Volltext Seite (XML)
„Aber auch Sie dürfen nicht müßig bleiben, Herbert!" „Sprechen Sie, was ich thun soll, ich brenne ja vor Begier, Stella von dieser Person zu befreien!" „Vorerst gilt es nicht, zu handeln, sondern schwei gend zu beobachten — abzuwarten." „DaS ist da« Schwerste," seufzte der junge Mann. „Aber eS ist nothwendig. Halten Sie sich von Ihrer Stiefmutter mehr zurück, dies erfordert die Klugheit, die Rücksicht auf den Ruf der Dame. Sie haben heute Abend selbst die Bemerkung gemacht, daß Gräfin RingerSheim sich mit Heirathsplänen beschäftigt, daß sie es gern sehen würde, Sie vermählt zu sehen. Selbst Franziska, welche für ihre schöne Tante schwärmt, scheint in letzter Zeit gefunden zu haben, daß Ihre Freundschaft für Stella einen zu leidenschaftlichen Charakter angenommen. Und wenn diese reinen und hochstehenden Frauen dies Verhältniß nicht billigen können, obgleich sie Euch beide schätzen und lieben, dann sagen Sie sich selbst, wie wohl andere, Fern stehende urtheilcn dürften." „O, über die Welt und die kleinlich denkenden, vorurtheilsvollen Menschen," rief Herbert bitter, „die das wahrhafte Hohe nur schmähen, doch nie verstehen können." Viktor lächelte: „Wir leben eben in einer realen Welt und nicht in Wölkenkuckucksheim." „O, mir ist schon neulich einmal, nur vorüber gehend, der Gedanke gekommen, dem alten Europa für immer Valet zu sagen und mich auf den freien Boden Amerikas zu flüchten, glauben Sie mir, die Sonne Gottes scheint überall lind sie lächelt dort auch auf glücklichere Menschen herab, die ein gut Theil von dem Ballast, der uns hier beschwert, von sich geworfen haben." „Auch von dem Ballast der Ehre?" fragte Viktor scharf. Herbert faltete die Stirn. „Ehre ist ein erhabener Begriff — was uns so erscheint, belächelt vielleicht ein Dritter." „Lassen Sie mich nicht fürchten, Herbert, daß Sie je zu diesen „Dritten" zählen werden!" Beide schwiegen wieder. Viktor war tief erschreckt, als der Freund so leichthin von dem Plane gesprochen, nach Amerika zu gehen. Der Grund, welcher ihn dazu bewegen konnte, war nur zu offenbar. Also so tiefe Wurzeln hatte die Liebe zu diesem dämonischen Weibe schon geschlagen. Dem besonnenen, maßvollen Wilmert war das unfaßlich. So hatte das eine Jahr, welches Herbert in der freien Luft der ?!e»cn Welt geathmet, hingereicht, solche Wandlungen in seinem Fühlen und Denken hervorzubringen? Sich fassend, nahm Viktor zuerst den Faden des Gespräches wieder auf, indem er sagte: „ES ist leicht zu erratheu, welche Absichten Sie bei einem so schwer wiegenden Entschlüsse ketteten. Doch gesetzt auch. Sie wollten alle Gebote, durch das Herkommen geheiligt, alle Rücksichten auf Ihre Familie preisgebcn, Heimath, Vaterland verlassen, um dem Weibe Ihrer Liebe gehören zu könne» — dann tritt die Frage noch viel ernster, viel bedeutsamer au Sic heran, die Frage, ob Stella auch der großen Opfer würdig sei, die Sie ihr bringen wollen!" „O schonen Sie mein Gefühl," rief Herbert schmerzlich. „Eben das will ich, will Ihrem Gcmüthe Ruhe geben. Denn wenn auch nur der leiseste Zweifel in Ihnen zurückbliebe, ein Zweifel an der Ehre, an der Tugend der Frau, die Ihren verblendeten Augen bis jetzt wie eine Gottheit erschienen ist — dann, das glauben Sie mir, Herbert, denn ich kenne Sic besser als Sie selbst sich jetzt von Leidenschaft hingerissen beurtheilen — dann ist auch Ihr Glück für ewig dahin. Sie können, gleich wie Ihr edler Vater, nur da lieben, wo sie auch achten, verehren können. Die Frau, der Sie Ihr Leben weihen, ein reiches, hoff nungsvolles Leben, sie muß rein sein, erhaben über jeden Verdacht und kein Fleck darf das Unschuldsweiß ihres Gewandes besudeln." „Sie haben Recht — handeln Sie nach Ihrem besten Ermessen," sagte Herbert leise, dann reichte er Viktor, der sich erhoben, zum Abschiede die Hand und flüsterte, an seine Schulter gelehnt: „Aber wenn cS irgend sein kann — dann schonen Sie Stella!" „Ich verspreche e« Ihnen!" Noch ein Druck der Hand, dann schieden die Freunde. * * * Die Sonne des nächsten Tages schien gerade so hell und freundlich, wie die des vergangenen, die Vögel zwitscherten gleich lustig, die Rosen spendeten die gleichen, entzückenden Düfte — und doch, wie ander« war alles geworden für Stella, für Herbert, ja selbst für Viktor. Als wenn alle drei die Welt plötzlich durch ein dunkel gefärbtes GlaS betrachteten, so grau und trübe, so schal und widerlich, keines Wunsches, keiner Sehnsucht Werth erschien alles. Viktor trauerte um AugustenS zerstörtes LebenS- glück; denn selbst wenn cs ihm gelang, Herbert von dem Unwerthe jener Frau zu überzeugen, die eS ver banden, ihn in magische Bande zu schlagen, wer weiß, ob er je von der tiefen Wunde genefen würde, die er dann empfing — und Angnste, was würde sie für die reinen, zarten Blüthen ihrer Liebe empfangen? — ein zerstörtes, durch Gram und Weltverachtung verbittertes Gemüth. Stella hielt sich, wo sie nur konnte, fern von Herbert und da Gräfin RingerSheim das Benehmen ihrer jungen Schwägerin höchst taktvoll fand und die Gründe billigte, welche sie dazu bewogen, so ward es den beiden jungen Leuten, selbst nach Viktors Abreise, leichter, als sie anfangs geineint, die Schranken in dem beiderseitigen Verkehr wieder aufzurichten, welche sie so schnell und freudig niedergerissen hatten. Herbert machte jetzt häufiger Besuche in der Nachbarschaft und da diese Besuche gern erwidert wurden, so waren die Festräumc des Schlosses, Garten nnd Park recht belebt. Auch aus der Stadt kamen die Freunde dcö Hauses, die inzwischen von ihren Sommerreisen oder aus den Kurorten heimkehrten. Wildschütz lag der Residenz so nahe, daß cs ein angenehmer Ausflug für einen Tag, eine wünschenswerthe Landparthie war. Zudem war man stets des freundlichsten Empfanges sicher und hatte das wohlthuende Gefühl, durch den Besuch auch nicht die mindeste Ungelegenheit zu be reiten, denn das Schloß war geräumig, die Diener schaft zahlreich. Stella hatte keine Ahnung davon, warum Herbert sogleich auf ihre Intentionen eingegangen war und sich fern von ihr hielt, ohne auch uur eine Frage über den Grund ihres veränderten Benehmens an sie zu richten. Hatten sie doch in allen Dingen die gleiche Mei nung gehabt, sie dachten, sie fühlten gleich — ach, daß Herbert sie liebte, gleich tief und innig, sie wußte es wohl und er hatte verstanden, daß er ihr entsagen müsse, daß selbst jene zärtliche Freundschaft, der sie sich so sorglos hingegeben, ihnen nicht gestattet sei. Stella hatte das Geschenk der Rosen stillschweigend von sich gewiesen — wohl spendeten sie ihren süßen Duft und eine hatte die junge Frau aus dem Strauß genommen und in ihrem Gebetbuche verwahrt — dorthin würde die Habsucht jener entsetzlichen Person sich nicht verirren, oft betrachtete Stella ihren Schatz, die Erinnerung an ein Glück, dessen man sie beraubt, da es ihr am süßesten gelächelt, und ihre Thränen fielen auf die welken Blätter. Der Herbst kam, Jagdausflüge wurde» veranstaltet, die Damen sprachen von der Rückkehr in die Stadt. Eine anhaltende Regenzeit beschleunigte noch die Aus führung dieses Entschlusses und bald kam der Tag der Wreise. Als Stella zum Abschiede ihre Hand in die Herberts legte, als sein unendlich trauriger Blick ihre bleichen Wangen streifte, da fühlte sie erst mit aller Schärfe und Bitterkeit, was sic besessen und was sie jetzt gänzlich verlieren sollte. Es dunkelte vor ihren Blicken, und ehe sie es zu hindern vermochte, fiel eine Thräne schwer und brennend auf die feinen kalten Finger nieder, welche die ihrigen noch fest umschlossen hielten. Da flüsterte Herberts Stimme ihr leise und tröstend zu: „Muth, Stella — alles wird noch gut werden!" So schieden sie — aber die Worte hallten in ihrer Seele nach, sie vermeinte dieselben in den stillen Stunden der Nacht, wenn finstere Schatten sic be drängten, zu hören, und bald übertönten sie sogar die Stimme des Gewissens, die sich mahnend vernehmen ließ nnd der Schuldigen kündete, daß die Prüfungen und Qualen, welche sic jetzt erduldete, nur eine gerechte Strafe sei für ein begangenes Verbrechen. Stella war noch jung, das Leben ist so schön, wenn man glücklich ist — cs klang so trostrcich, so verlockend: „Muth, Stella — alles wird noch gut werden!" Freilich die Pein, welche die junge Frau nun schon seit Monaten erduldet, sollte sich bald bis zur Un erträglichkeit steigern. (Fortsetzung folgt.) Zur Geschichte der Sennerinnen. ES ist ein uralter Brauch in den östlichen Alpen, daß zur Betreibung der Milchwirthschaft ini Frühjahre Mädchen auf die Berge ziehen. Kaum ist der Schnee geschmolzen, so beginnt ein neues Leben, alles freut sich, von der winterlichen Einschließung in den Häu sern befreit zu sein, und sofort schickt man sich an, auf die Alm zu fahren. Nichts possirlicher, als die Sprünge und Kapriolen der Thiere, welche sich nun in vollem Muthwillen für die unbehagliche Enge des Stalles zu entschädigen scheinen. Zuerst werden dann die „Aschten" bezogen, wie man in Tirol die sonnigen Voralpen nennt, welche in der Schweiz „Maiensäße" heißen, mit der wärmeren Jahreszeit steigen die Her den in die höheren Alpen hinauf, bis vom August an mit der abnehmenden Sonnenkraft u. Tageslänge wieder das Herabgehen von den höheren zu den mittleren und zu den niedersten Almen stattfindet; im Herbste, noch früh im Jahre, beginnt endlich von Neuem die winterliche Klausur. Je nach Beschaffenheit der Alm und je nach der Zahl der Herde und der Hirten ist die Arbeit aus den Bergen bald schwerer, bald leichter. Wenn die Herde nicht ganz klein ist, so geht noch ein Hirt oder eine „Kühdirne" als Gehilfin mit. Die Senndin selber betreibt vorzugsweise das Milchgeschäft, sie melkt die Kühe, indem sie ihnen Salz auf den Rücken streut, welches ableckend die Thiere stillhalten, sie säubert den Kessel, der an einem beweglichen Tragholz, „Hengst" genannt, über der Feuerstätte hängt, und bereitet dann die Butter und die Käse. Bei diesen Arbeiten leistet ihre Gehilfin Beistand; die Senndin muß außcrdcni für jene und für sich selbst die Nahr ung bereiten, und gegen Abend um vier Uhr beginnt das Melken von Neuem. So fehlt cS eigentlich nie mals an Beschäftigung und die Senndin lacht uns aus, wenn wir fragen, ob ihr denn in ihrer Einsam keit die Zeit nie lang werde? Und dabei ist noch gar nicht berücksichtigt, daß manchmal mehrere Senn hütten gesellig beisammen stehe», oder daß hier und da ein Besuch kommt, bald ein angenehmer, bald auch ein unerwünschter, wie z. B. ein plötzliches Gewitter, welches die Herde im Freien überrascht und sie öfters mit einer so wilden Furcht erfüllt, daß die Hüterin nen nur mit größter Anstrengung die Thiere Zusam menhalten und vor dem „Abstürzen" an den Berg wänden bewahren können. Es ward schon oben erwähnt, daß in den Salz burger Alpen, also namentlich im Berchtesgadischen, im Luegau, Pongau und im Unterpiuzgau, Mädchen auf die Alpen ziehen. In der naiven alten Zeit wird in der Regel ein Hirte mitgegangcn sein, ein Umstand, der allerdings den guten Sitten nicht zum Vortheile gereicht haben mag. Aber selbst wenn zwei weibliche Wesen zusammen ans den Bergen wohnten, erschien dies nicht ohne Gefahr, weil die jungen Burschen unten vom Thale heraufstiegen, und ihre Besuche abstatteten. Auf diese Verhältnisse durch die Berichte geistlicher Missionäre aufmerksam gemacht, glaubte die erzbischöfliche Regierung in Salzburg cingrcifen zu müssen und erließ ini Jahre 1734 ein Edikt, welches das Wandern der Mädchen auf die Alpen aufs schärfste verbot, und statt ihrer nur Män ner in den Sennereien verwendet wissen wollte. Aber wichtige Ursachen, worunter die geringere Geschicklich leit und die größere Kostspieligkeit der männlichen Dienste wahrscheinlich eine bedeutende Stelle einnah men, standen der Ausführung dieses Beschlusses ent gegen, nnd er ward später dahin ermäßigt, daß in Zukunft die Senndine» und Hirten, die auf die Alpen ziehen wollten, besondere von der Geistlichkeit ausge stellte Scheine haben mußten. Allein die Sitte oder das wirkliche oder vermeintliche Bedürfniß erwiesen sich stärker als ein rigoroses Gesetz, und nach wie vor ziehen in die Salzburger Alpen Mädchen hinauf, die eine weit größere Ordnung und Reinlichkeit in ihrer hochgelegenen Behausung verbreiten, als ein zottiger Melker, dessen größter Stolz darin besteht, seinen herbstlichen Einzug in das Winterquartier des hcimathlichen Dorfe« in einem möglichst schwarzen und schmutzigen Hemde abhaltcn zu können. Wie es auch immer im übrigen aussehen mag, so hat doch gerade der Umstand, daß Mädchen auf die Alpen ziehen, ein Element der Poesie in das Leben jener Gebirgsländcr eingeführt, welche in den Liedern und „Gesangerln" jener lieben Leute überall durchklingt, und gewiß hat auch dieser Umstand mitgewirkt, dem bayrischen nnd steirischen Alpenlebcn einen poetischen Reiz und eine ganz besondere Heiterkeit zu geben. Wie der bei weitem größte Theil der Schweiz seine „Senner", so schickt Tirol seine „Melcher" (Melker) auf die Alpen, und zwar ebenso das deutsche, wie das wälsche Tirol. Ja, cs greift in das salz- burgische Gebiet hinüber, indem im Oberpinzgau, ge rade wie im benachbarten Zillcrthal, nur Männer diese Wirtschaft führen. Das bayrische Alpcngebiet scheint sich in der Art zu scheiden, daß die Alemannen in Algäu Männer, dagegen die Bojaren, etwa recht« vom Lech an, Frauen zu diesem Dienste benutzen. Auch entzieht sich die Sennhütte nicht mehr dem weiblichen Scepter, wenn wir uns weiter nach Osten wenden und in einem großen Bogen rings um Tirol die salzburgischeu, steirischen, kärntnerischen und krain- ischen Gebirge ins Auge fassen. Auf den Bergen um Laibach Hansen Sennerinnen von berühmter Schönheit, kaum aber begeben wir uns aus dem Theil der Save und des Jsonzo in das Gebiet des Tagliamento hinüber, so treffen wir Männer als Gebieter des Rührkübels. ES scheint also, daß der Alemanne, der Bojare im eigentlichen Tirol nnd über all der Roniane Senner hält, während der Bojare in Bayern, sowie der Gcrmano-Slave in den östlichen Alpen die Milchwirthschaft den Mädchen überläßt. Druck und Berla, von S. Hunnedotzn in «ibenstock.