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Eleganz herrschte in dem kleinen Salon, in dem an einzelnen freien Abenden die Familie Kehrenburg mit nur wenigen Freunden zusammenkam. Die Thecma- schine summte dann auf dem Seitentisch, bis Fräu lein Rosa mit zierlichen Händen den Thee bereitete. Der junge Prediger war vom Hausherrn einmal ein geführt und war seit der Zeit häufiger Gast in der Villa gewesen. Man hatte seiner Unterhaltung gern zugehört, sein Kommen gern gesehen. Er hatte auch gemeint, Fräulein Röschen« blaue Augen erstrahlten Heller bei seinem Erscheinen, und diese waren es, die ihn Herzogen, mitten au« seinen Arbeiten, die ihm solchen Abend zu einem Fest gemacht. Herr Kehrenburg nebst Gemahlin kamen ihm immer mit herzlicher Freundlichkeit entgegen, die jungen Damen Rosa und Meta fanden an dem ernsten jungen Mann auch Gefallen und hatten diese Ansicht nicht zu sehr verborgen. Er hatte Beobacht ungen angestellt; wenn große Gesellschaft gewesen war und die jungen Herren gewetteifert hatten in dem Bemühen, sich die Gunst der „Goldfische" zu erringen, dann war Rosa ihnen lachend entflohen und hatte bei ihrem Hausfreunde Zuflucht gesucht. Da waren Hoffnungen in ihm erblüht, er sah die Zukunft in eitel Morgenroth und Sonnenschein vor sich und Pa- radieseSblumen schmückten seinen Lebensweg. Und nun — mit einem Schlage waren sie vernichtet, ein eisiger Hauch hatte seine Blüthen geknickt! Er hatte den Winter abwarten wollen und dann, wenn jene traulichen Abende wiederkehrten, dann hatte er wollen sein Glück versuchen; er war zu bescheiden, offen in den Kreis der glänzenden Bewerber einzutreten, er hatte auf sie vertraut, da — Plötzlich, über Nacht war e« über ihn gekommen, während er kurze Wochen abwesend gewesen. Heiß stieg es in ihm auf und erfüllte ihn mit Bitterkeit, seine Seele mit jenem brennenden Schmerz des VcrschmähtseinS. Er preßte die Zähne zusammen und drängte das Stöhnen zurück, das die gequälte Brust erleichtert hätte, sein Stolz litt diesen Ausdruck seines Schmerzes nicht. Er wollte den Kampf in seinem Innern verbergen, darum sprach er nicht und klagte er nicht; nur seiner Mutter war es nicht ver borgen geblieben, sic las in dem Herzen ihres Sohnes wie in einem offenen Buch. Sie trat hinter ihn und sprach, ihm die Hand auf die Schulter legend: „Sieh nicht hinüber, mein Sohn, laß sie, die Glücklichen, der Schmerz hat dort keinen Raum. Hat sie Dich so schnell vergessen, oder ließ ihr Stolz sie so handeln, gleichviel wie die Dinge nun liegen, ver giß auch Du sie, sei Manus genug, sieh, Dein Stolz hilft Dir über die Kränkung hinweg." Er antwortete nicht und regte sich nicht, es schien, als seien ihre Worte an seinem Ohr verhallt. Sie wartete noch ein Weilchen, dann begann sie von Neuem: „Hans, denkst Du auch an Deine Predigt zu morgen, Hans?" Da wandte er sich um: „Du hast Recht, Mutter, mich an meine Pflicht zu erinnern, die Arbeit wird mir wohlthun." Sie zündete in seinem Stübchen die Studirlampe an und sagte noch: „Im Alleinsein mit Deinem Gott wirst Du ruh iger werden, und morgen blickst Du aus anderen Augen. Gute Nacht, mein Sohn, ich störe Dich nicht mehr, sitze nur nicht zu lange." Er küßte seine Mutter und setzte sich nieder. Vor ihm lag das mächtige Auch, das einst einem Luther Muth gegeben, den Kampf gegen die ganze Welt auf zunehmen, und das auch ihm manchen goldenen Trost in das Herz gegossen in dunklen Stunden der Zweifel und Schmerzen. Er schlug e« auf, aufs Gerathewohl und las: „Selig sind die Leidtragenden, denn sie sollen getröstet werden." Er dachte an die Leidtragenden je ner Zeit und unwillkürlich verglich er sein Leid mit dem ihren, ja, da mußte das seine wohl klein erschei nen und er trug es so ungeduldig. War es nicht eigentlich seine Schuld? Warum gab er sich solch hoch gehenden Hoffnungen hin? Wenn er eS so betrachtete, dann war er eigentlich von Gott zurechtgewiesen, er hatte aus seinem Platz herausgewollt und Gottes Hand hatte ihn wieder dorthin zurückgestellt. Er strich das Haar aus der Stirn und begann seine Pre digt. Die hochgehenden Wogen seiner Seele glätteten sich über der Arbeit, allmählich fand das arme Herz den Frieden wieder und im Laufe seiner Predigt konnte er wieder sprechen: „Denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen." — Manche Stunde war verronnen, drüben in der Villa nahm die Festlichkeit ein Ende. Wagen fuhren vor, da« Zufallen des Schlages tönte durch die Stille der Nacht und schallte auch hinüber bis zu dem ein samen Denker im friedlichen Stübchen, aber es störte ihn nicht, er kam sich dem Treiben dort draußen ent rückt vor. Die Lichter erloschen nach und nach, außer denen im Familicnzimmer. Hans hob den Kopf und warf einen Blick nach den Fenstern, da kam eben eine weibliche Gestalt an einem des oberen Stockwerks vorbei, er kannte sie wohl, dies lockengeschmückte Köpf chen auf schlankem Halse, e« gab kein ähnliche« in der weiten Welt. Die glückliche Braut warf sich an die Brust der Schwester, die mitten im Zimmer stand. „Wie ist Dir, theure Rosa?" sagte sie. „Fühlst und denkst Du so wie wir in jenem wundervollen Roman lasen: Ihr Herz war von Himmelsseligkeit erfüllt, die Sonne schien ihr strahlender und des Mon des sanfter Schimmer goß süßen Frieden in ihre von stürmischen Gefühlen bewegte Seele?" „Nein, nein", entgegnete Rosa lachend, „davon weiß mein Herz nichts, doch bin ich froh, daß ich einen so schönen jungen Mann zum Bräutigam habe. Wie stolz er aussieht!" „Und er ist ebenfalls reich, weißt Du. Du kannst buchstäblich das Geld zum Fenster hinauswerfen. Ach! das ist herrlich, so reich muß einst auch Der jenige sein, den ich heirathe. Aber eins muß ich Dir sagen. Du liebst ihn nicht; in jeder Geschichte, die wir lasen, immer war die Braut anders wie Du eine bist. Glaube mir. Du liebst ihn nicht!" Rosa wollte nichts gelten lassen. Sie sprach: „Hast Du je einen hübscheren Mann gesehen, wie meinen Verlobten? Das einzige, was ich an ihn« wünschte, ist dieses ernste, unergründliche Wesen des Herrn Johannes Lange. Der ist mir ein Räthsel geblieben, so lange wir ihn kennen. Aber", schloß sie mit einem kleinen Seufzer, „ganz vollkommen ist ja nichts. Meta, findest Du Nicht, daß der Papa heute recht heiter war? Letzter Zeit war er ordentlich fin ster, doch heute war nur Freude auf seiner Stirn." „Ist das nicht natürlich", meinte Meta, „heute an Deinem BerlobungStage?" Rosa lehnte sich ins Fenster und blickte in die sternenhelle Nacht. „Sieh einmal, unser Freund drü ben hat noch Licht. Der arbeitet schrecklich viel, aber er predigt auch wundervoll." Bald erloschen auch die letzten Lichter in der Villa. Hans Lange'« Studirlampe schimmerte noch allein durch die Nacht, dann erlosch auch sie. Am anderen Morgen strahlte die Sonne im schön sten Glanz am klaren blauen Himmel. Der Sonn tag that seinen Schritt in die Gegenwart mit klarem feierlichem Antlitz. Die Glocken läuteten, und die reine Luft trug den Klang weit hinans zu allen Men schen der Stadt. Hans Lange trat eben aus seinem Hause, die Augen blickten wieder ernst und ruhig wie immer, ihm war heute so feierlich wie seit Langem nicht. Er athmete aus voller Brust die frische Mor genluft; dann schritt er vorwärts seinem Ziele zu. Einen kurzen Blick sandte er nach der Villa, er war eS so gewöhnt gleichsam Abschied zu nehmen ehe er fortging. So war es heute wohl unwillkürlich ge schehen. Er wandte aber schnell das Auge fort, denn das hastige Laufen und Treiben, dies aufgeregte We sen der Bedienten, das man bemerkte, herührte ihn heute am heiligen Sonntage unangenehm. Es störte seine stille Andacht, darum ging er hastig weiter, und über der Stirn lag es wieder finster und strenge wie gestern Abend. Drüben indeß war man heute ungewöhnlich früh aufgestanden, man wollte einen Morgen-Spaziergang machen. DaS Frühstück stand schon ein Weilchen auf dem Tische, man erwartete nur den Papa. „Wo bleibt heute Papa!" sagte Meta, „er ist doch sonst früher auf als wir!" „Soll ich einmal hinaufgehen?" fragte Rosa. „Stein, wenn er nicht bald kommt, dann gehe ich selbst einmal hinauf", entgegnete die Mutter. „Papa liebt es nicht, gestört zu werden, aber er hat uns doch den heutigen Morgen versprochen?" Sie warteten noch eine Zeitlang, dann entschloß sich seine Gattin hinauf zu gehen. Er war sonst so pünktlich, daß seine heutige Verspätung Sorge bei den Seinen hervorrief. Mit leisen Schritten betrat sic das Arbeitszimmer, das er schon mit Tagesanbruch zu betreten pflegte. Sie fand ihn auf seinem Lehn stuhl vor dem Schreibtische, der Kopf war hinten über gesunken, die Arme hingen herab. Sic trat dicht an ihn heran, um ihm in das Gesicht zu sehen; es war bleich, die Augen weit offen und starr — einen Augen blick stand sie da — unbeweglich bei dem Anblick, vor ihr lag ja ein Todter. Sie wollte rufen oder hinunter gehen, aber die Glieder versagten den Dienst. Mit einem gellenden Schrei stürzte sie zu Boden. Unten fuhren die beiden Töchter von den Stühlen empor und eilten in das Haus. Diener und Mäd chen stürzten herbei. Rosa riß die Thür auf zu dem Zimmer ihres PapaS und sah ihre Mama am Boden liegen. Sie kniete »eben sie, um ihr zu helfen, da begegnete sie dem Blick des alten Dieners; der starrte in das Gesicht ihres Vaters, als ob er das Hailpt der Medusa vor sich sehe. Sie blickte ebenfalls hin, da war auf einmal da« entsetzliche Räthsel gelöst. Todt! todt! war der einzige Gedanke, der klar in ihrem Bewußtsein stand. Meta hatte die Hände ge faltet und stand an die Thür gelehnt, als könne sie ohne Stütze sich nicht aufrecht halten. Sie gab kei nen Laut von sich, doch die Lippen waren auf einan der gepreßt und die Augen starrten ins Leere. Die Diener eilten hinaus, Aerzte wurden geholt, und die Kammerjungfer trug die bewußtlose Gemahlin des Verstorbenen hinaus, um sie zu Bett zu legen. Die Aerzte schüttelten das Haupt. Ein Schlagfluß war Alles, waS sie feststellen konnte». Der Tod war bereits vor Stunde» eingetreten, Hülfe kam zu spät. Mitten in seiner Arbeit war er abgerufen, mitten aus seinen fröhlichen Hoffnungen den Seinen entrissen. Die erstarrten Finger hielten noch die Feder, Bücher und Papiere lagen vor ihm. Die Sonnenstrahlen huschten lustig darüber hin. Wo war alle Lust und Fröhlichkeit geblieben, die noch gestern diese hohen Räume erfüllten. Ein ent fernter Verwandter, der in der Stadt wohnte, kam für die nächsten Tage ins Haus, um alles Noth- wendige zu besorgen und das Begräbuiß zu bestellen. Bald war auch die traurige Kunde in der Nach barschaft herum, Jeder schickte Boten oder kam selbst. Niemand mochte eS glauben, dies Schreckliche, Unbe greifliche. Der erste Tag, dieser lichte, sonnerfüllte Tag neigte sich seinem Ende zu. Die Bewohner der Villa Keh renburg gingen noch wie im Traum einher, das Un glück war zu plötzlich über sie gekommen. Die Gattin lag fiebernd und redete irre, sie wähnte sich noch auf dem Feste und ihre Worte zerrissen ihren Kindern das Herz. Die Nacht senkte sich mit ihrem Schatten auf die müde Erde und deckte mitleidig ihren Schleier über die Elenden und Armen; doch in der Villa brannten alle Flammen, den» man ging nicht zur Ruhe, Seele und Körper fanden sie nicht. Die kurze Zeit verstrich, während welcher der Todte noch bei den Seinen war. Der Tag brach an, der ihn fortführen sollte von der Stätte der Le benden. Die Leiche lag anfgebahrt im Saal. Die Fenster waren verhangen, dafür brannten zahlreiche Flammen an Kronen- und Armleuchtern und warfen ein ungewisses Licht auf Alles. Wie eine zaubervolle Halle im Walde erschien der Raum. Palmen und Lorbeer standen an den Wänden, umkränzten den sil- berbeschlagcncn Sarg. Kränze nnd Blumen verhauch ten ihren Duft. Der Todte erschien wie in Laub und Blumen gebettet. Es war kurz vor der festge setzten Stunde, zahlreiche Verwandte und Freunde waren gekommen. Rosa hatte schweigend Anordnungen getroffen, sie hatte den Kopf oben behalten. Ihr Ver lobter war sofort nach Empfang der Nachricht ge kommen sie zu trösten. „Armes Kind", sagte er, „jetzt muß Dich solcher Schlag treffen, wo wir erst das Leben genießen woll ten. Wie anders wird nun unsere herrliche Braut zeit vergehen; anstatt der Feste, in denen mein Lieb als Königin glänzen sollte, schwarze Trauerkleidcr und Thränen." Rosa fühlte sich tief verletzt durch diese Klage und den Hinweis auf Freuden, jetzt, wo sie unnennbaren Kummer zu überwinden hatte. Darum antwortete sie mit vor Erregung zitternder Stimme: „An dieses Schreckliche habe ich noch nicht gedacht. Der Tod ineines Papas hat bis jetzt noch keinen anderen Ge danken aufkommen lassen. Du erinnerst mich erst da ran, aber — könnte ich dieses eine Leben damit zu rückerkaufen, gern wollte ich auf alle Feste für immer verzichten!" Kurt runzelte ein wenig die weiße Stirn. „Was würdest Du denn zum Opfer bringen, wenn ich ge storben wäre?" „Wie kannst Du so fragen," antwortete sie. Sie hielt die Augen gesenkt und er sah zwei klare Tropfen niederfallen an dem dunklen Gewand. Er beugte sich über sie; der bloße Gedanke macht ihr Schmerz, dachte er. Da hob sie die gerungenen Hände. „Vor wenigen Tagen noch so glücklich, so fröhlich, und heute im Sarge," flüsterte sie und drückte ihr Gesicht in das Spitzentaschentuch. Sie sah nicht die Veränderung in den Zügen ihres Verlobten. In ihm aber stieg der Helle Zorn auf; dem Gedanken an sei nen Verlust schenkte sie so gar keine Aufmerksamkeit, das verletzte seine Eigenliebe nicht wenig, doch schwieg er darüber und sagte nur: „Du bist erregt, theure Rosa, habe nur diesen Tag überstanden, er ist der schwerste, dann heilt die Zeit Deinen Schmerz nach und nach, ich komme bald wieder, weine nicht so, ich kann keine Thränen er tragen." Er beugte sich über sie, sie zu küssen, doch sie hob das Gesicht nicht aus dem Taschentuch; so berührte er leicht das blonde Haar und ging. Dies gefiel ihm nicht, sie vernachlässigte ihn über ihren Kummer,' ihn, den die Frauen so verwöhnt hatten. Er hatte bis jetzt von sich sagen können, wie der sieggewohnte Cäsar: veni, vicki, vici, und hier dies von Person doch nur unbedeutende kleine Ding ließ ihn abblitzcn, wo er sich herabgelassen hatte! Er war einer von Denen, die da meinen, die Frauen könnten eS nie genug würdigen, wenn ein Mann, der so hoch über ihnen stehe, sich zu ihnen herablasse. Seine Empörung war nicht gering. Immerhin aber war er doch froh, daß er mit der Verlobung nicht ge wartet hatte, wer weiß, ob sie dann überhaupt zu Stande gekommen. (Fortsetzung folF.) Druck und Lerlag von L. tzannebotzn in Eibenstock.