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Amts- und Anzeigeblatt für den Erscheint , »e« « Abonnement -2L« «Mk des Amtsgmchts Lidenßeik ZAZ-- sertionSpreiS: die kleinsp. ten, sowie bei allen Reichs- Zeile 10 Pf und dessen Amaevuna. P-stanstalten VerantwoMcher Redakteur: E. Hannebohn in Eibenstock. »8. 18. Dienstag, den 10. Februar 18SL. Unsere politischen Zustände befinden sich gegenwärtig in einem Prozesse völliger Umbildung, wenngleich noch nicht in voller Klarheit die Richtung zu erkennen ist, welche der »neue Kurs" — man muß ja wohl von einem solchen sprechen — nimmt. Sowohl im Reichstage wie im preußischen Landtage nähern sich die parlamentarischen Arbeiten , ihrem Höhepunkte. Im Reichstage waren eS bei der EtatSberathung hauptsächlich die Kolonialangelegen heiten, welche ein hervorragendes Interesse boten. Herr v. Caprivi hat seinen nüchternen Standpunkt in Vieser Frage nicht verlassen und zugleich zur Recht fertigung desselben eine solche Fülle von Einzelheiten gebeten, daß damit auch ein größeres Theil von Sen- sationsbedürfniß, als unserer Zeit ohnehin eigen ist, hätte befriedigt werden können. Die Handelsverträge der einzelnen Staaten unter einander werden jetzt vielfach gekündigt. Dadurch er wächst auch der Reichsregierung eine Fülle von Arbeit, welche weder zu der politisch lohnenden noch besonders interessanten gehört. Es ist ungeheuer schwierig, wenn nicht vielleicht unmöglich, es allen Interessengruppen recht' zu machen; dahinzu tritt nun noch die besondere Erschwerung, daß die RegiernngSvertreter bei den Verhandlungen mit fremden Regierungen keineswegs vekretiren können: so und so soll eS gehalten werden, sonrern daß auch die Interessen des andern Theils mit allem Nachdruck den unseren entgegengestellt werden. Die sozialpolitisch wichtigste Vorlage des Reichs tages, diejenige betr. den Arbeiterschutz, ist jetzt für das Plenum verhandlungsreif. Es ist aber bekannt, wie sehr sich auch in diesem Punkte Interessen, An sichten und Bestrebungen theilen. Es war in diesen Tagen ein Jahr verflossen, seit durch die kaiserlichen Erlasse der eigentliche und nächste Anstoß für diese Gesetzgebung gegeben wurde, während das Schluß protokoll der internationalen Arbeiterschutz-Konfercnz die Grundlage schuf und gewissermaßen den Umfang der Verpflichtungen, welche die Regierungen für den Arbciterschutz auf sich nahmen, feststellte. Die deutsche Regierung ist diesen Verpflichtungen sorgsam und ge wissenhaft nachgekommcn und die Energie, mit wel cher der Minister für Handel und Gewerbe, Herr v. Berlepsch, alle einschlagenden Fragen in den Vor dergrund stellt, läßt an dem sehr entschiedenen Willen und Ernst, zu wirklichen Resultaten zu gelangen, nicht mehr zweifeln. Allerdings sind auch hier die Schwie rigkeiten, mit denen die Regierung auf zwei Seiten zu kämpfen hat, nicht außer acht zu lassen. Hoffent lich wird dieser Gesichtspunkt bei der Plenar-Debatte die gebührende Berücksichtigung finden. Die von vornherein unwahrscheinliche Nachricht, daß der Bnn- keSrath die Vorlage in ihrer jetzigen Fassung für un annehmbar erklärt habe, ist inzwischen amtlich demen- tirt worden. DaS hindert nicht, daß im BundeSrathe eine vorläufige Besprechung und ein Meinungsaus tausch über die Vorlage in ihrer jetzigen Gestalt statt gefunden hat, die ja ein gut Theil über die Grenzen binanSgeht, welche das Schlußprctokoll der Arbeiter- schntz-Konfercnz gesteckt hatte. Den großen Reformgesetzen für Preußen, die Ein kommen-, Gewerbe- und Erbschaftssteuer, die Landge meindeordnung und die Volksschulen betreffend, hat sich die Sperrgeldervorlage angeschloffen. Daneben ist die Frage einer Reform des höheren Unterrichts wesens in Preußen, Bayern u. Württemberg, zugleich aber auch in mehreren kleineren Staaten in Fluß ge kommen. Line weitere Reform ist bezüglich der Eisen bahntarife und besonders bezüglich des Personen- FahrgeldeS angebahnt worden, bei welcher die Schwie rigkeit angeblich darin bestehen soll, daß Preußen seine 4. Wagenklaffe nicht in Wegfall bringen/die süddeut schen Staaten eine solche nicht einführen wollen. Nach dieser Skizze sieht man, was alle» in der Umwandlung und im Werden ist und man bringt damit unwillkürlich die vielfachen Wechsel in den höheren StaatSbeamtenstellcn in Verbindung. Fast zu gleicher Zeit erfolgte der Sturz CriSpiS, die Ab schiedsbewilligung an den österreichischen Finanzmini- stcr DunajewSki und der Rücktritt des Grafen Walder- fee von der Leitung des Großen Generalstabs. Es bedeutet dies eine Systemänderung hier wie dort. In Italien lautet die neue Parole: Sparsamkeit, in Oesterreich Aussöhnung mit den Deutschen — aber was bedeutet sie in Deutschland? Man sträubt sich gegen die sich aufdrängende Vermuthung, daß dem Stellenwechsel im Großen Generalstabe persönliche Motive zu Grunde liegen, obwohl die Blätter allerhand diesbezügliche Anekdoten erzählen. Sachliche Motive aber — die doch wahr scheinlich allein vorliegen — sind nicht bekannt ge worden; eS ist daher auch kein Urtheil darüber mög lich, ob etwa auch der Rücktritt WalderseeS mit dem „neuen Kurs" zusammenhängt. Hagesgeschichle. — Deutschland. Der Kaiser hat den General- Lieutenant Grafen Alfred Schliessen, bisher Ober quartiermeister, zum Chef des Generalstabes der Armee ernannt. — Berlin. Die hier demnächst znsammen- tretende Kommission zur Untersuchung der Hand werkerfrage soll sich dem Vernehmen nach mit allen seit Jahren auf der parlamentarischen Tages ordnung stehenden Streitfragen beschäftigen, wie namentlich mit dem sogenannten Befähigungsnach weise, dem Hausirhandel, den Offiziers- und Be amtenvereinen, Arbeitsbüchern u. s. w. Es wird darauf Bedacht genommen werden, daß möglichst alle im Handwerkerstände vertretenen Richtungen hinzu gezogen werden, insbesondere auch die Anhänger und Gegner des JnnungswesenS. Der Kaiser, der sich für diese Angelegenheit sehr lebhaft interessirt, dürfte die Verhandlungen mit einer längeren Ansprache er öffnen, die vielleicht eine ähnliche Bedeutung gewinnen wird, wie die Kaiserliche Rede zur Eröffnung der Schulkonferenz. — Der Kaiser widmet sich den RcgierungSge- schäften mit einem Eifer, über den seine Umgebung nicht weniger erstaunt ist, als oie verschiedenen Ressort chefs. Alle Eingänge unterzieht der Monarch einer eingehenden Prüfung. Dabei tritt deutlich hervor, daß, wo eS immer angethan erscheint, der Kaiser bei seinen Entscheidungen sozialpolitische Gesichtspunkte in den Vordergrund stellt. Unter anderen, geht sein Bestreben auch dahin, sozialpolitische Rück sichten bei der Rechtsprechung immer mehr zur Geltung kommen zu lassen. Es verlautet von Fällen, in welchen der Kaiser in sehr nachdrücklicher Weise dagegen Einspruch erhoben hat, daß Strafen, die aus Unterlassungssünden bei Anwendung erforderlicher Schutzvorrichtungen bei Maschinen erfolgten, einfach .mit Geld abgemacht" werden. Ueberall will er zur Anerkennung gebracht wissen, daß der Werth eines Menschenlebens gleich geachtet werde, gleichviel ob e« sich um eines der wohlhabenden oder der ärmeren Klassen handelt. — General v. LeSzczynSki soll nach der Ham burger „Reform" vor einiger Zeit ein eigenhändiges Schreiben des Kaiser« erhalten haben, das sich über die intimen Beziehungen des Generals zum Fürsten Bismarck ausgesprochen habe. General v.Leszczynrki habe sich dadurch sofort veranlaßt gesehen, den Kaiser um seine Dienstentlassung zu bitten. — Nachdem soeben erst große militärische Personalveränderungen die öffentliche Meinung lebhaft beschäftigt haben, tauchen jetzt in verschiedenen Blättern Ankündigungen von Ministerwechseln in Preußen und im Reich auf. Der Rücktritt der Minister von Goßler und von Maybach, sowie des Reichsschatzsekretärs Freiherrn v. Maltzahn soll un mittelbar bcvorstehen. Ferner heißt eS, daß der Finanz minister vr. Miquel zum Vizepräsidenten de« preuß ischen StaatSministeriums und zum Vizekanzler des Reiches ernannt werden solle. Man hat es hierbei theils mit thatsächlichen Plänen der maßgebenden Stelle, theil« mit verfrühten Meldungen, zum Theil aber auch mit reinen Vermuthungen zu thun. Daß die Ernennung Miquel« zum Vizepräsidenten des preußischen Staatsministeriums in ernstliche Erwägung gezogen ist, wird untcrrichteterseitS bestätigt. Doch ist ein Beschluß in dieser Beziehung noch nicht gefaßt worden. Dagegen wird von derselben Seite in Ab rede gestellt, daß an die Wiederherstellung des Postens eines Vizekanzlers auch nur gedacht worden sei. Der Reichskanzler hat mehrere Stellvertreter, so nament lich auf dem wichtigen und ausgedehnten Gebiete der inneren Reichspolitik den sehr gewandten Staatssekre tär v. Boetticher, und damit ist allen bisher hervor getretenen Bedürfnissen vollauf Genüge geschehen. Daß der Reichsschatzsekretär Frhr. v. Maltzahn die längste Zeit im Amt gewesen ist, wird für ebenso zu treffend angesehen, wie die Annahme, daß der Rücktritt der Minister v. Goßler und v. Maybach eine Frage naher Zeit sei. Als ein Hauptgrund für den Rücktritt des CultnSminister v. Goßler muß man die angestrebte Um- gestrltung des höheren Schulwesens in Preußen anfllhren. In allen anderen Beziehungen ließe sich eine Verständigung leicht herbeiführen, hier aber handelt es sich nm eine so große Meinungsver schiedenheit, daß ein Ausgleich.je länger desto weniger möglich erscheint. Dem um das preußische StaatS- bahnwesen hochverdienten Eiscnbahnminister v. May bach sind seit einiger Zeit von zwei ganz verschiedenen Seiten her mächtige, einflußreiche Gegner erstanden. Die rheinisch-westfälischen Industriellen machen ihn für den während der jüngsten Frostzeiten wiederholt eingetretenen Eisenbahnwagenmaiigel verantwortlich und die maßgebenden militärischen Kreise ziehen aus diesen Beschwerden ihre eigenen Folgerungen. Sie sagen, wenn ziemlich regelmäßig eintretcnde und da her im Voraus zu berechnende Naturereignisse der artige große Betriebsstörungen Hervorrufen, wie würde e« erst bei einer plötzlichen Mobilmachung werden! Allem Anschein nach steht der Eisenbahnminister dicht davor, diesem doppelten Sturmlauf zu erliegen. — Die sozialdemokratische Reichstags- Fraktion veröffentlicht nunmehr einen Aufruf, in welchem sie die sozialdemokratischen Vereine auffor dert, eine Maifeier am ersten Sonntag im Mai zu begehen und weiter dahin zu wirken, daß auch für die Zukunft der gleiche Tag festgchalten wird zu Kundgebungen für die Einführung des achtstündi gen Arbeitstages. Die Wahl eines Werktage« sei für die Feier unmöglich, weil ohnehin in dieser JahrcS- , zeit die bürgerlichen Feiertage sich häufen und die Er wägung von Konflikten mit der Unternehmerschaft viele Arbeiter von der Betheiligung abhaltcn würde. Dazu kämen noch als besondere Hinderungsgründe für da« laufende Jahr die außergewöhnlich lange an dauernde Arbeitslosigkeit während "der verflossenen harten Wintermonate und die zunehmende wirth- schaftliche Krise, welche an sich schon zehntausende von Arbeitern auf da« Pflaster wirft und die ge summte Arbeiterschaft in noch höherem Grade als sonst der Willkür der Unternehmer preiSgiebt. Es heißt dann weiter: ES handelt sich nun darum, unverzüglich alle Vorbereitungen für die Feier zu treffen, welche insbesondere in Massenausflügen, Massenumzügcn und Massenversammlungen zu be stehen haben wird. Eure Ausgabe ist eS, durch zweckentsprechende Organisationen dafür zu sorgen, daß die Kundgebung in imposanter, würdiger und ruhiger Weise verläuft. — Italien. Wie die offiziöse „Agenzia Stcfani" meldet, hat König Humbert die Demission Crispis angenommen und Rudini mit der Bildung eines neuen Kabinet« beauftragt. Marchese di Rudini ist seit 1876 der bedeutendste Führer der Rechten, al« welcher er in der letzten Zeit, namentlich vor den Wahlen, da« Kabinet CriSpi, in da« er selbst einzu treten hoffte, eifrigst unterstützte. Rudini ist in Palermo geboren, ward mit 27 Jahren Bürgermeister, dann Präfekt seiner Vaterstadt, daraus Präfekt von Neapel, endlich unter General Menabrea im Alter von dreißig Jahren Minister de« Innern. Rudini legte stet« einen autoritären, energischen, strengen Charakter an den Tag. So warf Rudini im Jahre 1866 mit Todesverachtung und eiserner Energie den fünftägigen Aufstand in Palermo nieder, wobei er