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Harte Köpfe. Erzählung aus dem Schwarzwald von Oskar Höcker. (8. Fortsetzung.) „Er ist sehr bedenklich und Gattin und Sohn müssen auf Alles gefaßt sein. Ich glaube, daß gerade unter den obwaltenden Umständen für Ihren Herrn Vater cs ein beruhigendes Bewußtsein sein mag, dem Bruder, mit dem er in Feindschaft gelebt, noch vor seinem Ende einen Liebesdienst erwiesen zu haben." Abermals blickte Afra zu Boden. „Es ist eine alte Geschichte," fuhr Gerold fort, „daß der Tod die grimmigsten Feinde versöhnt; nur glauben die Menschen nicht eher daran, als bis sie seinen knöchernen Finger an ihren Herzen spüren. Ich bin überzeugt, daß Ihr Vater von jetzt an ver söhnlicher von seinem Bruder denkt. Wir Menschen sind nun einmal so; statt von selbst die Hand zum Frieden zu bieten und uns das Dasein zu verschönen, muß erst Gott durch harte Schicksalsschläge unser trotziges Herz erweichen." „Sie haben recht," erwiderte Afra leise, „die Menschen sind so, und ich glaube kaum, daß es da Ausnahmen giebt." „DaS wäre recht schlimm," meinte Gerold. „Ich will mich nicht rühmen, aber ich kann wohl behaupten, daß ich, wenn ich einen Bruder hätte, demselben nie auf die Dauer zürnen würde, möchte er mir auch noch so wehe gethan haben." „Ihrem Bruder, nun ja," sagte Afra, ihren hübschen Kopf ein wenig zur Seite neigend, „aber es giebt doch noch andere Menschen; gegen diese dürften Sie gerade so unversöhnlich sein, wie eS andere Leute sind, also keine rühmliche Ausnahmen bilden." „Wer weiß," widersprach Gerold freundlich, „es käme darauf an. Können Sie mir vielleicht ein Bei spiel vor Augen führen?" Afra schien nachzusinnen. Es fiel ihr auffallend lange nichts ein; endlich aber sagte sie: „Würden Sie wohl Jemandem vergeben können, der -einen Gegenstand gefunden, welcher von Ihnen herrührt und das Eigenthum Ihrer Mutter war, der aber trotz alledem den Fund bei sich behielt?" „Das ist ein geringes Vergehen," erwiderte Gerold, „und bedarf wahrlich nicht erst der Zusicher ung der Verzeihung." „Wenn es nun aber ein Brief gewesen wäre," fuhr Afra fort, „und der Finder denselben gelesen hätte?" „Das wäre zwar indiskret," äußerte Gerold, „aber immerhin verzeihlich." „Da ich also Ihrer Nachsicht gewiß sein darf," entgegnete Afra erröthend, „so gestatten Sie mir. Ihnen hiermit das von Ihrer Frau Mutter verlorene Schreiben zurückzugeben." Gerold nahm ziemlich verwirrt den Brief an sich. „Sie haben ihn wirklich gelesen?" fragte er leise. „Von Anfang bis zu Ende," gestand Afra ehrlich ein. „Ich hatte mir zwar fest vorgenommen, es nicht zu thun, allein wer kann solcher Versuchung wider stehen? Ich bereue indessen nicht," setzte sie, sich an Gerolds Verlegenheit weidend, bedeutsam hinzu, „ich weiß doch jetzt, wie andere Leute über mich ur- theilen. Ich bin ein übermüthiges Mädchen, das noch sehr der Erziehung bedarf —" „Aber ich bitte, Fräulein Afra, bringen Sie mich nicht in Verlegenheit." „Das sich sehr viel einbildet," sprach Afra unbe kümmert weiter, „das ein kleines herrschsüchtiges —" „Aber, Fräulein Afra —" „Herrschsüchtiges Herz hat und Niemand, außer sich, gelten läßt. Bis auf die letzte Behauptung finde ich alles zutreffend." „Haben sie sich nur die Ausstellungen gemerkt," fragte Gerold, „und des Lobes vergessen?" „Ach", versetzte Afra, ihre Unterlippe ein wenig aufwerfend, „das Lob war wohl nur ein nichtssagendes Anhängsel, um der Charakterschilderung eine kleine Ab wechselung zu geben." „Nein, Fräulein Afra," betheuerte Gerold, „cs war ebenso aufrichtig gemeint, wie der Tadel, denn eS kam aus dem Herzen; und trotz alledem, was zwischen uns vorgefallen ist, behaupte ich noch jetzt: daß jeder Mann sich glücklich preisen muß, dem Sie Ihre Liebe schenken. Ich bin zwar überzeugt, daß Sie an Engherzigkeit leiden, und daß Sie nur wenige Menschen von ganzer Seele zu lieben vermögen, wie zum Beispiel Ihren Vater, oder eine Freundin, und dann aber auch noch —" „Nun, wen?" rief Afra in aufsteigender heiterer Laune. „Den Mann," vollendete Gerold, „mit dem Sie den Gang durchs Leben wagen. Ich bin gewiß, daß Ihre Liebe zu diesem lauter wie Gold sein würde, daß Sie keinen andern Gedanken hätten, als ihn —" „Trotz meines herrschsüchtigen Charakters?" warf Afra ein. „Trotz desselben. Es würde zwar hin und wieder kleine Kämpfe in der Ehe geben, Sie würden dem Gatten zuweilen auch schmollen, aber das Ende^vom Liede bestände doch immer darin, daß Sie in Liebe zu ihm emporschauteu —" „Ah," lachte Afra, „Sie stellen sich meinen Zu künftigen also recht groß vor, so daß er mich womöglich um Haupteslänge überragte?" „Wir können das ja gleich sehen," meinte Gerold, „wenn Sie die Güte haben wollen, sich von der Bank zu erheben." Afra folgte lachend der Aufforderung und stellte sich dicht neben Gerold. „Richtig," rief sie lustig, „Sie sind gerade so groß, wie der mir von Ihnen poetisch vorgeführte Gatte. Wie stellen Sie sich ihn nun weiter vor?" „Jetzt wäre es eigentlich an Ihnen, in der Schil derung fortzufahren." „Ich muß leider bekennen," seufzte Afra, „daß meine Phantasie zu schwach ist, um Ihrem kühnen Fluge folgen zu können." „Ich kenne Jemanden," sagte Gerold heiter, „der Ihnen wahrscheinlich gefallen würde. Gestatten Sie vielleicht, daß er Ihnen an einem der nächsten Sonn tage seine Aufwartung macht?" „Ich bin fremden Leuten gegenüber so schüchtern." „Ach, ich glaube, das wird sich bald geben. Außer dem kennen Sie ihn bereits." „So?" rief Afra. „Ja, dann ist cs etwas,anderes." „So darf er also kommen?" Das schöne Mädchen nickte mit dem Kopfe. „Aber sagen Sie ihm ja nicht, was wir hier gesprochen!" „Bewahre," versicherte Gerold in scheinbarem Ernst, „ich werde doch nicht so indiskret sein." Er reichte ihr die Hand, welche sie lebhaft er griff. Beide sahen einander eine Weile an, bis es immer heftiger um die Mundwinkel zuckte und ein fröhliches Lachen aus ihrem Munde erscholl. Gerold ging seines Weges, während Afra ihm mit leuchtenden Augen nachblickte. . . . Der Verwalter erschien nur selten in der Stube, in welcher der krank darniederliegende Anton von Emerenz und Else gepflegt wurde, die sich in die Tag- und Nachtwachen theilten; heute aber sehnte er sich in seinem Glücke nach Mittheilung, und so erfuhr denn Else die erfreuliche Wandlung der Freundin. Die gute Nachricht that ihr wohl, denn schwere Stunden lagen hinter ihr und sie hatte den Ernst des Lebens in seiner vollen Bitterkeit kennen gelernt. Anton war schwer krank gewesen. Zu der Ge hirnerschütterung, die er durch seinen Fall in die Tiefe davongetragen, hatte sich ein infolge der Er kältung entstandenes typhöses Fieber gesellt, und die Delirien, welche mehrere Tage und Nächte seinen Geist in Banden schlugen, waren schaurig genug, um Elsens Seele mit Entsetzen zu erfüllen. Ohne Unter brechung hörte der Kranke dis Rauschen der nieder stürzenden Wasserfläche», vor denen er sich schützen wollte. Nur schwer war er im Bett zurückzuhalten, und wiederholt mußte Joseph den beiden Frauen in ihren Bemühungen beistehen. Dann nahten Stunden, wo Anton von einem Riesenfaß phantasirte, das bis an den Rand mit Branntwein gefüllt war, plötzlich zerbarst und sich sammt seinem Inhalt in einen tiefen See verwandelte. Der Fieberkranke wähnte, daß man ihn dort hineinstürzen wollte und oft schrie er ent setzt auf. Wenn dann der Anfall vorüber war, zeigte der Ausdruck seiner Mienen einen unüberwindlichen Ekel, und in seinem Wahn hielt er Alles, was man ihm darreichte, für Branntwein. Endlich aber siegte seine zähe Natur, das Fieber schwand, wie die Blitze und der Donner des ihm so verhängnißvoll gewordenen Unwetters und sei» Geist begann sich zu klären. An einem Morgen bat er Else, ihm zu erzählen, wie er der Gefahr entgangen sei. Als er vernahm, daß er Crispin seine Rettung zu verdanken habe, ward er nachdenklich und sprach stundenlang nichts. Er träumte wachend, und wenn sich zuweilen seine Lider schlossen, so zeigte der freundliche Zug um seinen Mund, daß eS liebliche Bilder sein mußten, die in seiner Erinnerung an ihm vorübcrzogen. Gleichwohl erwähnte er Crispins mit keinem Worte. An einem andern Tage verlangte er plötzlich nach Emerenz. Sie mußte sich auf sein Bett setzen und ihr Ohr seinem Munde nahebringen. „Ich werde jetzt bald wieder so weit hergestellt sein," flüsterte er ihr zu, „daß ich die Treppe hinab in die Wohnstube gehen kann. Dort aber steht etwas, das mich genirt, das ich nicht mehr.sehen möchte." Da Emerenz ihn nicht verstand, so wurde er ärgerlich und wandte sich von ihr ab. Sie ging kopfschüttelnd in die Wohnstube hinab und unterwarf sämmtliche Möbel einer genauen Be sichtigung. Beilage;u Rr. 3 -es „Amts- und ÄMgeblattes". Eibenstock, den 10. Januar 1891. Als Anton am nächsten Tage auf das kurze Ge spräch wieder zurückkam, flüsterte sie ihm zu: „Meinst Du den Schrank?" Anton nickte hocherfreut. „Ich will ihn armen Leuten schenken," fuhr Emerenz fort. „Die Flasche und das Glas aber laß in den Fluß werfen," bat der Gatte ganz leise. An. dem nämlichen Tage äußerte er zu Else, daß nunmehr bald ihre Hochzeit sein werde. „Da wollen wir recht vergnügt sein," fügte er hinzu. „Und dem lieben Gott für Ihre Errettung und Wiedergenesung danken," sagte das schöne Mädchen. Er entgegnete nichts, nickte aber mit dem Kopfe. „Eine Stütze muß der Mensch haben," äußerte er nach längerem Stillschweigen. „Wer sie verliert, stürzt in die Tiefe, wie es mir geschah, da der Boden unter meinen Füßen wich. Die Tiefe," setzte er nach denklich hinzu, „kann aber auch zur Hölle werden, wenn der menschliche Geist seinen Halt verliert und in ewige Finstcrniß stürzt." Er schauerte zusammen und wandte sich ab. Von jener Stunde an sah er es gern, wenn sich Else mit ihm über religiöse Dinge unterhielt. Er unterbrach nur selten ihre Rede und gab ihr in allem, was sie behauptete, recht. Ein solches Gespräch hatten die Beiden auch heute wieder geführt, als Emerenz, die am Fenster saß und nähte, sich abgerufen sah. Auf dem Vorsaal stand Bärbele. Sie kam öfters zu ihr, um sich Raths zu holen, wenn ihrem kleinen Knaben etwas fehlte. Heute sah sie recht besorgt aus, und Emerenz er fuhr, daß der Kleine während der Nacht stark gefiebert hatte und erst gegen Morgen eingeschlafen war. „Seine Stirn brennt aber noch immer," fügte die ängstliche, junge Mutter hinzu, „und da ich keinen Boten hatte, so bin ich selbst hierhergeeilt, mir Rath zu holen." Mit diesem hielt denn auch die erfahrene Emerenz nicht zurück und ebensowenig mit tröstlichem Zuspruch. „Sollte freilich die Hitze bei dem Kinde, trotz der Euch angegebenen Mittel, bis zum Abend andauern," äußerte sie zuletzt, „so laßt's mich wissen und ich werde Euch dann den Arzt schicken, der zu dieser Zeit meinen kranken Mann besucht." Dankbaren Herzens verließ Bärbele die freund liche Frau und kehrte eilenden Schrittes nach ihrem bescheidenen Heim zurück. Als sie aber die Zimmerthüre geöffnet hatte, blieb sie wie festgebannt stehen. Neben dem Korbe ihres Kindes saß ein Mann den kleinen Weltbürger, der inzwischen erwacht war, in zärtlichster Weise beruhigend. Bärbele begann zu zittern und ihre Augen füll ten sich mit Thränen. Sie vermochte keinen Ruf der Ueberraschung hervorzubringen und nur langsam näherte sie sich der kleinen Gruppe. Tiefbewegt blickte der Mann sie an. „Kannst Du dem Vater Deines Kindes verzeihen?" fragte er mit kaum vernehmbarer Stimme. Sie hatte die Augen zu Boden gesenkt und stand unbeweglich da. „Ich habe schweres Unrecht gethan," fuhr Lorenz fort, „aber Gott hat mich auch dafür hart gestraft. < Es ist mir schlecht ergangen, Bärbele, herzlich schlecht, so daß ich oft nicht einmal ein Stückchen Brod hatte, meinen Hunger zu stillen. Das einzige, was Gott mir bot, war Wasser, um meinen Durst löschen zu können. Ich erkannte darin seinen Fingerzeig; und als das Elend so recht über mich hereinbrach, da that ich dem Herrgotc ein Gelübde und schwur, dem Genuß des Branntweins für immer zu entsagen. Brauchst also nicht mehr zu befürchten, Bärbele, daß ich in den alten Fehler zurückfalle, — das Schicksal hat mich gefeit. Ich war, da ich Dich verließ, in schlimme Gesellschaft gerathen, welche demselben Laster fröhnte, nur noch in viel schlimmerer Weise, als ich. Die rüden Gesellen boten mir in ihrer Trunkenheit ein Spiegelbild, vor welchem ich mich entsetzte. Ein nicht zu beschreibender Widerwille erfaßte mich und ich entfloh ihrer Gesellschaft, mochte ich dadurch auch noch so großem Elend ausgesetzt sein. Der Hunger, den ich litt, war aber nur der kleinste Theil meines Elends. Der Schmerz im Herzen, die Vorwürfe und die Sehnsucht nahmen mit zedem Tage zu. Ich ward inne, daß ich ohne Dich nicht zu leben im Stande sei. WaS bot mir auch das Leben, wenn mein Bärbele nicht bei mir war? So hielt ich eines Tage« auf meiner unstäten Wanderung inne und trat den weiten Rückweg an. Je näher ich meinem Ziele kam, desto geringer ward der Alp auf meiner Brust. Als ich aber gestern Gengenfeld erreichte, da überfiel mich eine namenlose Angst. Wie wird'S meinem Bärbele ergangen sein?" rief eS in mir. „Wird Gott ihr die Kraft verliehen haben, das verdammungswürdige Unrecht, das du Ihr zugefügt, zu ertragen? Ich wagte mich an die Leute im Orte nicht heran, aus Furcht,