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del abgerechnet — doch dies fiel hier nicht schwer ins Gewicht. Die Fahrstraße, welche an der Schenke zum letz ten Heller vorbei zum nahen Gebirge führte, war eine frequentirte. Deshalb wäre eS auch schwer zu ermitteln gewesen, wer den Trunkenen überfahren und ob den Kutscher die Schuld treffe an dem Unglück. Der Poldi gab diesen Gedanken Worte, indem er sagte: „ES ist halt ein Malheur, wenn der Mensch mehr trinkt als er vertragen kann; die Kutscher, die hauen allemal wie verrückt auf die Pferde und fahren da raus los, was das Zeug hält." „Ja," rief Mutter Eva, „Du hast recht, Poldi, ich hab' selbst heut, eS war am Spätabend und schon stockdunkel, eine Equipage gesehen, die von der Stadt kam — eigentlich hab' ich's gehört — denn sic hat ten nicht einmal Licht in ihren Laternen brennen, das liederliche Volk, wie leicht ist's da, daß einer übergefahren wird, wenn er auf seinen Füßen nicht mehr recht stehen kann!" Der Kommissar hob lauschend den Kopf; er hatte das Rollen eines Wagens vernommen. „Frau," sagte er jetzt hastig zu Mutter Eva ge wendet, „säubert dort den Tisch rechts in der Ecke, stellt die Lampe hin und ein Tintenzeug, steckt noch ein paar Kerzen auf, mir scheint, die Herren vom Gericht werden gleich hier sein." II. Km Ehrgeiziger. Der Begleiter des Kommissars war auf dessen Wink hinauSgeeilt, die Ankommenden zu empfangen und herein zu geleiten, ihm folgte der griesgrämige Heller-Wirth. Sie hatten sich nicht umsonst bemüht und des Kommissars feine Ohren hatten sich nicht getäuscht. Ein Miethwagen hielt auf der schmutzigen Fahrstraße und demselben war soeben, ehe noch der Kutscher den Schlag des Wagens zu öffnen vermocht, leichtfüßig ein schlanker, elegant gekleideter Herr ent stiegen. Ungeduldig machte er erst einige Schritte nach dem Hause zu, dann wieder zurück zum Wagen, aus dessen Innern jetzt bedächtig zwei Herren stiegen, der erste derselben war der Staatsanwalts-Substitut Lehring, der zweite der Doktor Splittner, der Ge- richtSarzt. Sie traten in das Haus und dann in die Schenkstube, an deren Thür sie der Kommissar schon empfing. Der Gerichtsarzt begab sich sofort zu der Leiche des Verunglückten, während der Kommissar kurz und sachlich seinen Bericht erstattete. „Ich habe den Verunglückten, den ich Wetter drau ßen auf dem Wege nach Waldbach fand, in der Nähe der Maschinenschlosserei, hierher hringen lassen, weil ich meinte, es wäre noch Leben in dem Menschen und er könne gerettet werden, wenn ihm bald Hilfe würde. Am Thatorte, wo die beiden Arbeiter dort, denen ich vorher begegnet, den Mann fanden, Härte ich ihn nicht lassen können, in dem Schmutzmee.-, das den Fahrdamm überzieht ; denn wo er lag, hätte man ohnehin keine Untersuchung anstelle» können, bis zur Rettungsanstalt der Wachtstube aber war es zu weit." Der schlanke junge Mann, welcher den Wagen zuerst und so eilig verlassen hatte, runzelte bei den Worten des Kommissars leicht die Stirn, indessen der Staatsanwalts-Substitut, ein ältlicher wohlbeleib ter Herr, ruhig und eingehend die nöthigen Fragen an den Polizeibeamten richtete. Dann traten alle drei zu dem entstellten Leichnam. Doktor Splittner machte höflich etwas Platz und sagte gleichmüthtg: „Der Mann ist überfahren worden und dies zwar in volltrunkenem Zustande. Sehr beklagenswerth er scheint dieser Umstand aber nicht, denn der Verun glückte wäre sicherlich in kurzer Frist am äeiirium tremens gestorben." Auch Herr Lehring schien diese Ansicht zu theilen, denn er nickte beifällig und mochte bei sich denken: daß eS sich der Mühe nicht gelohnt habe, ihn erst zu inkommodiren wegen einer solchen Bagatelle! Aber erst gestern war hier in der Nähe ein Mord begangen worden — das Terrain war für derlei Raub- oder Mordanfälle günstig — da hatte man nicht wissen können, ob der „besinnungslos" nnd „anscheinend todt" aufgefundene, blutüberströmte Mensch, von dem die erhaltene Depesche Meldung gethan, nicht das Opfer eines Verbrechens geworden sei. Der junge Begleiter Lehrings, Landesgerichts- Offizial Viktor Wilmert schien über die Angelegen heit seine eigene Meinung zu haben. Er besprach sich mit dem Gerichtsarzte und blickte dabei immer noch forschend auf den Todten herab, dabei ging ihm aber kein Wort von dem halblaut geführten Gespräche der übrigen Anwesenden verloren. Viktor Wilmert war ein überschlanker junger Mann von noch nicht dreißig Jahren. Die Züge seines bleichen, edel geschnittenen Antlitzes, die großen, braunen, etwas umflorten Augen ließen deutlich die Spuren anstrengender Geistesarbeit erkennen. Jetzt zog der junge Doktor der Rechte die Hand schuhe von den zarten, weißen Händen und strich leicht, wie liebkosend über daS gräßlich verstümmelte Antlitz des Todten. „DaS Stirnbein ist zerschmettert, sehen Sie, Herr Offizial, hier ist das Rad des Wagens über den Kopf des auf dem Boden Liegenden gegangen, das andere Rad muß ihm gleichzeitig die Brust eingedrückt haben, die Rippenknochen "sind in den einen Lungenflügel eingedrungen, der Mann ist zerquetscht worden, und das um so sicherer, als nothwendig die Hinterräder des Wagens das Werk des Unheils vollenden muß ten, indem sie denselben Weg nahmen über den Leib des Unglücklichen." „Das ist nicht wahr," unterbrach sehr entschieden der Offizial. Doktor Splittner riß seine großen, runden Augen noch weiter auf und blickte den Sprecher ganz ver dutzt an, wobei er murmelte: „nicht wahr — nicht wahr?" „Ja," fuhr Wilmert ruhig fort. „Sie sagten vorhin, das eine Wagenrad wäre über das Haupt, das andere gleichzeitig über die Brust des Mannes da gegangen — dies ist aber einfach unmöglich — messen Sie doch gefälligst, wenn auch vorläufig nur im Geiste, die Entfernung ab, den Raum, welcher sich zwischen zwei Rädern befindet, und Sie werden sich überzeuge», daß derselbe ein viel größerer ist als derjenige zwischen Stirn und Brust des Verunglück ten. Das müßte ein gar seltsam gebauter Wagen gewesen sein, dessen Räder so nahe bei einander an gebracht sind!" Der GerichtSarzt machte ein ärgerliches Gesicht; obgleich das Argument, welches Wilmert seiner Be hauptung entgcgcnstcllte, ein schlagendes war, wollte er sich doch nicht sogleich gefangen geben, und nach kurzem Besinnen fragte er deshalb ein wenig spöttisch: „Mag sein, daß Sie recht haben, Herr Offizial, diese Frage könnte nur ein Wagenbauer, ein Sach verständiger, endgültig entscheiden. Aber wie erklären Sie sich alsdanu den Umstand, daß sowohl Kopf wie Brustkorb des Verunglückten Radspuren zeigen — der Kutscher, falls er den Mann, welcher im Wege lag oder seinen Weg kreuzte, nicht bemerkte, fuhr weiter — in dem Falle brachten die Hinterräder des Wag ens dieselben Verwundungen hervor, das heißt, sie vertieften sie nur, weil sie ganz in derselben Richtung über den Körper fortgingen. Um eine zweite Rad spur dem Körper aufzuprägen, hätte der Wagen an anderer Stelle über den am Boden Liegenden fortrollen müssen!" „Und wer sagt Ihnen, Herr Doktor, daß dies hier nicht geschehen?" war die ruhige, in einem fast trocken zu nennenden Tone gegebene Erwiderung WilmertS. Jetzt fand es der StaatSanwalts-Substitut, der bisher schweigend zugehört, an der Zeit, sich auch seinerseits in das Gespräch zu mischen. Er that dies zuvörderst mit einem vielsagenden „hm — hm" — dann meinte er leichthin: „Diese letztere Annahme hat nicht viel Wahr scheinliches, auch scheint darauf nicht eben viel anzu kommen. Die ganze Sache liegt ja sehr klar: hier ist ein Unglücksfall, ein häufig vorkommender. Der Mann — Wenzel Lauer mit Namen — nicht wahr, Herr Kommissar, so nannten Sie ihn?" „Ja wohl, ganz recht: Wenzel Lauer, vul^o der schwarze Wenzel." „Also dieser Mann," sprach Lehring ruhig weiter, „war ein Trunkenbold von Profession, hat nach Aus sage der Wirthin hier den halben Tag gezecht und sich darauf in volltrunkenem Zustande entfernt. Er wird gestolpert, gefallen und dann auf dem Wege eingeschlafen sein — wie hätte er da das Rollen eines herannahenden Wagens vernehmen können." Offizial Wilmert machte eine ungeduldige Hand bewegung, dann warf er lebhaft ein: „Es will mir scheinen, daß der Wenzel Lauer sich in einer ganz bestimmten Absicht irgend wohin bege ben hat, und zwar um das Geld zu holen, von dem er der Frau Wirthin hier erzählt. Er hat ja aus drücklich geäußert, daß er sich morgen im Besitze von viel Geld befinden werde —" „Das sind Flausen, Prahlereien, um die Wirthin zu vermögen, ihm Kredit zu geben," — sagte der Kommissar mit der Miene eines Sachverständigen, der Leben und Gewohnheiten der Leute kennt, die hier in Frage kommen. „Kann sein — kann auch nicht sein — das läßt sich jetzt nicht feststellen," lehnte Offizial Wilmert achselzuckend ab. „ES ist eben sehr bedauerlich, daß wir den Leichnam erst hier fanden und nicht an dem Thatorte die ersten Nachforschungen anstellen konnten." (Fortsetzung folgt.) Die Eine der Schwestern. Unter diesem Titel erzählen Wiener Blätter fol genden Roman au» dem Leben: Sie hatten Glück, die beiden Schwestern. Wenn sie auf der Bühne erschienen, so umjubelte sic lauter Beifall, Blumen und Kränze regnete e-, und die beiden Gefeierten konnten fast gar nicht ihre paar Lieder abträllern, die ihr Programm bildeten und für die sie der Be- Druck und Berta» von L. Hannetotzn in Lidenftvck. fitzer de» BergnügungS-EtablissementS engagirt hatte. Und da», wa» sie sangen, war fast ebenso schlecht als wie sie eS sangen. Sie hatten weder Stimme noch Gehör, aber schön waren sie, die beiden Schwestern, und das genügte dem aristokratischen Stammpublikum de» Variötö-TheaterS in Wien, das allabendlich alle Logen füllte, um die Schwestern Louise und Bertha zu sehen. Da» neue, unerwartete Glück störte die Eintracht der beiden schönen Schwestern, und al« sie von Wien Abschied nahmen, wo sie förmlich mit Brillanten und Geschenken überschüttet worden waren, trennten sie sich in Zwist und Hader, und Jede ging ihren eige nen Weg — dem Elend entgegen. Louise, die Aeltere, zog nach Rußland, um dort neue Lorbeeren, neue Verehrer zu gewinnen, Bertha, die Jüngere, zog nach Italien, wo sie auf neue Triumphe hoffte. Ein Jahr war vergangen und die beiden Schwestern schienen verschollen Der Vater der beiden Sängerinnen war ein ehr samer Schuhmacher, der sxine Töchter ordentlich er ziehen ließ. Eines Tages stürzte vor seiner Wohn ung ein eleganter Reiter, der in scharfem Galopp einhergesprengt kam, vom Pferde und blieb blutüber strömt und bewußtlos am Boden liegen. Der Arzt konstatirte, daß der Mann eine Gehirnerschütterung erlitten habe und unmöglich vom Platze tranSportirt werden könne. Der mitleidige Schuhmacher nahm den Schwerverletzten in seine Wohnung auf, und Louise, seine ältere Tochter, ein schönes, junges Mäd chen, wurde die Pflegerin des unbekannten Patienten, dessen starke Konstitution nach hartnäckigem Ringen mit dem Tode doch endlich den Sieg davontrug. Der Patient war gerettet — dank der liebevollen Pflege seiner jungen Wärterin. Bald erfuhren der Schuh macher und seine Tochter, wem sie ihre theilnehmende Fürsorge zugewendct hatten; der Kranke war der rus sische Fürst L., der für einige Zeit seinen Aufenthalt in der Residenz genommen hatte. Der junge Fürst hatte sich in seine schöne Pflegerin wahnsinnig ver liebt. Al» er bereits genesen und in seine Wohnung übergesiedelt war, war er ein täglicher Gast im Hause des Schusters, den er für die Aufnahme, die er bei ihm gefunden, reichlich belohnt hatte. Da verschwand die schöne SchusterStochter plötz lich auS dem Hause deS Vaters und gleichzeitig hatte Fürst L. die Stadt verlassen. Louise war ihm gefolgt und daS Liebespaar bereiste fast den ganzen Kontinent. Der Fürst vergötterte das Mädchen, dem er jeden, selbst den thörichtesten u. kostspieligsten Wunsch erfüllte. Und ein Jahr später war er ein Bettler, war er total ruinirt. Louise wollte jetzt nichts mehr von ihm wissen, sie trennte sich von dem Manne, der all sein Hab und Gut ihr geopfert hatte; sie folgte dem Rufe eines Agenten u. wurde Sängerin. Ihr Vater war auS Kränkung über ihren Lebenswandel gestorben, sie nahm ihre Schwester zu sich und Beide ließen sich für die Variötä-Bühne ausbilden. In daS Spital tritt wankenden Schrittes eine blasse, abgehärmte Frauensperson und bittet flehent lich um Aufnahme; sie sei todtkrank und müßte in ihrem ärmlichen Logis zu Grunde gehen, wenn sie nicht im Spital Pflege finde. ES ist ein Bett frei und der Beamte kann der Patientin die Aufnahme nicht verweigern; sie giebt ihr Nationale ab und zu seinem Staunen vernimmt er, daß er in der herab gekommenen kranken Frauensperson die einst von der Lebewelt so gefeierte Sängerin Louise vor sich habe. Der Beamte betrachtet mitleidigen Blickes die Kranke, und unwillkürlich taucht in seiner Erinnerung eine Affaire auf, die sich vor einigen Wochen in der Auf nahmekanzlei des Spitals abgespielt hatte. Damals hatte sich gleichfalls ein Bittsteller eingefunden, der selbe war aber nicht Patient, sondern hatte flehentlich gebeten, ihn als Spitalwächter zu verwenden. Der Petent hatte Empfehlungen von einem hervorragenden russischen Arzte bei sich, und diese gaben den Aus schlag, der Mann wurde als Wärter acceptirt. Am selben Tage traf an die Spitaldirektion ein Brief deS erwähnten Arztes ein, in welchem er interessante Auf schlüsse gab. Der Arzt schrieb, derselbe sei ein rus sischer Fürst, der sein ganzes Vermögen verloren und an den Bettelstab gebracht worden sei. Der Fürst wollte, um seine Existenz zu fristen, Spitalwärter werden, wozu ihm der russische Arzt die Anleitung gegeben hatte. Der Arzt gab ihm das beste Zeug- niß, und sprach die Ueberzeugung au», daß der Russe seinen Pflichten al» Wärter in der eifrigsten Weife nachkommen werde. In dem großen Park, der den RekonvaleScenten des Spitals zur Erholung dient, grünt e» und blüht e»; die laubbedeckten Bäume rauschen, die Vöglein auf den Zweigen zwitschern und piepen. E» rauscht in den Bäumen und die Vöglein singen, und wer diese geheimnißvolle Sprache verstünde, der würde daraus eine interessante Geschichte entnehmen und mit größter Spannung zuhören. Die Bäume rauschen und die Vöglein zwitschern; sie erzählen die Geschichte eine» russischen Fürsten u. einer Sängerin, die sich unter den Bäumen wiedergefunden — nach Tagen de» Glanze», elend und berabgekommen! t< d K A b, w z> ei E E sp D er A dr de se in zu D de sck re ek m wi loi all de wi e» ei, la> Sc de: bei di« da örl s°I so fick