Volltext Seite (XML)
„Wir tauschen die Dominos —" „Aber das geht doch nicht an" — murmelte die Putzmacheritt verlegen, indem sie mit Kennerblicken den schwarze» Atlas-Domino der verfolgten Frau musterte, der augenscheinlich aus einer Maskenleih- anstalt stammte. Stella verstand diese Bedenken und beeilte sich, dieselben zu zerstreuen, sie entnahm ihrer Börse fünf Goldstücke und sagte lächelnd: „ES ist nicht mehr al« billig, mein Fräulein, daß ich Ihnen Ihren Domino bezahle, sonst hätten Sie Schade» bei dem Tausche. Hier, bitte, nehmen Sic, und lassen Sic uns die Umkleidung schnell bewirken. Wenn Sie mir dann »och einen rechten Dienst er weisen wollen, dann begeben Sie sich einen Augen- blick früher als ich ans den Gang und suchen die Aufmerksamkeit des Herrn, der vorhin in der Nähe der Treppe stand, auf sich zu ziehen — ich schlüpfe dann unbemerkt hinab und Sie gehen in den Saal zurück." Lachend versprack die Putzmacherin, genau Alles zu thun, was die Dame verlangte, sie wollte wohl anfangs das „viele Geld" nicht nehmen, ließ sich jedoch mit leichter Blühe zur Annahme bewegen. Die Damen toilette war überfüllt, die lustigen Blaske» achteten in dem Bemühe», entstandene Schäden und Mängel an ihren Kostümen auSzubcssern, nicht auf die Uebrigeu. In einem dunklen Winkel konnte der Tausch der Dominos leicht bewerkstelligt werden; diese weiten "Umhüllungen, langen Regen-Mänteln mit Kapuzen gleichend, werden über ein anschließendes Kleid ge tragen und sind von vorne nur durch eine Reihe Knöpfe geschlossen. Der rosa Domino war Stella etwas zu kurz, doch nicht bemerkbar, sic bückte sich ein wenig beim Gehen und bat die Fremde, den Kopf recht hoch zu tragen, um größer zu erscheinen, dann dankte sie ihr noch einmal mit herzlichen Worten und trat durch die Thür auf den Korridor. Die junge Putzmacherin ging erhobenen Hauptes voran, die schwarze Atlasschleppe wallte ihr nach. Als sie sich dem Vorplatze näherte, auf den die hohe Flügelthür des „Apollo-Saales" mündete, sah sic einen schlanken Herrn mit bleichen Zügen und dunklen Augen, schwarzem Haar und Bart. Er ver trat ihr den Weg nach der Treppe, er sprach sie an. Sie wandte sich schweigend von ihm und trat zu dem hohe» Spiegel, als sei sie nur in der Absicht hierher gekommen ihre Toilette zu ordnen. Viktor folgte dem schwarzen Domino, jetzt fest entschlossen, demselben nicht mehr von der Seite zu gehen. Auch er stellte sich vor den Spiegel. In diesem Angenblick glitt ein rosa Domino an ihm vorbei, so daß sein Fuß von der Schleppe desselben gestreift wurde; er achtete dessen nicht, wandte nicht einmal den Kopf, als der rosa Domino jetzt den Vorplatz passirte und so eilig als werde er verfolgt, die Treppe hinabflog — seine ganze Aufmerksamkeit konzcntrirte sich auf deu schwarzen Domino, der jetzt in den Saal znrückging — Viktor folgte. Herbert war indessen von Lotti, die sich an dem Maskcnspiel höchlich ergötzte, die Kreuz und Quer im Saale umher geführt worden. Endlich jedoch gelang cs deni jungen Manne, den Arm der Dame, die er so eifrig verfolgte, zu erfassen und sie so zu zwingen, glei chen Schritt mit ihm zu halten. Das lag nun nicht in der Absicht Lottis, die schon sorgfältig nach Stella umhergespäht hatte, doch ließ sie den jungen Baron noch eine Weile in seinem Glauben, da derselbe jetzt an ihr geneigt, flüsterte: „Sic sind erkannt — folgen Sie mir ohne Auf sehen zu erregen — ich bringe Sie in Sicherheit!" Lotti genügte sich damit, leise zu erwidern: „Sie irren sich!" „Ich bin meiner Sache gewiß, denn ich sah, wie Sie das Parkthor verließen — den Wagen auf dem Hcinrichsplatz bestiegen — ich folgte Ihne» hierher." Diesmal begnügte sich Lotti damit, den Kopf zn schütteln. Herbert war ganz außer sich über diese Hart näckigkeit, seine Stimme bebte, als er fortfuhr: „Stella, ich beschwöre Sie, mir zu folgen, nur fort von diesen, entsetzlichen Orte, Ihre Ehre steht auf den, Spiel — Sie können gesehen, erkannt werden!" Jetzt lachte Lotti und sagte mit ihrem gewöhnlichen Tone: „Das wäre freilich ein großes Malheur!" Der Baron zuckte zusammen. War denn eine solche Verstellung möglich — konnte Stella in der Situation, in welcher sic sich befand, so lachen — so sprechen? Aber die Locke, diese verrätherische Locke — Herbert hätte den Goldglanz dieses seidenen Haares unter Tausenden erkannt — er sagte es seiner Be gleiterin, deren Arm er noch in dem Seinigen hielt — was sic ihm sogleich verrathen. Der Baron und Lotti befanden sich gerade an der Thür des SpeiscsaaleS — der Geruch der Speisen, das Klirren der Gläser erweckte in Lotti ihre alte Vorliebe dafür, sie wollte eben dem „hübschen Baron" den Vorschlag machen, mit ihr zu soupiren, als Herbert leise sagte: „Vertrauen Sic mir Stella — ich ahne, daß irgend ein Geheimniß Sie zur gezwungenen Genossin jener Person — Ihrer Kammcrjnngfcr — macht, aber ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß wir Alles auf bieten werden, Sie aus den Krallen dieser Harphe zu befreien. Bei dem Andenken meines Vaters, ver trauen Sic mir, Stella!" „Ach, lassen Sie mich los, mein Herr, ich bin nicht Ihre Stella, kenne Sie nicht" — rief Lotti rauh, „und was die Locke betrifft, an der Sie mich erkannt haben wollen, so ist dieselbe aus meinem Ehignon — da, ich schenke sic Ihnen" — und damit fuhr sie mit der Hand unter ihre Kapuze, — ein Ruck, und die goldblonde Locke kam zum Vorschein, samnit der Nadel, welche dieselbe am Kopfe Lottis befestigt hatte. Mit rohem Lachen entfernte sich Lotti, an Herberts Bestürzung schadenfroh sich weidend. Die Locke, nach der der junge Mann die Hand nicht ansgestreckt, glitt zn Boden und blieb achtlos im Staube des Saales unter den bnnten Fetzen der abgetretenen Tarlatankleidcr, der zerdrückten Blumen, welche die Schleppen der Dominos geschmückt, liegen. Sie war von Stellas Haupte, Lotti hatte sie der schlafenden Herritt gestern abgcschnittcn, sic wollte damit Herbert auf Stellas Spur lenken. Diese hatte sich so schnell erhoben, war so hastig geflohen, als sie ihr vorhin mit Herbert genaht, daß der Spaß im Anfänge dadurch verdorben worden war. Doch tröstete das boshafte Geschöpf sich über diese Verzögerung mit der Erwägung, Stella würde schon gefunden werden, allein konnte sie ja den Saal nicht verlassen, den Heimweg nicht antreten, denn sie besaß den Schlüssel nicht, welcher ihr die Pforte öffnete und eine sichere Rückkunft ins Haus ermöglichte. Auch traute Lotti der zaghaften Fran, die nie allein anSging, die so unerfahren nnd unpraktisch war, gar nicht so viel Energie zu, hier selbstständig zu handeln. Bor der Hand erschien es Lotti, die sich durch die Hitze des Saales und das viele Hin- und Herpro- mcniren erschöpft fühlte, viel wichtiger, sich durch Speise und Trank zu stärken, dabei lächelte sic in grimmig vor sich hin, der Worte gedenkend, die der Baron über ihre eigene Person geäußert, und murmelte: „Frage sic nur nach dem Geheimniß, mein schöner Herr, sie wird nichts ausplaudcrn, dafür bin ich gut!" Dann ließ sie sich an einem der Tische im Speise saal nieder, verzehrte einen Hühncrflügel und trank Ungarwein dazu. Als die Flasche halb geleert war, geriet!) Lotti in eine melancholische Stimmung, dies war stets der Fall, wenn sic noch nicht das gewohnte Maaß zu sich ge nommen. Dann gedachte sie des „schwarzen Wenzel," der ein so lieber, süßer Schatz gewesen und noch nach seinem seligen Ende so vortrefflich für die „arme Lotti" gesorgt hatte. Ja, wenn sie alles recht überlegte, so stand sie sich, den Verlust des Geliebten abgerechnet, jetzt eigent lich besser als sonst, führte auch ein angenehmeres Leben; denn dieser theuere Wenzel hatte gar so viel getrunken. Nun trank sie allein zu seinem Angedenken — freilich, ihr Herz war verwaist — sie hatte ihn doch geliebt — Zank unter Liebcsleuten kommt ja immer vor, und er hatte eS ihr jedesmal am nächsten Tage abgebeten, wenn er sie in der Nacht geschlagen — ach, es war eine schöne Zeit gewesen! Eine Thränc siel in das letzte Glas — Lotti er hob sich taumelnd, sic war schläfrig, es mußte spät sein, an der Zeit heimzufahren. Wo aber war Stella? — wie durch einen Nebel sah sie, in den Ballsaal zurückgekehrt, auf der Gallcrie oben den schwarzen Domino mit der wehenden AtlaS- schleife, die durch eine blitzende Stahlschnallc an der rechten Schulter befestigt war. Also dorthin hatte Stella sich geflüchtet! Sic winkte ihr mit der Hand, doch diese schien keine Notiz davon zu nehmen — sic winkte noch einmal, der schwarze Domino beugte sich über die Brüstung der Galleric, gab aber keinerlei Erkennungszeichen. (Fortsetzung folgt.) Die Zähmung der Widerspenstigen. Eine altdeutsche Erzählung. Der Stoff, den Shakespeare in seiner „Wider spenstigen Zähmnng" uns vorführt, ist alt, wie folgende Erzählung eines sonst unbekannten Dichters des drei zehnten Jahrhunderts Sibote beweist. Ein Ritter besitzt Reichthum in Fülle, und nichts würde ihm an seinem Glücke fehlen, wenn er nicht das böseste Weib auf der Welt hätte. Sagte der Mann: „dies Schaf ist weiß", so sagte sie: „es ist schwarz". Wollten Leute Herberge im Schlosse habe», so vertrieb sic den, welchen der Mann aufnehmcn wollte, und nahm den auf, welcher dem Manne miß fiel. Diese nette Ehe dauerte dreißig Jahre. Während dieser Zeit wurde das Ehepaar durch die Geburt eines Töchterleins beglückt. Das Töchterlein erblühte zu einer schönen Jungfrau, und sie wäre die Zierde der Familie geworden, wenn sic nicht dreimal so böse wie ihre Mutter gewesen wäre. Einst hatte der Vater mit der Tochter eine Unter redung, in der er sic ermahnte, doch von ihrer bösen Sitte zu lassen, sonst werde ihr künftiger Gemahl ihr den Rücken braun nnd blan schlagen und sie werde mehr Schläge als Pfennige bekommen. Wer auch immer um sie anhalte, er sei Ritter oder Knecht, er werde sie ihm zum Weibe geben. Die Tochter ent gegnete, sie werde schon ihrem Manne zu widerstehen wissen und in der Ehe da« lange Messer tragen. Ihm sei cS doch auch nicht gelungen, der Blutter Herr zu werden. Nicht weit von dem Schlosse wohnte ein Ritter, der reicher an Manncsmuth als an Geld war. Als er von der Schönheit und dem Eharaktcr der Jung frau hört, entschließt er sich, um sie anzuhalten, „denn", sagt er sich, „wenn ich ihren Eharakter nicht bessere, habe ich doch wenigstens eine hübsche Frau. Gesagt, gcthan; er geht zum Vater und stellt ihm sein Vor haben vor. Dieser ivarnt ihn, indem er ihm die Sinnesart seiner Tochter schildert. Doch der Freier läßt sich nicht abschreckcn und sagt, er wünsche nur, daß der Vater noch ein Jahr lebe, nm zu sehen, daß die Tochter alles vermeiden werde, was den Mann verdrießt. Dagegen hat der Vater nichts ein zuwenden, und sic verabreden, wann der Ritter kommen solle, um sich seine Braut zu hole». Als die Blutter von dem Vorgänge hört, nimmt sie ihre Tochter beiseite und spricht: „Hältst Du Deinen Mann besser, als ich Deinen Vater gehalten habe, so will ich Dich zu Tode schlage». Wenn er Dir zürnt und Dich niederwirft, beiße und kratze, laß Dir lieber den Rücken zerschlagen, daß Du vier Wochen lang blaue Flecken hast, — als daß man sage, er sei Dein Oberhaupt. Du hast starke Arme und Glieder, ich war viel schwächer als Du und habe doch über Deinen Vater den Sieg behalten." 'Nach sieben Tagen kommt der Frciersmann auf einem elenden Pferde mit einem Jagdhunde au der Leine und einem Habicht auf der Hand. Er em pfängt die Braut und reitet mit ihr auf einem ein samen Wege, damit die Leute nicht sein Benehmen sehen, zu seinem Schlosse. Der Habicht auf der Hand des Herrn sieht eine Krähe und wird unruhig. Der Ritter ermahnt ihn, sich ruhig zu verhalten, und als er dies nicht thut, erwürgt er ihn wie ein Huhn und wirft ihn ins Gras. „Nun sollst Du Deinen Willen haben, wahrhaftig, allen, die heute mit mir sind, wird es ebenso gehen, wenn sie sich nicht meinem Willen beugen." Der Windhund zieht darauf an der Leine. Der Herr wird zornig nnd haut ihn mitten entzwei. Bei diesen Vorgängen wird der Braut übel zu Muthe. Als endlich das Pferd dem Ritter nicht schnell genug geht, schlägt er ihm den Kopf ab und zwingt seine Frau, ihn sammt dem Sattel zu tragen. Sie geht im Schritte, geht im Trabe, ganz nach seinem Willen. Da steigt er ab und schlägt seinen Mantel um sie zum Zeichen liebevoller Aufnahme. Sie ziehen in ihr neues Heim und sie wird das beste Weib. Rach sechs Wochen besuchen der Vater und die Mutter das junge Ehepaar. Als die Mutter das Verhalten der Tochter ihren: Manne gegenüber sieht, macht sie ihr heftige Borwürfe, weil sie sich von ihm beherrschen lasse, und kneipt sie an allen Gliedern. Die Tochter sagt: „Mein Gemahl ist der beste Mann, nur muß man seinen Willen thun. Grüßt ihn besser als den Vater, sonst schlägt er Euch windelweich." Der Vater und der Schwiegersohn hatten diese Unterhaltung in einer Ecke des Gemaches gehört. „'Nun bi» ich über alle Maßen froh," sagt der Vater, „daß ich Euch meine Tochter gab, denn ich sehe, sie ist Euch unkerthan, darum sollt Ihr auch nach mei nem Tode alle meine Güter erben." Der Schwie gersohn verspricht dagegen auch die Schwiegermutter gefügig zu machen. Er nimmt zwei Stücken Fleisch und geht in ihr Gemach, wirft ihr ihren Ungehorsam gegen ihren Gatten vor nnd sagt, sic verdiene mit einer Elle so lange geprügelt zn werden, bis sie um Gnade flehe. Aber er wisse, was an ihrem Verhal ten schuld sei. Sie habe zwei ZorneSbraten in sich, die müsse man ihr ausschneiden, dann werde sie gute Sitte gewinnen. Bevor die Frau es vermuthet, springen zwei Knechte vor nnd halten sie fest. Der 'Ritter bringt ihr einen Schnitt in den Rücken bei und wirst ihr ein Stück Fleisch zu Füßen. Schmerz voll ruft die Frau, sie wisse jetzt, was für ein Teufel in ihr gelebt habe, aber nun sei er von ihr gewichen. „Ja", sagt der Ritter, „Ihr habt aber noch einen ZorneSbraten, den muß ich Euch noch ausschneiden. „'Nein", spricht die Frau, „der ist so klein, der wird mir nicht schädlich sein." „Biel Arbeit wäre ver loren", sagt die Tochter, „wenn er nicht auch den andern ansschnitte, denn der könnte wachsen." Doch die Mntter gelobt Besserung und beschwört die Toch ter zu verhindern, daß der zweite ZorneSbraten aus geschnitten werde. Der Schwiegersohn läßt sich über reden, und die Mutter wird verbunden. Der Schwie gervater reist mit ihr ab und jedesmal, wenn sic ihm widerspricht, sagt er: „ES muß doch geschehen, ich muß nach dem Schwiegersohn schicken, der muß Dir den zweiten ZorneSbraten ausschncidcn." Gleich darauf wird die Frau ruhig. und verspricht von 'Neuem, ihm immer gehorsam zu sein. Die Erzählung stammt ans dem Orient, sie findet sich in persischer, französischer und jüdischer Fassung vor. Man sicht, der Stoff durchwanderte erst mehrere Litteraturen, ehe er in die Meisterhand eines Shake speare gelangte. Druck und Verlag von E. Hanncdvtzn m Eibengock.