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Beilage m Ar. 11 des „Amts- und Aiyeigeblattes". Eibenstock, den 24. Januar 1891. Gin verhängnißvoller Schnitt. Criminal-Erzählung aus dem Postleben von Th. Schmidt. lRachdruck verboten ) I. Das Dienst-Personal des Postamts in D., einer süddeutschen Provinzialstadt, befand sich am Morgen des achten September 187 . . in großer Aufregung. Die Aufregung war veranlaßt durch das Eintreffen eines Diensttelegramms aus S., welcher Ort zehn Meilen von D. entfernt mit diescin an derselben Eisenbahnroute liegt. Der Inhalt des verhängnißvollcn Telegramms war folgender: „Werthbrief von gestern Abend mit dreitausend Mark, adressirt an Starck u. Co. hier, ist nach ge schehener Anzeige des Empfängers seines Inhalts beraubt. Da Brief, anstatt Banknoten, unter anderen werthlosen Papierstreifen einen Streifen Post-For- mular-Papier enthält, so ist anzunehmen, daß die Be raubung von einem Beamten geschehen ist. Vorge setzte Behörde dienstlich durch Telegramm benach richtigt." Da aus dieser Mittheilung nicht ersichtlich war, wie die Beraubung des Werthbriefcs geschehen, so beschränkten sich die Ermittelungen, welche der Vor steher des Postamts in D. sogleich vornahm, vor der Hand nur auf die Annahme und Weiterbeförderung des fraglichen Gegenstandes. Hiernach hatten Befassung mit dem Werthbriefe gehabt der Postsekretär Bäumer bei der Annahmestelle und der Assistent Zeits bei der Expeditionsstclle; ersterer war nicht im Dienstzimmer anwesend, son dern mit seiner Braut auf einer Vergnügungstour. Die postseitigc Behandlung ergab sich aus den be züglichen Büchern, danach war der Brief vorschrifts mäßig expcdirt worden. Bäumer wurde vor Abend nicht zurückerwartet. Der Vorsteher, ein alter, im Dienst ergrauter Mann, war außer sich. Daß ihm, der fünfzehn Jahre zur größten Zufriedenheit seiner Vorgesetzten in D. gewirkt hatte, ein solcher Fall in seinem Amte ver übt werden konnte, das regte ihn auf. Allerdings war, wie er sich bei ruhiger Ueberlegung des Falles sagen mußte, noch nichts erwiesen, was darauf deute» ließ, daß die Beraubung durch sein Personal geschehen war, allein auch die bloße Untersuchung in D. durch den Postinspektor, der ja mit jedein eingehenden Zuge eintreffen konnte, beunruhigte ihn. Der von der vorgesetzten Behörde von dem Vor fälle telegraphisch benachrichtigte Postinspektor, welcher in der Nähe von D. beschäftigt war, traf dann auch in der Thal von S. kommend am Spät-Nachmittage schon in D. ein. Die sofort von diesem Beamten mit großer Um sicht eingeleiteten Untersuchungen in S. hatten fol gendes Resultat ergeben: Das zu der Geldsendung verwendete Couvert war aus grauem Papier mit Stoffunterlage hergestcllt. Die Seiten desselben waren bei der Anfertigung nach der Seite umgeschlagen und so gefalzt, daß mittelst zweier Siegel der Verschluß hinreichend gesichert war. Auf der Vorderseite zeigte das Couvert in der linken oberen Ecke die gedruckten Worte: „Werthinhalt Mk. " Etwa einen halben Centimeter unter dieser Angabe bemerkte man quer der Länge nach über dasselbe einen, ebenfalls in Schwarzdruck herge stellten dicken Strich, welcher die Werthangabc deut licher in die Augen fallen ließ. Die Größe des Couverts gestattete, daß die Banknoten ausgebreitet in dasselbe gelegt werden konnten. Der eben genannte Strich war, wie die Unter suchung ergab, von dem Verbrecher für seine unsaubere Lhat ins Auge gefaßt worden. — Mit einem scharfen Messer war auf dem Strick der Länge nach ein zwölf Centimeter langer Schnitt ausgeführt, hierauf der Inhalt dem Briefe vorsichtig entnommen und a» dessen Stelle einige der Größe entsprechende Streifen Pack- Papier gelegt. Um die offene Stelle wieder zu ver schließen, hatte sich der Gauner eines Streifens Post- marken-Papier bedient, welcher, ebenfalls mit Klebe stoff wie die Postmarken versehen, von diesen bei deren Verwendung abgetrennt war. Eine Vergleich ung mit anderen Streifen dieser Art ließ keinen Zweifel darüber bestehen. Die durchlochten Ränder des Streifens waren abgeschnitten. Vorsichtig war alSdann der vorher angefeuchtete Streifen in das Innere des Couverts geschoben, so daß die durch den Schnitt entstandenen Ränder desselben auf den Strei fen auf dessen angefeuchtete Seite zu liegen kamen und genau an einander paßte». Die zu verwenden den Postmarken — vier Stück — waren dann teil weise über den Strich geklebt. DaS Aufkleben der selben hatte, nach dem Francovermerk, ein Postbeamter besorgt. Diese Manipulationen waren dem frechen Diebe in der That so geschickt gelungen, daß selbst das ge übte Auge des Postinspektors nichts Verdächtiges an dem Briefe wahrnehmen konnte. Nach dem Gewichts-Vermerk bei der Annahme stelle in D. sollte der Brief 4i> Gramm gewogen haben; dieses stimmte mit dem in S. ermittelten. Inzwischen hatte der Postinspektor den Vorsteher des in Frage komnicnden Bahn-Postamts mit dem Vorfälle telegraphisch bekannt gemacht; es war aber von dieser Seite nicht viel Nennenswerthes zu er warten, da die Beamten desselben den Brief nur eine halbe Stunde in Händen gehabt, und wohl schwerlich Zeit gefunden hätte», den Brief zu berauben. Die Art der Beraubung zeigte ja auch auf eine ganz andere Fährte. Bei dem Postamte in S. ermittelte der Postin spektor weiter: Mit deni Bahntransport laugte der Brief im verschlossenen Beutel um 10 Uhr Morgens in S. an. Beim Oeffnen waren ein Beamter und ein Unterbeamter zugegen. Diese beiden Beamten erklärten, an dem Briefe nichts Verdächtiges bemerkt zu haben; derselbe sei unter den Augen Beider ge wogen und gleich darauf vom Empfänger selbst am Schalter in Empfang genommen, da der Brief er wartet wurde. Etwa zehn Minuten später sei dann der Empfänger des Briefes mit diesem in das Dienst lokal getreten und hätte mit großer Erregtheit dem Vorsteher den beraubten Brief niit dem Bemerken übergeben: „Der Brief sei auf der Post seines In haltes beraubt, wie die Papierstreifen, welche von Postformularen herrührten, bewiesen." Diese ziemlich gewagte Aeußerung wurde von dem Vorsteher etwas scharf zurückgewiescn und dem Em pfänger bedeutet, daß der Fall postseitig seine Er ledigung finden werde. Nach Lage der Sache war demnach in S. der Bries seines Inhalts nicht beraubt; eine Spur zur Entdeckung des Verbrechers war auch von hier aus nicht zu ermitteln. Der Umstand, daß unter den Papierstreifen, welche der Brief enthielt, ein Theil eines Telegramm-Auf gabe-Formulars sich befand, der die Annahme recht fertigte, daß ein ungetreuer Beamter seine Hände nach dem fremden Gute ausgestreckt habe, bedingte daher eine sofortige telegraphische Anzeige an die vor gesetzte Behörde sowohl als auch an die rückliegende Postanstalt. Nach diesen resultatlosen Ermittelungen in S. mußte der Verbrecher in D. zu suchen sein. Hier förderte die Untersuchung Seitens des Postin spektors in dem Bureau des Absenders des Briefes Folgendes zu Tage: Zwischen sechs und sieben Uhr Abends am sieben ten September — also am Tage vor der Entdeckung des Raubes — war der Brief von dem Chef der Firma E. Adens in Gegenwart des ersten Procuristen mit dreitausend Mark, in Banknoten, und zwar: zwei Banknoten L eintausend Mark, eine Banknote ü fünf hundert und fünf Banknoten ü einhundert Mark ver sehen. Nachdem zur Sicherheit der Richtigkeit die Banknoten von dem Procuristen noch einmal nach gezählt tind eine Notiz der Nummern auf den Scheinen zurückbehalten war, wurde der Brief von dem Chef mit zwei Geschäftssiegeln verschlossen. Nachdem dies geschehen, wurde, wiederum im Beisein des Procuristen, die Eintragung der postseitig vorgeschriebenen Angaben in das Postquittungsbuch von dem Chef selbst vorgc- nommen. Mit der Uebergabc der Postsendungen an die Post anstalt war der seit einer Reihe voll Jahren im Ge schäfte thätige Commis Frank betraut. Kurz vor sieben Uhr erhielt Frank auch an diesem Abend den fraglichen Brief. Dieser junge Mann, so erklärte der Chef, genoß sein volles Vertrauen, da er sich während seiner Lehr zeit stets treu und ehrlich erwiesen, auch sonst ein brauchbarer junger Mann sei. In Geldverlegenheit könnte der junge Mann wohl nicht so leicht gerathen, da er, neben Zuschüssen von seinen Eltern, auch von ihm, dem Chef, ein anständiges Salair bezöge. Da der junge Mann, nach Ansicht seines Chefs, sonach keine Veranlassung habe, auf verbrecherischen! Wege sich Geld anzueignen, so wäre die Annahme, daß derselbe den Raub begangen haben könnte, aus zuschließen. Der Thäter schiene vielmehr, wie ja die Art und Weise des Raubes klar an dem Couvert des Brieses, sowie dessen verdächtigem Inhalt ersichtlich sei, dem Kreise der Postbeamten anzugehörcn. Diese Bemerk ung konnte der Inspektor nur richtig finden; indeß sagte sich der gewiegte Beamte, daß dann der Ver brecher noch ein Neuling in seinem Fache sein müsse, denn die beabsichtigte Täuschung war doch allzu plump ausgefallen. Bor der Hand hielt er noch an dem Verdachte des jungen Mannes fest. Frank, scharf befragt, gab etwa Folgendes zu Pro tokoll: Kurz vor Schalterschluß, welcher um acht Uhr Abends in D. stattfand, wollte er den fraglichen Brief, so wie er ihn um sieben Uhr von dem Chef erhalten hatte, gleichzeitig mit dem Post-OuittnngSbuche dein Postsekretär Bäumer am Schalterfenster übergeben haben. Der Raum vor dem letzteren wäre gestern Abend ungewöhnlich mit Personen «»gefüllt gewesen, welche, erklärte er weiter, noch vor Schluß abgefertigt sein wollten. Die Hast, mit der Bäumer seine Dienstgeschäfte erledigen mußte, hätte den Beamten manchen Fehlgriff thun lassen, woraus sich auch er klärte, daß Bäumer den Brief ungewogen zur Seite in ein Fach legte. DaS Post-Quittungsbuch wiese — Frank zeigte cs dem Inspektor — ja auch keine Gewichtseintragung in der betreffenden Spalte nach. Auf die Frage des Inspektors: „weshalb Frank das Buch ohne Angabe des Gcwichtsvermerks zurückgc- nommen habe?" entgegnete dieser: „das käme.oft vor, da Bäumer nach seiner Meinung etwas oberflächlich arbeitete. Gestern Abend hätte er überhaupt sich von der Quittnngsleistung des Beamten in dem Buche aus Vergeßlichkeit nicht überzeugt." Auf die weitere Frage: „Ob er, Frank, den Brief vor der Uebergabe an Bäumer etwa an eine Stelle gelegt habe, die auch anderen Personen zugängig wäre?" gab. Frank zur Antwort: „Nein! Der Brief sei nicht aus seinen Händen gekommen, da er ini Bureau nichts mehr zu thun, sondern noch eine Besorgung für seinen Prinzipal in der Stadt gehabt hätte." Diese An gaben wurden von dem Prinzipal sowohl als auch von dem anderen Personal als richtige bezeichnet. Auch dem Postinspektor schienen bis soweit die Angaben des Frank glaubwürdig, jedoch konnte er sich nicht verhehlen, eine gewisse Befangenheit in dem Wesen des jungen Mannes wahrgenommen zu haben. Diese Befangenheit konnte man jedoch wieder auch auf Rechnung der Erregung nehmen, in welche dieser seltsame Raub die im Verdacht desselben stehenden Personen gesetzt hatte. Mit diesen Resultaten höchst unzufrieden, forschte der Inspektor weiter nach, wo der junge Frank von sieben Uhr bis zur Zeit, als er den Brief der Post übergab, was also kurz vor acht Uhr, wie wir bereits wissen, geschah, gewesen war. Das Resultat dieser 'Nachforschung war dieses: Frank hatte, als er sich um sieben Uhr aus dem Geschäftslokal entfernte, seinen Weg, dem Auftrage seines Prinzipals gemäß, zu der etwa fünfundzwanzig Minuten vom Geschäftshause entfernt gelegenen Privatwohnung desselben genom men. Daß er seine Besorgung hier ausgeführt, wurde bestimmt ermittelt. Bon dieser Wohnung ab betrug die Entfernung zum Postgebäude reichlich fünfundzwanzig Minuten und führte der Weg über eine lange Wiese, auf der keine Häuser und keine anderen Räume lagen, in die er hätte eintreten und die bekannten Manipulationen vornehmen können; bei dem zu der fraglichen Stunde herrschenden Sprühregen, sowie der weit vorgeschrit tenen Dunkelheit, war es Frank andererseits nicht möglich, im Freien, wenn er auch Zeit dazu gehabt hätte, seine Absicht auszuführen. In seiner Wohnung war er gleichfalls nicht gewesen, wie der Wirth fest behauptete. Nachdem der Inspektor und Vorsteher — letzterer war bei allen Nachforschungen zugegen — im Post hause wieder eingetroffen waren, sahen sich Beide fragend an. „Ich hoffte", so begann der Vorsteher, „unsere Nachforschungen würden einiges Licht in das Dunkel dieser für mich prekären Angelegenheit bringen, habe aber im Gegentheil auch nicht eine Spur des Ver dachts aus der Untersuchung bis jetzt geschöpft." „Ich auch nicht, lieber Herr College", entgegnete der Inspektor, „rein gar nichts habe ich entdeckt. Der Verbrecher muß demnach in Ihrem Amte stecken. Ich mache mir selbst Vorwürfe, daß ich nicht schon längst telegraphisch nach Bäumer habe fahnden lassen. Dieser nur allein kann der Thäter sein, wofür auch seine Ab wesenheit seit heute Morgen neun Uhr spricht. Der Bote von vorhin will ihn in dem bezeichneten Orte, nach welchem er mit seiner Braut und deren Vater gefahren sein soll, nicht haben erforschen können. Wer weiß, ob diese letzteren Personen nicht mit ihm unter einer Decke stecken. Trifft Bäumer heute Abend vor zehn Uhr nicht wieder ein, dann muß ich einen Steck brief gegen ihn erwirken." „Was Sie da sagen, mag ja so weit richtig sein, ich kann mir aber gar nicht denken, daß Bäumer der Verbrecher sein soll, es wäre ja unerhört und vollends läthselhaft bleibt mir erst Ihre letzte Vcrmuthung in Bezug auf die Braut und deren Vater. Nein! Nein! Droop, der Schwiegervater Bäumer's, ist ein Mann mit gewöhnlicher Bildung, allein auf seinem Namen ruht kein Makel. Wenigstens ist hier im Orte nichts NachtheiligeS von ihm bekannt." „Wir werden ja sehen", entgegnete der die Unter suchung führende Beamter, „was die Untersuchung hier im Amte, zu der ich jetzt schreiten muß, ergiebt. Vorläufig ist der Verdacht gegen Bäumer."