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seit längerer-Zeit völlige Klarheit herrscht. Während in Preußen u. Deutschland nach einer jüngsten Mit teilung de« Eisenbahnministcr« Maybach während der letzten 10 Jahre die immerhin stattliche Summe von 102 Millionen Mark für Kanalbauten «»«gegeben worden ist, sind in demselben Zeiträume von Frank reich für denselben Zweck über 513 Millionen Mark verwendet worden. Frankreich hat also in dieser Be ziehung einen ganz erheblichen Vorsprung vor un« gewonnen. — Eine interessante Statistik hat ein reichS- ländische« Blatt angeregt, indem e« den Lebenswegen der jetzt im Vordergründe stehenden deutschen Sozialdemokraten nachgcht und ermittelt, au« welchen Schulen dieselben hervorgegangcn sind. Unter der Auslese der Partei, den 3b sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten, finden sich nur 4, die eine Universität besucht haben (BloS, Liebknecht, Schippel, Stadthagen); I (Kunnert), der ein Lehrerseminar; 1 (Heine), der ein Realgymnasium; 1 (Singer), der eine Realschule; 1 (Schmidt), der vie Bürgerschule; und 1 (von Vollmar, später Kavallerie-Offizier), der die Kadettenschule besucht hat. Macht zusammen 9. Die übrigen 26 haben nur die Volksschule besucht. Den Berufen nach finden sich: 5 Cigarrcnarbeiter, 4 Schreiner, 2 Chemiker, 2 Kaufleute, 2 Maschinen bauer, 2 Buchdrucker, 2 Schuhmacher und je 1 Kavallerie-Offizier, Rechtsanwalt, Lehrer, Philolog, Privatgelehrter in Staatswissenschaften, Lithograph, Metallschlcifer, Gerber, Koch, Klempner, Hutmacher, Schlosser, Sattler, Drechsler, Gastwirth und Gärtner. Nur 1 ist adelig: der Kavallerie-Offizier a. D. v. Vollmar; 34 sind bürgerlich. — Oesterreich. Die bekannten Wiener Pro fessoren Schroetter und Billroth glauben an das Koch'sche Heilverfahren nicht recht. Professor Schroetter sprach sich in einem Vortrage pessimistisch über Kock'S Heilmittel aus, mit dem er keine Heil erfolge bei Tuberkulosekranken erzielt habe. Billroth sagte: „Mit Behandlung durch Jodkalium kann Koch'S Heilverfahren bis jetzt noch nicht konkurriren, und eS ist noch fraglich, ob da« später der Fall sein wird." — Rußland. Die russische Regierung hat sich der „Kreuz-Ztg." zufolge nach längeren diplo matischen Unterhandlungen damit einverstanden erklärt, jährlich einigen deutschen Offizieren den Aufent halt in Rußland zum Zweck des Studiums der russischen Sprache zu gestatten, eine Erlaubniß, die vorher bereits österreichischen Offizieren ertheilt wor den war. Jndeß ist dabei von der russischen Re gierung als Aufenthaltsort für die betreffenden Herren nur die Stadt Kasan bezeichnet worden, und zwar unter Hinweis darauf, daß die Wahl absichtlich auf eine Universitätsstadt gefallen sei. Kasan birgt keine Truppen in seinen Mauern. ES sollen jähr lich zwei der tüchtigsten Offiziere, die den russischen Kursus in der Kriegsakademie absolvirt haben, auf 5—6 Monate unter Anweisung von Zuschußgeldern nach Rußland abkommandirt werden. Nach einer anderen Mittheilung handelt eS sich nicht um eine principielle jährliche Abmachung, sondern dieselbe treffe nur für die nächste Gelegenheit zu. Locale und sächsisch« Nachrichten. — Eibenstock, 1b. Dezbr. Wie wir erfahren, ist Herr Bürgermeister Löscher, welcher seit 8 Jahren an der Spitze der Verwaltung hiesiger Stadt steht, am vergangenen Sonnabend in Borna für das dortige Bürgermeisteramt gewählt worden. Unsere Stadt ver liert in demselben unstreitig einen tüchtigen Ber- waltungsbeamten, dem es nicht schwer geworden ist, die durch seinen Amtsvorgänger entstandenen Unregel mäßigkeiten bei hiesiger Verwaltung in kurzer Zeit zu beseitigen. Dessenungeachtet ist die Stadt Eibenstock doch nicht in der Lage, Herrn Bürgermeister Löscher für die Dauer an sich zu fesseln, da bei der mißlichen Vermögenslage unserer Stadt höhere Opfer nach dieser Richtung hin schwerlich gebracht werden können. — Schönbeide. Am vergangenen Freitag und Sonnabend wurde hier der diesjährige Weinachts markt abgehalten. Die Prophezeihung Falb'S, nach welcher der 12. Dezember ein .kritischer" Tag werden sollte, ist glücklicherweise nicht in Erfüllung gegangen, denn während unseres Jahrmarktes herrschte das schönste, heiterste Wetter. Infolgedessen war derselbe auch sehr zahlreich besucht, und es sind, wenigstens in allen Weihnachtsartikeln, vorzügliche Geschäfte ge macht worden. Außergewöhnlich stark waren diesmal Topf- und Schuhwaaren vertreten. Auch die soge nannten 10 und 50 Pfennigbuden waren in größerer Anzahl vorhanden, als früher. — Da« in der ver gangenen Woche hier stattgefundene Feuer ist dadurch entstanden, daß in dem betreffenden Gebäude Borsten geschwefelt worden sind, die dabei in Brand geriethen. Der durch da« Feuer erwachsene Schaden soll ein unbedeutender sein. — Der Knecht de« Fuhrwerksbesitzers Dittrich in Schneeberg wurde, wie die ,Dr. Nachr." schreiben, beim Abladen von IahrmarktSkistcn in Schönheide durch eine fallende Kiste sofort getödtet. — Dresden, 1b. Dezbr. Se. Majestät der König begicbt sich heute früh über Elsterwerda nach Berlin, um einer Einladung des Kaiser« zur Theilnahme an den Jagden in KönigSwusterhauscn Folge zu leisten. Auf dem Anhalter Bahnhof in Berlin findet Nachm. 1 Uhr 45 M. Empfang statt. Die Rückkehr nach Strehlen erfolgt am Mittwoch. — Leipzig, 13. Dezember. Ein rabiater Mensch ist ein 44 Jahre alter Handelsmann au» Halberstadt. Er ist ein Krüppel, denn er trägt zwei Stelzbeine. Gestern Nachmittag hielt er sich in der Destillation von Schmolle in der Gerberstraße auf. Sein Betragen in derselben war ein solche-, daß ihm der Wirth aus dem Locale weisen mußte. Was that nun der betrunkene Mensch? Er entfernte sich zwar, aber auf der Straße angelangt, schnallte er seine Holzbeinc lo« und zertrümmerte damit da- große Schaufenster der Destillation. Dasselbe, im Werthe von 100 Mk., zersprang natürlich in tausend Stücken. Der Mensch wurde selbstverständlich verhaftet. Da ihm aber nichts abzunehmen ist, so wird dem be- dauernSwerthen Destillateur sein sehr beträchtlicher Schaden nicht ersetzt werden können. Der Mensch schien überhaupt merkwürdige Ansichten über den Zweck und die Bestimmung seiner Stelzbeine zu haben, denn als er vor einiger Zett wegen einer Kontravention in der Windmühlenstraße festgenommen werden sollte, schnallte er auch seine.Holzbeine los und setzte sich mit ihnen der Schutzmannschaft gegenüber zur Wehr. — Leipzig. In hiesigen unterrichteten Kreisen verlautet, so wird der Berl. „Post" geschrieben, daß ein vollständiger Umbau der Universität bez. der in der inneren Stadt am Augustusplatz, an der Grimmaischenstraße und Universitätsstraße gelegenen Gebäude geplant wird. Der Umbau soll unter Wahrung aller historischen Merk- und Wahrzeichen der alten Universität geschehen und eS liegt bereits ein fertig ausgearbeiteter Plan vor, der dieser Tage dem König unterbreitet worden ist. — Waldheim. Als am 10. Dezember Nach mittags 4 Uhr innerhalb des Zuchthauses die Ablösung der Posten des Wachtkommandos erfolgt war und die mit scharfer Munition versehenen Ge wehre der abgelösten Soldaten entladen wurden, ging der Schuß eines Gewehres aus noch nicht er mittelter Ursache lo«. Die Kugel drang in ein in der ersten Etage gelegenes Arbeitszimmer des Expe ditionsgebäudes ein und verwundete unter den da selbst arbeitenden Züchtlingen fünf, darunter drei schwer, aber nicht lebensgefährlich. — Plauen im Vogtl. Die neue Schiffchen stickerei, welche in jüngster Zeit in Plauen ausge taucht ist und gegenüber welcher sich bisher noch viele Fabrikanten zurückhaltend zeigten, scheint einer besseren Zukunft entgegenzugehen, da ein hiesiger Zeichner die Sache besser ausgearbeitet und sich nun größerer Aufträge in dieser Stickerei zu erfreuen hat. Augen scheinlich ist mit dieser Neuheit, bestehend in einer seinen Schnurenspitze, wieder ein großer Fortschritt gemacht worden. Ein weiterer Fortschritt ist darin zu erblicken, daß es demselben Zeichner gelungen ist, gewöhnliche Schiffchenstickerei mit erhabenen Theilchen herzustellen. Letztere soll nun auch als Schnurenspitze ausgeführt werden. — Aus dem westlichen Bogtlande. Alle Jahre in der Adventszeit findet in Kornbach und Schönberg das sogenannte „AdventSbeten" statt. In Kornbach wird dasselbe in der Schule abgehalten, in Schönberg in einem Privathause. Dies geht aber die Reihe um. An dieser feierlichen Handlung nehmen die Schulkinder mit ihrem Lehrer theil, wie die Be wohner des OrteS, gewöhnlich die älteren Leute. Der Geistliche der Parochie Rodau hält dann unter entsprechendem Hinweis auf die Vorbereitungszeit die Adventsandacht, mitunter einzelne Fragen an die Kinder richtend, die Anwesenden belehrend, ermahnend, tröstend. Sodann findet in Schönberg das „Dezem- schütten" statt. Jeder Begüterte der Gemeinde muß ein bestimmtes Maß an Korn als jährliche Abgabe an den Geistlichen liefern. Daher der Name Dezem- schütten. Die Gutsbesitzer bringen der Reihe nach ihren „Dezem", und wenn alle versammelt sind, spendet der Pastor 3 M. zu Bier und Wein. Bei traulichem Austausch der wohlwollendsten Meinung kreist dann das Glas in der Runde. Der Lehrer, welcher bei der Andacht mit den Kindern singen muß, erhält dafür 50 Pf. Speisegeld. — Ein entsetzlicher Unglücksfall ereignete sich am Donnerstag Vormittag auf dem Segen-GotteS- Schacht in Marienthal. Daselbst wurde der 12 Jahre alte Schulknabe Dick von Zwickau auf einem Aschenhaufen in gänzlich verbranntem Zustande auf gefunden. Wie man hört, war der Knabe mit gleich alterigen Genoffen beschäftigt, hier Kohlen nachzu lesen. Seine Kameraden kehrten alsbald heim, wäh rend Dick noch einige Zeit da verblieb. Derselbe hatte sich, wie man vermuthet, auf den Aschenhaufen ge setzt u. ist von den ausströmenden Gasen betäubt worden. In der Bewußtlosigkeit ist der unglückliche Knabe von der glühenden Masse derartig verbrannt worden, daß fast nur noch sein Skelett vorhanden war. — Andererseits wird über den Unglücksfall noch berichtet: Dick hat sich früher schon mehrere Nächte im Freien Herumgetrieben und ist e» auch hier nicht ausge schlossen, daß der Verunglückte, um sich zu wärmen, an die Halde gesetzt, dort durch die au-strömenden Gase erstickt und dann verbrannt ist. — In Viehhändlerkreisen ist man der An sicht, daß sich die hohen Schweinesleischpreise höchsten« noch bi« Neujahr halten können. Al- Grund für diese Behauptung wird angeführt, daß die leidlich au-gefallene Kartoffelernte u. die niedrigen Futterpreise die Schweinezüchter veranlaßt haben, wieder reichliche« Zuchtmaterial anzuschaffen; außer dem machen auch die ungarischen Schweinceinfuhren bereit- wesentlichen Eindruck auf die Fleischpreise. Aus vergangener Zeit — für «nsere Jett, 16. Dezember. v«rs»,n>.> Am 16. Dezember, vor 100 Jahren, also 1790 wurde Le opold I. König von Belgien geboren; er war der S. Sohn de« Herzog« von Sachsen-Coburg-Gotha, jene« Fürstengeschlechte«, aus dem viele europäische Regenten hervorgegangcn. Er stand während der Befreiungskriege im russischen Kriegsdienste, wie« 1830 die ihm angebotene griechische Königskrone zurück, nahm dagegen die Krone des neu begründeten Königreiche« Belgien an. Er war ein fcingebildeter Mann von freisinnigen An schauungen, der sich um die geistige und materielle Förderung des Staates hochverdient gemacht hat. Er verstand es, das junge Reich glücklich über alle Klippen hinweg zu bringen und ihm hat in erster Linie Belgien seinen blühenden Aufschwung zu verdanken. 17. Dezember. In der Nacht vom 16. zum 17. Dezember 1870 hatte zu Vendome unter Gambettas Vorsitz ein französischer Kriegsrath stattgcfunden, in welchem beschlossen wurde, die Stadt zu ver lassen und sich westlich auf Le Mans zurückzuziehen. Deshalb kam es am 17. Dezember nur zu kleinen Plänkeleien bei Ven dome und die Besetzung der Stadt geschah fast ohne Kampf. Als die deutschen Truppen in Vendome einrückten, fanden sie noch die an den Straßenecken klebenden Plakate vor, in denen Gambetta die französischen Soldaten vor dem AuSreißcn vor dem Feinde warnte. Das stimmte recht schlecht zu der ge rühmten „Begeisterung" für den Krieg. Ein weiblicher Geheimpolizist. Original-Erzählung von Walter Onslow. (10. Fortsetzung.) „Gut. Also weiter. Sie wissen genau, von wein Sie die Obligationen gekauft haben?" „Selbstverständlich! Von Henry Wildert." „Werden Sie das beweisen können?" „Ich werde dafür Sorge tragen!" antwortete Harrington mit einem verschmitzten Lächeln. Dann beriethen sich die Beiden noch eine halbe Stunde lang und Robertson schied beruhigt von sei nem Helfershelfer, nachdem ihm letzterer noch ver sichert hatte, daß er in solchen Sachen genügend Er fahrung habe. Einige Augenblicke später verließen auch die Vier auf Nr. 19 das Hotel. XIII. Am Tage nach obigen Vorgängen stattete Robert son Julia Harrington wieder einen Besuch ab. Nie betrat er das Haus ohne Mißtrauen, denn seine eifer süchtig angelegte Natur ließ ihn stets Verrath von feiten der Geliebten fürchten. Al« er den langen Korridor der großen Wohnung passirte, spionirte er da und dort herum und horchte aucb an verschiedenen Thüren. In einem kleinen Zimmer, das der Jungfer Tags über zum Aufenthalt diente, und das an die Wohnzimmer Julias stieß, saß Lucie und schrieb. Dieser Umstand, so geringfügig er auch an und für sich war, erregte das Mißtrauen des geängstigten Mannes. Er schlich den Korridor entlang um eine Thür weiter und betrat den Salon, welcher an das Zimmerchen grenzte, in welchem Lucie sich aufhielt, um ihrer Herrin möglichst nahe zu sein. Der Salon war augenblicklich leer und die Thür zu LucieS Zim mer stand auf. Geräuschlos wie eine Katze trat Robertson näher; ein in Julias Schreibtisch liegendes Opernglas half ihm, wenn auch mühsam, ein paar Worte entziffern. Das Mädchen bot ihm den Rücken, noch ein paar Schritte trat er näher — ja, er hatte sich nicht getäuscht, was sie schrieb — war englisch! So war also sein ursprüngliches Mißtrauen der angeblichen Französin gegenüber gerechtfertigt gewesen: sie hinterging ihre Herrschaft. Robertson begab sich wieder in den Korridor, indem er sich vornahm, durch die andere Thür offen vor Lucie hinzutreten und sie ins Gebet zu nehmen. Ehe er seinen Vorsatz ausführen konnte, trat Lucie auf den Korridor. Sie sang heiter ein fran zösisches Liedchen vor sich hin. Als sie sich plötzlich Robertson gegenüber befand, stieß sie einen leichten Schrei auS und blieb wie in größter Verwirrung vor ihm stehen, die beschriebene Seite in den Falten ihre- SchürzchenS zu verbergen suchend. WaS haben Sie denn da?" fragte er sie barsch. Sie erröihete uud erwiderte: „Ich möchte so gern englisch lernen, ich habe mir eins Grammatik gekauft, aber", seufzte sie, „eS ist so schwer, so schwer, Mon sieur. Ich versuche zu übersetzen." Robertson griff nach dem Blatte; eS war mit englischen Sätzen vollgeschrieben, fehlerhaft bi« auf äußerste. Robertson begann sich zu sagen, daß er unrecht habe, wenn er das Mädchen für etwa- andere-, st ein harmlose«, etwas bornirte« Wesen halte. Was ihn so erschreckt hatte, die englischen Worte, waren die ungelenken Versuche der Französin gewesen, eng lisch zu lernen. Der sonst so kluge Mann ahnte nicht, daß ihn ein Spiegel dem Mädchen verrathen und daß sie in gewohnter Geistesgegenwart eine geschickte Komödie