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Beilage m Rr.75 -es „Amts- und Ayeigeblattes". Eibenstock, den 28. Juni 1890. Das echte Gold. Novelle von Harry Eck. (9. Fortsetzung.) Diese Frage schien der alte welterfahrene Herr aus ihren weit geöffneten Augen zu lesen, denn er sagte: „Ja, ja, kleine Betti, wir Söhne Aesculaps ken nen nicht nur den in- und auswendigen Menschen, nein, auch seine geheimsten Gedanken sind uns nicht verborgen, wir wissen sie ost früher, als der Betref fende selbst. Wollen Sie mir das glauben?" „Ja", antwortete sie, wandte sich aber schnell um- denn sie mochte dem Doktor nicht ins Angesicht sehen- Sie machte sich im Handarbeitskörbchen zu schaffen, suchte und suchte, und wußte nicht was. Da trat der Onkel ein; er machte ein so ernstes Gesicht wie nicht oft. Walter und Karl kannten die sen Blick an ihrem Vater, wenn eine Versetzung ohne Berücksichtigung für sie vor sich gegangen war, oder, wenn die Ccnsur zu reichlich mit der Ziffer „drei" ausgeziert war. Er wandte sich aber an die Mutter und sprach: „Liebe Toni, komm doch einen Augenblick in mein Cabinet!" — Verwundert leistete diese seiner Aufforderung Folge. Ihr Erstaunen wuchs aber, als sie, dort angekommen, den jungen College» Altmann's, Fritz Ehlert, antraf. „Liebe Frau", begann der Hausherr, „Du siehst hier unseren jungen Freund als Freiwerber um unsere Nichte Betti." „Betti?" fiel sie ein. „Jawohl, Betti", wiederholte er; „nicht wahr, cs überrascht Dich? Sie ist ja noch ein Kind, doch davon abgesehen! Du mußt mir mit weiblicher Klug heit wieder einmal zu Hülfe kommen." Fritz Ehlert saß schweigend auf seinem Stuhl, er hatte den Kopf gesenkt. Alle seine Beredtsamkeit hatte er schon dem Hausherrn gegenüber verschwendet ohne den geringsten Erfolg. Nun war er fast ver zagt; er fand nicht den Muth, noch einmal das Wort zu ergreifen, überdies fiel ihm nichts mehr ein, das er nicht schon gesagt hatte. Nach kurzem Sinnen sprach die Tante: „Ja, was sagt denn das Kind selber dazu?" „Das ist es eben, was ich tadle, daß Herr Ehlert schon mit ihr gesprochen, bevor er unsere Ansicht kannte", sprach der Onkel, und man hörte seiner Stimme noch den Zorn an, in den ihn diese Vor eiligkeit versetzt. — „Sie will?" fragte die Tante und blickte ernst zu dem jungen Manne hinüber. „Vor einer Viertelstunde gab sie mir das Jawort", antwortete der junge Mann leise, denn er sah seine Bitte zurückgewiesen. Was würde sie nur sagen! — Da ertönte es wie Engelskunde von den Lippen der Tante: „Dann meine ich, ist wohl nichts mehr zu ändern, denn schroff auftrcten macht solch' jugendliches Köpf chen nur versessener, und Vorstellungen helfen erst gar nicht." Wie elektrisirt sprang der junge Mann plötzlich von seinem Sitz empor. „Gott lohne Ihnen dieses Wort", sprach er be wegt und reichte der guten Frau die Hand. „Man rühmt die Frauen, und das mit Recht. Sie wissen in Wahrheit immer das Rechte zu treffen. Wie soll ich Ihnen danken, ich finde keine Worte." „Nun, da hatten Sie eben ein ganz Theil zur Verfügung", sagte sie lachend. Dann wandte sie sich zu ihrem Mann: „Bist Du so zufrieden, Eduard?" „Wenn Du einverstanden bist, bin ich es auch. Ich meinte nur, Du würdest Bedenken hegen, darum sträubte ich mich, dabei bedachte ich nicht, daß Frauen, wenn cs sich um eine Hochzeit handelt, nicht dieselben sind, als wenn von irgend etwas Anderem die Rede ist. Wo sie sonst mißtrauisch wägend zögern würden, da rufen sie frifch weg: „In Gottes Namen!" wenn sie damit eine Ehe zu Stande bringen können!" „Welche edle Entschlossenheit ich nie aufhören werde zu preisen", rief Fritz Ehlert begeistert aus, während in seinen Augen der alte fröhliche Lebens- muth wieder strahlte. „Sie Brausekopf! Hat man mit einem Male die Courage wieder gefunden?" sagte lachend der Onkel. „Aber laßt uns hinein gehen und die Kleine aus ihren Aengsten reißen." Alle Drei schritten ins Vorzimmer hinüber. Dort saß die kleine Gesellschaft noch beisammen und Dok tor Schröder erklärte auf höchst umständliche Weife die Wirkungen der Elektricität. Er schien vergessen zu haben, daß Alle einer Ueberraschung in brennen der Ungeduld harrten, und für die sichtliche Aufreg ung Bettis hatte er kein Auge. DaS Herz stand ihr still, als die Thür sich öffnete, und wie durch einen Nebelschleier sah sie die Eintretenden. Es waren ihrer Drei, das gab ihr ein wenig die Besinnung wieder. Wäre er im unglücklichen Fall mit hineingekommen? Die Tante trat auf sic zu. Sie wollte fliehen, ihr war so schrecklich angst — Alle sahen auf, selbst der alte spottlustige Doktor mußte dabei sein. Da fiel ihr Blick auf Walter, Karl und Lisbeth, — welch ein Ausdruck des Staunens, der Spannung war in den Gesichtern zu lesen. Ein Gefühl des Triumphes stieg in ihrer Brust auf und verdrängte die lähmende Angst. Willig ließ sie sich jetzt von der Tante führen. Diese brachte sie zum Onkel und der sprach: „Hier stelle ich Euch, meine sieben, ein Braut paar vor. Staunen Sie, lieber Doktor? Mir ist es nicht besser ergangen. Die Betti ist noch so jung; daß sie unsere Braut sein würde, hätte ich nicht ge glaubt, doch nun die Dinge einmal so liegen, haben sie meinen Segen. Laßt uns ein Glas Wein auf das Wohl des neuen Paares leeren!" „Eigentlich sollte man wie Laban sprechen: Es ist nicht Sitte, daß man die Jüngere vor der Ael- teren weggebe," fügte die Tante hinzu. Doch Doktor Schröder siel ihr in die Rede: „Sind wir doch von so mancher schönen alten Sitte abgekommen, warum nicht auch von dieser ganz ungerechtfertigten. Meinen innigsten Glückwunsch den Glückliche». Wie stolz kann ich auf mein Werk blicken! Ja, ja, es hat mich Mühe genug gekostet, dem Hcirathskandidaten Muth zu diesem Schritt zu machen. Alle Abend hatte ich ihn vor, bis ich ihn heut mitschleppte, mit der Drohung, einen andern Mann für Fräulein Betti zu suchen; meinem Wort mußte ich doch Nachkommen. Run, kleine Betti, ver stehe ich den Leuten das rechte Mittel zu verschreiben? Bctti erröthete und barg ihr Gesicht in ihrem Taschentuch. Der Onkel trat eben wieder ein mit einer Flasche, deren dicke Staubschicht auf längeres Verweilen im Lager deutete und hob sie gegen den Doktor in die Höhe. „Hm," schmunzelte dieser, „so recht ein edler feu riger Tropfen sei es, der auf dies fröhliche Ercigniß fließe." Mine trat mit einem Tablett mit Gläsern ein und machte nicht wenig große Augen, als sie diese Anstalten sah und einigermaßen durchschaute, was hier vor sich ging. Sie war nur ein Mädchen vom Lande, doch für solche Dinge, wie Verlobung, Hoch zeit hatte sie wie alle ihre Geschlechtsgenossinnen ein überaus feines Verstandniß. So beeilte sie sich, nur wieder in die Küche zu kommen, um unten brühwarm die wunderbare Mär zu bringen, daß Betti Braut sei, die kleine Betti, die manchmal noch so kindisch war. Walter und Karl hatten hocherfreut dein Paare ihre Glückwünsche gebracht und auch Liesbeth war dazugctreten. Fast mit Bewunderung schaute sie die kleine Braut an, die sie so geringschätzig „Ding" ge nannt und die nun trotz Allem doch einen Mann bekommen. Rosa zog Betti in eine Fensterecke und flüsterte ihr unter Thränen zu: „Sei glücklich, er liebt Dich um Deiner selbst willen, erhalte Dir diese Liebe, so kannst Du nie unglücklich werden." Dann reichte die Tante die Gläser herum und hell erklangen sie auf das Wohl des neuen Paares. Draußen am Schlüsselloch stand gebückt die Mine und schaute durch die enge Ocffnung hinein. „Du, der hätt' mir auch gefallen," sprach sie flüsternd, indem sie ihre Gefährtin mit dem Ellen- hogen in die Seite stieß, dann wischte sie sich mit dem Schürzenzipfel die Augen und Beide schlichen, die Schuhe in der Hand, wieder in ihr Revier, die Küche. Am andern Tage wurde ein Brief von der Tante abgcschickt, dem ein anderer von Betti beigeschlossen war, zu deren Mutter. Betti wollte, bevor sie nicht von ihrem Mütterlein Antwort und Zustimmung erhalten, nicht den goldenen Reif an ihre Hand stecken lassen; ihr geliebter Fritz war zu dem Zweck heute Mittag bereits dagewesen. Die Antwort ließ nicht auf sich warten. Die Mutter schrieb wie wohl eine Mutter schreibt, die ihrer Schwester ihr Kind anvcr- traut. Aus treuem Mutterhcrzen waren die liebe vollen Worte geströmt, in denen sie ihrem Kinde ihren Segen gab, obgleich die leise Sorge über die Wahl die es getroffen nicht ganz fehlte. Doch sie vertraute auf den klaren Blick der Schwester, schrieb sie, und sende auch dem ihr noch unbekannten jungen Mann ihren mütterlichen Segen. Auch hoffe sie recht bald Beide zu sehen, um sich zu überzeugen, daß ihre Betti eine gute Wahl getroffen. — Betti weinte heiße Thränen über diesen Brief, doch ging sie in ihr Stübchen und holte den schim mernden goldenen Reif und schob ihn an ihre Hand. Oftmals des Tages saß sie nun und betrachtete sin nend die Hand mit dem blinkenden Reif, der ihre künftigen Tage an die des geliebten Mannes knüpfen sollte. Du Ring an meinem Finger, Mein gold'nes Ringelem, Ich drücke dich fromm an die Lippen, Dich fromm an's Herze mein. Sie bildete die lebende Illustration zu dieser Stelle aus Chamisso's „Frauenliebe und Leben." — An Rosa zogen diese Tage wie ein Traum vor über, unter ihren Augen war diese Liebe entstanden und sie hatte es nicht gesehen; hatte sie dann über haupt einen Blick für das, was um sie herum vor ging, ihr schien's, als sähe sie nur immer sich und ihre Leiden und Freuden. Wie selbstsüchtig kam sie sich vor. In welch' anderem Lichte erschien ihr Betti, die kleine Betti! Das unbedeutende Persönchen war Braut geworden; sie besaß ja auch gute und schöne Eigenschaften, man hatte sie nur eben nicht sonderlich beachtet, erst ein fremdes Auge hatte sie erkennen und würdigen müssen. Da kam mitten in diese Stimmung ein/Brief Meta's. — Erstellt und besorgt zugleich empfing Rosa ihn, das Schicksal ihrer Schwester lag ihr am Herzen wie ihr eigenes. Aber der Inhalt trug nicht dazu bei, ihre Besorgnisse zu zerstreuen, er war wirr und son derbar. Sie schrieb: „Wie erbärmlich ist doch die menschliche Natur, welch undankbares Geschöpf ist der Mensch! Er läßt seine Wünsche wachsen und sich mehren und ist nicht befriedigt, so lange noch ein Unerreichbares vor sei nen Augen schwebt. Und zeigt sich das Schicksal gnädig und erfüllt es ihm Wunsch ans Wunsch, so kommt der Uebcrdruß und setzt den Wünschen ein Ziel, und vom Uebcrdruß zum Ekel ist nur ein Schritt. Aber trotzdem — das Sehnen nach irgend etwas endet nicht! Wie zuwider sind mir diese Feste und Lustbarkeiten, zu denen man ein Gesicht zeigen mnß, wie es der Augenblick erfordert, wie es zum festlichen Kleide paßt. Ewig die alten Schmeicheleien hören, ewig diese lächelnden Gesichter sehen, die ebenso ge heuchelt sind als das eigene — wahrlich ich hätte nie geglaubt, daß die gesellschaftlichen Vergnügungen so eine Last werden könnten, wie sie mir geworden, obgleich ich mich, meiner Trauer wegen, möglichst fern gehalten habe. Ich bin ihrer müde, herzlich müde. — Wie sagt ich doch einmal: Zu meinen Füßen wollte ich die stolzen Herren mit den klingen den 'Namen sehen, aber nach ihrem Reichthum wollte ich sie abschätzen. So weit wäre ich — aber das Einzige, was sich in meinem Herzen für sie alle regt, ist — Verachtung! Ich weiß nicht warum sie mir so elend Vorkommen und was in mir sich empört, wenn ich dem Gedanken Raum gebe, Einem von ihnen mein Wort zu geben. Mir scheint, Du bist auf richtigerem Wege als ich; ich möchte vor etwas fliehen und weiß nicht vor was, ich möchte etwas vom Himmel erflehen und weiß nicht was. — Bete Du für mich, hete für meinen Frieden. Fortuna wirft uns lächelnd ihr Geschenk in den Schooß, aber ist es noch ein Geschenk, wenn wir es mit unserm Besten zehnfach bezahlen? Ich schließe die Augen; vor dem, was die Menschen ein Glück nennen, ergreift mich ein Ekel. Ich glaube, ich bin krank, was schreibe ich für wahnwitziges Zeug zusammen, ich möchte diesen Brief vernichten und doch treibt mich eine grausame Lust ihn abzusenden. Du siehst, die fröhliche heitere Meta von ehedem ist nicht mehr, ich philosophire ein wenig, die Folgen davon kannst Du aus meinen Worten schließen; an Alles, an Schicksal, Leben und Seligkeit wagt sich der vermessene Gedanke, legt er den messenden Stab und das Resultat — es ist ein elendes." — Rosa verschloß den Brief, derselbe flößte ihr Grau en ein, er war ein abgerissenes Stück Lebcnsgeschichte. Wie mußte es in einem Herzen anssehen, dem solche Gedanken unwillkürlich in die Feder flössen. Ihr Ivar, als ereigne sich etwas Gewaltiges, Erschüttern des; ihr war, als müsse das Kind hcimkommen ans der Fremde und sich flüchten in die schützenden Arme derer, die sie liebte». Wie verfloß die Zeit! Bctti sang und sprang im Hause auf und ab, als sei lauter Frühlingslust um sie uud nicht ein kalter unfreundlicher Herbst, der auch schon im Begriff stand, seinem alten, eisumpan- zerten Nachfolger zu weichen. — Die kleine Braut saß auch viele Stunden mit ungewohnter Ausdauer und fügte Stich an Stich, bis sie mit freudig strahl enden Augen ein Stück nach dem anderen in den dazu bestimmten Kasten legte. Die Mutter hatte eine mächtige Rolle weißer Leinwand geschickt, aus der sich ihr Töchterchen ihre Aussteuer unter Leitung der Tante, selbst anfertigen sollte. Wie steute sich Betti aus das Weihnachtsfest. Dieses Jahr kam ja ihr Mütterchen zum Besuch, sie wollte ihr Kind Wiedersehen und zugleich den Bräu-