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Man zählt etwa 68 Todesfälle täglich. Die Piraten kommen bis in die großen Städte; eS werden zahl reiche Ueberfälle u. Mordthaten gemeldet; sämmtliche disponiblen Truppen sind auSgerückt. — England. Jetzt will auch schon die Polizei in London streiken! Etwa 16,000 Schutzleute in London, welche mit ihrem Wochensolde von 24 Schillingen nicht zufrieden sind, sind angeblich ent schlossen, ohne Rücksicht auf die Folgen zu streiken, falls ihre dem Minister des Innern, sowie dem Poli zeichef übermittelte Bittschrift zu Gunsten einer höheren Besoldung nicht sofort berücksichtigt wird. sächsische Nachrichten. — Leipzig, 31. Mai. Am Freitag wurde in der Promenade am Schwanenteiche ein Deserteur des 106. Regiments aufgegriffen, der bereits seit 17. April d. I. von seinem Truppentheil flüchtig geworden war. — Von Mühlhausen ist am 27. v. M. der 14jährige Maurerlehrling Heinrich Köhler mit einer seinem Vater entwendeten Summe von 1240 Mark heimlich verschwunden. Auf seine Er greifung sind vom Bestohlenen 50 Mk. Belohnung gesetzt. — Neuerdings sind hier wieder verschiedene falsche Thalerstücke angehalten worden. Das eine, sächsischen Gepräges, trägt die Jahreszahl 1839; das andere, preußischen Gepräges, zeigt die Zahl 1867 und das Bildniß König Wilhelm'«. — Chemnitz, den 31. Mai. Eine aus acht Personen bestehende Diebesbande, wie sie frecher kaum gedacht werden kann, und welche voriges Jahr im Sommer und Herbst in und um Chemnitz ihr unheimliches Wesen trieb, stand vor dem hiesigen Landgericht. Die Mitglieder dieser Bande — kaum 20 Sommer zählten die meisten — hatten sich beim Ausrücken de« hiesigen Militärs im Manöverfeld zu sammengefunden, waren dem hiesigen Regimente bis Oschatz gefolgt und hatten sowohl auf dem Hinwege, wie auf dem Rückwege in den verschiedensten Orten, wie Döbeln, Oschatz, Hainichen, eine Reihe schwerer Diebstähle begangen (jedes Mitglied der Banre hatte einen Spezialdienst zu verrichten), als auch in Chem nitz ihr verbrecherisches Treiben in großartigem Stil fortgesetzt. In der einen vollen Tag andauernden Verhandlung vor dem hiesigen Landgericht, in der nicht weniger als 23 Einbrüche und Diebstähle der Diebesbande zur Last gelegt wurden, wurden die Einbrecher, die sich bei der Verhandlung theilweise ziemlich ungenirt bewiesen, für mehrere Jahre in sicheren Gewahrsam gebracht. Die beiden Haupt- rädelSführer, der Schlosser Heinrich Reinhold Böhme und der Handarbeiter Gustav Adolf Kempe, wurden zu 8 und 10 Jahren Zuchthaus verurtheilt. Die übrigen Spießgesellen erhielten ebenfalls jeder mehrere Jahre Zuchthaus, unter ihnen eine aus Zittau ge bürtige, ledige Fabrikarbeiterin Zentsch, die sich der netten Bande angeschloffen. — Sonnabend Vormittag ist in der Maschinen fabrik von Seyfert u. Donner in Chemnitz der Feuermann Birnbaum in das große Triebrad ge- rathen. Das Werk ist infolgedessen zum Stehen gekommen und Birnbaum, gräßlich verstümmelt, als Leiche aus dem Getriebe gezogen worden. Der Ver unglückte zählte erst 36 Jahre und hinterläßt in Brand bei Freiberg eine Frau mit 3 Kindern. — In Ernstthal feierte dieser Tage die Weber- Innung ihr 200jährigeS Jubiläum. Aus Anlaß dessen hatte der Ort Festschmuck angelegt. Den Glanzpunkt des Tages bildete der Festzug. Eröffnet wurde der selbe von zwei Vorreitern, welchen ein Herold zu Pferde und nach dem Musikchor eine Anzahl Ritter und Pagen in den Trachten des 17. Jahrhunderts folgten. Einen imposanten Anblick bot der mit Ge schick zusammengestellte Festwagcn, auf welchem ein alter Meister in seinem Webstuhle sein ehrbares Handwerk trieb, während seine Frau und die beiden Töchter in früherer Tracht fleißig spulten. Klempner meister Rockstroh hatte vor seinem Hause nicht weniger als 18 Spulräver mit Windenstock aufgestellt, und beim Vorllbermarsch vcS FcstzugeS wurde an denselben von Schulknaben fleißig gespult. — Glauchau, 30. Mai. Gestern Abend wurde in einer hiesigen Herberge ein Schulknabe festgenom men, welcher daselbst übernachten wollte, über seine Person aber die verschiedenartigsten Angaben machte. Außer verschiedenen augenscheinlich erst neu angc- kauften Kleidungsstücken und Spielsachen trug der Knabe auch noch über 8 M. Geld bei sich. Es soll sich herausgestellt haben, daß der Knabe aus Crim mitschau ist und Weingarten heißt. Derselbe gab auf Vorhalt an, er habe mit einigen anderen Knaben im Konsumverein zu Crimmitschau einen größeren Geld diebstahl ausgeführt, sei deshalb im dortigen Armen hause untergcbracht worden, aus diesem aber mit noch einem Knaben entwichen. — Da« Niedergehen einer Steinwand am Donnerstag Nachmittag kurz »ach 2 Uhr in dem Herrn W.Mahnert in Pirna gehörigen Steinbruche dir. 38 zu Zeichen hatten wir bereit« berichtet. Das dem genannten gehörige Haus am Fuße der Schutt halde, welches vom Bruchmeistcr und dessen Schwie gersohn mit Familie bewohnt war, wurde von einem etwa 30 Kbkmtr. großen Steindlocke getroffen, so daß das schöne massive HauS jetzt ein grauenhaftes Bild der Zerstörung zeigt. Die rechte Seitenwand fehlt ganz, die Vorder- u. Hinterwand zum größten Theile. Das Dach liegt mit dem einen Theile auf der stehen gebliebenen Wand auf und ruht mit dem anderen auf der Erde. Glücklicher Weise ist kein Mensch dabei verunglückt, wohl aber sind die meisten Möbel der Bewohner mit zertrümmert worden. Al« bemerkens- werthe Fügung erscheint eS, daß der hinter dem Hause befindliche Stall mit Schweinen, Ziegen und Kanin chen fast gänzlich verschont blieb, wie auch das Dach des Hauses bei seinem Sturze ganz geblieben ist und nur einzelne Schieserplatten zertrümmert wurden. Desto unheilvoller sieht e« im Innern aus. Balken sind aus ihren Fugen gedrückt u. zertrümmert, Dielen und Fensterkreuze zerbrochen, ja sogar einige Keller platten durchgeschlagen. Menschenleben sind bei der Katastrophe aber nicht in Gefahr gekommen, weil die Bewegung der Wand schon seit 14 Tagen beobachtet worden war und man daher alle zur Sicherung der Brucharbeiter u. Bewohner des Hause« anwendbaren Vorsichtsmaßregeln getroffen hatte. So wurden auch Vormittags 10 Uhr mehrere Sprengschüsse bei ge höriger Beobachtung der Wand abgegeben, worauf sich die Wand dann in Bewegung setzte, so daß Nach mittags die Steifenhölzer weggesprengt werden konnten. — Aue, 30. Mai. Auf den von hier gestern Nachmittag nach Chemnitz abgehenden Personcnzug stieß unweit der hiesigen Station eine hinterher fahrende Lokomotive mit solcher Gewalt, daß die zwei letzten Wagen (Post- und Packwagen) entgleisten. Dem Packwagen wnrden beide Puffer abgestoßen. Der Zug erfuhr wegen des Unfalls eine dreiviertel stündige Verspätung. — In Mühltroff sollte am vergangenen Sonnabend die Trauung eines mech. Webers, welcher sich mit einer Wittwe daselbst verheirathen wollte, erfolgen. Es wurde aber noch rechtzeitig bekannt, daß derselbe ein seit acht Jahren von seiner Frau in Gera getrennt lebender Familienvater ist. Eine halbe Stunde vor der zur Trauung festgesetzten Zeit wurde der Bräutigam deshalb nochmals zum Bürger meister gerufen und dort verhaftet. Der Braut bez. den Zeugen wurde der Bescheid durch den Wacht meister übermittelt, daß sie sich ihrer hochzeitlichen Gewänder wieder entledigen könnten. — Frankenberg. Eine bisher in Sachsen noch seltene aber überaus segensreich wirkende An stalt, deren Nachahmung in anderen sächsischen Städ ten, namentlich in Jndustrieorten sehr zu empfehlen ist, besteht hier seit nunmehr 9 Jahren unter dem Namen »Frauenarbeitsschule". Sie ist der vor 6 Jah ren in Schwarzenberg errichteten sog. Obererzgebirg- ischen Frauenschule ähnlich, die bekanntlich den Zweck hat, konfirmirte Töchter und auch Frauen in den ver schiedensten Nadelarbeiten auszubilden. Die Franken berger Frauenarbeitsschule wurde durch den Leiter un serer Bürgerschulen, Schuldirektor Engert, ins Leben gerufen, durch die ihm sich in seiner Stellung nicht selten aufdrängende Wahrnehmung, daß manche Kin der mit zerrissenen Kleidern zur Schule kommen. An vier Abenden der Woche von 8 bis 10 Uhr bez. auch Sonntags Nachmittags von 2—4 Uhr (jedoch nur während des Winterhalbjahrs) wird in der hiesigen in 2 Klassen gegliederten Frauenarbeitsschule Unter richt im Weißnähen, Zuschneiden, Sticken und Aus bessern ertheilt. Die Schülerinnen zahlen monatlich 40 Pf. Schulgeld, welcher Betrag aber keineswegs den Aufwand der Anstalt deckt; das Fehlende wird von der städtischen Behörde zugelegt. Seit dem Be stehen der Anstalt haben gegen 900 Schülerinnen die Wohlthat dieser Anstalt genossen. Die Schülerinnen haben zum weitaus größten Theile, recht wohl den ihnen erwachsenden Nutzen erkennend, die Unterrichts stunden mit regem Fleiße benutzt, ja einige haben nicht nur zwei- sondern auch drei- und viermal den halbjährigen Kursus der Schule absolvirt. — Zum Zwecke der Vorbeugung der Verbreitung ansteckender Krankheiten beim Handel mit gebrauchten Kleidung-- und Wäschestücken ist den Pfandleihern, Auktionatoren u. Trödlern in Zwickau die sofortige Desinfektion der al« Pfand, zur Auktion oder in Kauf genommenen Bekleidungsstücke aufgegeben worden. — Die neuen Nickelmünzen von 1890, die kürzlich in den Verkehr gelangt sind, zeigen den be kannten verbesserten heraldischen Adler, der bei der Abänderung der Briefmarken verwendet worden ist. Um Uebrigen haben die nenen Münzen Größe und Gewicht der älteren beibehalten. — Der beginnende Monat Juni führt uns wieder auf die Höhe de« Jahres. Er schenkt un« die längsten Tage, das wonnedurchglühte JobanniS- fest birgt er in sich, aber er bringt uns auch die Sonnenwende und damit den Anfang der rückläufigen Bewegung des Sonnengestirn«. Die Sonne tritt am 21. Mittag« 12 Uhr 37,« Min. in da« Zeichen des Krebse». Dieser Moment bezeichnet den Anfang de» Sommer». Der Tag ist am 21. am längsten, (16 Stunden, 36 Minuten, 37*/, Secunden), der vorhergehende Tag 3,r, der'folgende 2,? Secunden kürzer. Die Zunahme der Tage beträgt mit Anfang des Monat» noch 1°/, Minuten, hierauf täglich we niger. Vom 22. an nehmen die Tage wieder ab, Ende de» Monats Minuten. Mit dem Neumond am 17. Vormittags ist eine bei un» sichtbare Son nenfinsternis verbunden. Sichtbar ist dieselbe in Asien mit Ausschluß de» Nordosten», in Europa und der nördlichen Hälfte von Afrika. VenuS strahlt bald nach Sonnenuntergang als Abendstern an dem durch die Dämmerung erhellten Nordwesthimmel in großem Glanze. Mar» mit rothem Lichte, strahlt jetzt weit Heller al» die Sterne I. Größe und fällt sofort nach Sonnenuntergang am Südosthimmel in die Augen. — Die fruchtbare Witterung, welche der April wie' Mai gebracht, macht ihren wohlthätigen Einfluß im Gesammireiche der Natur in segen-voller Weise geltend und den Laudwirthen stehen bereits wieder arbeitsreiche Tage bevor, denn die Wiesen harren ihrer Aberntung. Der Stand de» Futter» ist ein außerordentlich üppiger und hoher, so daß die Ernte eine ungewöhnlich gute zu werden verspricht. Man wird in den nächsten Tagen schon auf den Wiesen mit der Mahd beginnen können. Da sind nun allerdings einige heiße und regenfreie Tage recht willkommen, damit da» Heu trocken eingebracht wer den kann und vom Regen nicht ausgelaugt wird. — In gleichgünstiger Weise haben sich bis jetzt die übrigen Feldfrüchte entwickelt. Das Getreide hat fast ausnahmslos einen prächtigen Stand und die Kartoffeln sind kräftig bestockt. Für die Obsternte sind die Aussichten hier ebenfalls im Allgemeinen gün stige. Geradezu vorzüglich aber sind die Aussichten beim Beerenobste und gehen ihrer Reife entgegen. Aus vergangener Zeit — für unsere Zeit. 3. Juni. (Nachdruck verboten.) Nachdem Elsaß-Lothringen durch die Friedensbestimmungeu von 187t an Deutschland gefallen, bandelte es sich darum, was nun mit diesem Lande zu machen, um seine Stellung zum übrigen Deutschland. Gewichtige Stimmen erhoben sich für die einfache Einverleibung in den preußischen Staat, allein aus vielerlei Gründen wurde hiervon abgesehen und ein „Reichsland" Elsaß-Lothringen geschaffen, zunächst als Pro visorium unter des Kaisers und Bundesrathes Diktatur und von Neujahr 1873 an als Reich mit eigner Verwaltung. Zu dieser Ordnung der Dinge gab am 3. Juni t87l der erste deutsche Reichstag seine Zustimmung. Bezüglich des neuen Reiches hieß es in der Thronrede, daß Regierung und Volk in dem Entschlüsse einig seien, das rückerworbene Land unter Schonung bewährter Einrichtungen durch eine milde Verwalt ung und durch eine freiheitliche Entwickelung seiner Gesetz gebung zu einem auch innerlich verbundenen Glieds Deutsch lands zu machen. 4. Juni. Die Schlacht bei Magenta, am 4. Juni 1859 geschlagen, bezeichnet den Anfang vom Ende der österreichischen Herr schaft in Italien, einer Herrschaft, die durcb ihre Ungerechtig keiten, ihre Bedrückungen und jede freiheitliche Regung mit Gewalt und Rohheit niederschlagendcn Maßregeln sich gründ lichst verhaßt gemacht hatte. Die Franzosen unter Napoleon III. und die Piemontesen (Sardinien) unter Victor Emanuel (auch Garibaldi mit seinen Alpenjägern) waren cs, die den Waffenkampf heraussorderten, den Oesterreich zwar immerhin tapfer bestand, aber der schließlich mit dem Siege der Alliirten endete. Magenta war, wennschon nicht der Grundstein, so doch ein wichtiger Baustein zum künftigen mächtigen Gebäude des Königreichs Italien. Aus heiterem Himmel. Erzählung von Gustav Höcker. (20. Fortsetzung.) Es konnte nicht fehlen, daß diese geheimnißvollen Gerüchte nach Buchshagen drangen und zu Frau Schröler'S Kenntniß gelangten. Sie riefen seltsamer weise bei der alten Frau eine sich mehr und mehr steigernde Erregung hörvor, bis schließlich in ihr der Entschluß reifte, nach Schloß Kemmeritz zu wandern und den Freiherrn um eine Unterredung unter vier Augen zu ersuchen. Der Haushofmeister wollte die fremde Frau nicht vorlassen, da er in ihr eine Bittstellerin vermuthete, wie sie zu Dutzenden im Schloß erschienen, um von der freigebigen Hand des adligen Herrn eine kleine Unterstützung zu erflehen. Da indessen Frau Schröter erklärte, daß sie nur in der Absicht gekommen sei, dem Herrn von Kemmeritz eine wichtige, seine Person betreffende Mittheilung zu machen, so wurde sie von dem Haushosmeister in das Gemach gesührt, in welchem der Freiherr verweilte. Sie nahte sich dem Letzteren mit großer Aengst- lichkeit und Scheu, kmxte wiederholt und strich ver legen über ihre Hände. Der freundliche, wohlwollende Blick des Schloßherrn ermuthigte sie jedoch bald und Kemmeritz vernahm aus ihrem Munde eine Geschichte, die nur zu sehr mit dem tragischen Schicksale seines Lebens zusammenhing. Frau Schröter hatte in der Residenz eine Schwester besessen, die von dem Un glück betroffen worden war, innerhalb weniger Wochen den Gatten und da- einzige Kind zu verlieren. Das letztere war freilich erst ein Jahr alt gewesen, aber mit ihm sank alle Lebensfreudigkeit der tieftrauernden Mutter in da« Grab. Es berührte Frau Schröter schmerzlich, die Schwester langsam dahinsiechen zu sehen, ohne ihr helfen zu können. „Mein kleiner Maaren handel" — berichtete die alte Frau weiter — „gestattete mir nicht, bei ihr in der Residenz zu bleiben und sie zu trösten. Ich zog von Messe zu Messe und e» dauerte ost recht lange, ehe ich meine Schwester wiedersah. Da kam ich denn mit meinem Planwagen wieder einmal die Landstraße von Buch«hagen hcrgezogen, al« ich plötz lich ein leises Wimmern vernahm. Ich kletterte vom Wagen herab und ging den kläglichen Lauten nach.