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ziemlich vernehmlich zuzuflüstern, sich nicht so albern zu benehmen. Wie im Elysium verflossen den Gästen die Stunden. Heger und seine Frau versicherten dem liebenswürdigen Wirthe einmal über das andere, daß sie sich in langer Zeit nicht so glücklich gefühlt hätten. Cölestine lebte in seligen Träumen, deren Grundgedanl^stets nur Gold und Edelsteine waren. Still und glücklich in sich selbst aber verbrachte Marie die schönste Zeit ihres Leben« in der Nähe eines Mannes, der ihr «ine innige Liebe eingeflößt hatte. Von Allen unbe achtet, war sie eS gewesen, auf die vom ersten Augen blicke ihrer Bekanntschaft an Holsten sein Auge ruhen ließ, und in deren himmlischen, blauen Augen er die Seligkeit einer glücklichen Znkunft gelesen hatte. Und die Ebenholzkiste? Cölcstine hatte bereits durch den Bedienten Wilhelm in Erfahrung gebracht, daß der werthvolle Schatz in einem kleinen Kabinete neben dem Wohnzimmer des Herrn aufbewahrt werde. Ihr Wunsch, den verborgenen Inhalt, den sie bald ihr Eigenthum zu nennen hoffte, endlich kennen zu lernen, ward mit jedem Tage lebhafter, und mit fieberhafter Angst forschte sie unausgesetzt nach einer Gelegenheit, den Deckel lüften zu können. Ein Zufall kam ihr endlich dabei zu Hülfe. Hol sten hatte seine Gäste im Garten umhergeführt, um die ersten Primeln zu pflücken. Beim Einbiegen in einen Seitenweg blieb seine Uhrkette, an welcher er einen kleinen silbernen Schlüssel trug, am Rebenge länder hängen, und der Schlüssel riß ab, ohne daß er es bemerkte. Unter dem Vorwande, ein Veilchen zu pflücken, wußte Cölestine sich desselben zu bemäch tigen und, wenn auch mit zitternder Hand und leb haft klopfenden Herzens, in ihrem Busen zu verbergen. Eine Ahnung hatte ihr gesagt, daß dieser Fnnd die Juwelenkiste öffnen und gestatten würde, wie einst Blaubarts Weib, einen Blick in dieselbe thun zu können. Heftiges Kopfweh befiel sie an jenem Abend und zum großen Bedauern de« liebenswürdigen Wirths nahm sie nicht an der Abendmahlzeit Theil. Lang sam und geräuschlos^ wie ein Diev in der Nacht, schlich sie aber, als sie Alle bei Tische glaubte, »ach Holsteins Zimmer und öffnete mit klopfendem Herzen die ^hüre. Nicht Furcht vor Entdeckung Vögte sie auf, sondern das heiße Verlangen, endlich den laute sten Wunsch ihres Herzens erfüllt zu sehen. Endlich stand sie vor der verhängnißvollen Kiste. Leise stellte sie ihr Licht aus den Fußboden und zog den Schlüssel hervor. Ein heimlicher Schauer überlief sie, als sie denselben in die Oeffnung brachte, denn unwillkürlich fiel ihr jene Nacht wieder ein, in der sie die beiden Matrose» von dem ominösen Inhalt sprechen hörte. Aber sie kniete jetzt vor demselben und wollte endlich wissen, worin derselbe bestehe. Kurz entschlossen drehte sie den Schlüssel, nnd von einer starken Druck feder geschnellt, flog der Deckel offen. Unwillkürlich erschrak sie und sprang zurück. Es war indessen nur ein Augenblick der Schwäche. Muthig ergriff sie das Licht und sah hinein. Die Küste war ungefähr zu dreiviertel Theilen gefüllt und allem Anscheine nach nmgepackt worden-, denn eine Anzahl kleiner Pallete in Baumwolle und Papier verpackt, kleine Pappkästchen mit Bindfaden znsammcngeschnürt, starrten ihr entgegen. Dies waren ohne Zweifel die Juwelen und Schmucksachen. Aber weiter drnnten lag in der ganzen Länge der Kiste ein weißes Tuch, das sie, nachdem sie die Packet« auf den Fußboden gelegt hatte, ungeduldig über den Zeitverlust, etwas lebhaft bei Seite schlug, aber dadurch ungeschickter Weise das Licht verlöschte. Sie hatte indessen, wenn auch nur flüchtig, etwas gesehen, das sie mit Schauder erfüllte und mit einem durchdringenden Schrei aufspringen ließ. Ein mensch liches Gesicht mit dunklen Augen hatte sie angestarrt — genug, um sie voller Entsetzen zum Zimmer hin auseilen zu lassen. Aber die Angst vor Entdeckung, wenn sie die gestörte Ordnung nicht wiederherstellte, brachte sie noch einmal zur Stelle zurück, und mit Zittern und Zagen ging sie daran, die eingepackten Schmucksachen an ihren früheren Platz zu legen. Da traf ihre Hand auf einen kalten, glatten Gegenstand, — sie war sicher, daß es ein Gesicht sei, denn sie hatte selbst die Nase berührt — und mit einem neuen markdurchdringenden Angstschrei stürzte sie aus dem Gemach, sie wußte selbst kaum wohin. Nur fort, fort wollte sie, aus der Nähe dieser schrecklichen Kiste! Im Korridor stieß sie auf die Kammerzofe. Sie hörte die an sie gerichteten Fragen nicht, und ver wundert eilte das Mädchen ihr nach in das Zimmer. Erst dort, in der Helle, schöpfte sie wieder Athem, aber ihre Zähne klapperten wie im Fieberfrost. Nur mühsam vermochte sie dem im höchsten Grade be sorgten Mädchen die Erklärung abzugeben, daß eine Eule oder Fledermaus in der Dunkelheit an sie hin geflogen sei und sie tödtlich erschreckt habe. Die Ueberzeugung, daß sie der Entscheidung vor greifen müsse, wenn sie sich nicht feiten« des Baron« den peinlichsten Verlegenheiten aussetzen wollte, ver anlaßte sie endlich, sich ankleiden zu lassen und in da« Gesellschaftszimmer zu gehen. Im Speisezimmer saßen ihre-Gltern; der Vater ergötzte sich, wie ge wöhnlich nach dem Abendessen, an der duftenden Havana, mit der ihn sein Wirth zu regaliren pflegte, und las die Zeitungen, während Mama Heger auf ihrem Stuhle sanft cingenickt war. Aber wo waren Marie und Holsten? — AuS dem Nebenzimmer schallte ihr ein heiteres, glückliches Lachen entgegen, und dorthin lenkte sie mechanisch ihre Schritte. Durch die halbgeöffnete Thür vernahm sie leises Flüstern. — „Seit ich Dich sah, liebte ich Dich, meine theure Marie," hörte sie Holsten zu seiner Gefährtin sagen, „und als wir uns in Hamburg trennten, stand mein Entschluß fest, Dir meine Hand zu bieten, sobald ich meine Angelegenheiten geordnet haben würde. Cöle stine? Ich dachte nie an sie — sie hat mir den Hof gemacht, nicht ich ihr." Cölestine öffnete die Tbür und stand plötzlich wie ein böser Geist vor dem Paare, das sich innig um schlungen hielt. Erschrocken riß Marie sich loß — heftige Worte folgten, und das arme Mädchen hörte den Geliebten mit Beschuldigungen überhäuft, die ihr das Blut erstarren machten. Auch Heger und seine Frau waren herzugeeilt, und umsonst versuchte der um den Verstand seiner Tochter besorgte Vater, dieselbe zu beruhigen. Hol sten allein stand ruhig da, wie eine Eiche im Sturm, und hörte gelassen da« Toben der Leidenschaften seiner Gegnerin an. „Ich kann e« mir ebensowenig erklären, wie Sie selber, Herr Heger," sagte er endlich, als er zu Worte kommen konnte, „ich weiß nur soviel zu sagen, daß Ihre Nichte mit mir vor den Altar treten will, und mich durch diese Aussicht sehr glücklich macht — wessen mich aber Frau von Kühlewein beschuldigt, bleibt mir räthselhaft." „Sie wollen Marie heirathen?" rief Cölestine entsetzt, „soll sie durch Ihre Hand ebenso um« Leben kommen, wie Ihre erste Frau?" „Herr Heger," sagte Holsten jetzt etwas ernsthafter, „ich glaube, eS wird zu empfehlen sein, Ihre Frau Tochter in's Bett zu bringen, und nach einem Arzte zu schicken — ihr Zustand scheint mir wirklich krank haft zu sein." „Ist durchaus nicht nöthig, Herr von Holsten," rief Cölestine noch aufgebrachter, „mein Verstand hat noch nicht gelitten, ich weiß vollkommen, was ich spreche — in der Ebenholzkiste, die Sie als mit Ju wele» gefüllt auf dem Schiffe bei sich führten und stets so sorgfältig verschlossen hielten, sind die Ueber- reste Ihrer ersten Frau verborgen, und wenn es noch 'Niemand gewagt. Sie des Mordes zu beschuldigen, will ich es hiermit thun — ich habe mit meinen eigenen Augen den Inhalt der Kiste gesehen und das kalte Tovtengesicht mit dieser Hand berührt!" Holsten brach bei diesen Worten der schönen Frau, die ihn mit ihren Blicken zu durchbohren drohte, in ein schallendes Gelächter aus. „Kommen Sie, meine verehrten Gäste," sagte er, „wir wollen die Juwelen kiste auspacken — es wird Ihre Nerven nicht an greife», Frau Heger — Sie, Frau von Kühlewein, bitte ich, uns begleiten zu wollen — sei ruhig, meine gute Marie, zittre nicht — diese trübe Stunde soll Dir vergolten werden." Alle schritten die Treppe hinauf in das Zimmer des Hausherrn. Mit einem spöttischen Blick auf die neugierige Cölestine räumte Holsten die wenigen Packele bei Seite, welche die junge Wittwe in der Aufregung nur unordentlich hineingeworfen hatte, und nahm das Tuch ab. — Da lag es vor ihnen, ruhig und friedlich — nicht das Todtengesicht seiner einstigen Frau, sondern das WachSmodell eines aller liebsten Kindes. „Als meine kleine Marie mir entrissen wurde," erklärte Holsten, „ließ ich in allzu großer Liebe zu dem Kinde sie in Wachs modelliren. — Dies Modell ist ein Theil meiner Schätze und hat mich seither noch nie verlassen. Meine Frau starb ruhig und sanft in ihrem Bette, Frau von Kühlewein, und ruht still und friedlich in dem Boden ihrer Heimath. Darf ich aber jetzt fragen, Frau von Kühlewein, was Sie veranlassen konnte, das auf der ganzen Welt anerkannte Gastrecht hier zu vergessen und sich in mein Privatzimmer auf solche Weise Eingang zu ver schaffen?" Wie eine Schuldbeladene stand Cölestine jetzt vor dem Mann, den sie eines so schweren Verbrechens angeklagt hatte, und die Entschuldigung, die sie nur mühsam hervorbrachte, vermehrte nur die Scham, die sie empfand. Holsten nahm nur wenig Rücksicht auf sie und wandte sich den sprachlos dastehenden Eltern zu. „Sie haben, wie Marie mir sagt," begann er, „seit einigen Jahren Elternstelle an ihr vertreten, und um die so unzart gestörte Harmonie noch heute wieder herzustellen, lassen Sie mich hier deren Hand von Ihnen erbitten. ES wird mein mit einem so schweren Vergehen, wie Mord ist, beladenes Gewissen in etwas aufrichten." Mit welch bitterem Gefühl der Enttäuschung Herr Heger die Hände de» glücklichen Paare- in einander legte, bedarf wohl kaum der Erwähnung. Schon wenige Tage darauf reisten die Gäste ab, denn Cöle stine hielt eS nach dem Borgefallenen nicht mehr in dem Schloß. Aber schon einen Monat darauf reiste Holsten nach Schlesien, um seine Marie heimzuführcn. Bei seiner Abreise nach der Trauung machte er Cö lestine ein kostbares Armband zum Geschenk, um sie in etwa« für den erduldete» Schreck zu entschädigen. Dann aber reiste das glückliche Paar der Heimath zu, und noch oft und oft gedachten sie der stürmischen Fahrt auf dem „Polarstern." Vermischte Nachrichten. — Eisblumen. Auch unsere rauhe und kalte Winterszeit hat etliche Kinder Floras, die freilich des süßen Geruches und der glühenden Farbenpracht entbehren, welche eben nur der Sommer hervorbringt. Dafür sind dieselben aber von solch' unnennbarer Zartheit, daß nur ein Hauch genügt, um dieselben zu zerstören. Diese wundervollen Gebilde, welche bei 3—4 Grad Kälte durch unsre mit Feuchtigkeit und Wärme durchsetzte Stubenluft hervorgebracht, sich an den Glasscheiben ansetzen, erfreuen das sich nach dein Frühling sehnende Mcnschenherz und erscheinen demselben schon jetzt wieder als Vorboten des lieb lichen Lenzes. Häufig gruppiren sich die Eisfiguren zu zierlichem Laub- und Blätterwerk und es gehört meist gar keine besondere Einbildungskraft dazu, um die hübschesten Landschaften in ihnen zu erkennen. Einmal zieht sich auf einem flachen Hügelzug eine Krauterteppich hin, aus breitem Blätterwerk gebildet, ein andermal sprießen wieder hohe Büschel von Schilf gräsern auf, die an die Abbildung der indischen Dschungeln erinnern. In vielen Fällen erscheinen prachtvolle Palmwedel oder gezackte Berglandschaften, deren Gipfel mit Fichtenwaldungen gekrönt sind. Häufig werden die gewundenen Blattpflanzen sogar zu Arabesken, die mit gewirktem Silberbrokat an Schönheit wetteifern. Die Wunder des Eismeeres scheinen sich hier mit den Zauberpalästen der Gletscher- thore und der höchsten Alpcnspitzen zu wiederholen, während wieder an anderer Stelle, wo die Luft weniger Feuchtigkeitsgehalt hat, die Fensterscheibe mit einem duftigen Schleier aus mikroskopischen Krystallen ge bildet, überzogen ist. In der Tropenzone des Ofens werden Kaffee, Thee, Chokolade und andere Herrlich keiten zu unserer Erquickung zurecht gebraut. Die Wasserdämpfe, welche sich hierbei verflüchtigen, schlagen sich als Eisblumen an den Fenstern wieder nieder. Gewöhnlich gefrieren aber auch einzelne Stellen schneller und stärker als andere, je nachdem die Richtung der anstreichenden, die Wasserdämpfe mit sich führenden Luft, die Stärke des Glases oder andere Zufälligkeiten das Entstehen von Eiskrystallen befördern. Nicht selten ist ein feines Ritzchen in der Scheibe die Veranlassung zur Eisblumenbildung, indem durch jene oft nur beim Fensterputzen ent standenen kleinen Defekte jene schlanken Figuren ent stehen, welche Aehnlichkeit mit fächelnden Grashalmen zeigen, an denen sich der Tau angesctzt hat. Doppel fenster gefrieren viel schwieriger und schwächer, da die zwischen den beiden Fenstern befindliche Luftschicht wenig Gelegenheit hat, Feuchtigkeit aufzusaugen, und sich ebenso langsam erwärmt wie abkühlt. — Man sieht also, auch der Winter hat seine Poesie der Blumen. — Der Thurm von Babel hat in diesen Tagen, während er seit Jahrtausenden in Schutt und Trümmern liegt, eine neue Bereicherung erfahren. Ein Missionar von dem Orden der Carmeliter hat, dem „Hamburgischen Correspondenten" zufolge, auf die Spitze der noch stehenden Trümmer eine Statue der „Siegreichen Jungfrau" gesetzt, die seinerzeit Papst Pius IX. gesegnet hat. Der Thurm von Babel hat von den einstigen acht Stockwerken nur noch deren zwei. Aber die Höhe derselben ist so groß, daß das Bauwerk auf 80 Kilometer ini Umkreise zu sehen ist. An seiner Basis nimmt der Thurm eine Fläche von 104 Quadratmetern ein. Die Backsteine, aus denen er zusammengesetzt ist, sind mit Keilschrift bedeckt, die hineingemeißelt ist, bevor der Stein gebacken worden. Den Theer, welcher an Stelle des Cementö verwendet worden, hat man aus einer noch heute iu der Nähe des Thurmes bestehenden Quelle geholt. Die Er richtung der Statue der Jungfrau auf dem Thurme fand unter großer Feierlichkeit statt, welcher selbst die Muselmänner beiwohnten. — Rechts eine Jungfrau — links eine Greisin. In seiner letzten Vorlesung besprach Hof rath Nothnagel in Wien einen Fall, der — wie der Vortragende betonte — bisher in der ganzen Literatur der Medizin noch nicht bekannt ist. Es betrifft das ein Mädchen Namens Katharina Parzer, 22 Jahr alt, die aber nur auf der rechten Gesichtshälfte ihrem Alter gemäß aussieht; nur auf dieser Seite besitzt die Wange die diesem Alter zukommende Rundung und Fülle, die Haut ihre Geschmeidigkeit und das Fettge webe die gehörige Entwickelung, während links die Muskulatur größtentheils geschwunden, die GesichtS- knochen bedeutend hervorspringcnd, die Haut in zahl reiche Falten und Runzeln gelegt, die Lippen dieser Seite und auch die Zunge abgemagert, mehr trocken und rissig und das Auge tief eingesunken und von sehr mattem Glanze ist. Wird die linke Gesichtshälfte mit einem Tuch zugedeckt, lächelt uns ein fröhliches Mädchengesicht entgegen, geschieht dies umgekehrt, so schaut uns ein mürrisches altes Weib an. Hofrath Nothnagel bezeichnet als Ursache des Phänomens ein schweres 'Nervenleiden, bei welchem die neuralgischen Schmerzen in Folge elektrischer Behandlung zwar ablassen