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sonst nicht so hart in Ihrem Urtheil, nur diese schöne edle Frau, die alle Welt vergöttert, ist Ihnen unsym pathisch — mir ist da« ganz unbegreiflich, wie man Stella nicht lieben kann!" „Ich würde die« nie vermögen!" rief Viktor lebhaft. „Aber warum? al« vernünftig und gerecht den kender Mensch müssen Sie doch einen Grund dafür angeben können." „Tausend für einen — und dock vielleicht keinen faßlichen. Ich könnte z. B. sagen, daß mein Ideal — oder richtiger gesprochen: da« Mädchen, welche« ich liebe und zum Weibe erküre, Stella Wildschütz nicht gleichen darf, daß ich gegen die letztere vielleicht ungerecht bin, weil mein Fühlen und Denken aus schließlich mit dem holden Bilde meiner Träume be schäftigt ist." Franziska hatte längst die Blicke ihrer milden Augen auf die Stickerei gesenkt, welche ihre schmalen Hände hielten, hoch erglühend lauschte sie den Worten de« Jugendfreundes und dem leise bebenden Tone seiner Stimme, der nur zu beredt zu ihrem Herzen sprach. Auguste, die einsichtsvolle Freundin, war gerade in eine interessante Lektüre vertieft und zwar so sehr, daß sic nicht bemerkte, wie Viktor sich tiefer zu seiner Nachbarin neigend, einen Kuß auf deren zarte Hand drückte und dabei leise fragte: „Soll es ewig ein Traumbild bleiben, Franziska?" Das junge Mädchen erwiderte zwar nicht mit Worten, aber der feuchte Glanz in ihrem Ange, als sie den Blick zu dem geliebten Freunde erhob, das glückliche Lächeln, welches ihren Mund umspielte, sag ten mehr als Worte. * * -r- Herbert Wildschütz hatte seine Ankunft der Familie telegraphisch angezcigt. Man erwartete ihn in den Morgenstunden des nächsten Tages. Stella fühlte sich durch die Aussicht, schon so bald ihrem Stiefsohne gegenüber stehen zu müssen, unangenehm berührt. Sie kannte Herbert nicht per sönlich und hatte mehr errathen, als in klaren Wor ten vernommen, daß er der zweiten Heirath seines Vaters entgegen gewesen sei. Er hegte eine an An betung grenzende Liebe für seine verstorbene Mittler, die er verloren, da er ein Knabe von fünfzehn Jahren war. Ihr Bild lebte in seiner Seele sort und er begriff nicht, wie der Vater sich hatte von seinem öfter geäußerten Entschlüsse, keine zweite Ehe zu schließen, abbringen lassen können. In den Augen des Sohnes war die Frau, welche den Platz seiner verehrten Mutter einnahm, ein Eindringling und als Herbert gar vernommen, daß Stella Blendheim schön und jung sei, fürchtete er, daß lediglich äußere Bor- theile sie bestimmt haben möchten, eine Konvemions- heirath mit einem um so viel älteren Manne abzu schließen. Er ergriff daher damals freudig die Gelegenheit, welche der Vater ihm bot, und reiste von München aus, wo er sich gerade aufhielt, nach dem Norden Deutschlands, von da später nach Amerika. Es war längst Herberts Wunsch gewesen, die Verwandten in New-Hork zu besuchen, der Vater hatte jedoch unter allerlei Vorwänden seine Erlaubniß ver weigert. Jetzt ertheiltc er dieselbe in der Hoffnung, daß, wenn der Sohn nach Jahr und Tag zurückkehre, die kleinen Disharmonien sich ausgeglichen haben würden — wie anders war doch alles gekommen! Gräfin Ringersheim war mit Franziska zu einer Freundin gefahren, wo im engsten Kreise ein Fami lienfest begangen wurde. Auch Stella war dazu ge laden, doch sie hatte abgelehnt, unter dem Vorwande, Kopfweh zu haben. Die Verwandten wollten bald zurück sein, deshalb beschloß Stella, sie droben zu er warten und verfügte sich in das Musikzimmer, wo sie sich bald, am Flügel sitzend, in die Welt der Töne verlor. Stella besaß eine weiche, melodische Stimme von großer Klangfülle, sie sang ihre Lieblingslieder aus der frohen Mädchenzeit, sie versetzte sich ganz zurück in jene glücklichen, unschuldsvollen Tage, wo weder Sorge noch Reue ihr Leben getrübt. Stella war so versunken in ihren Melodien und Erinnerungen, welche wiederum durch diese geweckt wurden, daß sie das Rollen eines Wagens überhört hatte, der vor dem „Palais" hielt. Sie sang Mendelssohns wunderholdes Lied: „Das erste Veilchen". Die schwermüthige Klage um ver lorenes Glück, erstorbene Jugendlust, erweckte ein Echo in dem Herzen des jungen Mannes, der leise die Thür des MusikzimmerS geöffnet hatte und doch jetzt zögernd den Schritt hemmte, um die schöne Sängerin nicht zu stören. Und wie schön war Stella! Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne spannen ein schimmerndes Netz um ihr goldiges Lockenhaar. Die düstere Trauer kleidung hob die schneeige Weiße der zarten Haut, den Purpur der Lippen, den schlanken Hals noch blendender hervor, und der Blick dieses großen dun keln Auges, der träumerisch wie in weite Ferne ge richtet war, welch einen Zauber übte dieser Blick. Herbert Wildschütz, denn er war der Ankömmling, empfand denselben unwillkürlich und ohne sich Rechen schaft davon zu geben. Das Lied war zu Ende, die letzten Akkorde ver hallten leise. Stella stieß einen Ausruf der Ueberraschung aus, sie hatte den Fremden erblickt, sie ahnte richtig, wer es sei, obgleich die Bilder, welche sie von ihrem Stief sohn gesehen, dem schönen Manne dort nicht eben glichen. Hubert erschien ihr viel älter, gereifter. Jetzt schmückte ein mächtiger Voltbart Kinn und Wangen, während früher nur ein schüchtern keimen des Bärtchen die Oberlippe bedeckt, das Antlitz war gebräunt, die hohe, schlanke Figur stärker, breiter ge worden. Kurz, das Porträt, welches der Präsident vor einigen Jahren von Meisterhand hatte fertigen lassen, glich Herbert jetzt, als sei es das eines jüng eren Bruders. Als Stella sich erhoben, näherte sich ihr Herbert schnell, zum ersten Male in seinem Leben war der Weltgewandte um eine Anrede verlegen. Wie sollte er auch die Wittwe seines Vaters nennen, der er nie den heiligen Mutternamen gegeben, und dies jetzt zu thun, dem jungen schönen Weibe gegenüber, war ihm völlig unmöglich. So streckte er ihr denn nur grüß end die Hand entgegen und sprach mit tiefer, leise vibrirender Stimme: „Wir haben einen schweren, schweren Verlust erlitten. O, der theure Vater — ich möchte Jahre meines Lebens darum geben, wenn cs mir vergönnt gewesen wäre, ihn noch einmal — ein einziges Mal zu sehen!" ES sprach so viel bittere Klage, so schmerzliche Sehnsucht aus diesen einfachen Worteri, daß Stellas ganzer Jammer über die letzten, furchtbaren Ereig nisse, die auf sie eingestürmt waren, wieder erweckt wnrde in aller Stärke. Von ihren Empfindungen überwältigt, brach sie in krampfhaftes Schluchzen aus, das sich nicht stillen wollte. Herbert versuchte es, die weinende Frau durch sanften Zuspruch zu beruhigen. Er konnte keine Thränen sehen, diese verzweiflungsvollen Klagelaute Stellas aber thaten ihm förmlich wehe. Mit sanfter Gewalt zog er den Arm der sich leise Sträubenden an sich und geleitete sie zu der unfcru des Flügels stehenden Chaiselongue. Stella ließ sich dort nieder, ihre Thränen flössen milder, sie beruhigte sich allmählich, indem sie den Worten Herberts lauschte, dann erzählte auch sie dem heimgekehrten Sohne von dem tobten Vater und wie lächelnd und friedlich er in dem mit Blumen geschmückten Sarge gelegen — ein müder Pilger, der sich geflüchtet ans dem Kampfe des Lebens, der frohen Herzens die Ruhe gesucht hat. Befremdet blickte Herbert seine Stiefmutter an, dann sagte er mit leichtem Kopfschütteln: „Ich sollte meinen, daß der gute Vater schon in den letzten Jahren seines Lebens eingelaufcn war in den Hafen der Ruhe. Dem Kampfe der Parteien stand er fern, das Ziel seines Ehrgeizes war erreicht, cs gab für ihn wenig mehr zu erstreben und wenige, welche ihm Erstrebtes hätten streitig machen mögen — mein Vater hatte keinen Feind. Seine Verbind ung mit Ihnen — befriedigte auch sein vereinsamtes Herz, gab dem einsamen Hause eine Herrin, die Freude und Behaglichkeit um sich verbreitete, warum hätte mein Vater sich nach Ruhe sehnen, warum aus dem Leben hinausflüchten sollen in die düstere Halle, welche die Gebeine unferer Ahnen einschließt — war mein Vater nicht glücklich?" „Er war glücklich," betheuerte die junge Wittwe und in ihrem Tone lag überzeugende Wahrheit. Das fühlte Herbert und ihr die Hand hinreich end, sprach er herzlich: „Ich danke Ihnen für dieses Wort und werde dasselbe nicht vergessen. Lassen Sie uns Freunde sein, treue, in der Liebe zu dem edlen Hingeschiedenen vereinte Freunde. So erfüllen wir die sehnsüchtigsten Wünsche seines zärtlichen Herzens. Ich werde Ihnen die Briefe geben, welche mein Vater mir nach New-Dork geschrieben, aus denselben werden Sie am besten erkennen, wie innig er Sie geliebt hat." „Ich weiß es!" sagte Stella mit so tiefem Ge fühle, daß Herbert nicht länger zweifeln konnte, diese junge, schöne Frau habe seinen Vater treu geliebt. „Geben Sie mir die Briefe, deren Sie eben Er wähnung gethan!" bat sie leise. Er wehrte mit einer Handbewegung ab. „Nicht jetzt, das würde Sie zu sehr aufregcn, Sie müssen erst ruhiger geworden, Ihre schmerzliche Trauer muß einer sanften Wehmuth gewichen sein, dann wollen wir vereint diese theuren Blätter durch lesen." „Wenn ich nicht mehr bin, dann sei meiner Stella ein Freund, ein Berather, sie verdient Deine Liebe, ihre Tugend die Verehrung eines jeden Mannes; diese Worte schrieb mir der Vater in einem seiner letzten Briefe, sie erschienen mir jetzt wie ein Ber- mächtniß, ein Gebot, das ich erfüllen werde!" Stella lehnte in den Polstern der Chaiselongue, unter ihren gesenkten Wimpern quollen langsam große Thränen hervor und rannen über die marmorblassen Wangen. War sie sich doch bewußt, daß selbst der starke Arm dieses Manne«, fein redlicher Wille sie nicht zu schützen vermochte gegen die Gefahr, welche ihr drohte. Und doch fühlte sie sich wunderbar beruhigt durch die warmen herzlichen Trostworte — ach, sie war ja so verlassen, sie hatte den Mann verloren, dessen Lie ben allein rein von Egoismus gewesen war, es war schon eine Beruhigung, daß der Sohn ihres Gatten sich nicht feindlich von ihr wandte, daß er ihr die Hand bot zum Freundschaftsbunde. VIII. Alte Ireimde. Am nächsten Morgen fuhr Herbert in Begleitung seiner Tante nach Wildschütz. ES drängte den Sohn, am Sarge des Vaters ein Gebet zu sprechen. Stella und Franziska waren daheim geblieben, die erstere wollte in richtigem Takte sich fern halten von dieser traurigen Pilgerfahrt und Franziskas zarte Gesund heit mußte um jeden Preis geschont werden. Als am gestrigen Abende, eine Stunde nach dem unerwarteten Eintreffen Herberts, Gräfin Elenora und Franziska zurückkehrten, waren sie hocherfreut, den lieben Verwandten schon zu finden. Auch die später gemachte Bemerkung, daß Stiefmutter und Stiefsohn sich nicht kalt und förmlich gegenüberstan den, sondern wie Leute, die sich redlich bemühen, ein ander Freunde zu werden, war eine sehr angenehme für Mutter und Tochter, die zuweilen ihrer leisen Besorgniß Ausdruck gegeben, daß Herbert nicht freund lich gegen Stella sein könnte. Am Nachmittag kam Auguste zu Franziska, kürzte ihren Besuch jedoch sehr ab, als sie von Herberts Heimkunft erfahren. Der Gedanke, dem theuren Jugendfreunde hier zu begegnen, in Gegenwart dieser Frau, die ihr nun einmal im höchsten Grade unsym pathisch war, hatte etwas Unerträgliches für Auguste. Ueberhaupt fühlte sie sich durch die Erzählung der Freundin, die in lebhaften Farben schilderte, welche Ueberraschung sie gestern Abend gehabt, als sie bei der Heimkunft Herbert und Stella im Musikzimmer beisammen getroffen, peinlich berührt. Daß diese Frau die erste gewesen, welche dem Sohne jene Mittheilungen gemacht, die sein Herz auf das tiefste bewegen mußten, war ihr am schmerzlich sten, sie empfand es wie eine Kränkung ihrer Rechte. So nahm Auguste selbst von der Freundin kühlen Abschied und entfernte sich noch vor Gräfin Elcnoras Rückkehr. Ein freudiges Roth färbte Stellas Wangen, da am Abend Herbert, der die Absicht geäußert, in Wild schütz zu bleiben, mit zurückkam. Man war draußen noch so wenig für seinen Em pfang vorbereitet gewesen, die Zimmer waren nicht einmal geordnet und gelüftet, er würde sich in dem großen, einsamen Hause, nur beschränkt ans die Ge sellschaft des alten Franz und in seiner trüben Ge- müthsverfassung, ganz unheimlich gefühlt haben. Dies sah auch Herbert ein und hatte sich leicht von der Tante bestimmen lassen, noch einige Zeit bei ihr zu wohnen, his in Wildschütz die nothwendigen Vorbereitungen getroffen waren. Herbert hatte eigentlich die Absicht gehabt, den Abend im Hause des Freundes zuzubringcn, den er noch nicht begrüßt, die Theestunde war aber so trau lich und spann sich so lange aus, da vor dem Souper noch etwas musizirt wurde, daß der junge Mann zu seinem Erstaunen gewahr ward, als sein Blick die Pendüle auf dem Kamin streifte — wie es schon neun Uhr sei. Nun war es zu spät, noch zu Wil- merts zu gehen und Herbert nahm sich vor, am nächsten Tage das Versäumte nachzuholen. Freilich am Morgen konnte er seinen Besuch nicht machen, da, wie er wußte, Viktor im Landesgericht beschäftigt war, er hoffte Auguste bei ihrer Frcunyin Franziska zuerst zu sehen, allein sie kam nicht und so begab er sich denn gegen Abend in die nahegelegene Wohnung der Geschwister. Tante Brigitte empfing ihn mit altgewohnter Herzlichkeit und gab in sehr beredter Weise, wobei sie sich häufig die Augen trocknete, ihrer Theilnahme an Herberts schwerem Verluste Ausdruck. Die WilmertS waren elegant, ja sogar mit künst lerischem Geschmack eingerichtet. Frau Brigitte, eine einfache, herzensgute alte Dame besaß alle Haus frauentugenden in hohem Maße, und Auguste hatte ihres Vaters feinen Geschmack, den Sinn für das Schöne geerbt. Stilvoll und gediegen war die ganze Einrichtung, alles paßte zusammen, nirgends fehlte etwas, aber was mehr ist, es war auch nirgends zu viel und jede Ueberladung fast ängstlich vermieden. Wie wohl hatte sich Herbert stets in diesen Räu men gefühlt, zu denen die Herrin derselben so har monisch paßte, daß man sich Augusten« schlanke, edle Gestalt, ihr mildes, ernstes Wesen, ihre vornehm zurückhaltende Art gar nicht in anderen, in kleinen Lebensverhältnissen denken konnte. (Fortsetzung folgt.) Druck und »erlag von L Hannetotzn in »tbensiock.