprosse geworden. Er selbst ist durch den Sturz von einem Baugerüste an einer Seite gelähmt. Ver mögen besitzt er augenblicklich nicht mehr, er lebt vielmehr von einer sehr kleinen Summe, welche ein vermögender Verwandter für ihn ausgesetzt hat . . . Meine Stellung in der Fabrik in B. war indessen eine recht schwierige. Ich hatte nicht nur das ganze Heer der Arbeiter zu überwachen, sondern auch die Kasse und die Bücher zu führen, da mein Chef, ein Mann in den dreißiger Jahren, lungenkrank und da durch verhindert war, sich eingehend mit diesen Ar beiten zu befassen. Nach kurzer Zeit war ich jedoch mit den einzelnen Geschäftszweigen des Etablissements vertraut. Diese Kenntniß machte mir alsbald klar, daß die Fabrik sich in einer ganz bedenklichen Lage befinde. Ich verschaffte mir, ohne Jemandem etwas merken zu lassen, eine Uebersicht der Activ- und Passiv masse des Geschäftes; diese ergab, daß man schon seit Jahren mit Unterbilanz arbeitete. „Dem Chef, der dies ja auch wissen mußte, machte ich vor der Hand von meiner Entdeckung keine Mit theilung, um sein Ende, das nur noch eine Frage der Zeit zu sein schien, nicht dadurch zu beschleunigen. Er war überdies schuldlos an der Calamität des Ge schäftes. Sein Ende trat schneller ein als ich ge glaubt. Eines Morgens wurde ich aus der Fabrik in sei» Wohnhaus gerufen. Ich fand ihn, von seiner Frau und den« Arzt umgeben, mit dem Tode ringend, in seinem Schlafzimmer. Er drückte mir die Hand und bat mich mit einem mir nur verständlichen Blick auf seine Frau, ich möchte im Geschäft bleiben und mich seiner theuren Gattin annehmen. Nach einer halben Stunde hatte ihn der Tod von seinen Leiden erlöst. Ich tröstete die meinem Schutze anvertraute Wittwe; dann »ahm ich mir vor. Alles aufzubieten, um den bevorstehende» Ruin der Fabrik zu verhüten. Ans die Hülfe der Verwandten des Verstorbenen und der Wittwe war, wie ich mich bald überzeugte, hier bei nicht zu rechnen. Der noch lebende Bruder des Ersteren war Offizier und hatte als solcher mit seiner zahlreichen Familie kaum sein dürftiges Auskommen. Der Vater der jungen Wittwe, ein höherer Beamter, hatte selbst kein Vermögen. Die Lage der Hinter lassenen war unter diesen Umständen eine recht be mitleidenswürdige. Die Gläubiger drängten von allen Seiten. Bisher hatte ich durch Mittheilungcn an diese cs verhindert, daß sie mit Anträgen wegen Er stattung ihrer Forderungen sich an die trauernde Wittwe wandten. Mit meinen Ersparnissen lind dem Erbe meiner Eltern befriedigte ich zunächst die drin gendsten Gläubiger. Allein was wollte dies sagen gegen einen Passiv-Bestand der Fabrik von fünfzig tausend Thalern! Die mißliche Lage des Geschäftes blieb denn anch der Wittwe nicht unbekannt. Eines Tages ließ sie mich zu sich bitten. Sie zeigte mir eine Aufstellung ihres verstorbenen Mannes, welche er kurz vor seinem Tode angefertigt und die sie unter seinen Papieren gefunden hatte. Hiernach sollte die Fabrik mit obiger Summe verschuldet sein. Ich bat die schwergedrückte Frau, mir das Papier zu über geben, wobei ich bemerkte, daß die Angaben in dem selben wohl auf einen Jrrthum beruhen würden. Sie war jedoch nicht zu überzeugen, umsomehr nicht, da sich auch einige Gläubiger, entgegen meiner Bitte, wegen ihrer Forderungen direct an sie gewendet hatten. Ich mußte auf ihr Drängen schließlich die ganze nackte Wahrheit gestehen, und dann beschwor ich sie, sich nicht allzusehr aufzuregcn wenn sie Vertrauen zu mir hätte, dann wollte ich es übernehmen, das Unglück von ihrem Hause abzuwendcn, die ärgsten Schreier unter den Gläubigern wären ja schon be friedigt. Es gelang mir endlich, sie zu beruhigen. Mein rastloses Arbeiten ward vom Glück begünstigt. Ich hatte schon seit einigen Jahren an einer Ver besserung in der Construktion von Dampfmaschinen gearbeitet, welche mir gerade in dieser Zeit gelang. Nach Prüfung meiner Erfindung durch eine Com mission wurde mir auf mein Ansuchen ein Patent auf dieselbe ertheilt. Leider konnte ich mich mit der Berwerthung desselben aus finanziellen Gründen nicht befassen, und da auch die meiner Leitung unterstellte Fabrik zur Nutzbarmachung desselben der technischen Einrichtungen entbehrte, so nahm ich das mir von einer Actiengcsellschaft für Maschinenbau gemachte An gebot von fünfundzwanzigtausend Thalern für meine Erfindung an. Mit diesem Capital befriedigte ich nun die ungeduldigsten Gläubiger und nahm mir be züglich der noch vorhandenen vor, die Forderungen derselben snccessive abzutragcn. Ich that dieses Alles einerseits in der festen lleberzeugung, daß mit der Zeit bei umsichtiger Leitung die Fabrik mir das ein gelegte Capital mit guten Zinsen werde zurückzahlen können, andererseits aber auch, um meine Pflicht gegen die Wittwe, deren verstorbener Mann mir mehr Freund als Brodherr war, zn erfüllen. Gottes Segen ruhte denn auch auf allen meinen Unternehmungen; ganz besonderen Erfolg hatte ich durch die Uebernahme einer bedeutenden Lieferung in Maschinen für eine fremde Regierung. Es war dies, wie ich mir damals nicht verhehlen konnte, eine — nennen wir es Spe kulation, deren Resultat Anfangs nicht abgesehen werden konnte. Doch sie gelang und machte das von mir geleitete Etablissement gewissermaßen berühmt. . . Jetzt endlich, nach fünf Jahren, konnten sämmtliche Schulden der Fabrik getilgt werden, ja nach gewissen hafter, von mir selbst aufgestellter Berechnung ergab sich noch ein ziemlich bedeutender Ueberschnß für die selbe. Hoch erfreut hierüber eilte ich zu meiner Brod- Herrin und legte ihr den günstigen Abschluß vor. Sie sah mich freudig lächelnd au, dann ergriff sie meine Hand und Worte des Dankes strömten über ihre Lippen. Ich hatte es ihr zu verheimlichen gesucht, daß ich selbst mein kleines Vermögen in das Geschäft einlegtc, sie mußte es aber durch den Buchhalter er-