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sten standen auf Erden ; sie schlugen ihr noch in alter Weise entgegen, obgleich sie dieselben einst gering ge achtet gegen das, was in Wahrheit nichtig ist: den Reichthum, das Gold! Da hatte erst ein mahnender Finger an das thörichte Herz klopfen müssen, es auf schreckend aus seinem Wahn. „Ja, Gott ist gut, er will, daß Keiner verloren geht!" Pastor Hellmuth genas, doch zog er sich in den wohl verdienten Ruhestand zurück; seine Kräfte waren von der Krankheit sehr angegriffen. Sein Nachfolger wurde Prediger Lange, der sein Stellvertreter gewe sen war. So brauchte er den Ort, der ihm theuer geworden, nicht zu verlassen. Die liebste Stelle aber war ihm die Laube im Garten beim Onkel Kehren burg; sie stand nicht weit vom runden Beet. Einst sagte er zu seiner Braut: „In dieser Laube fand ich den Muth, mir mein Glück zu holen. Es war an einem dunklen Winter abend, da saß ich hier und richtete mit dem Schicksal. Da kamen zwei junge Damen und umwandelten die ses Beet und schütteten sich das Herz aus. Ich konnte mich nicht unbemerkt entfernen, und so war ich gezwungen, den Lauscher zu machen. Aber es hat keinen Schaden angerichtet, nicht wahr?" Sie hob das erglühende Gesicht zu ihm auf, und in den Augen stand die Antwort geschrieben. Der Mensch und seine Zukunft. Von Rudolph Schlick. Wie viele tausende Male ist schon die Frage auf geworfen worden, wie wohl der Mensch in zukünftigen Zeiten, sage z. B. in tausend Jahren ausschen wird, und ob seine geistigen Fähigkeiten sich mehr entwickelt haben oder, vom heutigen Standpunkt aus berechnet, zurückgegangen sein werden. Die erstaunlichsten Hy pothesen sind ausgestellt worden, die eine noch aben teuerlicher als die andere, und das Wunderbarste bei der Sache ist, daß die Schöpfer solcher Theorien im mer nach ihrer Meinung unumstößliche Beweise für die Richtigkeit derselben beizubringen im Stande sind. Wird doch behauptet, daß in dem Gesicht unserer Ur- und Ururenkel die Nase gänzlich fehlen werde, und daß der Geruchssinn schon jetzt im Aussterben begriffen sei. Was die Körpergröße anbelangt, so stimmen so gar alle die Herren darin überein, daß in tausend Jahren das menschliche Geschlecht zu Pigmäen herab gesunken sein werde, und sie berufen sich für diese Behauptung auf das in einigen Ländern nöthig ge wordene Herabsetzen des Militärmaßes. Andererseits aber schreibt man dem zukünftigen Menschen fabelhafte, die unsrigen weit übertreffende geistige Fähigkeiten zu, eine Annahme, welche nur durch die oberflächliche Beobachtung der gerade in diesem Jahrhunderte gemachten so erstaunlichen Er findungen und Entdeckungen ihren Grund gefunden haben kann. Aber was, müssen wir fragen, sagt die Wissen schaft zu diesem allen? Kann sie uns Beweise liefern, um diese Hypothesen umzustoßen, oder tappt sie ebenso im Finstern herum, wie diese sich als Propheten ge bärdenden Leute? Allerdings ist die Zukunft ein verschlossenes Buch, und doch versteht es der Wissende, zwischen den Spal ten gar manches herauszulesen, was au- das ganze Innere schließen läßt. Die untrüglichen Beweise, welche die Wissenschaft beibringen kann, stützen sich einzig und allein auf die genaue Erforschung der Sta tur u. des Menschengeschlechtes von den ältesten Zei ten bis auf die Gegenwart, und dies sagt uns klar und deutlich, daß in tausend und aber tausend Jahren der Mensch in körperlicher und geistiger Beziehung das Ebenbild des jetzt lebenden sein wird. Tausend Jahre sind in der Ewigkeit der Schöpf ung nur ein verschwindendes Atom, aber selbst in diesem kurzen Zeitraum müßten sich stattfindende Ver änderungen bemerkbar gemacht haben. Wo solche je ans Licht getreten sind, da waren sie stets durch kli matische und andere mehr oder minder zufällige Um stände, aber nie durch feststehende Naturgesetze bedingt. Als man vor kurzer Zeit die Mumie des - vor über 3000 Jahren verstorbenen Königs Ramses II. von Aegypten enthüllte, da zeigte es sich, daß selbst in dieser längeren Zeit auch nicht die geringste Veränderung in den Gesichtszügen und der Körperform vorgegangcn sein konnte, denn er war ein so getreues Abbild der heutigen Orientalen, daß er in den Straßen von Berlin, London oder Paris wenig oder gar kein Auf sehen erregen würde. Betrachten wir die Skulpturen in Aegypten, deren Ursprung noch viel weiter zurückreicht, da zeigt es sich uns, daß ebenso wie der Mensch im einzelnen, sich auch die Rassen in nichts verändert haben. Neben den Neger finden wir da den unverkennbaren Typus des Israeliten, des Arabers und des AegypterS. Bon jeher hat es schwarze, weiße, kupfer- und olivenfarbige Menschen mit allen ihren bestimmt aus geprägten Rassemerkmalen gegeben, und ebenso gab e- stets Völker von riesigem Wuchs, wie die Pata aonier, oder Zwerge, wie einige Stämme vom Inneren Afrikas oder die Bewohner des hohen Nordens, die E-kimoS. Es ist wohlbekannt, daß man, namentlich bei unseren Hausthieren, durch sorgfältig berechnete Kreuzung mehr oder minder von einander verschie dene Varietäien erzeugen kann, aber beim mensch lichen Geschlecht kann man kein einzige« Beispiel einer solchen Veränderung finden, denn selbst bei Mischrassen verschwinden, wenn auch erst nach Ge nerationen völlig, die bezeichnenden Kennzeichen der Körper-, Gesicht- und Schädelbildung und der Haut farbe, und der Mischling nähert sich mehr und mehr der Rasse des Vater« oder der Mutter. Was aber will nach der beengten Zeit die Sta tur des Menschen sein, wird sie zu- oder abgenommen haben? Die genauesten Forschungen der Vergangen heit weisen unwiderruflich darauf hin, daß die Kör pergröße im langsamen, aber ganz bemerklichen Zu nehmen sei, was wohl zum größten Theile einer ge sunderen und den Naturgesetzen mehr angepaßten Lebensweise zuzuschreiben ist. Römische u. griechische Krieger, ja selbst unsere Kreuzfahrer waren durchaus nicht die Riesen, wie wir sie uns vorstellen, denn sie hatten im Durchschnitt eine geringere Größe als die jetzt lebende Generation. Selbst der Gesundheit schädliche Beschäftigungen und die verdorbene Luft in den größeren Städten haben auf das allgemeine Wachsthum wenig oder gar keinen Einfluß ausgeübt, und wir können daher nur den Schluß ziehen, daß der Körperbau unserer 'Nachkommen größer u. stärker sein wird, als der unsrige. Eine weitere Frage ist die der Lebenslänge, und diese ist leicht genug zu beantworten. Die Statistik, selbst der letzten hundert Jahre, zeigt uns deutlich genug, daß diese in stetem Zunehmen begriffen ist, und je mehr der Mensch die Gesetze der Natur er gründet und demgemäß lebt, desto langlebiger wird er sei». Man kann dreist genug die Behauptung aufstellen, daß in tausend Jahren Leute im Alter von hundert nicht mehr, wie jetzt, zu den Selten heiten gehören werden. Ich habe bereits vorher der Hypothese Erwähnung gethan, daß der Geruchssinn des Menschen im Aus sterben begriffen sei, wie steht es mit den anderen Sinnen, werden diese auch eine Verringerung er fahren oder gänzlich verschwinden? Es giebt aber kein Beispiel, daß in einem gesunden Körper irgend eine dieser Funktionen abgenommen habe. Wohl kann der eine oder der andere Sinn durch über triebenen Gebrauch geschwächt oder durch lokale Ver hältnisse wesentlich verschärft werden, wie es z. B. das scharfe Gehör des Indianers oder die Unem pfindlichkeit einiger wilden Stämme gegen Frost und Hitze und selbst gegen Schmerz zeigt, aber von einer allgemeinen Abnahme können wir auch nicht die ge ringste Spur finden. Immer wieder müssen wir darauf zurückkommen, daß ein naturgemäßes Leben, wie es ja jetzt überall angestrebt wird, auf eine Stärkung der Sinne hindeutct, in jedem Falle aber können wir annehmen, daß der Mensch der Zukunft dieselben Glieder, Organe und Sinne, ja selbst die selben Passionen haben wird, wie wir. Nun aber kommen wir zu der wichtigsten Frage, die geistigen Fähigkeiten betreffend, nnd gerade über diesen Gegenstand sind die wunderlichsten Behaupt ungen aufgestellt worden, die alle darin übereinstim men, unsere Nachkommen mit fabelhaften Geisteskräften zu begaben. Zu allen Zeiten hat cs hervorragende Männer gegeben, einen Homer, Moses und Konsucius, aber immer traten diese Sterne nur als Ausnahmen auf, und wie in der ältesten Vergangenheit, so ist es auch heute geblieben. Die großen Erfindungen und Ent deckungen der Gegenwart zeigen allerdings einen Fortschritt in der Wissenschaft, andererseits aber blicken wir noch heute mit Staunen auf die wunder baren Bauwerke der alten Völker in Aegypten, Griechenland und Rom. Die Vergangenheit zeigt uns auch hierin die Zukunft, und das Resultat ist ein Gleichgewicht in den geistigen Kräften zwischen heute und den zukünftigen Zeiten. Gestützt nun auf die Schlüsse, die wir aus dem Studium der Vergangenheit ziehen können, werden unsere Nachkommen gerade dieselben Menschen sein wie wir, begabt mit allen unseren Organen und geistigen Fähigkeiten und in demselben Maße, wahr scheinlich größer und stärker gebaut und bestimmt gesünder und deshalb länger lebend. Auf die großen und wichtigen Entdeckungen und Erfindungen aller Zeiten fortbauend, werden ihnen Mittel und Wege zu Gebote stehen, von denen wir uns heute nichts träumen lassen, ohne daß jedoch ihre geistigen Fähig keiten größer als die unfrigen zu sein brauchen. Was nun schließlich ihre sociale und politische Lebensweise, ihre Nahrung und Kleidung anbetrifft, so ziehe ich es vor, darüber keine Behauptungen aufzustellen, denn diese können natürlich nur Hypo thesen sein. Wir alle wissen, wie sehr dies alles von lokalen Verhältnissen abhängt. Eine Ozeanfahrt von heute. „Winterstürme wichen dem Wonnemond." Der Allgewalt dieses Wagner'schcn Frühlingssange» konnte sich länger auch der Ozean nicht verschließen und so zeigte er nach einer diesmal besonder« hartnäckigen, winterlichen Verstimmung der „Augusta Victoria" auf ihrer letzten Fahrt von New-Jork nach Hamburg das freundlichste und unschuldigste Frühlingsgesicht, als wenn er überhaupt nicht imstande wäre, jemals anders drein zu schauen. Was Wunder, daß ange sichts einer solch' spiegelglatten See nur Frohsinn und Heiterkeit an Bord herrschte und die Passagiere in übcrmüthigster Ausgelassenheit sich die Zeit zu ver treiben suchten. Schon die Abfahrt am 2d. Mai 1890 aus dem Hafen von New-Jork bot ein selten farbenprächtiges, abwechslungsreiche» Bild dar; in der nach vielen Tausenden zählenden Menge, welche sich in den Docks der Hamburg-Amerik. Packetfahrt-Actienge- sellschaft eingefunden, um den Scheidenden ein letz tes Lebewohl zuzurufen, erblickte man besonders eine größere Anzahl Schützen, welche ihren nach Europa zum Berliner Kongresse vorausfahrenden Meistern das Geleite zu geben gekommen waren. Unter den Klängen der Schiffsmusik, erwidert von den am Ufer spielenden Schützenkapclle», unter dem Schwenken deutscher und amerikanischer Flaggen und unter dem Tücherwchen und Hurrahrufen der Menge setzte sich Punkt 1 Uhr der stolze Bau, der mit seinen Schwe sterschiffen Columbia und Normannia zu den ersten Ozeandampfern der Welt gezählt wird, in Bewegung. Bald lag der prachtvolle Hafen mit seiner Freiheits statue hinter uns, Sandy Hook wurde passirt, der Lootse ging von Bord, und die großen Doppelschrau ben begannen ihre eigentliche Thätigkeit, um ihrer Aufgabe eingedenk die 19 Knoten per Stunde zurück zulegen und uns so innerhalb 8 Tagen nach Ham burg zu bringe». Wie die Abfahrt, so gestaltete sich die Reise zu einer abwechslungsreichen; außer den täglichen Concerten der Schiffskapclle, den Maskeraden und Tänzen der Matrosen, den auf die täglich zu rückzulegenden Seemeilen entrirten Wetten der Passa giere und den sonst üblichen mannigfaltigen Unter haltungen, die das Bordleben mit sich bringt, wurde unter den 350 I. Kajüte-Passagieren bald der Gedanke rege, einen der herrlichen Mondscheinabende durch Ball auf Deck zu feiern, ein Plan, der namentlich nnter der zahlreich vertretenen jungen Welt mit Freu den begrüßt wurde. Nicht häufig mag eine Tanzge sellschaft unter solchen Verhältnissen stattgcfunden und ein derartig internationales Gepräge getragen haben wie diese. Hier walzte ein preußischer Gardelieute nant mit einer schlanken Amerikanerin, dort lancirte ein stolzer Mexikaner mit einer feschen Wienerin, hier wirbelte ein junger Russe, der sich eine Tochter Spaniens zur Tänzerin erwählt hatte, und dort end lich keuchte ein dicker Bayer mit einer gluthäugigen Kreolin nnter den Klängen Strauß'scher Walzermelo dien, während der Steamer, unbekümmert um das übermüthige Treiben auf Deck, seinen sichern Kurs fortsetzte. Erst die späte Nacht machte der Lust ein Ende. An jenem Abend mochte wohl zuerst der Gedanke aufgetaucht sein, denjenigen Leuten der Schiffsmann schaft etwas zugute kommen zu lassen, von deren über anstrengender, tief unten im Schiffsraum verborgener Thätigkeit mit in erster Linie das glückliche Gelingen der Fahrt abhängt, und so wurde der Beschluß gefaßt, ein Wohlthätigkeits-Concert zum Besten der 130 Ma schinenwärter u. Heizer für einen der nächsten Abende an Bord zu veranstalten. Dieses Vorhaben konnte um so besser realisirt werden, als ein glücklicher Zu fall ganz hervorragende musikalische Kräfte zusammen geführt hatte und es gelang einem umsichtigen Comitö, an dessen Spitze sich Graf Maximilian Pappenheim gestellt hatte, die von einer Tournee durch Amerika zurllckkehrende Sängerin Krau Steinbach-Jahns (den früheren allgemeinen Liebling des Leipziger Theater publikums) sowie den genialen Kapellmeister Nikisch aus Boston (in Leipzig gleichfalls noch in bester Er innerung) und Musikdirektor Nowak aus Wien für das gute Werk zu interessiren und deren Betheiligung zu gewinne». Da ferner noch etliche Dilettanten (Banjo, Trompete, Piano Heygendorphon) ihre Mit wirkung in Aussicht stellten, so konnte man einem ge nußreichen Abend entgegensehen. Zum Verkauf der Concert-Programme, die auf der Schifssdruckerei in künstlerischer Ausführung hergestellt wurden, erboten sich in hcrcitwilligster Weise 6 junge Damen, deren schönen Augen es nicht zum mindesten zu danken war, daß der erzielte Gesammtertrag die stattliche Summe von 1500 Mark aufwies. Der Concertabend selbst verlief dank der glücklichen Arrangements des Herrn St (eines früheren, jetzt in New-Jork ansäs ¬ sigen Hallensers) in jeder Beziehung glänzend. Be sonders war es Frau Steinbach-JahnS, welche durch die mit ihrem herrlichen Sopran vorgetragenen Arten und Lieder den stürmischsten Beifall erntete. Unter solchen und ähnlichen Vergnügungen gingen die Tage auf dem Ozean wie ein Frühlingstraum dahin, und als am siebenten Tage Southampton und nach weiteren 24 Stunden Hamburg erreicht wurde, da hatte wohl jeder der Passagiere die Empfindung, nur eine kurze Vergnügungsreise, nicht aber eine Fahrt über das Weltmeer zurückgelegt zu haben. vr. E. M. Druck und vrrla, von E. Hnnnedohn in Lidrnstock.