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2. Beilage m Rr. 144 des „Amts- und Anzeigeblattes". Eibenstock, den 6. Dezember 1890. Harte Köpfe. Erzählung aus dem Schwarzwald von Oskar Höcker. (4. Fortsetzung.) „Haltet Eucrn Manu im Zaum," hatte Crispin wiederholt Bärbele warnend zugerufen, „ich kann ihn sonst in der Sägemühle nicht länger dulden." Die Antwort der jungen Frau waren Thränen gewesen, das stumme Eingeständniß ihrer Ohnmacht. In beständiger Angst wartete sic am Feierabend ans Lorenz, stets befürchtend, daß er den Abschied er halten. habe. Wenn er dann kani nnd ihr Bedenken zerstreute, athmcte sie erleichtert auf, doch war es immer nur eine Galgenfrist von einem Tag zum andern. Heute war noch nicht die Feierabendstunde er schienen, und doch ward plötzlich die Thür aufgerissen und Lorenz stand vor seinem Weibe, angetrunken und mit verglastem Blick — ein Bild des Abscheucs. „Du hier, Lorenz?" rief das arme Weib entsetzt. „Was ist geschehen?" Der Mann lallte einige unverständliche Worte, dann schrie er in heiserem Tone: „Der Lump, der Sägemüller, hat mir den Abschied gegeben, aber ich will es ihm gedenken!" Er streckte drohend die ge ballte Rechte in die Höhe, mußte aber, nm durch diese Bewegung nicht das Gleichgewicht zu verliere», sich an die Wand lehnen. „So ist also doch eingetreten," barmte Bärbele, „was ich längst gefürchtet habe, da Du so leichtsinnig handeltest!" „Pah," gab der Trunkene zurück, „halte keine Pre digt, Du bist kein Pfarrer. Werde schon wieder Arbeit erhalten." „Aber wann nnd wo?" „Ist mir ganz egal." „Natürlich," seufzte Bärbele, „wenn Du nur Deinen Branntwein hast." „Weib," brauste Lorenz auf, „keine Sticheleien — das vertrage ich nicht." „Und ich," rief Bärbele, „ich ertrage nicht länger ein so elendes, erbärmliches Leben. Gott ist mein Zeuge, wie ich Dich liebe, aber bedenkst Du denn gar nicht, daß selbst die größte Liebe schwinden muß, wenn man den Mann verachten lernt?" Lorenz stieß einen Fluch aus. „Ich wünschte," fuhr Bärbele fort, „Du könntest Dich in einem so großen Spiegel sehen, wie ihn die reiche» Leute haben, dann würdest Du vor Dir selbst erschrecke». Was warst Du für ein hübscher Bursch," sprach Bärbele unter Thränen weiter, „und wie sichst Du jetzt aus! Das Gesicht aufgedunsen, die Augen geröthct, und ihr Blick, der für mich sonst ein lachen der Himmel war, so blöde und erloschen, als ob schon der Tod mit seinen Krallen Dich erfaßt hätte. Lo renz!" schrie sie plötzlich auf, „mir graut vor Dir!" Das arme Weib verhüllte das Antlitz und sank auf den Stuhl zurück. Doch schon wenige Sekunden später sprang sie wieder auf und eilte zur Thllre, nach welcher Lorenz hintaumelte. „Wo willst Du hin?" fragte sie gepreßt. „Fort," lautete die Antwort, „Du magst mich nicht mehr, gut, da gehe ich." „Um des Himmels Barmherzigkeit willen, sprich nicht so, Lorenz! Du weißt ja, daß ohne Dich das Leben für mich keinen Werth hat. Ist es denn so schwer, den Weg der Sünde zu verlassen? Gedenke des Abends, wo wir im Walde drüben in der Moos hütte saßen und Du mir Deine Liebe gestandest. Ich konnte damals kaum glauben, daß mich Jemand so lieb haben könne, und als ich dies gegen Dich geäußert, da schlangst Du Deine Arme um mich und sagtest: „Du lebst in meinem Herzen, bis mir der Tod das Auge bricht. Ich will Dich stützen und treu für Dich sorgen, aber werde mein Weib!" — Ach, wie selig stimmte mich dieses Gelöbniß! Sollte die Erinnerung daran Dir nicht die Kraft verleihen, wieder der alte Lorenz zu werden?" Diese innig gesprochenen Worte verfehlten ihren Eindruck nicht. Lorenz war gerührt, aber seine Be wegung ging schnell vorüber. Mit der Zähigkeit, wie sic trunkenen Menschen eigen ist, hielt er daran fest, daß er Bärbele zuwider sei, daß sie sich vor ihm graue. „Geh' weg von der Thüre," fügte er drohend hinzu, „ich bin ein freier Herr, dem Niemand etwas zu verbieten hat, und wem ich nicht gefalle, der braucht mich nicht anzusehcn. Der Henker hole das ganze Dasein, und glücklich der, der die Knnst ver steht, cs zu vergessen." „Ja wohl," seufzte Bärbele, „durch den Teufel, den Branntwein!" „Schilt nicht auf ihn!" schrie Lorenz zornig, „er meint cS mit mir besser als Du und alle Andern. Ihr seid alle — ah, Dummheit — MooShütte? LiebeS- schwüre? — haha — ich bin kein grüner Bursche mehr. Nein, ich bin ein Mann, der sich nichts be fehlen läßt. Laß mich lotz, Du, oder —" Mit einem schmerzerfüllten Blick, als ob der Mann, den sie so innig geliebt, das Messer ihr in das Herz gestoßen hätte, wich Bärbele zurück. In stummem Entsetzen haftete ihr Blick an der Thüre, durch welche Lorenz verschwunden war. Plötzlich aber stieß sie einen markerschütternden Schrei aus und stürzte ohnmächtig zu Boden. Erst nach langer Zeit kehrte dem bedaucrnswerthen Weibe das Bewußtsein zurück. Nun löste sich der starre Schmerz in unzählige Thränen auf, und eine namenlose Angst kam über sie. Wohin war Lorenz gegangen? Sollte er seine Drohung wahr machen und sie wirklich verlassen? Noch vermochte Bärbele nicht daran zu glauben. Sie hatte ihm ja nichts zu Leide gethau, sie war ihm immer die treue Gefährtin gewesen, wie sie cs vor deni Altar gelobt; ach, und Lorenz liebte sie gewiß noch, trotz seiner Verirrung — wenigstens ein ganz klein wenig. Aber die Angst blieb doch in ihrer Seele. In dem Zimmer wurde es ihr zu schwül, darum eilte sie auf die Gasse. Ohne es zu wissen, lenkte sic ihre Schritte dem Wirthshause zu. Doch Lorenz war nicht dort. Der Abend war bereits angebrochen, und bald nahte die Nacht. Mit brennendem Kopfe kehrte das hocherregte Bärbele nach Hause zurück, in der thörichten Hoffnung, daß Lorenz inzwischen wieder daheim angelangt sei. Aber er war und blieb verschwunden. Der Mond schien durch das Fenster, nnd sein Licht zitterte auf dem Kruzifix. Bärbele sank in die Knie und betete zu Ihm, der für die Menschheit in den Tod gegangen war, fest vertrauend, daß er auch sie aus ihrer Pein erlösen werde. Das innige Gebet stärkte ihre Seele und sie erhob sich in neuer Hoffnungsfreudigkeit. Ihre Augen wurden müde und sie suchte das Lager auf. Aber obwohl sich ihre Lider schlossen, vermochte sie nicht zu schlafen; bei jedem Tritt, der auf der Dorfgasse hörbar ward, schreckte sie zusammen. Konnte es nicht Lorenz sein, der da reuig zurückkehrte? Doch der Hoffnung folgte stets die Enttäuschung. Langsam verrann Stunde auf Stunde, nnd erst, als das Früh licht die dunkle Nacht verdrängte, entrückte ein wohl- thätiger Schlaf das arme Bärbele ihren Leiden. Die Sonne schien bereits ins Zimmer, als sie jäh erwachte. Verwundert rieb sie sich die Augen und blickte auf die Lagerstatt vou Lorenz. Dieselbe war leer. Da senkten sich von neuem Schmerz und Verzweiflung in des jungen Weibes Brust, und sie verließ das Zimmer, um den treulosen Mann zu suchen den ganzen Tag lang. Die Sonne neigte sich bereits dem Westen zu, als Bärbele in dem lauschigen Wald anlangte, an dessen Lichtung die Mooshütte stand, wo sie mit Lo renz die schwüre der Liebe gewechselt. Ihren Lippen entwand sich ein leiser Schrei, denn sie erblickte in dem Halbdämmerlicht der Hütte eine Gestalt. Ein kurzer Augenblick des Glücks kam über das junge Weib, sie hoffte, daß es Lorenz sei, der sie an dieser geheiligten Stelle erwartete, um den Bund der Liebe zu erneuern. Aber cs war kein Mann, der ihr jetzt freundlich entgegcntrat, sondern Else, deren Lieblings plätzchen die moosbedeckte Hütte war. Bärbele brauchte ihr das Herzeleid nicht erst zu sagen, denn Else wußte bereits alles. „Ich wäre noch heute zu Euch gekommen," sagte sie in ihrem wohlwollenden Tone, „um Euch zu trösten." „Ach, liebes Fräulein," seufzte Bärbele, „Sie sind so gnt, aber zu trösten vermögen Sie mich doch nicht. Das kann nur Einem gelingen, und das ist mein Lorenz." Else legte ihre Hand ans das Haupt des jungen Weibes. „Er verdient wahrhaftig so viel Liebe nicht," sagte sie bewegt. „Oh " bat Bärbele, „sprechen Sie nicht so! Liebt doch der Herrgott selbst die Sünder und verläßt sie nicht, um sie auf den rechten Weg znrückzubringcn. Warum sollte ich meinen Lorenz nicht lieben, da ich nur ihn auf dieser Welt habe? Ach," schloß sie in verzweifeltem Schmerze, „wenn er sich nur kein Leid angethan hat!" „Von dieser Furcht, Bärbele," erwiderte Else, „kann ich Euch glücklicherweise befreien." „Wissen Sie etwas von ihm?" fragte Bärbele in banger Erwartung. „Einer der Holzfäller hat ihn droben am Bergsee getroffen. Ich kann Euch nicht verschweigen, daß er sich in der lustigsten Stimmung befand und zu dem Holzfäller äußerte, er gehe auf die Wanderschaft, um sich irgendwo Arbeit zu suchen." „Ach," rief Bärbele aufathmcnd und die Hände über der Brust kreuzend, „nun bin ich gewiß, daß er mich holen wird, sobald er eine Unterkunft gefun den hat." Sie blickte freudig zu Else empor, die sehr ernst aussah. „Wahrheit vor allem, Bärbele," ergriff Else aber mals das Wort, „gebt Euch keiner solchen Hoffnung hin, denn leider hat sich Lorenz dahin ausgesprochen, daß er froh sei, seine ehelichen Fesseln abgestreift zu haben. Er ist gewillt, Euch nie wieder vor die Augen zu treten." „Nie wieder!" tönte es wehmüthig von Bärbelcs Lippen. „So hat er mich verlassen?" schluchzte sie auf, während ihr Körper heftig zitterte. „Faßt Euch, armes Bärbele," sagte Else, gleich falls mit Thränen kämpfend. „Gott ist init Euch, welcher Niemand verläßt, der treu an ihn glaubt. Ihr müßt den Verlust überwinden, da hilft nun einmal nichts, und der Gedanke, daß Euer Mann die treue Liehe mit Undank vergolten, muß zum Tröste für Euch werden. Selbst das einsaniste Herz soll seinen Stolz besitzen und sich nicht wegwerfen an einen Unwürdigen. Das bedenkt, Bärbele, dann wird auch Gott Euch seine Gnade verleihen und Euch wieder aufrichten." Die arme Frau nickte stumm unter Thränen. Es war ja ganz richtig, was Else da sagte, Lorenz hatte sich ihrer treuen Liebe unwürdig erwiesen, aber trotz dem — Wer kann für sein Herz? V. Auf Crispins Hof ging eS gar nicht mehr lustig zu. Noch vor kurzer Zeit hatte man jeden Tag das übermüthigc Lachen Afras vernehmen können, in welches der Baß des gutmüthigen Vaters mit ein- stimnite. Auch Else war oft recht fröhlich gewesen. Jetzt ging ein Jedes mißmuthig seinen eigenen Weg. Crispin war verdrießlich, da er für Gerold noch keinen Ersatz hatte finden können, und je mehr der Tag sich näherte, an welchem der Verwalter aus seinem Dienste schied, je ungeberdiger zeigte sich Afra. Die alte Suse hatte unter ihrer Herrschaft viel zu leiden, trotz des wichtigen Dienstes, den sie ihr meinte erwiesen zn haben. Die einfältige Magd schüttelte, angesichts der schlechten Laune Afras, oft verwundert den Kopf. Sie konnte cs nicht begreifen, daß das Fräulein, nachdem sie ihren Willen, den Verwalter zu entlassen, beim Vater durchgesetzt, sich so launisch zeigte und zum Oefteren sogar verweinte Augen hatte. Es sei für sic doch wahrlich Grund genug vorhanden, um fröhlich zu sein. Gerold that, als ob nichts vorgefallen sei. Er ließ in seinem Pflichteifer nicht nach, war von früh bis spät thätig und erwies Crispin und dessen Tochter so viel höfliche Aufmerksamkeit, daß der Erstere seinen hcvorstehenden Verlust nur immer schmerzlicher fühlte. Else hegte für Afra zu viel Liebe, um bei deren sichtlichem Schmerz theilnahmlos zu bleiben. So kam cs, daß sie noch einmal den Versuch wagte, den Con- flikt im Herzen der Freundin zu lösen. Aher sic sah sich von Afra so heftig zurückgewiesen, daß sie sich gelobte, in dieser Angelegenheit nie wieder ein Wort zu äußern. Es war ein gar harter Kopf, den Afra besaß; er thrannisirte das Warmfühlende Herz, welches mit jedem Schlage seine Zuneigung zu Gerold bekundete. Wenn er Plötzlich vor Afra hingetrcten wäre, seine Arme ausgebreitct und gerufen hätte: „Ich liebe Dich mit aller Kraft meiner Seele!" — das Herz des wunder lichen Mädchens würde ihm zugejauchzt, aber der Starrkopf wahrscheinlich sein Beto eingelegt haben. Es gab Stunden, wo Afra den Gruß Gerolds erwiderte und jede Gelegenheit ergriff, um mit ihm ein paar Worte wechseln zu können; dann aber nahten wieder Augenblicke, wo er sich von ihr zu seinem großen Erstaunen kalt zurückgewiesen sah, so daß er sich schließ lich von dem launenhaften Mädchen gänzlich zurückzog. Die Zeit verstrich rasch, noch wenige Tage und Gerold Classen verließ Crispins Hof. Es war das herrlichste Augustwetter. Die drückende Hitze hatte einer balsamischen Frische Platz gemacht und es saß sich jetzt prächtig unter dem leise rauschen den Blätterdach des alten Nußbaumes. Aber Afra hatte sich in das Wohnzimmer zurückgezogen. Sie wollte von Niemand beobachtet sein und die Leute nicht merken lassen, daß sich ihre Augen oft röthetcn und Thränen über ihre Wangen rannen. Darum fuhr sie auch hastig mit dem Taschcntuche über das Gesicht, als jetzt Else mit der Meldung er schien, daß eine ältliche, fremde Dame den Vater zu sprechen wünsche. „Du weißt ja, daß er drüben in der Sägemühle ist," erwiderte Afra. „Wer ist die Fremde?" „Sie hat mir ihren Namen nicht genannt." „Da der Vater nicht daheim ist, so kann sie mir ja ihr Anliegen mittheilen." „Ich weiß nicht, ob sie das will," versetzte Else achselzuckend. „Sie fragte auch nach dem Verwalter, aber der ist gleichfalls nicht daheim. So viel ich weiß, ist er nach der Sägemühle gegangen, um dort Rechnung abzulcgen."