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Beilage zu Rr. 103 -es „Mts- und Aiyeigeblattes". Eibenstock, den 6. September 1890. Stellas Geheimniß. Kriminal-Novelle von Ernst v. Walvow. (7. Fortsetzung.) Heute kam ihm plötzlich alles seltsam verwandelt vor. Auguste in dem hoch am Halse schließenden schwarzen Gewände sah nicht Vortheilhaft aus, da ihr gelbbleicher Teint, die dunklen Augen und Flechten durch die schwarze Tracht gar zu düster erschienen. Auch ihr Willkommen klang fremd, ihre Beileidsver sicherungen entbehrten der Wärme und Herzlichkeit. Herbert fühlte sich dadurch verletzt. Sonst hätte er, die Hand der Freundin ergreifend, sie einfach gefragt, was ihr sei, hätte die kleine Entfremdung schon im Keime zerstört, wäre die Unterhaltung belebter und herzlicher geworden. Tante Brigitte hatte es als selbstverständlich an genommen, daß der liebe Gast, der nach so langer Abwesenheit die Jugendfreunde besuchte, denselben auch den Abend schenken werde, sie war deshalb sehr er staunt, zu vernehmen, daß Herbert versprochen hatte, zum Souper wieder daheim zu sein, und gab ihrem Bedauern viele Worte. Desto wortkarger blieb Auguste, nur ihre feinen, schmalen Lippen preßten sich fester zusammen und zwischen den dunklen Brauen bildete sich eine Falte. Ihre Hand war kühl, die sie Herbert zum Abschied reichte, auch Viktor war verstimmt. Als die Geschwister allein waren, blickte der junge Mann seine Schwester bedeutungsvoll an, dann sagte er mit gedämpfter Stimme: „Herbert ist sehr verändert heimgekommen, erst die nächste Zeit wird ergeben, ob die Eindrücke der Reise, die Trauer über den Verlust seines Vaters — oder der dämonische Zauber jenes schönen Weibes, das ihm hier zuerst entgegentrat, dies bewerkstelligten. Er sprach mit einer Herzenswärme von Stella Wild schütz, die seiner kühlen Natur sonst fremd ist, und zumal gegenüber einer Frau, welche ihm unsym pathisch war, noch ehe er sie kannte." „Es ist am besten," erwiderte Auguste mit er zwungener Ruhe, „wir überlassen Herbert sich selbst, konnte er es auch nur einen Moment vergessen, wo seine wahren Freunde sind — dann ist es nicht unsere Sache, ihn daran zu erinnern, das hieße sich ihm aufdrängen." „Du irrst, Schwester. Gerade wenn es dem Ein fluß jener Frau gelang, auf Herberts, durch die letz ten traurigen Ereignisse erregtes Gemüth einen tief eren Eindruck zu üben, so ist cs unsere Freundes pflicht, ihn vor möglichem Unheil zu bewahren. Wollen wir achtsam sein, das Haus der Gräfin Ringersheim häufiger besuchen, den Intentionen Stellas, falls sie welche haben sollte, cntgegenarbeiten." „Das werde ich nicht thun," rief Auguste mit blitzenden Augen. „AuS Dir spricht das verletzte Gefühl, aber der lei weiblichen Schwächen darf am allerwenigsten jetzt Rechnung getragen werden." „Nicht verletzte Eitelkeit, die Würde des Weibes spricht aus mir," entgegnete Auguste ruhig, „die ein solcher Kampf herabsetzen würde. Nein, Bruder, besser alles verlieren, nur sich selbst nicht." Viktor reichte seiner Schwester schweigend die Hand. Er verstand sie, ehrte ihre Beweggründe, wenn er auch gewünscht hätte, daß sie mit mehr Weltklughcit handeln würde. Dafür beschloß er, da ihn derlei zarte Rücksichten nicht banden, mit Argusaugen über den Freunden zu wachen, galt es doch zugleich dem Glücke der geliebten Schwester. — Zwar hatte zwischen Herbert von Wildschütz und Auguste Wilmert noch kein ausgesprochenes Vcrhält- niß bestanden, er hatte nie von Liebe zu ihr geredet, noch Hoffnung Worte gegeben, daß sie einst seine Gattin werden solle, doch die gegenseitigen Bezieh ungen waren so innige, herzliche gewesen, daß der Reiz derselben nur noch durch die Zartheit erhöht ward, mit der sowohl Auguste als Herbert das Ge heimniß des Herzens verhüllte, obwohl es doch einem Jeden von Beiden klar und schleierlos erkennbar war. Fast im gleichen Alter stehend, von Jugend auf durch eine Gleichheit der Denk- und Anschauungsweise ver bunden, die zuweilen etwas UcberraschendeS hatte, war cs keinem von ihnen je eingefallen, daß eine Zeit kommen könne, wo ihre Lebenswege auScinan- dergehen würden. Die Liebe zu Herbert hatte tiefe Wurzeln in Augustens Herzen geschlagen, sie litt unendlich, als sie damals von der wetten Reise erfuhr, die der geliebte Freund antreten mußte, als der Prä sident damit umging, sich mit der Wittwe des Oberst von Blcndheim zu verloben. E» war ihr nicht ein mal vergönnt gewesen, von Herbert Abschied zu neh men, da sich derselbe damals in München befand und von dort aus die Reise nach New-^jork antrat. Mög licherweise hätte der Trennungsschmerz den beiden jungen Leuten Worte auf die Zunge gelegt, die be stimmend und bindend für die Zukunft geworden. So ftwach aus den Briefen Herberts nur die zärtliche Freundschaft und Auguste erwiderte in diesem Sinne. Heimlich hatte sich Auguste wohl mit der Hoffnung getragen, daß alles anders, besser werden würde, wenn Herbert jetzt heimkchrte. Natürlich war die Trauer zeit nicht dazu geeignet, sich ein HerzenSglllck zu er ringen, in Gefühlsseligkeit zu schwelgen. Aber es giebt eine Art der Verständigung durch einen Blick, ein Wort, einen Druck der Hand, die alles sagt, während sie alles unausgesprochen läßt, und darauf hatte Auguste gebaut. Der Schmerz, der Herbert bewegte und den sie so tief mit ihm empfand, er mußte sie ja nur noch inniger mit ihm verbinden. Und wie gänzlich verändert war er heimgekchrt! Freilich brachte Auguste dabei nicht in Anschlag, daß auch sie Herbert fremd und kühl entgegengetreten war; aber sie war ja schon bitter durch ihn gekränkt worden. Wäre er am ersten Tage seiner Ankunft, als er die Tante und Kousine nicht daheim gefunden, zu ihr geeilt, wie er cs gemußt, wenn wirklich eine Stimme in seinem Herzen für sie sprach, dann hätte sie ihre Thränen mit den seinen vermischt, dann hätten ihre Herzen sich wie sonst gefunden. So aber hatte er ihrer vergessen, hatte bei der verhaßten Fremden ge weilt, an die ihn doch jetzt keine Rücksicht mehr band, war erst am dritten Tage zu ihr, zu Viktor gekom men und hatte für die treuen Jugendfreunde so wenig Zeit übrig gehabt, daß er sich schon nach kurzen Stunden wieder entfernt hatte. — Erst als Auguste in ihrem Gemache allein war, gab sie sich dem Schmerz über diese bittere Enttäuschung ganz und voll hin, fand sie die erleichternden Thränen für ihr tiefes Leid. Am nächsten Tage sandte Franziska eine Einlad ung, die Auguste unter dem Vorwande, an heftiger Migräne zu leiden und der Ruhe zu bedürfen, ab lehnte. Viktor war damit natürlich wenig einverstan den und beeilte sich seinerseits, die Einladung anzu nehmen. Die Familie war unter sich, das war der Be obachtung günstig, da kein fremder Einfluß das Interesse der beiden Personen absorbirte, die Viktor in ihren Mienen, Gebärden und Worten studiren wollte. Und sie machten dem jungen Juristen diese Arbeit leicht. Stiefmutter u. Stiefsohn! — Es war ein eigen- thllmlicheS Verwandtschaftsverhältniß, in welches diese beiden jungen und schönen Menschen zu einander gc- rathen waren. Dasselbe gestattete ihnen einen ver traulichen Ton, indem es jede wirkliche Annäherung strenge verbot. Herbert hatte der Tante geklagt, daß er nicht wisse, wie er seine Stiefmutter neunen solle, und sie hatte lächelnd bestimmt, daß, da nunmehr doch nur ein herzliches, freundschaftliches Berhältniß zwischen den beiden Verwandten bestände, sie sich bei den Vor namen anreden sollten. Viktor, der den kleinen Vorgang nicht kannte, horchte auf, als es so vertraulich herüber und hinüber klang: Stella — Herbert. — Die junge Wittwe spielte und sang und als Fran ziska ihren Platz am Flügel einnahm, fanden sich Herbert und Stella zusammen, als sei das etwas Selbstverständliches, indessen Viktor die Aufgabe hatte, die „gnädige Tante" zu unterhalten. Auguste ward nicht eben sehr vermißt, höchstens von Franziska, ob gleich auch Herbert sein Bedauern über der Freundin Unwohlsein ausgesprochen. Bei Tische führte Herbert fast allein das Wort, da Alle von ihm über die Erlebnisse seiner Reise und über die Beobachtungen, welche er in den fremden Ländern gemacht, hören wollten. Herbert schilderte mit lebhaften Farben und sehr geistvoll die persön lichen Eindrücke, die in ihm angeregt worden waren. Er hatte viele und die verschiedenartigsten Fragen zu beantworten. Viktor äußerte, daß er den Freund besonders um seinen Londoner Aufenthalt beneide, da es sein Wunsch wäre, dort eingehende Studien über die Verbrecherwelt der Riesenstadt zu machen. Herbert sagte lächelnd: „Ich habe an Sic gedacht, Viktor. Damals beschäftigte nämlich ein höchst inte ressanter Rechtsfall die Gesellschaft. Es war ein Raubmord begangen worden, man hatte einem alten Wucherer einen Juwelenschmuck gestohlen. Die Poli zei gab sich alle Mühe, den Thäter zu ermitteln, bis ein Zufall, oder besser ausgedrückt, eine höhere Füg ung das Verbrechen nach einem halben Jahre an den Tag brachte. Die schönen Steine des Schmuckes, von unge schickter Hand aus der ursprünglichen Fassung ge brochen, waren einem Juwelier übergeben worden, um sie zu einer Riviere zu verwenden. Der Dieb hatte sich nach der langen, inzwischen verflossenen Zeit sicher gefühlt und hatte gemeint, alle Vorsichtsmaß regeln getroffen zu haben, indem er die Steine aus dem Schmucke herausbrach. Doch schon die Art, wie I die« geschehen, war Verdacht erregend, zudem waren auch die größeren Steine, deren Beschreibung sich in den Geschäftsbüchern des Pfandleihers vorgcfunden, von der Polizei allen Juwelcnhändlern Londons be zeichnet worden. Kurzum, der Goldarbeiter machte Anzeige, die Diebin des Schmuckes, die Mörderin des Wucherers, ward in der Person einer vornehmen Dame entdeckt. Es war die Gattin eines LandedelmannS, der sich durch Verschwendung fast ruinirt; die Leute hatten Geschäfte mit dem Wucherer gemacht, dort hatte die Frau den Schmuck gesehen, das Verlangen, sich in den Besitz desselben zu setzen, hatte sich bis zum Wahnsinn gesteigert, sie hatte das Verbrechen begangen." — „Entsetzlich!" unterbrach Gräfin Ringersheim. „Eine Dame, vielleicht zart, gebrechlich," warf Fran ziska ein, „wie war das nur möglich?" Stella schwieg, aber aus ihren schwarzen Augen zuckte ein Blitz. „Ja," fuhr Herbert fort, zu Franziska gewendet, „ich kann Deine Frage nicht beantworten, denn die näheren Umstände, unter denen das Verbrechen be gangen worden, wurden nie bekannt. Die Dame tödtete sich, als man sie verhaften wollte — sie nahm Gift." — Stellas Augen erweiterten sich, sie starrte den Erzähler an, auf ihren blassen Wangen bildeten sich zwei purpnrrothe Flecke, aber sie sagte kein Wort. So aufmerksam auch Viktor der Erzählung Her berts lauschte, so war ihm doch Stellas seltsames Wesen nicht entgangen. Warum sprach sie nicht gleich den übrigen ihre Gedanken, ihre Meinung aus, da sie ein so reges Interesse an der Kriminalgeschichte genommen, von der Herbert berichtet. Ein unbestimmter Verdacht regte sich in Viktors Seele, er belächelte denselben zwar in demselben Au genblick, wo er ihm gekommen, aber unwillkürlich rich teten sich seine beobachtenden Blicke immer wieder auf Stella, auch als das Gespräch ein allgemeines wurde und sich über harmlosere Dinge verbreitete. Als Viktor spät heimkehrte, war Auguste schon in ihrcin Gemache, doch der Schlaf floh noch lange ihre Augen. Wie gern hätte sie von dem Bruder gehört, wie er die Gesellschaft im RingerSheimschen Hause gefunden, ob Herbert ihrer gedacht, ob er bedauert, daß sie nicht mitgekommen sei — doch Auguste scheute sich, selbst dem Bruder zu Verratheu, wie wichtig ihr alle diese geringfügigen Fragen erschienen, deßhalb zog sie sich zeitiger als sonst zurück. Viktor jedoch ließ sich nicht täuschen, er kannte seine Schwester und wußte, daß sie eine keusche, stolze Natur besaß, im Grunde war es ihm lieb, daß er nicht heute Abend noch zu Mittheilungen gedrängt ward. Auguste erfuhr das alles morgen noch zeitig genug. XI. Der Verdacht. Man befand sich am Ende des März und nach dem schon acht Tage früher Frühlingslüfte geweht und die Veilchen unter dem welken Blätterdache, das sic schützend deckte, Blätter und Knospen getrieben, trat noch einmal Kälte ein und leichte Schneeschauer rieselten nieder. Stella fand, daß Herbert seine Gesundheit ge- . fährde, wenn er jetzt schon nach Wildschütz gehe — und Herbert blieb in der Stadt. Man suchte sich die Zeit auf so angenehme und anregende Weise zu vertreiben, daß die gebotene Zu rückhaltung von größeren Gesellschaften und öffent lichen Vergnügungen mehr als eine Erleichterung, denn als Entbehrung empfunden ward. ES wurde viel musizirt, Herbert nahm seine ver nachlässigten musikalischen Hebungen unter Stellas Anleitung wieder vor, bald war er soweit, daß er sie zum Gesänge begleiten konnte, und die schnellen Fort schritte ihres eifrigen Schülers machten Stella viel Freude. Dieser zwanglose Verkehr, denn im Musikzimmer waren die beiden meist allein (und selbst wenn Fran ziska sich auch dort befand, so störte sie ihre Unter haltung wenig, sondern blätterte in einem Buche) brachte sie einander schnell näher. Stella war auch eine feine Kunstkennerin, man besuchte die Galerien, die eben eröffneten Gemälde- Ausstellungen. Herbert hatte die Bilder der älteren Meister zwar alle schon gesehen, doch jetzt schien ihm erst die wahre Bedeutung dieser Kunstwerke aufzugehen. Tante Ringersheim und Franziska waren bei solchen Ausfahrten allerdings stets dabei, allein die alte Dame war leicht ermüdet, hatte die Bilder auch schon so oft gesehen, daß sic auf einem der Divans die Ruhe suchte. Franziska blieb dann bei der Mutter und Stella durchschritt, an Herberts Arme, langsam die Säle. DaS waren die einzig glücklichen Augenblicke für Stella, denn da fühlte sie sich frei. Wenn sie dem düsteren Banne entfliehen konnte, der sie gefangen